Mittwoch, 30. Januar 2008

Ole von Beust distanziert sich von Roland Kochs Wahlkampf

In einem offenen Brief haben Ole von Beust, CDU-Spitzekandidat für Hamburg, und sechzehn weitere CDU-Politiker sich von Rolands Koch Wahlkampf distanziert und salbadern von Integration. Das ganze würde überzeugender rüberkommen, würde es nicht direkt vor einer Wahl und direkt nach dem Debakel des eben kritisierten Wahlkampfs sein.

Fundstücke 30.1.2008

Sehr empfehlenswerte politische Gesamtanalyse vom Spiegelfechter.
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Rudy Guiliani ist aus den Vorwahlen der Republikaner ausgeschieden. Handelsblatt dazu. Telepolis dazu.
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Die Süddeutsche versucht sich an ein bisschen Objektivität zur Linken und misst sie an Berlin.
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Ypsilanti hat die GroKo erneut ebenso ausgeschlossen wie die Linke als Partner. Mal sehen, was sie aus dem Hut zaubern will.
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Telepolis zu Armutslöhnen und der Ausländerlüge.
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Markus Söder schlägt ausgerechnet für Hessen schwarz-gelb-grün vor.
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Dienstag, 29. Januar 2008

Zitat des Tages

Michael Glos hätte schon Mühe, das Amt eines Wirtschaftsdezernenten in einer deutschen Großstadt kompetent auszufüllen.
- Spiegel, leider in anderem Zusammenhang

Gedanken zu den Wahlen in Hessen und Niedersachsen

Niedersachsen

Wahlkampf: In Niedersachsen war von einem Duell zwischen Spitzenkandidaten wenig zu spüren. CDU-Ministerpräsident Wulff hat einen präsidialen Wahlkampf gestaltet und damit wachsweich keinerlei Angriffsfläche geboten, so wenig, dass der mindestens genauso farblose SPD-Kandidat Jüttner sogar in einer nur als Verzweiflungstat zu beschreibenden Aktion versucht hat, mit einem Verweis auf die unter bürgerlich-moralischem Gesichtspunkt betrachtet nicht ganz hasenreine Ehe des Herrn Wulff zu verweisen und ihn so dem konservativen Lager zu vergällen. Dass die CDU gewinnen würde war also klar, die einzigen wirklich interessanten Fragen waren: kommt die FDP auf genug Stimmen, dass es für schwarz-gelb reicht und kommt die Linke rein? Und, natürlich: wenn die Linke reinkommt, reicht es dann für schwarz-gelb?
Einschätzungen: Niemand hat der Linken im überwiegend agrarisch geprägten Niedersachsen ernsthafte Chancen eingeräumt. In den Sympathiewerten lag Wulff stets Meilen vor Jüttner. Wulff hatte das sicherlich nicht übermäßig begeisternde Image des lieben Schwiegersohns und ehrlichen Landesvaters, Jüttner gar keines außer seinem schrecklich unmodischen Schnauzbart.
Themen: Interessant ist die Fokussierung der SPD auf die Themen Bildung und Mindestlohn. Der gesamte Wahlkampf stand unter dem Topos "Soziale Gerechtigkeit", und viele Beobachter schreiben dieser Fixierung, die die besser verdienenden weitgehend außer Acht lässt, das Absacken der SPD zu. Wullf hingegen hatte überhaupt keine Themen. Er grinste nur von den Wahlplakaten und verkündete, dass er der Bessere sei. Das Gegenteil beweisen kann man ihm derzeit auch schlecht.
Analyse: Die große Überraschung war das Abschneiden der Linkspartei: 7,1%, das hätte niemand in Niedersachsen für möglich gehalten. Hier liegt in meinen Augen auch der Grund für das schlechte Abschneiden der SPD: nicht, weil sie in ihrem Wahlkampf auf soziale Inhalte gesetzt hat hat sie 7,6% verloren, sondern weil es ihr niemand abnahm. Die 7,6% sind fast genau die Anzahl Wähler, die die Linke hinzugewonnen hat. Man nimmt der SPD derzeit einfach nicht ab, dass sie sich ernsthaft um bessere Ausgleichsbedingungen kümmert, und alle anderen Themen besetzen die anderen Parteien ebenfalls besser: Ökologie haben die Grünen, Sicherheit und Wirtschaft die CDU. Die FDP indessen geriert sich als Wurmfortsatz der CDU und verdient deswegen keine gesonderte Beachtung.
Vermutlich wird der niedersächsische Wahlkampf eher zum Vorbild für 2009 werden als der hessische, und Merkel wäre auch dumm, sich von Koch etwas anderes aufschwatzen zu lassen: Seit über zwei Jahren gibt sich Merkel als präsidiale Landesmutter, pflegt ein Image des Ausgleichs und der unideologischen Sachorientierung. Dass sie sich so fest hinter Koch gestellt hat war eine Rieseneselei, und es ist nur der (mir schleierhaften) immer noch vorhandenden Sympathie der Leitmedien zu verdanken, dass diese sie ständig über den grünen Klee loben.
Zukunftsperspektive: Schwarz-gelb. Das ist sonnenklar.
Bedeutung: Hauptsächlich in der Determinierung des Wahlkampfstils für 2009 und der endgültigen Etablierung der Linken.

Hessen

Wahlkampf: Von Anfang an hat Roland Koch in Hessen auf Polarisierung gesetzt. Seine Bilanz war miserabel, und sein Image stets das des Rechtskonservativen. Nur hatte er kein Thema; vermutlich stürzte er sich deswegen so verbissen auf die Nebelkerze Ausländerkriminalität. Das hätte in Baden-Württemberg oder Bayern wohl auch problemlos funktioniert, nur in Hessen liegt die Sache eben etwas anders. Als die Kampagne immer größere Abscheu in den Medien hervorrief (sieht man von opportunistischen bzw. rechtskonservativen Blättern wie Spiegel oder FAZ ab), versuchte er es mit einem Griff in die Mottenkiste der 1980er Jahre und warnte vor einer kommunistischen Übernahme. Auch damit stieß er weitgehend auf taube Ohren.
Ypsilanti indessen fuhr zu guten Teilen das gleiche Programm wie Jüttner in Niedersachsen, besetzte aber immerhin zusätzlich das Thema Erneuerbare Energien. Ihr kam ebenfalls zupass, dass dank Roland Koch viel mehr Medienaufmerksamkeit auf Hessen lag als auf dem "langweiligen" Niedersachsen und man sich so zwangsweise auch mit ihr beschäftigte. Von den anderen Parteien war im Wahlkampf relativ wenig zu spüren; der entscheidende Protagonist ist Roland Koch. Dessen Polarisierung hat tatsächlich einen Lagerwahlkampf bewirkt, aber anders, als dieser es intendiert hatte.
Einschätzungen: Es war eine Zitterpartie für die Linke, ob sie den Sprung schaffen würde. Hessen war eigentlich stets eher ein linkes Land, und das ist eine der fundamentalsten Fehleinschätzungen Kochs gewesen. Er hat schlicht vergessen, dass schwarz-gelb das Intermezzo in Hessen war, und nicht rot-grün. Zu Beginn des Wahlkampfes hätte trotzdem niemand Ypsilanti ernsthafte Chancen eingeräumt, die blass und unbekannt war. Doch mit Kochs unappettitlichen Wahlkampfthemen und der miserablen Bilanz des CDU-Manns schoss sie quasi automatisch nach oben - Kraft und Gegenkraft.
Themen: Die CDU besetzte exakt ein Thema: Law and Order. Der ganze Rest projizierte sich beinahe automatisch auf die SPD und ihre Schwesterparteien, die Linke und die Grünen. Erneuerbare Energien, Bildung, Soziale Gerechtigkeit - all die derzeit wichtigen Themen gingen an sie. Quasi genau das Gegenteil von Niedersachsen. Wie immer hat die FDP kein Thema für sich.
Analyse: Roland Kochs Stern ging in Hessen eindeutig unter. Dass die CDU mit dreieinhalbtausend Stimmen mehr stärkste Partei ist, ist dabei nicht gerade ein Pluspunkt, bedenkt man die Verluste von zwölf Prozent. Koch hat einfach vergessen, in welchem Land er ist. Wichtig für den Hessenwahlkampf war außerdem die Konzentration der Medien darauf. Niedersachsen verschwand dagegen geradezu im Nebel. Ypsilanti profitierte dagegen stark von der Medienaufmerksamkeit, die sich für Koch immer ungünstiger auswirkte und von einem guten Wahlkampfteam, dem unter anderem Hermann Scheer angehörte. Die hervorragende Zusammenarbeit mit den Grünen gehört hier ebenfalls dazu, während die FDP mit der CDU im Wahlkampf wenig anfangen konnte.
Zukunftsperspektive: Unklar. Es kommen mehrere Lösungen in Betracht. Problematisch ist, dass alle möglichen Bündnisse im Vorfeld explizit ausgeschlossen wurden; es muss also irgendjemand sein Versprechen brechen.
1) Die Große Koalition (sehr wahrscheinlich). Vermutlich wird die SPD hier umfallen, und selbst Koch als Ministerpräsident tolerieren (Merkel proletet ja bereits von einem Regierungsauftrag für Koch). Noch wahrscheinlicher ist die Lösung, sollte Koch abtreten und ein neuer CDU-Mann an die Spitze kommen. Möglich wäre ein Positionentausch zwischen Jung und Koch.
2) Die Ampelkoalition (möglich). Dafür müsste die FDP umfallen, was eher unwahrscheinlich ist, da die SPD gerade in Hessen reichlich links ist. Auf diese Konstellation hin wurde im Wahlkampf effektiv gearbeitet, ganz besonders von Kurt Beck. Täte Ypsilanti etwas anderes, würde sie ihn brüskieren und damit sich selbst von wichtiger Unterstützung abschneiden, ganz besonders, würde sie mit der Linken koalieren.
3) Rot-Rot-Grün (unwahrscheinlich). Dafür müsste die SPD umfallen. Das ist wegen der Vehemenz der Absagen im Vorfeld eher unwahrscheinlich, besonders auch, weil die SPD der CDU damit in einer ohnehin prekären Situation eine weitere offene Flanke bieten würde, in die diese dann den Dolch stoßen und ihre konservativen Anhänger für 2009 mobilisieren könnte. Die Linke indessen hofiert die SPD.
Bedeutung: Hessen hat gezeigt, dass die CDU mit rechtskonservativen Positionen derzeit keinen Blumentopf gewinnt. Außerdem ist die Bedeutung Roland Kochs stark abgesackt. Für die SPD zeigte sich ein Hoffnungsschimmer; der allerdings wird gerade derart hochgeredet, dass es wahrscheinlich ist, dass sich die Partei hier verrennt.

Weiteres

Obwohl die Medien, abseits der Kritik an Kochs unappettitlichen Themen, stets auf der Seite der CDU agierten, hat diese in beiden Ländern verloren, wenn auch ungleich in der Stärke. Die Wahlbeteiligung ist ein weiteres Mal abgesagt, sie nähert sich immer mehr der 50%-Marke. Das gilt auch für den stark polarisierten Wahlkampf in Hessen. Das kann zwei Ursachen haben: entweder sind die Menschen tatsächlich politikmüde, oder aber sie haben durchschaut, dass die Polarisierung hauptsächlich Wahltaktik ist. Vermutlich ist es eine Mischung aus beidem.
Für Ypsilantis Bekanntheitsgrad äußerst positiv wirkte sich die Einmischung Wolfgang Clements aus, der sich dabei nebenbei ins politische Abseits geschossen hat. In offensichtlich lobbyistischer Funktion rief er zur Wahl Kochs auf, weil Ypsilantis Energiepolitik unverantwortlich sei. Es fehlte nur noch, dass er einen RWE-Button am Revers getragen hätte. Das könnte den positiven Nebeneffekt haben, dass die Öffentlichkeit etwas mehr für Lobbyismus sensibilisiert wird, ist aber eher unwahrscheinlich, hauptsächlich aufgrund der Gleichschaltung der Medien. Möglicherweise ist das ein Wahlkampfthema für die Linke, wenn sie anhand von Zahlen und Fakten operiert und damit Spitzenleute der anderen Parteien deklassiert, besonders, weil sie hier selbst recht unschuldig ist und man ihr kaum etwas nachweisen kann.
Eher unschön ist die noch offene Gültigkeit des Wahlergebnisses in Hessen. Da in einigen Gemeinden Wahlcomputer eingesetzt wurden, bei denen es bereits im Vorfeld zu zahlreichen Pannen kam und deren Einsatz die Wahlergebnisse - auch noch in letzter Minute - stark in Richtung CDU verschob, ist anzunehmen, dass der CCC - dessen Wahlbeobachter in Hessen durch ein behördliches Dekret stark behindert wurden - die Wahlergebnisse in diesen Kreisen anfechtet. Die vielen Pannen und Peinlichkeiten, die im Umfeld der Wahlcomputer bekannt wurden sowie der gigantische finanzielle Aufwand, den diese gegenüber der originären Wahl bieten, lässt die Kritik an ihnen lauter werden. Nichts desto trotz versucht die Regierung derzeit, Wahlcomputer und Briefwahl zu stärken.
Immer wieder wird derzeit das Bonmot der "brutalstmöglichen Quittung" bemüht, aber das halte ich für Unsinn. Koch stellt immer noch die stärkste Partei, und Hessen ist eben nicht Baden-Württemberg. Das Absacken der CDU um zwölf Prozent stutzt diese auf ein vernünftiges Maß zurück, aber nicht mehr.

Weitere Links

Eine erste Auswertung der NachDenkSeiten.
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Wer hat gewonnen? fragt Telepolis.
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Das Handelsblatt zeigt auf, welche Koalitionen möglich sind.
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Die Süddeutsche tut dasselbe.
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Klaus Wowereit verbiegt sich im Interview.
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BILD macht sich vollkommen auf die Seite Roland Kochs.
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Die Meinung vonBlogsgesang .
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Der Tag der gewieften Interpreten.
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Interview mit Ottmar Schreiner.
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Sowohl dio Tagesschau als auch die FAZ, die Capital und die Berliner Umschau haben schwarz-gelb als schwarz-geld bezeichnet.
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Die NDS zur Ampel-Koalition.
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Die Süddeutsche interpretiert Roland Kochs Zukunft und die Auswirkungen des Wahlampfs auf die CDU.
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Montag, 28. Januar 2008

Fundstücke 29.1.2007

Plädoyer Heribert Prantls für die Rekommunialisierung vieler Wirtschaftszweige. Lesebefehl!
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Fünf Medienkonzerne regieren die Welt.
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Zitat des Tages

Ganz groß sind aber die “Freien” Demokraten. Leute, wer wählt denn sowas? Ein Verein, der jedem Hetzer hinterher kriecht, wenn er dafür mitregieren darf. Eine Partei, die “Freiheit” sagt und die Henker der Grundrechte hofiert. Leute, die seit Jahrzehnten “Bürokratieabbau” versprechen und in dreißig Regierungen aber auch gar nichts dazu beigetragen haben. Wenn die CDU ihre eigenen Wähler verprellt, reicht es schon mal für gut 9% bei der F.D.P.. So vielen Leuten geht es so gut, daß ihnen gegeben wird - genau von denen. Mit der F.D.P. ist weiterhin zu rechnen wie mit Überschwemmungen und Verkehrunfällen, darauf kann man setzen. Nur darf niemand erwarten, daß diese bornierte Truppe überflüssiger Krawattenträger je etwas Nützliches zustande bringen wird.
- Feynsinn

Papierloses Büro reloaded

Im Zuge des Bolognaprozesses und der Umstellung auf Bachelor und Master haben viele Unis millionenschwere elektronische Systeme angeschafft, die Chaos produzieren und nicht funktionieren. Die Ersteller, beispielsweise von SAP, verweisen nonchalant darauf, dass die Unis sie einfach falsch einrichten würden. Dabei sind die Systeme, vollkommen überteuert wie überflüssig, auch ungeeignet für die Aufgabe: sie produzieren ständig Fehler, und Noten ändern sich teilweise über Nacht. Da Studienbücher und Scheine abgeschafft wurden und alles nur noch online ist, bleibt für Studenten keine Nachweismöglichkeit.
Auch die Anmeldung zu den Seminaren geht beständig daneben; Informatiker landen in Philosophie, BWLer in Meteorologie. Das kann ein teures Semester kosten; gleiches ist hier in Tübingen mit dem CAMPUS-System auch schon passiert.
Die Systeme sind außerdem noch eine große Gefahr bezüglich der Privatsphäre, da sie äußerst unsicher sind. Informationen gelangen viel zu leicht nach außen, und manipulierbar sind sie auch; abgesehen davon, dass viele Systemfehler ständig für Manipulationen der Daten von sich aus sorgen.

Fundstücke 28.1.2008

In der FR ist ein prägender Artikel gegen die Privatisierungswut entstanden; der Club of Rome hat sich auch wieder zu Wort gemeldet.
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Köhler spricht sich indirekt gegen Studiengebühren aus.
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Zu den weitverbreiteten Fälschungen von Amazon-Rezensionen.
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Wie man billige TV-Shows macht.
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Inzwischen ist auch in der Schweiz das willkürliche Verhaften und Verletzen von Demonstranten angesagt.
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Ein Gegenartikel zu Frank Schirrmacher in der SZ.
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Die Justiz macht sich mal wieder zur Hure der Wirtschaft.
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Die Grünen wollen Online-Rollenspiele als Geisteskrankheit anerkennen lassen.
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Freitag, 25. Januar 2008

Fundstückte 25.01.2008

Die NDS hacken wieder auf der EZB rum. Lesenswert!
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Über die horrenden Zustände in den teilprivatisierten Krankenhäusern kann man hier nachlesen.
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Die Zeit schreibt äußerst kritisch über den "neoliberalen Wandel" an den Universitäten.
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Gleiche Quelle: Vom Untergang der gleichen Fälle.
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Sonntag, 20. Januar 2008

Fundstücke 20.01.2008

Zu den aktuellen Vorwahlständen in den USA.
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Hessen-CDU setzt auf Ressentiments gegen Ausländer.
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Interessantes und überraschend unvoreingenommenes Lafontaine-Interview in der SZ. Lässt man den populistischen Quatsch beiseite, sagt Lafontaine einige sehr interessante Dinge.
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In der SZ wird wieder aus allen Rohren gegen Schäuble geschossen. Lesebefehl!
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Das drastische Beispiel und der Einzug der Vernunft

Der Fall Nokia erregt die Gemüter, so sehr, dass inzwischen mehrere Spitzenpolitiker zum Boykott der Firma aufgerufen haben. Man würde so etwas populistisch nennen, käme es von der Linken, aber da es Kurt Beck und Jürgen Rüttgers waren, scheint es in Ordnung zu sein. Das aber ist gar nicht das eigentlich beeindruckende.
EU-Industriekommissar Günter Verheugen (SPD) hat gefordert, die Subventionierungspolitik der EU bis auf wenige Ausnahmen komplett einzustellen sowie die "Vergötterung" des Shareholder Value zu beenden.
Das hat Symbolkraft, denn diese Sätze wären genauso wie die Entrüstung über Nokia vor einem Jahr noch schwer vorstellbar gewesen. Damals hätte eher der Spiegel ein Loblied auf die Globalisierung gesungen und die Pressemitteilung Nokias nacherzählt.
Die Subventionierung zu beenden ist das eine. Das wäre quasi das Ende des "Wettbewerbs" von Staaten, die den Unternehmen damit mannigfaltige Steuererleichterungen und Geschenke in den Rachen werfen, nur damit sie großzügig hier enorme Gewinne machen und die Löhne drücken. Es wäre das Ende davon, dass die Steuerzahler mit ihren Steuergeldern den Abbau ihrer eigenen Jobs zugunsten der Gewinne des Unternehmens finanzieren. Es wäre das Ende einer ruinösen Mentalität, an deren Ende bankrotte Staaten und Bürger und fette, reiche Unternehmen mit gewaltiger Macht stehen.
Das andere ist die Kritik am Shareholder Value. Vor einem Jahr hätte sich das noch verboten. Jetzt ist es sozusagen en vogue. Zu Recht, denn das Shareholder Value als Maßstab aller Dinge hilft nur wenigen Menschen und schafft keine Werte.
Es steht zu hoffen, dass der Mentalitätswandel über plakative Fälle wie Nokia hinausgeht und in der EU endlich das vorhandene Machtpotenzial genutzt wird, um zugunsten der eigenen Bürger Entscheidungen zu treffen - und nicht zugunsten geldgieriger Unternehmen.

Lobbyismus in Reinkultur

Wolgang Clement war bis 2005 Bundesminister und Mit- und Haupkonstrukteur der Hartz- und Riestergesetze. Seither steht er als Lobbyist auf der Lohnliste des Energiekonzerns RWE. Erst vor kurzem hatte er versucht, in der Sache Postmindestlohn Einfluss auf seine Partei SPD zu nehmen und sie in Richtung der Arbeitgeberverbände zu drücken. Das scheiterte, seine Rücktrittsdrohungen kratzten niemanden.
Nun hat sich Wolfgang Clement dermaßen herabgewürdigt, dass jede Küchenschabe mehr Ehre hat. Er hat mit einem Zeitungsartikel in der Welt am Sonntag in den hessischen Wahlkampf eingegriffen, in dem er die Energiepolitik von SPD-Spitzenkandidatin Ypsilanti geißelte und implizit zur Wahl von Roland Koch aufrief. Ypsilanti wolle weder Kohle- noch Atomkraftwerke bauen und gefährde damit die industrielle Substanz Hessens wie Deutschlands. "Deshalb wäge und wähle genau, wer Verantwortung für das Land zu vergeben hat, wem er sie anvertrauen kann - und wem nicht."
Daraufhin hat Dr. Hermann Scheer, Abgeordneter unseres Wahlkreises hier und einer der wenigen SPD-Politiker, die man tatsächlich heute noch wählen kann, Clements Parteiausschluss gefordert. Da Struck inzwischen das Gleiche tut, ist davon in den Zeitungen leider nicht mehr die Rede, aber man kann nicht alles haben.
Man muss sich das Ausmaß dieser Verkommenheit wirklich bildlich vorstellen: nicht nur hat Clement die Deregulierung des Arbeitsmarkts (sowie die Hartz-Gesetze) und damit verbunden das Lohndumping und den immensen Ausbau der Zeitarbeit möglich gemacht, nein, er lässt sich auch noch unverholen dafür bezahlen (Clement sitzt im Aufsichtsrat mehrer Zeitarbeitsfirmen, unter anderem in Europas größter, Adecco). Bisher konnte man sich fragen, was er für RWE getan hat, jetzt weiß man es. Dermaßen offensichtliche Korruption ist bisher selten vorgekommen (zumindest in der SPD), deswegen ist Clement auch so einmalig hier und sorgt für so erregte Reaktionen. Jemand, der zur Nichtwahl der eigenen Partei aufruft und dabei so offensichtlich die Interessen seines Arbeitgebers vertritt (den Bau von Kohle- und Atomkraftwerken, ein klarer Verstoß gegen das Programm und die politische Linie der SPD seit 1998, auch seiner eigenen Ministerzeit!), ist einfach nicht tragbar.

Nachtrag: Die Süddeutsche zeigt indessen auf, dass Clement nie richtig in die SPD passte. Dabei stellt sie sich seltsamerweise die Frage, ob Clement als Lobbyist oder Querschießer gehandelt hat.

Freitag, 18. Januar 2008

Zu wenig Studienplätze? Kein Problem.

In Baden-Württemberg sind 90% aller Studiengänge zulassungsbeschränkt, was bedeutet, dass man einen bestimmten Schnitt in der Abitursnote haben muss um zum Studium zugelassen zu werden. Da das illegal ist, erfinden die Unis noch ein paar andere Kriterien als Feigenblätter. Einige Fächer werden auch von der ZDV direkt zugelassen. Im letzten Jahr wurden bei uns in Tübingen sogar die Geisteswissenschaften mit einem (erschreckend hohen) Numerus clausus ausgestattet, da die Uni aus allen Nähten platzt. Die Situation schreit also nach einem Ausbau der Kapazitäten. Stattdessen setzt die schwarz-gelbe Regierung auf Selektion. Die Studiengebühren haben dabei bisher nicht den erwünschten Effekt gebracht, wiewohl die Ersteinschreibungen stark zurückgegangen sind. Deshalb fährt Wissenschaftsminister Frankenberg nun stärkere Geschütze auf.
"Das Abitur hat seine Aussagekraft verloren, wenn es inzwischen Studiengänge gibt wie Medizin in Heidelberg, bei denen man unter den 1,0-Abiturienten über Tests Auswahl trifft." (Quelle)
Als ob man das 1,0 Abitur in BW nachgeworfen bekäme. Liegt hier das Problem vielleicht bei den Abiturienten? Oder nicht vielleicht eher in einem erschreckenden Mangel an Studienplätzen? Früher gab es Medizinertests, die die Bewerber weiter selektieren sollten. Irgendwann stellte man fest, dass das Testergebnis um maximal 1% von der Abi-Note abwich, aber Unsummen kostete. Deswegen schaffte man diese Tests ab. Der Geniestreich von Frankenberg (natürlich CDU) besteht nun nicht darin, sie nur wieder einzuführen, und das auch für andere Fächer. Nein, der wahre Geniestreich ist, die Kosten den Studenten aufzubürden.
Dazu beauftragt man natürlich private Firmen, Consultingfirmen, um genau zu sein. Das sind die Firmen, bei denen Politiker häufig unterkommen, wenn sie aus der Politik ausscheiden, um das nebenbei zu erwähnen. Man sollte Frankenbergs Karriere im Auge behalten. Aber zurück zum Thema. Um zu den Wirtschaftswissenschaften zugelassen zu werden, muss man einen Test bei der ITB Consulting GmbH bestehen, dessen Absolvieren lächerliche 50 Euro kostet - pro Uni, an der man sich bewirbt.
Was das bedeutet, lässt sich leicht erschließen und ist von Frankenberg auch offen ausgesprochen worden: die Studenten sollen sich nicht mehr an so vielen Universitäten gleichzeitig bewerben. Wer also reiche Eltern hat, kauft, wie es die NDS ausdrücken, "gleich mehrere Lose aus der Lostrommel", wer arm ist, hat Pech. Wahrscheinlich wird die Zukunftsaussicht der NDS wahr, dass wir bald wie in den USA oder Japan die Situation haben, dass Schüler nach dem Abitur erst ein oder zwei Jahre unglaublich teure Spezialkurse besuchen müssen, um überhaupt eine Chance auf die Unizulassung zu erhalten.
Wir müssen uns dabei vor Augen halten, dass Deutschlands größtes Problem die Bildung ist und die Zahl der Studienbeginner signifikant niedrig. Das OECD-Ländermittel ist 53%, das EU-Mittel 52%, in den skandinavischen Ländern etwa 75%. Deutschland: 37%. Niedrigere Studienanfängerquoten finden sich lediglich in Belgien, Griechenland, Mexiko und der Türkei.

Kopfnoten in NRW wieder eingeführt

Es war einer der großen Erfolge der sozialliberalen Ära in der Reformierung des Bildungswesens, dass die lästigen und überflüssigen Kopfnoten abgeschafft wurden (Verhalten, Mitarbeit, häuslicher Fleiß). Diese Entwicklung ist an Baden-Württemberg (als einzigem Bundesland) vorübergegangen, aber das ist hierzulande auch nicht anders zu erwarten, wo man wahrscheinlich froh über die progressiven reformerischen Kräfte innerhalb der CDU sein muss, die die Prügelstrafe abgeschafft haben.
Nun hat die CDU-Bildungsministerin Barbara Sommer quasi als verspätetes Produkt der "geistig-moralischen Wende" von 1982 (zusammen mit der verkorksten Einigung und dem Privatfernsehen wohl das tödlichste Kuckucksei der Regierung Kohl) die Kopfnoten wieder eingeführt und damit etwas geschaffen, was selbst der konservative Philologenverband als "bürokratisches Monstrum" bezeichnet. Gleich sechs Noten sollen inzwischen von den Lehrern festgelegt werden (Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Selbstständigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Konfliktverhalten und Kooperationsfähigkeit), zwei volle Unterrichtstage gehen pro Jahr nur dafür flöten. Aussagekraft: null. Aufwand: gigantisch.
Die Aussagekraft dieser Kopfnoten, die hier in BW "immerhin" nur in der Gestalt der beiden Noten "Verhalten" und "Mitarbeit" daher kommen, sollen sogar im Abi stehen (worauf man sogar hierzulande verzichtet). Das Problem ist, dass sie weder Aussagekraft haben noch haben können, man aber mit ihnen viel implizieren wird. Es ist bereits jetzt abzusehen, was laufen wird: 98% aller Schüler werden in allen Noten ein "gut" stehen haben. Etwa 0,5% aller Schüler werden in einer oder mehreren der Noten "sehr gut" sein, meist wegen außerschulischen Engagements oder weil sie sonst überall gut sind und irgendjemand es nicht ertragen kann, dass sie da nur ein "gut" haben. Und etwa 1,5% werden auch mal in der einen oder anderen Note nur "befriedigend" sein. So zumindest stellt sich die Lage in BW dar. Diese 1,5% werden in praktsich 100% der Fälle männlich sein und als Störer auffallen. Wie bei den mündlichen Noten auch wird latente Aufsässigkeit "bestraft", angepasstes Wohlverhalten belohnt - ohne jeden Blick darauf, wie die Leistung des betreffenden Schülers ist oder ob er sich kritische Gedanken zum Thema macht.

Fundstücke 18.1.2008

Kanada warnt vor Israel und den USA: wer hier festgenommen wird, muss mit Folter rechnen.
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Rudolf Hickel macht die EU verantwortlich für den Nokia-Abgang und erklärt das Ende des Neoliberalismus' für gekommen.
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Das IAB widerspricht energisch Hans-Werner Sinns populistischer Mindestlohnstudie und nennt sie unseriös.
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Ein Blogger hat nachgerechnet: Riester ist rausgeworfenes Geld.
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Donnerstag, 17. Januar 2008

BILD auf Kreuzzug, Teil XXII [Update]

"Schläger (16) muss Plumpsklo selbst ausheben!" Howdiho, was für eine Schlagzeile. Um was geht es? Nur die neueste Wahlkampfhilfe für Roland Koch aus dem Hause Springer, wo Rechtsextreme sich bereits seit Jahrzehnten fröhlich tummeln dürfen. Anlass ist, dass Hessen einen Jugendlichen "nach Sibirien verbannt" habe, wo er "bei eisigen Temperaturen" Holz hacken und 2,5 Kilometer zur Schule laufen muss. Und, natürlich, sein eigenes Plumpsklo graben. Nicht fehlen darf natürlich der Hinweis, dass das Ganze den Steuerzahler "nur" 150 Euro am Tag kostet, und damit ein Drittel einer geschlossenen Anstalt in Deutschland.
Rondo.
Schauen wir einmal, was uns der BILD-Artikel nun genau sagen will.
1) Roland Koch (in Personalunion mit "Hessen"), das ist ein ganz toller Hecht, der tut was!
2) Auffällige Jugendliche (im Artikel penetrant als "Schläger" bezeichnet) nach Sibirien zu "verbannen" ist eine tolle Idee.
3) Fern von allem "Luxus" (kein Fernsehen, kein Internet) soll der Junge mit körperlicher Züchtigung wider die harte Natur das tägliche Überleben sichern. Das soll dann aus irgendeinem Grund ein fröhliches Mitglied der BILD-Wertegemeinschaft schaffen.
4) "So weit die Füße tragen" hat auch nach 50 Jahren zumindest im OKW Rudi-Dutschke-Straße noch nicht an Aktualität verloren, ungeniert kokettiert der Artikel mit dem unsäglichen "Archipel Gulag"-Kitsch.
In einem überraschenden Anfall von journalistischem Niveau hat die Süddeutsche Zeitung in ihrer Onlineausgabe den Artikel als "durchsichtiges politisches Manöver" verurteilt. Und klärt nebenbei auf, dass der Jugendliche mitnichten "verbannt" wurde, sondern seit einem halben Jahr freiwillig dort ist. Und dass Sibirien mitnichten der albtraumhafte Archipel Gulag ist, in dem zu stalinistischen Zeiten tausende von deutschen Gefangenen elendig verhungerten oder erfroren. Aber das würde ja die BILD einer grandiosen Schlagzeile berauben.

Nachtrag: In der SZ ist das Ganze nun noch einmal ausführlicher an der Sache kommentiert.

Fundstücke 17.01.2008

Die wahren Sozialschmarotzer macht die jungeWelt zutreffend in den Firmen aus, die Subventionen abkassieren, sei es der versteckte Kombilohn durch Hartz-IV oder wie das Beispiel Nokia durch offene Geldtransfers.
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Weitere Artikel zur Deutschen Bahn, der GDL und dem Tarifabschluss sowie Mehdorns Entgleisungen danach: hier, hier, hier hier und hier.
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Weitere Entlarvungen zur Riesterrente.
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Im Afghanistaneinsatz wird endlich mit offenen Karten gespielt: obwohl seit 2002 Mandatsverletzungen geschehen, werden nun Kampftruppen offen eingesetzt und das Ganze mit zynischen Sprüchen gerechtfertigt.
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Von Filmen lernen heißt Überwachen lernen.
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Stoibers neues Büro (!) kostet den Steuerzahler jährlich 450.000 Euro.
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Subventioniert, Abkassiert [Update]

In NRW herrscht Aufregung. Nokia hat verkündet, dass es das dortige Werk dichtmacht. 3300 Arbeitsplätze weg. So weit, so gewöhnlich der tollen globalisierten Wirtschaftswelt, die ständig in Politik und Klatschblättern bejubelt wird. Nokia war da eigentlich bisher immer ein Good guy, der freundliche Konzern aus dem Norden, so ein bisschen wie Ikea, nur mit Technik. Trotzdem sorgt das gerade für einen Riesenaufschrei. Warum? Die Ankündigung, wegen der "zehnmal niedrigeren" Lohnkosten nach Rumänien zu gehen (was für eine stupide Phantasiezahl) kann es nicht sein, das haben andere auch schon getan. Und dass die Lohnkosten bei Nokia einen winzigen Bruchteil der Kalkulation ausmachen hat man auch anderswo schon erlebt.
Nokia hat Subventionen erhalten. 60 Millionen Euro hat NRW ihnen bezahlt, damit sie ihr Werk bei ihnen aufstellen. Weitere 28 Millionen gab es als technische Fördermittel. Beides in den 12 Jahren seit 1995, macht pro Jahr 7,3 Millionen Euro, pro Mitarbeiter 22.000 Euro. Das ist mehr das doppelte eines Jahresgehalts über der aktuellen Armutsgrenze von 10.000 Euro pro Jahr, die dem Konzern in den Rachen geworden wurden. Nun ist die Frist abgelaufen, nach der NRW seine Fördermittel wegen Fehlverhaltens des Konzerns - wie etwa seine Zelte abzubrechen und nach Rumänien zu gehen, da der Konzern sich auf die Erhaltung der Arbeitsplätze langfristig verpflichtet hatte - zurückfordern konnte. Und quasi auf den Tag genau macht Nokia den Laden dicht. Zufall? Wohl kaum.
Der EU-Kommissionspräsident Barosso indessen fordert in schleimigen Worten, dass das Ganze positiv gesehen werden solle, schließlich könnten im Export wieder Arbeitsplätze in Deutschland entstehen. Das wird sicher ein Trost sein für die 3300. Diese sind zum Erhalt der Arbeitsplätze Nokia in den vergangenen 12 Jahren auch mehrfach entgegengekommen, beim Entgelt, bei den Arbeitszeiten, überall sind sie eingeknickt. Zum Dank tritt Nokia sie nun kräftig in den Allerwertesten. Sein Ruf ist Nokia dabei relativ egal.
Das Beispiel zeigt, wieder einmal, dass es vergebliche Liebesmühe ist, den Multis irgendwie entgegenzukommen. Sie werden betrügen, abkassieren, erpressen und lügen, und am Ende wird der ehemalige Angestellte genauso der Gelackmeierte sein wie der Ministerpräsident Rüttgers (CDU), der jetzt mit Müntefering'schem Vokabular Nokia als "Subventions-Heuschrecke" beschimpft. Es ist Zeit, dass aus all diesen Vorfällen endlich eine Konsequenz gezogen wird. Aber die steht nicht aus. Stattdessen wird immer über neue Steuergeschenke und Subventionen nachgedacht, um im "Wettbewerb" mit anderen EU-Staaten die Firmen anzulocken. Die sind dafür indessen viel zu clever und nehmen alle diese Geschenke mit, ohne die versprochene Gegenleistung zu erbringen.

Nachtrag: 33 Millionen Euro Subventionen zahlt Rumänien auch noch drauf. Wie genau, ist hier erklärt.

Das goldene Kalb "Ausgeglichener Staatshaushalt"

Derzeit vollführen die Politiker und Berichterstatter um Peer Steinbrück den berühmten Tanz um das Goldene Kalb. Dieses heißt in der heutigen Zeit "ausgeglichener Staatshaushalt", und den hat Steinbrück für 2007 erreicht - sogar mit einem Plus von 70 Millionen. Die Begeisterung kennt keine Grenzen, angesichts von 1,4 Billionen Euro Schulden, die Deutschland vornehmlich zwischen 1982 und 2005 angehäuft hat. Es ist sicherlich nichts Falsches daran zu sehen, dass dieser Schuldenberg nicht noch weiter ins Unermessliche wächst. Aber die Politik, mit der Steinbrück und Konsorten dies versuchen ist so falsch, wie sie falscher nicht sein kann.
Steinbrück hat denselben Versuch unternommen wie Hans Eichel vor ihm, um den Staatshaushalt zu sanieren, nur hat es bei ihm zumindest auf dem Papier geklappt. Diese Strategie ist einfach: Sparen, bis es kracht. Gleichzeitig wäre es allerdings nicht eine Große Koalition, wenn man diese bereits zerstörerische Strategie weiter unterminieren würde, indem man völlig ohne Not den Schröder'schen Weg fortschreit und den Unternehmen Milliarden in den Rachen wirft - für nichts und wieder nichts, und Milliarden der Steuerzahler, wohlgemerkt.
Das führt dazu, dass notwendige Investitionen nicht mehr getätigt werden. Infrastruktur, Bildung, Kultur, Sozialstaat, Justiz, Polizei, Konjunkturprogramme - alles ist chronisch unterfinanziert. Das einzige, was sich der Staat neben den Geschenken an die Wirtschaft (die sich die Abgeordneten in Schmiergeldern fleißig bezahlen lassen) leistet sind Armee und Geheimdienste.
Auf der einen Seite wird also das gesamte Gemeinwesen der Verrottung preisgegeben, um auf der anderen Seite für genau einen Jahreshaushalt eine schwarze Zahl zu haben. Nächstes Jahr wird Deutschland wieder Schulden machen - hauptsächlich aus zwei Gründen. Grund 1 ist die Unternehmersteuerreform, die sechs Milliarden kostet - jährlich. Effekt: null. Grund 2 ist die lahmende Binnenkonjunktur. Da das zweite goldene Kalb der Exportweltmeisterstatus ist, der Deutschlands Wirtschaft seit fast 15 Jahren aus dem Gleichgewicht gebracht hat und bringt, werden Investitionen in den Binnenmarkt sträflich vernachlässigt, ja, mit dem Odium des Verrats und der Dummheit belegt. Dadurch fehlt ein Riesenmarkt und die damit verbundenen Einnahmen.
Aber wir können stolz sein auf Peer Steinbrück. Immerhin muss man wirklich eine gewisse Geistesstärke und Ignoranz mitbringen, um all das nicht zu sehen. Und die muss man erst mal haben.

Kriegstreiber aus Gütersloh

Das Schattenkabinett von Gütersloh, die Bertelsmannstiftung, seines Zeichens nicht gewählte Vertreter des Großkapitals und wahre Machthaber in Deutschland, hat nun bereits das dritte Strategiepapier zur Außenpolitik der EU vor. In diesem Papier, das den Titel "Beyond 2010 - European Grand Strategy in a Global Age" trägt, offenbart die Stiftung - wieder einmal - ihr überaus hässliches Antlitz. German Foreign Policy hat sich des Papiers angenommen und es genauer untersucht; Interessant ist neben den schon beinahe üblichen Forderungen nach einer Übernahme der Machtstellung der schwächelnden USA, der Erhöhung des Wehretats der EU und der Schaffung einer eigenen übergeordneten Kriegsinstanz dem "Sicherheitsrat", dass das Papier die Forderung nach der Entmachtung der kleinen EU-Länder innerhalb dieser zu schaffenden Institutionen und einer großangelegten Propaganda-Kampagne bereithält.
Die Entmachtung der kleinen Länder dient, ziemlich eindeutig, der ungestörten Wahrnehmung von Großinteressen, wie sie beispielsweise der Einsatz im Kongo offenbart hat. Was die Propaganda, bekanntlich eine Kernkompetenz der Bertelsmannstiftung angeht, lassen wir am besten German Foreign Policy direkt zu Wort kommen:
Den Autoren ist nicht verborgen geblieben, dass ihre Forderungen gegenwärtig von der Bevölkerung nur unzureichend unterstützt werden. So sprechen sich Umfragen zufolge rund 43 Prozent aller Menschen in der EU dafür aus, dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut politischen Vorrang zu geben. Nur fünf Prozent hingegen priorisieren die weltweite Machtentfaltung der EU. "Europas politische Führer müssen gemeinsam die europäische Bevölkerung überzeugen, dass es jetzt an der Zeit ist, sich angemessen auf eine sichere Zukunft vorzubereiten, und dass das Anstrengung, Engagement und Geld kosten wird", schreibt die "Venusberg-Gruppe". Bislang "scheinen zu viele von den Führern Europas bereit, der öffentlichen Meinung zu folgen". Stattdessen müsse man "sie führen".

Man muss sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Bertelsmann ist eine deutlich größere Gefahr für die Demokratie und den Frieden, als das Schäuble, Beckstein und Konsorten jemals sein könnten. Mit den abnormen ihnen zur Verfügung stehenden Geldbeträgen, dem Zugang zu Medien, den Allianzen in der Wirtschaft und der politischen Macht, den sie mit all den gekauften Politikern in Händen halten sind sie die wohl größte Einzelbedrohung, der man sich derzeit überhaupt stellen kann.

Dienstag, 15. Januar 2008

Bahn baut Stellen ab und erhöht Preise

Mehdorn hat verkündet, dass er nun "radikal" Stellen streichen bzw. in "Billiglohngebiete" verlagern sowie die Preise der Tickets erhöhen will. Als Begründung nahm er den "weit über das wirtschaftlichen vertretbare Maß hinaus vertretbaren" Tarifvertrag mit der GDL her. Um der Chose noch eins aufzusetzen, jammerte er über die "Niederlage, nicht nur für die Bahn, sondern auch den Standort Deutschland" und nannte es Phantasiezahl einen jährlichen "Schaden" von 200 Millionen Euro durch den Abschluss.
Neoliberale Vordenker mögen sich jetzt wieder bestätigt fühlen. Aber schauen wir uns die Sache doch einmal genauer an.
1) Die Bahn erhöht jeden verdammten Januar die Preise. Bisher hat immer die Inflation dafür herhalten müssen. Jetzt hat Mehdorn einen idealen Sündenbock dafür in der GDL gefunden. So gesehen hätte diese die Tarifverhandlungen noch bis März verschleppen sollen, um Mehdorn dieses Argument zu nehmen.
2) Die Bahn ist katastrophal überteuert und hat einen grauenerregend schlechten Service. Ständig legt Mehdorn irgendwelche Strecken still oder dünnt das Angebot aus, so dass die Bahn effektiv keine Alternative für Berufspendler ist.
3) Mehdorn will mit der Bahn immer noch dringend an die Börse, und obwohl seine All-Parteien-Koalition dafür von der Basis der SPD zum Wanken gebracht wurde, muss er die Hoffnung noch längst nicht aufgeben. Entlassungen sind für Anleger immer Himmelstöne, Aktien steigen so sicher wie man in Regen nass wird, kündigt man sie an. Man darf also getrost annehmen, dass diese Ankündigungen mit dem geplanten Börsengang in Verbindung stehen.
4) Mehdorn hat indessen einen furchtbar schlechten Ruf, sowohl bei seinen Kunden, als auch seinen Angestellten und in der Wirtschaft und Politik. Die ersten beiden wird er kaum mehr rumkriegen, aber die letzten beiden hofft er wohl noch auf seine Seite zurückziehen zu können. Die GDL, die konstant hohe Sympathiewerte auf sich vereinen konnte, soll dafür nun als Sündenbock herhalten, während er "halt nicht anders kann" und wirtschaftliche Nöte vorschiebt, die er sich selbst zuzuschreiben hat. Dass er an anderer Stelle im Konzern kürzen will, wird wahrscheinlich für weitere innerbetriebliche Verstimmung mit der GDL sorgen.

So oder so ist das ein ebenso widerwärtiges wie durchschaubares Manöver.

Nachtrag: Einen fundierten Artikel mit zahlreichen Infos gibt es hier.

Montag, 14. Januar 2008

Fußball und Bürgerrechte

Hab ich nit gesagt, dass die Hooligans bald als Begründung für weiteren Unfug mit Bürgerrechten herhalten werden?

Fundstücke 14.01.2008

Roland Koch erhält immer schärfere Kritik für seinen Wahlkampf.
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Wolfgang Clement glaubt immer noch, er sei wichtig.
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Drei Artikel zur Einigung im Bahnstreit: hier, hier und hier.
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Samstag, 12. Januar 2008

Wer hat uns verraten?

Der Präsident des BVerfG, Hans-Jürgen Papier, hat in einem Spiegel-Interview Schäuble einen scharfen Gegenwind entgegenblasen lassen. Er hält es, selbst mit Verfassungsänderungen, für absolut unmöglich, Passagierflugzeuge abschießen zu lassen und so das Leben und die Würde von Menschen zu verletzen, um sie gegen die anderer aufzuwiegen.
Nun kann man es sich natürlich nicht nehmen lassen, ein solches fachkundiges Urteil sogleich zu untergraben, indem man einfach etwas dagegen unternimmt. Anstatt sich also an bestehende Gesetze zu halten, versucht man mit allen Tricks, etwas dagegen zu tun. Möglichkeit dazu bietet die anstehende Nominierung des Vizepräsidenten des BVerfG als Nachfolger von Winfried Hassemer, der in zwei Jahren wohl Präsident wird. Und hierfür wurde Horst Dreier nominiert. Der 58jährige gilt als "Pragmatiker", was heute einen unschön aggressiven und furchteinflößenden Beiklang hat. "Pragmatische" Reformer haben der Bevölkerung Schmerzen zugefügt wie nie seit 1945, "pragmatische" Grünen-Realos haben den Krieg wieder von deutschem Boden ausgehen und unzählige Leben kosten lassen. Aber der Semantik dieses Wortes will ich mich hier nicht widmen.
Horst Dreier jedenfalls ist kein CDU-Politiker, wie man vielleicht vermuten könnte. Da er kein Bayer ist, kommt eine CSU-Mitgliedschaft auch nicht in Frage, ja, er wurde nicht einmal von der Grundrechtszerstörertroika Schäuble und Beckstein nomininiert. Die haben nur, wohl mit einem teuflischen Grinsen auf den Lippen, zugestimmt.
Horst Dreier ist SPD-Mitglied, und er wurde auch von der SPD nominiert, genauer: einer Troika aus Justizministerin Brigitte Zypries, Fraktionschef Struck und Bremer Bürgermeister Jens Börnsen. Dass die Welt schlecht ist, wusste ich ja schon vorher. Wie tief Sozialdemokraten sinken können, hätte ich nicht für möglich gehalten. Damit kann man auch die Antwort auf die Überschrift geben:
Sozialdemokraten.

Man muss sie zu ihrem Glück halt zwingen

Die Debatte um Jugendgewalt, die Roland Koch möglicherweise mit Ausländerfeindlichkeit zum dritten Mal in Folge den Ministerpräsidentensessel sichert, geriert immer absonderlichere Blüten. In Baden-Württemberg (wo auch sonst?) hat die taz zwei Initiativen aufgespürt, die vom FDP-Innenminister Ulrich Goll ausgebrütet wurden. Man sollte sich nicht vom FDP-Äußeren täuschen lassen; der Mann könnte diese Initiativen betreffend auch gleich in der CSU sein.
Da die CDU wenn sie von westlichen Werten redet auch immer gleich christliche meint (und andere vertritt), hat man hier Jugendarbeit gleich mit christlicher Werteerziehung gekoppelt. Ora et labora, gewissermaßen. In Leonberg hat das indessen tatsächlich solche Ausmaße angenommen. Hier wird das gemeinsame Beten, die Bibellektüre und der sonntägliche Gottesdienstbesuch zur Pflicht - auch für Muslime. Wir müssen uns noch einmal in Erinnerung rufen: das passiert in Baden-Württemberg, wo das Kopftuchverbot durchgedrückt wurde, um die Trennung von Staat und Kirche zu gewährleisten!
Gleichzeitig fordern die Hessen-Wahlkämpfer mehr Druck für die Integration ("Ohne Deutsch kein Kindergeld", rechtspopulistische Parolen wie diese kommen gut an im Wahlkampf). Irgendwo ist da ein Fehler versteckt. Findet ihn jemand?

Freitag, 11. Januar 2008

Fundstücke 11.2.2008

Mangels Zeit zum Bloggen hier nur einige Fundstücke der letzten Tage in aller Kürze kommentiert:

1) Die "Im Durchschnitt sind wir alle reich"-Chose geht weiter, heute: Schweiz. Da hat der Durchschnittsmensch nicht nur 58.000 Euro wie hier im armen Deutschland, sondern sogar 100.000 Euro auf dem Konto, spart kräftig und konsumiert nicht. Aus irgendeinem Grund wird das bei der SZ als supertoll dargestellt.
2) "Die letzten Tabus" seien bei Fußballgewalt gefallen; mal sehen, welche Bürgerrechte mit der Begründung bald beschnitten werden.
3) Wegen seiner "überragenden Erfahrung" bekommt Tony Blair einen mit einer Million Dollar jährlich dotierten Beraterjob bei J.P. Morgan - Halbzeit. Schon klar. Ich kenn mich in GB-Politik nit so gut aus, aber irgendwas wird er denen schon geschenkt haben.
4) Microsoft verlegt inzwischen Kinderbücher. Gehirnwäsche der besten Sorte, wenn Papa die Mama lieb hat kauft er ihr...einen Windows Vista Home Server! Und wenn andere Kinder dich einen Freak nennen, weil du nur noch drinnen bist, dann sind sie nur neidisch. Gebt es euch, das ist kein Witz. Hinter dem Link ist das komplette Buch.

Donnerstag, 10. Januar 2008

Vernünftige Debatte

Man sollte es kaum glauben: CDU-Politiker haben eine vernünftige und längst überfällige Debatte losgetreten. Noch viel ungaublicher ist, dass es Günter Oettinger war. Nicht, dass er das beabsichtigt hatte; nachgedacht hat er über seine Aussage wahrscheinlich ähnlich lange wie bei seiner Filbinger-Rede.
Die Aussage, von der die Rede ist ist, dass das "Scheiß-Privatfernsehen" mit Schuld sei an der zunehmenden Gewaltbereitschaft von Jugendlichen; von der Leyen deckelte gleich drauf und sagte es mache "dich, dumm, traurig und gewalttätig".
Sicherlich haben sie Recht; das Privatfernsehen ist eine Vergewaltigung jeden Anspruchs, eine hohnlachende Verspottung jeglichen Intellekts. Ob die Zusammenhänge wirklich so einfach sind, wie die CDU-Politiker sie darstellen, darf ebenso bezweifelt werden (und wird beispielsweise von Heribert Prantl auch bezweifelt). Interessant ist etwas anderes.
Es waren CDU-Politiker, ihnen allen voran Helmut Kohl, die im Rahmen ihrer geistig-moralischen Wende von 1982 die sozialliberale Bildungsoffensive der 1960er und 1970er Jahre beendeten und stattdessen das Privatfernsehen zuließen. Helmut Schmidt und seine SPD hatten, wie ihre Vorgänger, sich mit Händen und Füßen gegen die Zulassung des Privatfernsehens gewehrt. Auch Albrecht Müller von den NachDenkSeiten hat oft genug beschrieben, dass die Folgen schon damals in diversen Studien prophezeit wurden. In der CDU verantwortlich war damals Postminister Schwarz-Schilling, der einen kurzen "narkotischen Effekt" prophezeite und später mit "größerer Überlegung" bei den Leuten rechnete.
Heute wird man die Geister, die man gerufen hat, nicht mehr los. Gerhard Schröder behauptete in folgenschwerem Irrtum, er brauche "für's Regieren nicht mehr als BILD, BamS und Glotze". Die völlige Verwahrlosung des Programms, das inzwischen zu einem wahrhaftem Klassenprogramm geführt hat - RTL und Konsorten für die Unterschicht, Arte für die Oberschicht - hat die konservativen Wertehüter gegen die Verbündeten von einst auf den Plan gerufen. Selbst die heilige Kuh Sat.1 ist davor seit der Nachrichtenkürzungen nicht mehr verschont; außerdem bezahlt Leo Kirch nicht mehr Helmut Kohl, und letzterer ist sowieso nicht mehr Kanzler.

Sonntag, 6. Januar 2008

Deutsche, Waffen, deutsches Geld, bleiben nicht allein in dieser Welt

...denn inzwischen sind auch deutsche Soldaten wieder daran beteiligt, vom Kap bis zum Hindukusch die unzivilisierten Eingeborenen mit den Segnungen der Zivilisation zu beglücken. Nun ist es nicht mehr das deutsche Wesen, das unter Kanonendonner exportiert wird, sondern die "westlichen Werte", was auch gleich den Vorteil hat dass man mit den früheren Konkurrenten gemeinsam das Land ausbeuten kann.
Doch in den oberen Etagen von Marine, Heer und Luftwaffe ist die Sorge groß: wie kann klein Michel gegen Marianne und Sam anstinken, mit diesen lächerlich kleinen Selbstverteidigungsstreitkräften? Schiffe, die die Ostsee patrouillieren und Soldaten, die Straßen bauen, das kann ja nichts werden! Deswegen haben findige Offiziere im Verbund mit noch viel findigeren Politikern Lösungen für das Dilemma gefunden.
Dilemma 1: Die Marine
Unsere Marine ist zu klein, das wusste schon Wilhelm II. Deswegen ließ er, mit bekanntem Ergebnis, ordentlich aufrüsten. Heute ist die Gefahr nicht mehr gegeben, die Franzosen dürfen indessen eine größere Flotte als die Engländer unterhalten ohne dass es zum Krieg kommt, da sollten einige deutsche Dickschiffe auch kein Problem sein, besonders, da man ja gar keine Flugzeugträger will. Stattdessen hat man bei Thyssen-Krupp, ebenfalls ein alter Bekannter aus den Schlachthaus-Europa-Tagen, vier "Fregatten" vom neuen Typ F125 bestellt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie die ersten deutschen Schiffe seit 1945 sind, die Landziele beschießen können, zwei Jahre nonstop auf See operieren und den Anspruch der Bundesmarine, eine "Expeditionary Navy" zu sein, unterstützen sollen. Eigentlich sind es gar keine Fregatten, sondern Zerstörer (in Wikipedia werden sie als weltgrößte Fregatten bezeichnet), aber das kann man dem deutschen Steuerzahler wegen des brutal klingenden Namens wohl nicht verkaufen, "Fregatten" klingt da viel humaner und irgendwie mehr nach einem alten Weib als einer todesbringenden Kampfmaschine. Kostenpunkt der Chose: 2,6 Milliarden Euro, plus X.
Dilemma 2: Friedliche Soldaten
Dem Geiste des Grundgesetzes entsprechend sind deutsche Soldaten demokratische, voll integrierte Staatsbürger, die nicht schießen und Straßen bauen. Das ist doof, weil man sich dann an so viele Gesetze halten muss und auch noch ein paar Konventionen wie die aus Genf, weil man sich Sorgen um die Moral machen muss und und und. Da gibt es zum Beispiel dieses unsinnige Gesetz, nach dem Sanitäter keine Soldaten sind. Deswegen befiehlt der Vorgesetzte gerne mal, die Armbinde einfach abzulegen, das Gewehr zu ergreifen und dann Kampfaufgaben zu bewältigen. So richtig einfach und unbürokratisch, ganz dem Geist der neuen Zeit entsprechend - Edmund Stoiber wäre stolz.
Dumm nur, wenn ein paar Bohnenköppe nicht mitmachen. Eine Sanitätssoldatin in Afghanistan beispielsweise hat sich mit Verweis auf bestehendes Recht geweigert. Sapperlot! Sie wurde deswegen zu einer Strafe von 800 Euro verdonnert und nach Deutschland zurückbeordert, wo ihre Beschwerden von allen Gerichten abgeschmettert wurden. Kosten der Chose: Nur ein paar Bürgerrechte und zivilisatorische Errungenschaften.

Der Beitrag versteht sich als Satire.

Zitat des Tages

Wilhem Busch ist pädagogisch auf dem Nivau von Roland Koch, aber wenigstens sprachgewandt.
Fellbacher Zeitung zum 100. Todestag Wilhelm Buschs

Samstag, 5. Januar 2008

EZB warnt vor Inflationsgefahr

EZB-Chef Jean-Claude Trichet warnt vor erhöhter Inflationsgefahr und liebäugelt mit einer Leitzinserhöhung, um auf Biegen und Brechen wieder auf die 2% zurückzukommen (derzeitige Prognose: 3,1%). Dass damit die letzten Anflüge von Konjunktur abgewürgt würden ist dem Herrn natürlich egal. Wie immer. Zum Glück ist die Anhebung unwahrscheinlich.

Tritt zurück, Niebel!

Dirk Niebel, auch so eine Ein-Mann-Parallelgesellschaft in Deutschland und rhetorische wie intellektuell unbegabtes Sprachrohr von Guido Westerwelle, hat die GroKo mit der DDR verglichen. Im Land der political correctness darf man zwar sagen, dass Ausländer in ihren Familien zu Kriminellen erzogen werden, aber keinesfalls, dass die GroKo scheiße ist wenn man sie mit der DDR vergleicht. Auch tabu sind bekanntlich Nazi-Vergleiche.
Nicht, dass ich irgendwie für diese political-correctness-Affen wäre. Aber Niebel hat's verdient. Tritt zurück, Flasche!

Bahn setzt Charmeoffensive fort

Nachdem sich die Bahn bei den Pendlern mit kompromissloser Haltung gegenüber der GDL bereits beliebt gemacht hat und Mehdorns Gesicht wohl einige Bad-Guy-Hitparaden anführt, landet der Konzern jetzt den nächsten PR-Coup:
Der Plan für den Gedenkzug "Zug der Erinnerung", der quasi als rollendes Museum die Originaltrassen zu den Konzentrationslagern abfahren soll und mit Zeitzeugen u.ä. an die Deportationen erinnern soll, wird wohl vorläufig nicht fahren. Die Bahn, die damals äußerst profitträchtig Juden und andere verfolgte Minderheiten in Viehwaggons pferchte und durch Deutschland in den Tod fuhr (sie erhielt eine Kopfprämie) verlangt mehrere zehntausend Euro Trassennutzungsgebühr, die Stiftungen und Vereine für gewöhnlich nicht aufbringen können. Möchte da jemand von ziemlich düsteren Flecken in der Vergangenheit ablenken?

Lasst Mütter weiter Brustmilch trinken!

Erinnert sich noch jemand daran, dass Mütter auf Flughäfen gezwungen wurden, von ihrer in Flaschen abgefüllten Brustmilch für ihre Babys zu trinken, um zu beweisen dass es kein fieser Kampfstoff ist und für Anschläge genutzt werden kann? Dass das Flughafenpersonal trainiert wird, anhand dem Gesichtsausdruck den fiesen Terroristen zu erkennen? Dass die Mitnahme von Trinkflüssigkeiten streng reglementiert wurde, um echt fiese Kampfstoffkombinationen auszuschließen? Dass weiterhin erlaubt ist, mehrere Feuerzeuge und Streichholzbriefchen mitzunehmen? Alles völlig unnötig. Boeing liefert den potenziellen Terroristen die Anschlagssoftware frei Haus.
In der neuen Serie Boeing 787 "Dreamliner" findet sich für die betuchten Fluggäste auch On-Board-LAN für Internetzugang über den Wolken. Dieses LAN hat das "kuriose" (Originalzitat) Sicherheitsleck, dass es physisch mit dem Bordsystems-Lan verbunden ist und die Kontrolle über die Bordkontrollen, Navigations- und Kommunikationssysteme erlaubt. Mohammed muss also nicht mehr mit fiesen Flüssigkeiten und Teppichmessern das Flugzeug entern, sondern in Nadelstreifen und Laptop. Dann hängt er sich ans LAN, gibt als neuen Kurs das Weiße Haus ein, schaltet im Landeanflug die Triebwerke aus und pumpt Treibstoff durch die Leitungen, während er über die für das Personal gesperrten Kommunikationskanäle ständig gefakte Meldungen rausgibt, um den Abschuss zu vermeiden.
Das nenn ich Service.

(Danke, Fefe!)

Die Bologna-Arithmetik

Ich möchte in diesem Artikel auf die spezifische Arithmetik des Bologna-Prozesses eingehen. In Kürze: dieser schreibt EU-weite Normen für Hochschulen vor, u.a. die fragwürdige Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge und die so genannte "unternehmerische Hochschule", die mit anderen Hochschulen um Studenten und Wissenschaftler "konkurrieren" und so ihre Qualität steigern soll. Dazu werden Hochschulräte berufen, die mindestens zur Hälfte aus hochschulexternen "Experten" bestehen (meist Lobbyisten aus der Wirtschaft) und mehr Mitspracherecht haben als alle Wissenschaftler zusammen.
Dieser Überblick, der sicherlich sehr subjektiv gefärbt ist, in aller Kürze. Wer es ausführlicher und objektiver will, folge obigem Link. Ich möchte der Frage nachgehen, was das nun konkret bedeutet. Zu diesem Zweck möchte ich eine weitere grobe Vereinfachung anstellen: ich teile die Fakultäten in einige Gruppen ein. Exemplarisch seien das "BWL und Jura", die noch zahlreiche verwandte Studiengänge subsumiert, Formalwissenschaften (wie Mathematik), Naturwissenschaften (zu denen in diesem Fall auch Medizin, Ingenieurswissenschaften etc. gezählt werden) und Geisteswissenschaften.
Nach der Theorie, die hinter dem Bolognaprozess steckt, soll die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge eine europaweite Vergleichbarkeit der Abschlüsse (auch mit den USA) bringen. Dieses Ziel ist bereits nicht erreicht, stattdessen divergieren die Abschlüsse stärker als je zuvor und die mit hervorragendem Ruf versehenen Abschlüsse der deutschen Universitäten - Diplom, Magister, Staatsexamen - werden abgeschafft. Weiter besagt die Theorie, dass das Angebot der Hochschule die Nachfrage wiederspiegelt und sich so optimal an die Bedürfnisse der "Kunden" - der Studenten - anpasst. Die enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft - die dank der exzessiven Rechte der Hochschulräte seitens der Hochschule auf das Abarbeiten der Lobbyistenwunschzettel hinausläuft - soll dabei eine große Praxisnähe sichern.
An dieser Stelle nun greift aber die Bologna-Arithmetik. Da die Hochschulen mehr "Autonomie" haben als je zuvor, müssen/können sie auch ihr Budget frei einteilen. Das führt zu folgender Situation:
Die Hochschule muss - ebenfalls ein Ziel des Bologna-Prozesses - kosteneffizient arbeiten. Deswegen sind Studiengänge top, die viele Studenten mit wenig Professoren und vor allem wenig Nebenkosten abdecken. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass die Wirtschaft diese Studenten will und die Studiengänge durch reichhaltige Drittmittel sponsort (was inzwischen bereits so weit geführt hat, dass weniger die fachliche Reputation bei der Einstellung eines Professors von Belang ist als sein Erfolg bei der Werbung nach Drittmitteln). Die Gewinner dieser Arithmetik sind demnach klar "BWL und Jura" (nach oben genannter Definition). Beide Studiengänge kommen mit vergleichsweise kleinen Biblitotheken aus, benötigen keinerlei Gerät für Versuche und ähnliches und haben gute Berufsaussichten in der freien Wirtschaft. Alles, was die Universität stellen muss sind Lehrkräfte und Räume und die vergleichsweise kleine Bibliothek. Dazu kommt in diesem Fall der Trend, die wissenschaftliche Strömung glattzubügeln und nur noch Lehrkräfte einer bestimmten Ausrichtung auf den Stuhl zu berufen.
Die zweite Kategorie sind in dieser Arithemtik die Naturwissenschaften. Sie leiden an zwei elementaren Nachteilen (aus Sicht eines Bologna-Arithmetikers). Sie sind relativ teuer, weil zahlreiche Geräte für Versuche und ähnliches bezahlt sein müssen, die häufig furchtbar teuer sind. Gleichzeitig gibt es relativ niedrige Studentenzahlen. Letzteres ist ein Problem, weil die Fakultäten anteilig an den Studiengebühren budgetiert werden. Der große Vorteil der Naturwissenschaften ist, dass sie eine verhältnismäßig leichte Drittmittelwerbung haben. Viele Konzerne spendieren die teuren Geräte - und erhalten im Gegenzug massiven Einfluss und Patentrechte (!) auf Lehrpläne, Forschung und Abschlüsse. Dadurch können sie die Abschlüsse der Studenten direkt an ihre Bedürfnisse anpassen und die Besten direkt abschöpfen.
Die Formalwissenschaften haben nur wenige Studenten, aber auch geringe Kosten (kaum Geräte, kleine Bibliotheken). Auch bei der Drittmittelwerbung sind sie relativ erfolgreich. Diese eigentlich gute Veranlagung wird durch die geringe Größe jedoch häufig gehemmt, da andere Fakultäten die Formalwissenschaften bei hochschulinternen Entscheidungen praktisch immer überstimmen können.
Die Verlierer des Prozesses sind die Geisteswissenschaften. Sie haben viele Studenten, aber nur wenig Nachfrage seitens der Wirtschaft (weswegen hier das Lehramtsstudium auch überproportional häufig vertreten ist). Gleichzeitig sind sie relativ teuer, da umfangreiche Bibliotheken und viele Lehrkräfte bezahlt sein wollen. Drittmittel sind sehr schwierig zu erwerben.
Völlig abgeschlagen sind dabei die sogenannten Orchideenfächer. Ich habe sie bisher nicht aufgeführt; sie umfassen Fakultäten wie Altamerikanistik, Maya-Dialekte und ähnliches. Sie haben meist einstellige oder kleine zweistellige Studentenzahlen, benötigen aber umfangreiche Bibliotheken und ein bis zwei Lehrkräfte und sind damit für die Universitäten ein Verlustgeschäft. Als man noch dem Humbold'schen Ideal folgte, schärften sie das Profil und waren teilweise der Stolz der Universität; seit Bologna regieren die Buchhalter. Die Folgen sind leicht auszumalen.

Damit steht die "unternehmerische" Hochschule vor einem Dilemma: Sie hat ein zu großes Angebot auf der einen Seite (BWL und Jura, Natur- und Formalwissenschaften) und eine zu große Nachfrage auf der anderen. An dieser Stelle kommt die Politik ins Spiel. Durch Initiativen wie den "Girl's Day" wird versucht, besonders die Naturwissenschaften attraktiver zu machen und für neue Studentenschichten zu öffnen. Gleichzeitig werden die staatlichen Budgets zugunsten von Drittmitteln und Studiengebühren gekürzt. Dadurch sind die Universitäten gezwungen, ebenfalls zu sparen. Die oben stehende Arithmetik verlangt zwingend den Ausbau billiger Studiengänge (BWL und Jura) und das Einsparen an Geisteswissenschaften und Orchideenfächern. Dadurch wird eine künstliche Verknappung geschaffen, die Studenten zwingt, andere Fächer zu wählen (die für die Uni kosteneffizienter sind). Da dieser Prozess alles andere als gute Publicity bringt, braucht es entsprechende Unterstützung. Die Konzerne, Hauptgewinner dieser Entwicklung, rühren kräftig die Werbetrommel. Sie finanzieren Initiativen wie die INSM. Dazu kommt der Bertelsmann-Konzern mit seinem CHE (Centrum für Hochschulentwicklung), der mit dubiosen Rankings und Werbemillionen für das entsprechende publizistische Begleitfeuer sorgt, das vorrangig von Magazinen wie Focus, Spiegel und Stern veröffentlicht wurde.

Mit Freiheit der Wissenschaft hat das alles wenig zu tun.

Freitag, 4. Januar 2008

Durchschnittsdeutsche

Laut aktuellen Meldungen des Bundesamts für Zahlenlügen, Verzeihung, Statistik, hat der Durschschnittsdeutsche 58.000 Euro auf seinem Konto. Man, wäre ich gerne durchschnittlich. Die Dresdner Bank nahm dies zum Anlass für folgende Meldung: "Die Deutschen sind so wohlhabend wie nie zuvor". Man, wäre ich gern Deutscher.

Vom Himmel in die Hölle

Eine gigantische Polizeiaktion hat ihr Ende gefunden. Begeistert sprachen Staatsanwälte, Fahnder und Politiker in alle Mikrophone den einen Satz zum Nachsprechen: großer Fahnungserfolg gegen Kinderpornographie, über zehntausend Verdächtige. Gejubelt wurde viel, Maßnahmen gelobt, sich sicher gefühlt.
Das war vor etwa drei Wochen. Inzwischen sind von den zehntausend Verdächtigen kein halbes Dutzend mehr übrig, und eine Verurteilung bei diesen ist äußerst fraglich. Die gesamte "Operation Himmel", wie sie hieß, hat sich bereits jetzt als ein einziger, gigantischer Fehlschlag entpuppt und den Blick freigelegt auf ein Netz von Inkomptenz und Anmaßung, dass wie ein riesiger Filz über Fahnungsbehörden, Medien, Feministinnen und Politik liegt.
Fast zehntausend Leben wurden entweder zerstört oder schwer beschädigt. In 99,9% der Fälle ist ein Einstellungsbescheid ergangen, die Vorwürfe haben sich als vollkommen haltlos erwiesen. Zwischen den Bescheiden und der Verdächtigung stehen (teils illegale) Haus- und Arbeitsplatzdurchsuchungen, Kündigungen, Scheidungen. Exemplarisch sei hier dieser Fall verlinkt. Millionen von Euro wurden nicht nur sinnlos verprasst, sondern ganz aktiv zur Schädigung von Bundesbürgern, die sich nichts zuschulden kommen ließen ausgegeben. Aber von vorne.
Die Polizei hat monatelang, wie bereits 2003 - wo die Aktion zu einem ähnlichen Ergebnis führte - im Internet ermittelt. Bereits dieser Teil ist voll von sich widersprechenden Statements, vermutlichen Rechtsbrüchen und kruden Annahmen. Das ganze funktionierte folgendermaßen:
- Ein Provider (angeblich Strato, aber der hat inzwischen dementiert) hat "enormen Datenverkehr" auf einem bestimmten Host festgestellt und daraufhin die Polizei gerufen. Allein dieser Teil der Geschichte ist dermaßen unglaubwürdig, dass ihn nur jemand von Computerfachwissen vollkommen unbelecktes wie Schäuble glauben kann, was auch Fefe darlegt.
- Daraufhin fand man ein "Kinderporno-Forum", in dem der entsprechende Link gehostet war. Dieser (Spam-)Link führte zu einem Video, in dem man eine Vergewaltigung einer Vierjährigen sieht. Dieses Video wurde innerhalb von 14 Stunden 2700mal heruntergeladen. Die Polizei ersetzte es durch ein strafrechtlich irrelevantes Video und sammelte weitere 7200 Adressen.
- Dann begann man mit Ermittlungen in Richtung dieser "10.000 Verdächtigen", führte Durchsuchungen durch und zerstörte Existenzen. Wer bis jetzt einige Male aufgestöhnt hat, wird verstehen warum kaum ein Erfolg verzeichnet werden konnte.

Jetzt einige Fakten. Das Forum war natürlich KEIN "Kinderporno-Forum", sondern ein stinknormales Pornoforum, in dessen Tiefen ein Spambot den fraglichen Link platzierte und sich möglicherweise (das weiß man gar nicht!) der eine oder andere Kinderpornofan vergrub. Dieser Link aber war natürlich nicht Forenexklusiv, sondern wurde wie jeder Spam in zahlreichen Foren, Kommentarfunktionen und Mails verbreitet. Die Fahnder begingen nun zwei Kunstgriffe: zum einen deklarierten sie das Forum als "Kinderpornographieforum" und zum Zweiten unterstellten sie, dass jeder, der den Link angeklickt (!) habe, dies über das Forum getan habe und deswegen Kinderpornographie wollte. Ob die fragliche Datei überhaupt heruntergeladen oder das Fenster schon nach 1,2 Sekunden bereits wieder geschlossen wurde, war für die Fahnder dabei nicht von Belang. Die Folgen sind bekannt, denn an dieser Stelle kommen die Medien ins Spiel.
Die offiziellen Meldungen der Fahndungsbehörden und Staatsanwaltschaft wurden von der Presse praktisch unüberprüft und unredigiert übernommen. Die ersten drei Zeitungen schrieben Artikel dazu, und alle anderen schrieben von diesen ab. In der anschließenden Hysterie gingen mahnende Stimmen und die ersten vollkommen enttäuschenden Ergebnisse völlig unter. Das Ganze geht soweit, dass die Meldung auf ihrem Weg ins Ausland inzwischen zu einem aufgeflogenen "Kinderporno-Ring" mit 12.000 (!) Mitgliedern angewachsen ist.
Als letzte Akteure kommen die Politiker ins Spiel, die meist von rechtsaußen stammen und die Gelegenheit für ihre Law-and-order-Parolen nutzten.

Somit bleibt die "Operation Himmel" ein Lehrstück, wie man es nicht machen sollte und im Gegensatz zu 2003 hoffentlich auch eine Mahnung.

Nachtrag: Die beschlagnahmten Festplatten sollen nun auch noch von privaten Firmen untersucht werden.

Roland Koch tritt der NPD bei - und andere Meldungen [Update]

Die Überschrift ist natürlich grob irreleitend. Roland Koch bleibt in der CDU. Nur wäre er in der Schwesterpartei besser aufgehoben. Denn was Koch gerade abzieht, um die sich abzeichnende Wahlniederlage doch noch zu verhindern, ist Widerwärtigkeit auf BILD-Niveau. Das Blut-und-Titten-Blatt begleitet die Kampagne natürlich entsprechend (siehe Link).
Vor drei Wochen sah alles ganz anders aus: Andrea Ypsilanti, die lange Zeit niedergeschrieben worden war, hatte sich mit der SPD-Mindestlohnkampagne in eine überraschend komfortable Position manövriert und die soziale Frage zum Wahlkampfthema gemacht. Doch seit dem Zwischenfall in München, bei dem ein griechischer und ein türkischer Jugendlicher einen älteren Mann zusammengeschlagen hatten, der sie zum Einstellen des Rauchens aufgefordert hatte, hat sich eine Unheilige Allianz aus CDU, Springerpresse und anderen Rechten darangemacht, mit aller Gewalt ein neues Thema zu etablieren - und waren übermäßig erfolgreich.
Während die CDU eine Wahlkampagne um die Ausländerkriminalität, schnelle Abschiebungen und Erziehungscamps gestartet hat, liefert die Springerpresse dazu das publizistische Begleitfeuer. Während die BILD Zahlen verdreht und plakative Ausländerfeindlichkeit betreibt, ohne sich um irgendeinen Ruf fürchten zu müssen, liefert die Welt mit einem Interview mit dem gelinde gesagt fragwürdigen Strafrechtler Otto Depenheuer, der intellektuellen Abziehvorlage für Schäuble und Co, den notwendigen Hintergrund für Rechtsintellektuelle und propagiert eine "pragmatische Interpretation" des Grundgesetzes, die in einem deutschen Guantanamo enden soll.
Die Kritik der SPD an dieser Kampagne darf getrost als Wahlkampfmanöver abgetan werden, besonders, da sie ausgerechnet aus dem Munde Frank-Walter Steinmeiers kommt, der im Skandal um die versuchte Abschiebung Murat Kurnaz' und der Ignorierung seiner gesetzeswidrigen Lage in Guantanamo "glänzen" durfte. Sie unternimmt erst gar keinen ernsthaften Versuch, sich mit einer Kampagne zur sozialen Lage wieder ins Rampenlicht zu rücken und ebnet den braunen Rattenfängern der CDU bereitwillig den Weg.
Gleichzeitig nutzen auch die Hobbydiktatoren dieser All-Parteien-Koalition wieder die Ereignisse, um ihre perversen Überwachungsphantasien Wirklichkeit werden zu lassen. Da man die Täter auch wegen einiger verwackelter Kamerabilder fand, wird nun der allgemeinen Kameraüberwachung ein allgemeiner Erfolg an Sicherheitszuwachs zugeschrieben. Was der alte Mann, der zusammengeschlagen im Krankenhaus liegt dazu sagt, ist nicht bekannt. Für ihn jedenfalls ist es keine Hilfe, dass die Tat aufgezeichnet wurde - wie für kein Opfer. Die Telepolis hat den Kamersicherheitswahn zum aktuellen Anlass wieder einmal auseinandergenommen; es ist jedoch schwer anzunehmen, dass gegenteilige Meinungen in dieser rechtspopulistischen Atmosphäre keinerlei Gehör finden werden.

Nachtrag: Inzwischen hat sich Merkel auf die Seite Kochs geschlagen und fordert im Verbund mit Schäuble großen Unsinn. Koch indessen stilisiert sich zum Sprecher der schweigenden Mehrheit.

BILD auf Kreuzzug, Teil XXI [Update]

In der BILD werden alle Geschütze gegen Ausländer, pardon, Mitbürger mit Migrationshintergrund scharf gemacht. Vermutlich darf man der BILD dafür danken, den Neusprech nicht überall durchzusetzen, alles weitere verdient noch schärfere Missbilligung und Verachtung, als man dem Blut- und Tittenblatt gemeinhin sowieso entgegenbringt.
Der große Aufreißer der heutigen BILD-Zeitung, die ich heute beim Bäcker ausliegend sah und bei deren Anblick mir schier die Mahlzeiten der vergangenen Tage hochkamen ist wirklich aus der Mottenkiste der tiefbraunen Ecken des Blatts:
"Die Wahrheit über kriminelle Ausländer"
Was dann folgt, ist ein Absinken des ohnehin rekordverdächtig niedrigen BILD-Niveaus in solch unterirdische Tiefen, dass Jauche wohlriechend erscheint. Der Trick des Artikels, der Horrorzahlen über Ausländerkriminalität produziert ist so primitiv wie wirksam: man nehme die Zahlen der allgemeinen Jugendkriminalität und verschachtele Sätze so, dass es aussieht, als ob diese nur die Ausländerjugendkriminalität umspannen würden. Ah voilà, Horrorzahlen entstehen. Mit "Deutschlands mutigstem Staatsanwalt" Roman Reusch (dem ein Disziplinarverfahren wegen diversen Verstößen und verhetzenden Aussagen droht) als Kronzeugen geriert sich die BILD endgültig als NPD-Wahlkampfblatt. Widerwärtig.

Von BILDBlog übrigens unerwähnt ist die Gewinner-Verlierer-Spalte dieses Tages, in der auf Verlierer-Seite Wolfgang Gerhard aufgeführt ist, weil der einen neuen Liberalismus fordert, der wohl eher in Richtung eines sozialliberalen Koalition führt.

Nachtrag: Inzwischen hat die BILD auf ihrer Homepage eine Abstimmung gestartet, um die Meinung "der Deutschen" zu Maßnahmen gegen kriminelle Ausländer zu erfragen. Es gibt drei
Auswahlmöglichkeiten:
- Abschieben
- Wegschließen
- Umerziehen
Konsequenterweise kann man für alle drei stimmen.

Nachtrag 2: Inzwischen hat "Deutschlands mutigster Staatsanwalt" Fernsehverbot.

Fundstücke 4.12.2008

Hochinteressantes und empfehlenswertes Deutschlandradio-Interview zum Thema Demographie.
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Fefe's "Wie wird 2008"-Einschätzung.
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Köhler unterzeichnet vorerst die EU-Verfassung nicht. Könnte doch noch spannend werden, wegen dem BVerfG (das irgendwie der letzte Notanker der Demokratie ist derzeit).
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Robert Misik äußert sich in der taz über ökonomische Theorien.
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Thomas Fricke schreibt in der FTD weiter gegen den herrschenden Meinungsmainstream an.
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Die NDS analysieren die Gedankenwelt eines Horst Köhler.
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In der Weltwirtschaft geht es scheinbar sicherer zu als je zuvor.
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Die Zeit (!) erhebt die Forderung nach einer Verstaatlichung der Banken.
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Die Zeit (!) demontiert Hans-Werner-Sinns Mindestlohnunfug.
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"Gerade das vermeintlich unpolitische ist in höchstem Maße politisch"
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"Kritische Wissenschaft unerwünscht" - ein weiteres TP-Plädoyer gegen den Bolognaprozess.
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Interessante Analyse der Linken, SPD und der anstehenden Landtagswahlen.
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Deutschland ist in der Kategorie "Schutz der Privatsphäre" von Transparency International um zwei Kategorien abgesunken und kommt den USA ("endemischer Überwachungsstaat", in der gleichen Kategorie wie China und Nordkorea) immer näher.
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Dreistigkeit der Arbeitgeber

Panorama hat in einem ARD-Bericht den Niedriglohnsektor KiK, Sondermann und Ryan-Air untersucht. Der insgesamt empfehlenswerte Beitrag ist an einer Stelle unbedingt zitierfähig, als die Chefin von Sondermann zu der Frage interviewt wird, warum den Angestellten (was mit versteckter Kamera zusätzlich bewiesen wird) gesetzeswidrig keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bezahlt wird:
"Wissentlich gegen das Gesetz gehandelt möchte ich jetzt nicht unterstützen zu sagen. Wir haben betriebswirtschaftlich gehandelt."
Wer kriegt sonst noch das Kotzen?