Samstag, 31. Mai 2008

Fragwürdige Eliten

Eigentlich ist es ein Fundstück, aber Heribert Prantls Artikel hier ist wichtig genug, dass er einen eigenen Post bekommt.

Freitag, 30. Mai 2008

Impressionen eines Bahnfahrt

Vier Polizisten standen im Abteil, genug Sterne auf den Schulterklappen um jeden vor Ehrfurcht im Erdboden versinken zu lassen. Ihre Ausrüstung dagegen sah so abgefuckt aus, als wären sie Heimkehrer aus der sibirschen Verbannung.
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Mann und Frau (wohl aus dem Urlaub) betreten den Bus. Sie trägt eine Handtasche und einen Knirps-Schirm. Er trägt zwei voluminöse, offensichtlich schwere Hartschalenkoffer.
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Leistung, die Leiden schafft. Deutsche Bank.

Attac protestiert dieser Tage gegen einen besonders widerlichen Fall von Skrupellosigkeit und Egoismus bei der Deutschen Bank: unter anderem auf Bäckertüten (!) macht das "Vorzeigeinstitut" unter Josef Ackermann Werbung für Agrarfonds:
"Freuen Sie sich über steigende Preise?
Alle Welt spricht über Rohstoffe - mit dem Agriculture Euro Fond haben Sie die Möglichkeit, an der Wertentwicklung von sieben der wichtigsten Agrarrohstoffe zu partizipieren.
Investition in etwas Greifbares"
Da freut man sich doch! Genauer ausgeführt wird das in der entsprechenden Broschüre:
"Agrarrohstoffe - begrenzt und begehrt.
Folgende Erfolgsfaktoren lassen eine Wertsteigerung der Agrarrohstoffe erwarten:
  • Signifikant steigende Bevölkerung
  • Veränderung der Ernährungsgewohnheiten durch steigenden Lebensstandard in den Schwellenländern
  • Erhöhte Nachfrage nach Agrarrohstoffen bei der Produktion von erneuerbaren Energien
  • Historisch weltweit niedrige Lagerbestände an Agrarrohstoffen"
Das ist die Deutsche Bank. Da freut man sich doch richtig, einige Agrarrohstoffe im Portfolio zu haben, wenn irgendwo die nächste Hungerkrise ausbricht. Leistung, die sich auszahlt. Selten war die menschenverachtende Arroganz der Hochfinanz so deutlich zu sehen wie hier. Das ist wirklich abstoßend und verkommen.

KIK muss Löhne erhöhen

Ein Urteil mit Signalwirkung: das Arbeitsgericht Dortmund hat entschieden, dass der bei KIK gezahlte Stundenlohn von 5,20€ als sittenwidrig einzustufen sei. Angemessen sei ein Lohn von mindestens 8,21€.
Der Discounter wurde dabei nicht nur dazu verurteilt, die Stundenlohnsätze entsprechend anzuheben, sondern auch, die Erhöhung rückwirkend nachzubezahlen - was der Klägerin rund 9000 Euro beschert, da sie seit Oktober 2007 bei KIK arbeitete.
Es ist zu hoffen, dass dieses Urteil Signalwirkung für die gesamte Discounter-Branche entwickelt. Die dort gehegte Praxis, das Personal und Zulieferer auszubeuten und so möglichst billige Waren anbieten zu können (in jederlei Hinsicht), darf nicht länger toleriert werden.

Fundstücke 30.05.2008

Gisy und die Zweifel
"Gysis Fall ist unklar. Er wird es wohl auch bleiben. So lange es so ist, darf man daran erinnern, dass auch für einen früheren SED-Chef gilt: im Zweifel für den Angeklagten. Indizien sind noch kein Beweis. Man sollte sie nicht missbrauchen, um politisch Kapital daraus zu schlagen."
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Quo vadis, Freitag?
Nachtrag zur Debatte um den Aufkauf des "Freitag" durch Jakob Augstein vom Spiegelfechter, der sich optimistisch gibt. Prinzipiell teile ich diesen Optimismus, aber man wird sehen müssen.
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Politische Charakter: Andrea Nahles
Feynsinn bietet ein kritisches Porträt der SPD-Politikerin Nahles, die als "SPD-Linke" gilt und für diesen SPD-Flügel die Strippen zieht. Feynsinn sieht sie hauptsächlich als Machtpolitikerin; eine Einschätzung, der ich mich teilweise anschließen würde.
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Kriminell organisiert
Feynsinn analysiert die Moral und Werte der neuen Eliten und kommt auf ein einfaches Weltbild: Profit. Dass er mit dem nicht übereinstimmt, verwundert wohl niemanden, der ihn kennt.
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Rechtsstaat light für Promi-Sünder
Der Stern berichtet über die Schieflage bei der Strafverfolgung von Steuerdelikten, wenn es um sehr reiche Hinterzieher geht - vor allem der Fall Würth ist hier in der Kritik.
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Alle Menschen sind ungleich
Endstation Zeitarbeit: der Stern berichtet am Beispiel eines Spaßbades im Sauerland über die tägliche Ausbeutung, Gnaden- und Morallosigkeit der schönen neuen Arbeitswelt.
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Warum gemäßigte Bürger of extreme Parteien wählen
Absolut treffende Handelsblatt-Analyse.
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"Das ist der Umsturz!"
Interview mit Professor Schachtschneider, der für Peter Gauweiler die Klage vor dem BVerfG führt. Achtung für die Fraktion der politisch Überkorrekten: das Interview ist von der Jungen Freiheit.
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Bildungsillusionen
Wolfgang Sofsky erklärt, warum der Glaube an die Allheilkraft von mehr Bildung Nonsens ist.
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Musterknaben des Arbeitsmarkts
Schweiz und Österreich.
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Mittwoch, 28. Mai 2008

Expertenmeinungen gegen den Strom

Weil man uns Neo-Keynesianern immer wieder vorwirft, dass kein Ökonom auf unserer Seite wäre und es nur eine Lehre gibt, aus aktuellem Anlass ein Gegenbeispiel: im Manager-Magazin ist Paul Krugman im Interview und spricht sich gegen laissez-faire-Kapitalismus aus. Weitere Ökonomen mit anderer Meinung, die mir spontan einfallen:
- Sieglitz
- Heiner Flassbeck
- Gustav Horn
- Bofinger

Fundstücke 28.05.2008

"Ich falle da nicht mit der Tür ins Haus"
Recht guter SZ-Überblich über die aktuelle Lage der SPD-Hessen.
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"Die FDP findet in der Wertediskussion nicht statt"
SZ-Interview mit FDP-Shooting-Star Philipp Rösler. Ganz interessant, auch wenn ich nicht allen seinen Thesen zustimmen kann.
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Liste der Gesetze öffentlich, an denen Lobbyisten mitstrickten!

LobbyControl hat die Liste aller Gesetze, an denen externe Mitarbeiter aus der Wirtschaft (Euphimismus für Lobbyisten) mitgearbeitet haben online gestellt und meldet bereits Zweifel daran an, dass sie komplett ist, weil das Wirtschaftsministerium angeblich keine hat - obwohl dort mit Abstand die meisten Lobbyisten arbeiten.
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SPD und Grüne wollen Studiengebühren am 5. Juni abschaffen
Was soll man dazu noch sagen? Viel Erfolg, wahrscheinlich.
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Die Spur der Scheine
Augstein kauft den Freitag. Ob das eine gute Nachricht ist?
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Die CDU, ein dummer Bengel und das Klassenwahlrecht
Lesebefehl!
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Reiches Land, arme Kinder
Lösungsvorschläge in der FR, die durchaus zu diskutieren sind.
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Die SPD in der "Zwickmühle"
Die NDS analysieren.
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Kartellamt nimmt Spritpreise ins Visier
Wurde auch Zeit.
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Wie Bush vom Wege abkam
Sein Sprecher packt aus.
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Der gläserne Angestellte
Die SZ moniert, dass eine Kultur des Überwachens immer mehr um sich greife. Woher das wohl kommen mag...?
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Wir haben großeund schwere Aufgaben vor uns
Rede Oskar Lafontains auf dem Parteitag der LINKEn in Cottbus. Lesenswert.
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Eine Lanze brechen

Nachdem bei einzelnen im StudiVZ registrierten CDU-Abgeordneten (das StasiVZ wirkt sich immer negativer aus, was das Klauen von Daten und Bildern für Einzelne angeht) inzwischen Skandale wegen diverser Gruppenmitgliedschaften losgebrochen waren, möchte ich einmal zu dem Thema Stellung nehmen. Wie ein anonymer User im Kommentarbereich hier aufmerksam gemacht hat, war der stellvertretende JU-Chef Hessen Thomas Müller Mitglied in (unter anderem) folgenden StudiVZ-Gruppen:
- „Nach Frankreich fahr ich nur auf Ketten“
- „Krieg ist scheiße, aber der Sound ist geil“
- „Brot für die Welt – Fleisch für mich“,
- „Wär ich Kreuzritter gewesen,hätten wir Jerusalem noch“.
Als ich noch im StudiVZ war, war ich auch in der Gruppe "Nach Frankreich fahr ich nur auf Ketten" und wäre wahrscheinlich auch in die anderen drei eingetreten, aus demselben Grund wie Thomas Müller auch (der ihm allerdings nicht abgenommen wird): die Gruppen sind lustig. Wer glaubt denn ernsthaft, dass jemand, der tatsächlich solchen Quark ernst meint, das in seinem StudiVZ-Profil verankern würde? Die junge Riege des CDU-Nachwuchses hat sich in letzter Zeit einige Ausrutscher der besonders geschmack- und intelligenzlosen Art geleistet, aber mal ehrlich: ich bin der Überzeugung, dass Thomas Müller hier tatsächlich einfach nur wegen des Spaßfaktors eingetreten ist. Ohne ihn zu kennen und natürlich bereit, mich vom Gegenteil überzeugen zu lassen.

NACHTRAG: Na toll, jetzt ist er zurückgetreten.

Montag, 26. Mai 2008

Fundstücke 26.05.2008

EU, dein Wille geschehe
Stern-Bericht, der die aktuelle Stimmungslage in den Medien zum Vertrag von Lissabon kritisiert.
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Auf zum letzten Gefecht - diesmal in Karlsruhe
Heribert Prantl.
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Wer Rentner schmäht, steigt auf
Die taz äußert sich kritisch zu den Geschmacklosigkeiten Mißfelders und Ludewigs und deren anhaltenden Erfolg in der CDU.
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"9/11 entschuldigt gar nichts"
Kurnaz redet über Guantanamo - mit Kongressabgeordneten.
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Profiteure des Tippfehlers
Die FTD zum Thema Typosquatting, dem Registrieren von "Tippfehler-Domains" wie www.googl.de
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Wahldebakel für die Union und SPD im Norden
In Schleswig-Holstein sind die beiden "Volksparteien" bei den Kommunalwahlen dermaßen abgerutscht, dass es einem fast leidtun könnte. Fast.
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Jedes sechste Kind lebt in Armut.
Fass ohne Boden...
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Scheinheilige Genossen
Bei der SZ wird mal wieder die Keule der "Vaterlandslosen Gesellen" ausgepackt, wenn die SPD tatsächlich Schwan nominiert, weil - o Graus - die "Europaverweigerer" der LINKEn mitstimmen müssten. Der Untergang des Abendlandes!
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Sozialdemokratische Schlangenlinien
Nach all dem Unsinn zum Thema Bundespräsident in den letzten Tagen endlich mal wieder ein sachlicher Artikel.
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Sonntag, 25. Mai 2008

Auf in den Geldadel!

Dass wir in einer modernen Form des Konzernfeudalismus leben, dürfte von niemandem noch ernsthaft bestritten werden. Welche Ausmaße das Ganze aber langsam annimmt, ist verheerend. In rechtskonservativen Medien (Springer-Presse und SpOn) werden derzeit Versuchsballons gestartet, die erschaudern lassen: es geht um die Wiedereinführung eines Zensuswahlrechts. Gestartet wurde der Ballon von Gottfried Ludewig, dem Vorsitzenden des CDU-Studentenverbunds RCDS. Von dem hängt bei uns in der Fachschaft übrigens ein Plakat mit dem ungemein innovativen Slogan "Mir stinken die Linken", man sieht also, auf welches Niveau wir uns gleich begeben.
Ludewig redet davon, dass
„Diejenigen, die den deutschen Wohlfahrtsstaat finanzieren und stützen, müssen in diesem Land wieder mehr Einfluss bekommen. Die Lösung könnte ein doppeltes Wahl- und Stimmrecht sein.“ Allein mit „Hartz IV-Beziehern und Rentnern“ könne der soziale Ausgleich in Deutschland nicht funktionieren. (Quelle)
Arbeitslose und Rentner: wann kommen die ersten Euthanasievorschläge? Aus dem Dunstkreis von CDU und RCDS kam ja jüngst bereits der Vorschlag, Alten keine Prothesen mehr zu bezahlen und sie einfach verrecken zu lassen, weil das billiger sei. Es ist unglaublich, was in diesem Land derzeit diskutiert werden kann, ohne dass einen Aufschrei der Anständigen gibt. Nirgendwo liest man Kritik an solchen Plänen. Die Medien scheinen wirklich auf ganzer Bandbreite zu versagen, denn Vorschläge wie dieser von Gottfried Ludewig sind gefährlich, sind demokratiefeindlich, ja, sind verfassungsfeindlich - aber stattdessen berichten die Medien, wenn sie es überhaupt erwähnen, wohlwollend neutral.
Feynsinn hat das Ganze in einen größeren Zusammenhang gestellt, ich möchte seinen Artikel zur Lektüre dringend anempfehlen und euch bitten: verbreitet diese Botschaft! Wenn die Medien bei einem dergestalt wichtigen Thema versagen, müssen wir alles tun, damit es zum Aufbau einer Gegenöffentlichkeit kommt. Solche Pläne müssen, müssen, müssen ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt und zerpflückt werden!

Fundstücke 25.05.2008

Der Anfang vom Ende der Koalition
In düstersten Tönen schreibt die SZ das Ende der Großen Koalition wegen der Bundespräsidentenwahl in schwarzen Farben. Wunschdenken.
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Die Werte des Grundgesetzes täglich leben
Der Brüller des Tages: Schäuble und Zypries ermahnen ein Leben im Einklang mit dem GG und vergeben Preise dafür. Ausgerechnet die, die es jeden Tag mit Füßen treten!
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Warum Wolfgang Clement Gesine Schwan ablehnt
Ich weiß nicht, warum die Meinung dieses Wendehalses irgendjemanden interessiert, aber wer seine ekelhaften Auslassungen lesen möchte, dem sei hier Raum gegeben.
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Hurra, die Linke hat ein Programm
Degler ärgert sich über das Programm der LINKEn. Warum genau ist nicht ganz klar, vor allem deshalb, weil es nicht so schlecht ist wie er es gerne hätte, er aber trotzdem einen Verriss schreiben muss. Er ist auch echt der falsche Mann für den LINKE-Parteitag - als ob das Neue Deutschland einen objektiven Vertreter zum FDP-Dreikönigstreffen senden würde.
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Der Homo sovieticus in dieser Gesellschaft
ad sinistram über die Parallelen zwischen der Arbeitsverherrlichung der realsozialistischen Staaten und heute.
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Scholz, ZEIT und STERN reden die Armut klein: das haben die Armen nicht verdient
Joachim Jahnke mit Daten und Fakten zu Armut und dem Armutsbericht.
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Eine schwierige Liebe - Der große Integrator
Zwei Teile der Berichterstattung der SZ über den LINKE-Parteitag.
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Samstag, 24. Mai 2008

Fundstücke 24.05.2008

Abgeschobene Verantwortung
Freitag zur menschenverachtenden Lage des Asylrechts in BRD und EU.
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Labours Harakiri
Es ist erstaunlich, wie sehr der Niedergang von Labour dem der SPD gleicht - die gleichen Leute, die gleichen Fehler. Freitag bringt es auf den Punkt.
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Börsenwahn statt Bürgerbahn
Buchrezension zur Bahnprivatisierung.
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Technokrat mit Ambitionen
Ein Porträt von Frank-Walter Steinmeier, der sich gerade zum Totengräber der SPD aufschwingt.
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INSM-Zwiesprech heute: Die Umverteilung
Feynsinn nimmt ein Interview mit INSM-Lobbyist Hüther und Ökonom Horn auseinander, das auseinanderzunehmen mir bisher die Zeit fehlte. Danke Feynsinn!
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Lafontaine ruft zu Politikwechsel auf
Was soll man sagen? Hier auch noch beim Stern und bei der Süddeutschen.
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Schleichender Tod in Hessen

Die SPD in Hessen stirbt. Jeden Tag ein bisschen mehr. Während die Linke ungebrochene Zustimmungswerte erhält, ist die SPD von ihren geradezu fantastischen 35% in Hessen wieder auf das "Normalmaß" von unter 30% eingebrochen. Wären jetzt Neuwahlen - CDU und FDP würden sich ins Fäustchen lachen. Und genau das ist die Strategie von Koch, der wie ein Wolf im Schafspelz auf den unvermeidlichen Fall Ypsilantis wartet, die versucht, die "geschäftsführende Regierung" vor sich herzutreiben - eine Strategie, die wahrscheinlich nicht ewig funktionieren wird.
Der Grund dafür ist, neben dem Dauerfeuer der Presse und der extrem verqueren Logik gegen die Zusammenarbeit mit der LINKEn, Dagmar Metzger. Die Politikerin, die von der Springer-Presse als "ehrlichste Politikerin Deutschlands" hochstilisiert wurde und von der CDU und FDP beklatscht wird, stimmt zwar bei allen Sachanträgen mit, will Ypsilanti aber weiterhin nicht zur Ministerpräsidentin der LINKEn wählen - weil das der politischen Arbeit in ihrem Wahlkreis entgegen laufen würde. Eine Erklärung, warum sie die Anträge zusammen mit der LINKEn durchbringen kann, die Wahl zur Ministerpräsidentin aber nicht, liefert Metzger nicht.
Ihre Verweigerungshaltung hat ohnehin einen Geruch. Ihr Vater war einer der Gründer des Seeheimer Kreises, einer Vereinigung der SPD-Rechten - frenetische Agenda-Befürworter. Diese opponieren den zaghaften Linkskurs der SPD total. Es liegt nahe, dass Daddy Metzger hier mehr Einfluss auf die "Gewissensentscheidung" seiner Tochter hatte, als öffentlicht bekannt ist.
So stirbt die SPD einen langsamen Tod in Hessen, werden die Neuwahlen unvermeidlich - und damit eine Bestätigung Kochs im Amt. Denn dass die FDP umfällt ist gelinde gesagt unwahrscheinlich - sehr viel wahrscheinlicher ist ein Umfallen der Grünen.

Am Scheideweg [UPDATE]

In den letzten Jahren war das BVerfG die letzte Bastion der Rechtsstaatlichkeit gegenüber denen, die versuchten diese zum Einsturz zu bringen. Meist waren das Politiker der Union und SPD, aber nicht ausschließlich. Nun steht dem BVergG eine Entscheidung bevor, die größere Tragweite kaum besitzen kann: es entscheidet unter anderem über den eigenen Fortbestand.
Konkret geht es um die Annahme des Lissabonner Vertrags, des neuen "Grundlagenvertrags" der EU - der Versuch, den gescheiterten Verfassungsvertrag über die Hintertür einzuführen. Bundestag und Bundesrat haben bereits zugestimmt, und der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler hat bereits angekündigt, beim BVerfG eine einstweilige Verfügung gegen die Unterzeichnung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten einlegen zu wollen (die leider außer Frage steht, noch so ein Grund, Köhler abzuwählen).
Für diejenigen, die nicht wissen, was der Grundlagenvertrag eigentlich so Böses enthält, dass man ihn verhindern muss, hier kurz ein Überblick:
- BVerfG. Das BVerfG würde effektiv entmachtet. Die Kompetenzen über solche Entscheidungen würden ihm weitgehend aus der Hand genommen, wenn die entsprechenden Gesetze in Brüssel gemacht wurden.
- Aufrüstungsgebot. Die neue EU-Verfassung enthält ein Aufrüstungsgebot für alle beteiligten Staaten. Was man mit aufgerüsteten Streitkräften dann macht, dürfte klar sein.
- Geistiges Eigentum. Der Grundlagenvertrag soll das Recht auf geistiges Eigentum absolut setzen und von der im GG vorhandenen Bindung an seine soziale Verträglichkeit lösen. Das ist der Grund, warum Bertelsmann den Vertrag so unterstützt, der damit sein Einkommen erheblich zu steigern hofft. Dieser Artikel ist eine größere Katastrophe, weil er das Elend der Welt deutlich verstärken würde - sei es beim Handel mit Generika, sei es mit Klageüberziehungen durch die Content-Mafia.
- Gewaltenteilung. Der neue EU-Vertrag schafft effektiv die Gewaltenteilung ab. Die Macht und Aufsichtspflichten des Parlaments werden deutlich beschnitten, die Exekutive ungemein gestärkt, die bald ohne Kontrolle und vor allem ohne demokratische Legitimation vor sich hinentscheiden könnte. Dazu gehört auch die Einführung der Möglichkeit gezielter Tötungen durch die Hintertür, schon im ersten Verfassungstext umstritten und immer noch enthalten. Dazu kommt natürlich auch, dass die vom deutschen Volk gewählten Organe machtlos würden - ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz, da die Staatsgewalt NICHT mehr vom Volke ausging. - Privatisierungen. Der Text kann dahingehend verstanden werden (und wird!), dass der Staat kein öffentliches Bildungswesen, Wasserversorgung und Altenpflege mehr bereitstellen darf, weil dies als Konkurrenz zu privaten Anbietern zu werten wäre. Ich denke, die Folgen sind allen klar und lassen sich beispielsweise in Chile hervorragend beobachten.

So viel in aller Kürze; wer mehr wissen will bemühe Google oder die unten angegebenen Links. Was aber sind die Konsequenzen nun für das BVerfG? Wenn es nicht den Weg der Selbstauflösung beschreitet - was leider durchaus möglich ist -, bleiben dem Gericht mehrere Möglichkeiten, wie es bezüglich des Vertrags entscheiden kann. Die erste ist, einen bundesweiten Volksentscheid auf Grundlage des GG-Artikels 146 anzustrengen:
"Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."
Das ist die Möglichkeit, die ich deutlich präferieren würde, die aber unwahrscheinlich ist. Die andere Möglichkeit ist, die Wirkung des Grundlagenvertrags für die Bundesrepublik und das BVerfG zu begrenzen; eine Technik, für die das BVerfG in den "Solange-I" und "Solange-II"-Gesetzen bereits zwei Präzedenzfälle geschaffen hat.
Ein weiterer Hoffnungsschimmer bleibt noch: Tschechien stellt das Gesetz derzeit ebenfalls auf den Prüfstand. Jeder halbwegs demokratische Verfassungsfreund kann zu dieser Stunde nur die Daumen drücken, dass irgendjemand klar Denkendes den Grundlagenvertrag doch noch zu Fall bringt - es wäre eine Katastrophe für die Freiheit und die Demokratie, wenn er durchginge.

Quellen:
Telepolis: Verfassungsfeinde feiern in Berlin
Peter Gauweiler: Persönliche Homepage
Spiegel Online: Die wichtigsten Elemente der Verfassung (Achtung! Negativbeispiel!)

NACHTRAG: Als einziges Bundesland hat Berlin gegen den Vertrag gestimmt, weil Wowereit die LINKE nicht überzeugen konnte. Die gelten jetzt als "nicht regierungsfähig" und "unfähig zu Außen- oder Europapolitik". Auch Degler denkt mal wieder.

Freitag, 23. Mai 2008

Deine Schuld

Eigentlich bin ich kein Ärzte-Fans, aber dieses Lied ist ein absolutes Muss für alle Leute, die dieses Blog lesen:



Die Ärzte - Deine Schuld
Veröffentlicht auf dem Album "Geräusch"
Dank an Fefe.

Wortbruch in Hamburg

Nein, ich meine nicht die Umfaller-Grünen, die plötzlich Kohlekraft und Elbvertiefung toll finden, sondern Michael Naumann, den schlechten Verlierer aus dem Hansestaat. Der hat nun, wie die Welt berichtet, sein Mandat niedergelegt. Das ist besonders abstoßend, weil er zuvor im SZ-Interview erklärt hatte, er werde auch im Fall einer Niederlage im Parlament bleiben. Wirtklich seltsam, dass niemand über diesen Wortbruch berichtet. Wirklich, wirklich seltsam.

Es bundespräsidentet sehr

Es scheint fast so, als würden Steinmeier, Struck, Beck und Co doch noch von dem Teil der SPD abgewatscht werden, dem 20% ein bisschen zu wenig sind. Anstatt also Horst Köhler zu unterstützen, soll die SPD stattdessen Gesine Schwan noch einmal aufstellen, der 2004 läppische 15 Stimmen gefehlt haben - obwohl die Mehrheitsverhältnisse einen deutlicheren Sieg Köhlers hätten mit sich bringen müssen. In der SZ wurde ein interessanter Doppel-Artikel veröffentlich, der Pro und Contra argumentiert.
Beeindruckend sind hier die Argumente der Contra-Leute, also auch der eingangs erwähnten SPD-Junta. Köhler sei beliebt, heißt es da zum Beispiel. Er habe hohe Umfragewerte. Die hat die CDU auch. Tritt die SPD deswegen 2009 nicht mehr zur Bundestagswahl an? So ein Unfug. Das ist das wichtigste Argument der Gegner. Zweitwichtigstes und letztes: zur Wahl Gesine Schwans bräuchte es die Stimmen der LINKEn, und die kann man ja - verdammte Demokratie - nicht kontrollieren. Sprich, tritt Gesine Schwan an, würden die LINKEn sie wählen. Das wäre doppelt dumm, wenn die SPD-Rechten dann tatsächlich konsequent genug wären, Köhler ihre Stimme zu geben - die LINKE stimmt geschlossen für den SPD-Kandidaten, die SPD nicht? Ein Albtraum.
Dabei gibt es eigentlich gar keinen Grund für derartigen Unsinn. Köhler war ein schwarz-gelber Kandidat, und das ist er auch heute noch. Ein paar Harmlose Phrasendreschereien à la "Finanzmärkte sind Monster" oder "Politik sollte sich nicht von Umfragewerten bestimmten lassen" bringen ihm zwar die Beliebtheitspunkte, mit denen seine Befürworter gerade wuchern, aber es steht kein Konzept dahinter. Vergessen die Zeit, als Köhler der Großen Koalition bei schlechten und schädlichen Konzepten in den Arm griff; alles nur Staffage und Schau. Richtig ekelhaft ist aber das Argument, man müsse Köhler wählen, um "Parteienhickhack" oder "kleinliche Parteipolitik" zu vermeiden. Besonders schlimm auch, weil es aus dem Mund von Parteipolitikern kommt. Das chronisch schlechte (und eigentlich unverdient schlechte) Image der Parteien wird sich so sicherlich keinen Deut bessern, und auch die Politikverdrossenheit wird nicht abnehmen.
Ich selbst verspreche mir von Gesine Schwan keine entscheidenden Verbesserungen; obwohl sie ein Kandidat der SPD-Linken sein soll, ist sie auf der Seite der SPD-Rechten, die ihr die Gefolgschaft verweigern. Sie hatte seinerzeit Willy Brandts Ostpolitik opponiert und ist kategorisch gegen eine Zusammenarbeit mit er LINKEn. Verrrückte Welt, eigentlich.

NACHTRAG: Ich habe ja ganz diesen wunderbaren SZ-Artikel vergessen, in dem der bayrische Komödiantenstadl seinen Senf dazu gibt.
Nebenbei: letzthin hatte ich mich mit einem Kommilitonen übers Thema unterhalten. Der meinte, man solle auf das Amt des Bundespräsidenten irgendeinen Trottel ohne Ahnung berufen, der auch keine Ratgeber bekommt und alle Gesetze unterschreiben oder ablehnen muss. Wenn er ein Gesetz nicht gutfindet, ist es wahrscheinlich auch nichts wert, weil es der Bundesbürger eh nicht begreifen würde. Auch ein Ansatz.
NACHTRAG 2: Michael Schöfer zum Thema.

Fundstücke 23.05.2008

Die Macht im Netz
Die SZ versucht sich mal wieder daran, Blogger zu analysieren und nimmt sich dafür die Huffington Post vor. Wie üblich wird dabei nur auf die Großen der Branche geschaut.
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Abgenagter Sozialstaat
Kritischer Blick auf die "Erfolge" rot-grüner Regierungspolitik.
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Schlechte Noten für den Arbeitsmarkt
Telepolis summiert auf, was am deutschen Arbeitsmarkt schief läuft. Und das sind nicht mangelnde Flexibilität und Lohnnebenkosten.
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Warnung vor Denunzianten
Das Whistleblower-Netzwerk warnt vor dem Versuch, innerbetrieblicher Kritik und Anzeigen einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben.
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Müssen die Zahlen 1 und 8 verboten werden?
In Thüringen wirbt eine Brauereimarke mit dem Gründungsjahr 1888. Das rief die Grünen auf den Plan, die Brauerei zur Abschaffung des Logos aufzufordern, da es den Neonazis als Zahlencode diene. Eine Posse der political correctness live aus der Provinz.
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Unter Clinton wurden falsche Weichen gestellt
Plädoyer für die Einführung des Trennbankensystems in den USA.
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Westerwelle-Wunderland
Nordkorea hat die Steuern abgeschafft, aber der wirtschaftliche Erfolg kommt und kommt nicht.
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Das will die LINKE
Für Interessierte stellt die jW das Hundert-Punkte-Programm der LINKEn vor.
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Anspruchsdenken
Michael Schöfer entlarvt den Hickhack um die Renten- und Diäterhöhungen und wartet mit überraschenden Fakten auf.
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Manipulation beim Armuts- und Reichtumbericht?
Michael Schöfer legt offen, warum die Zahlen des neuen Berichts sind, wie sie sind.
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Kalter Frieden im Libanon
Der Spiegelfechter erklärt die aktuelle Lage im Nahen Osten.
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Schäubles willige Vollstrecker
Feynsinn demaskiert Parteibuch-Sozialdemokraten Wiefelspütz.
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Doku über Franz Josef Wagner
Wer kennt ihn nicht, den BILD-Kolumnisten? Ein aktuelles Beispiel seiner Arbeit hier, die oben verlinkte Doku billiert mit unfreiwilligem Humor. Danke ad sinistram.
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Montag, 19. Mai 2008

Fundstücke 19.05.2008

Lernen aus Sex and the City
Vom Siegeszug der guten Pay-TV-Shows in den USA.
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Weniger Geld für die Hochschulen
In Hessen zeigt sich, dass die Studiengebühren lang nicht so viel Geld bringen, wie Koch behauptet hat. Das bringt neues Wasser auf die Mühlen der Gebührengegner.
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Stellenstreichungsplan DB
Wikileak hat den neuesten Stellenstreichungsplan der DB verbreitet.
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"Die neoliberale Macht bröckelt"
Interview mit Lafontaine.
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Ein Viertel der Deutschen ist arm

Telepolis analysiert Olaf Scholzens neueste Erkenntnis.
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Bildungsreform als Herrschaftsinstrument
Auf den NDS wird äußerst ausführlich das Wesen der neuen Bildungsreformen beleuchtet.
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Obama gegen McCain: Amerikas Super-Duell
Die FTD bleibt zwar irgendwie den Beweis schuldig, warum ausgerechnet dieser Wahlkampf so gewaltig anders sein soll, aber die Infos des Artikels selbst sind lesenswert.
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Kaputtgelacht
Wie das Dauerlächeln in bestimmten Branchen die Menschen kaputtmacht.
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Samstag, 17. Mai 2008

Patriotisches Forum Süddeutschland

Durch den Hinweis eines Lesers ist mir die Adresse eines rechtsgerichteten Blogs in die Hände gefallen, des "Patriotischen Forums Süddeutschland". Dieses will nach eigener Aussage
1. Die Vernetzung möglichst vieler süddeutscher Rechter, Patrioten und Nationalisten untereinander
2. Die Bildung von lokalen und regionalen Aktionsgruppen, die mit verschiedensten Aktionen auf die derzeitige missliche Lage in unserem Land aufmerksam machen
3. Mit seinen Möglichkeiten dazu beitragen, dass Deutschland wieder ein von christlichen Werten und deutscher Bevölkerung geprägtes Land wird.
An Blogeinträgen findet sich denn auch das zu erwartende wilde Gewusel von 68er-Bashing, "Informationen" auf dem Niveau von PI ("Was zu erwarten war...Münchner U-Bahnschläger auf freiem Fuß!") und allerlei rechtsextremistischer Unsinn in grauenhafter Rechtschreibung in den Kommentaren. Es erinnert in jedem Fall frappant an den Fall des Nazi-Forums, das ich seinerzeit entdeckt und auf das ich aufmerksam gemacht hatte (Link).
So weit, so belanglos. Ich habe etwas mit mir gerungen, ob ich das Thema aufgreifen will, weil es den Glatzen nur Publikumsverkehr beschafft und damit ihr Blog interessanter gestaltet. Ich habe mich aber letztlich dafür entschieden und möchte die Gelegenheit gleich nutzen, abseits des Ganzen ein wenig über die Argumentation dieser Rechten zu schreiben.

Bereits in der Zielsetzung des Blogs stolpert man über die "christlichen Werte". Sie wollen so gar nicht zum Rest passen, beinhalten sie doch auch Nächstenliebe und Gewaltverzicht. Ich denke, sie sind der spezifischen Situation hier im Süden Deutschlands geschuldet, wo die Konservativen seit jeher eine starke Stellung haben und man mit solchen durchsichtigen Apellen den einen oder anderen Stammtisch zu gewinnen hofft.
Das Feindbild ist entsprechend dankenswert einfach gehalten: die 68er, Multi-Kulti, die Antifa, ausländische Schlägerbanden. Die ersten drei sind dabei meistens in einer diffusen Personalunion zu finden. Dabei geriert sich das Blog als halbwegs seriöses Nothilfetelefon für Rechtsextremisten, was schon fast wieder humoreske Züge annimmt:
Hallo leute, ich bin deutscher und habe die Schnauze schon lange voll von den ganzen ausländern.Das was die hier bringen darf doch nicht sein. Multikulti darf nicht sein,bin bereit Aktiv zu werden,um meinem Land zu helfen.Bitte meldet euch bei mir,zwecks Kontakt
mdg Michael
Der nette Organisator hat sich auch gleich gemeldet und dem armen Michael eine Mail geschrieben. Immerhin gibt es auch Leute, die gleich tatkräftig ihre Mithilfe anbieten:

Ich würde alles tun um Deutschland aus dem Würgegriff der 68er Polithippies zu erlösen.

Alles !

Es zeigt sich also, dass im Weltbild der Rechten ein aufrechtes, aber geknechtetes Deutschland steht (wahlweise von Besatzungsmächten, fiesen 68ern oder ausländischen Schlägerbanden), das wieder "gereinigt" werden muss und wo Werte irgendwelcher Art durchgesetzt werden sollen, um es zu dem Paradies auf Erden zu machen, das den Autoren des Blogs vorschwebt. Dabei stellen sich die Autoren nicht gerade dumm an: sie stellen sich nicht "prinzipiell" gegen die Demokratie, definieren "christliche Werte" als "Ehre, Treue und Tugend", verurteilen die Homoehe, aber nicht Homosexualität, greifen die Islamophobie von PI und Konsorten auf und fordern "nur" das Recht auf Kritik am Zentralrat der Juden und der Politik Israels (alles nachzulesen hier).

Um es klar zu machen: die Initiatoren des PFS geben sich als Demokraten und Gegner von Diktatur. Sie haben ein halbwegs durchdachtes Konzept auf die Beine gestellt, das durch die Meinungsfreiheit der BRD absolut gedeckt ist und man dürfte ihnen nicht verfassungsfeindliche Absichten unterstellen können. Das gilt naturgemäß für einen gewissen Anteil ihrer Leser nicht, die eher tumbe Glatzen zu sein scheinen, zumindest was ihre Äußerungen betrifft. Deshalb ist dieser Post auch kein Aufruf, dieses Blog zu schließen, sabotieren oder ähnliches. Ich respektiere auch die Meinung der Rechten, aber ich teile sie nicht. Meine Gründe hierfür möchte ich kurz anhand des PFS-Programms darlegen:

- Demokratie. Das PFS hat Recht, wenn sie die Ignoranz unserer Eliten gegenüber der Demokratie herausstellen (erst jüngst wurde wieder verlautbart, die Regierung machte gute Arbeit, weil sie Projekte gegen den erklärten Willen der Bevölkerung durchsetze). Auch ihre Forderung nach mehr direkter Demokratie nach schweizerischem Muster wird von mir geteilt.
- Vergangenheit. Es ist richtig, dass in Deutschland eine starke Fixierung auf die Geschichte der Nazi-Zeit zu beobachten ist und eine negative Sicht auf die eigene Geschichte vorherrscht. Ich halte dies aber nicht prinzipiell für schlecht. Die deutsche Geschichte seit 1949 hat gezeigt, dass die ernsthafte Auseinandersetzung mit diesen Schandflecken der Vergangenheit sehr hilfreich ist. Ich halte die Versuche, Schlussstriche zu setzen oder sich mehr auf scheinbar "schönere" Epochen der deutschen Geschichte zu verlegen für fehlgeleitet. Es darf kein Zweifel daran bestehen, wohin Nationalismus und Rassenwahn geführt haben, welche schrecklichen Konsequenzen daraus erwachsen. Ich teile die Kritik am "wie", aber ich stehe voll dahinter, "dass" diese Kritik auch weiterhin geübt wird. Die Aufarbeitung des Holocausts gerinnt immer mehr zur Wiederholung trockener Zahlen und ritualisierter Pflichtübungen, wo es angebracht wäre, die wahren Dimensionen aufzuzeigen und das "Nie wieder Auschwitz!" zu mehr als einer Phrase zu machen.
- Islam. Ich teile die Islamophobie der Rechten generell nicht. Die kruden Verallgemeinerungen von der Befolgung der Schariah an deutschen Gerichten oder der Einführung von Burkas an deutschen Schulen sind nichts als xenophobe Panikmache. Es ist richtig, dass Menschen, die aus einem fremden Land hierherkommen sich auf irgendeine Weise integrieren sollten. Doch solange überhaupt nicht klar ist, wie das funktionieren soll, für welche Werte "wir" eigentlich stehen und welche Werte "sie" annehmen sollen, halte ich die ganze Diskussion für extrem scheinheilig. Robert Misik hat das bereits sehr gut dargestellt.
- Judentum. Das PFS nimmt für sich in Anspruch, nicht antisemitisch sein zu wollen, sondern nur durchaus berechtigte Kritik am Zentralrat der Juden und Aspekten der Politik Israels üben zu wollen. Das ist ihr gutes Recht und, wie ich meine, auch durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Fraglich ist nur, wie die User es mit diesem Absatz halten.
- Christentum. Kommen wir zu den "christlichen Werten", die hier angeblich vertreten werden sollen. Was in Wahrheit vertreten wird, sind konservative Werte. Genauer definiert werden sie auch nicht. Was ist "Ehre"? Zu was soll man "treu" sein? Und wenn man Nächstenliebe ausüben soll, wie verträgt sich das dann mit den Abstoßungsreaktionen gegenüber allen Andersdenkenden Gruppen? Ich unterstelle auch hier freundlich eine Diskrepanz zwischen Organisatoren und Usern.
- Homosexualität. Man kann dem kaum etwas hinzufügen. Ich bin prinzipiell für die Gleichstellung der Homoehe und aller anderen Arten von Ehen respektive der Abschaffung des Sonderstatus' der "normalen" Ehe, aber hier kann man anderer Meinung sein.

Zitat des Tages

Mehdorn hatte den Gewerkschafter Norbert Hansen als nützlichen Idioten einstellen wollen. Nun ist er nicht einmal mehr nützlich.
- Heribert Prantl

Mittwoch, 14. Mai 2008

Alle Wege des Sozialstaats führen nach....nach...ach, verdammt

Mal ehrlich: wenn euch jemand erklärt, Deutschland sei durch eine kommunistische Machtübernahme gefährdet - würdet ihr den nicht auslachen? Wenn es nach der SZ geht, stehen wir schon mit einem Fuß im (roten) Grab: die LINKE ist nämlich massiv von Kommunisten und anderen "Extremisten" unterwandert! Tusch, Ende. Wer jetzt verwirrt guckt, liegt richtig.
Die SZ beruft sich auf den neuen Verfassungsschutzbericht und verteidigt die Observierung der LINKEn durch denselben. Demnach sind die Kommunisten in der LINKEn wohl das, was die V-Leute des Verfassungsschutzes in der NPD sind. Generalbevollmächtigte ist Sahra Wagenknecht, im Europaparlament sitzend und Chefin der "Kommunistischen Plattform" (ihr wisst schon, die Hummer-Esserin).
Der Artikel der SZ ist überschrieben mit "Oskars Extremistentruppe", weil ja bekanntlich Lafontaine des Teufels ist und einen kommunistischen Umsturz plant. Nein, halt, er ist nur ein fieser Populist, der nichts anderes will als vernünftige Pragmatiker am Regieren hindern, und dafür benutzt der Lump die Kommunisten, die sich inzwischen die Linke nennen. Bestimmt ist es auch ein ganz fieser Komplott, dass ein Gutteil der LINKEn aus Gewerkschaftern und Ex-SPDlern besteht.

Fundstücke 14.05.2008

Was beachten Sie, wenn Sie als junger Akademiker (Student) einem Finanzdienstleister gegenübersitzen?
Auf den NDS findet sich ein Erfahrungsbericht über den Beschiss bei Finanzdienstleistern.
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Na dann gute Reise, grün-schwarz!
Klaus Staeck, der geradezu geniale Plakat-Künstler, äußert sich in der FR beißend über die neue Koalition und das Selbstbild der Grünen.
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Zunehmender Grenznutzen
Interview mit dem BILD-Renten-Lobbyist Nr. 1, Raffelhüschen. Ganz interessant, dessen Selbstbild zu lesen.
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Was hat Chavez wirklich gesagt - und was davon passiert die deutschen Medienfilter?
Nicht, dass ich seine Äußerungen sinnvoll finde, aber dass er NICHT Merkel mit Hitler gleichgesetzt hat, wie allerorten zu lesen, war irgendwie klar.
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Wir sind die Guten
Ziemlich mies geschriebener Spiegel-Artikel über den CCC, der dessen Bedeutung herunterspielt und zu karikieren versucht und dabei zur Karikatur seiner selbst wird.
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Wallraff deckt Missstände in Brotfabrik auf
Kurzvideo der ARD.
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"Bildung ist wichtiger als Steuersenkung"

Wirtschaftsweiser Bofinger, der einzige halbwegs Vernünftige in dem Gremium, im Interview.
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Diese Zahlen klagen an
Joachim Jahnke widerlegt in der FR diverse Mären, die gerade im Umlauf sind.
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Oskar Lafontaine über sein Image
...im taz-Interview. Besonders im Hinblick darauf interessant.
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RAD reloaded

In der viel gescholtenen Ära des Dritten Reiches gab es eine Organisation, die als so aufrichtig, gut und nützlich erachtet wird, dass man nun ihrer Wiederbelebung entgegenfiebert: den Reichsarbeitsdienst (RAD). Selbiger ging aus dem "Freiwilligen Arbeitsdienst" hervor, den Brüning 1931 gegründet hatte. Beide funktionierten nach dem gleichen Konzept: Arbeitslose werden zur Arbeit gezwungen, die der Staat ausgibt - umsonst, versteht sich. Gedacht ist das Ganze als Ansatz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Funktionieren soll das Konzept, das sich Wirtschaftsminister Glos (der aufblasbare) angeblich ganz allein ausgedacht haben soll, folgendermaßen: die "Bürgerarbeit" soll als Gegenleistung für Hartz-IV durchgeführt werden. Alle Arbeitslosen sollen zu 39 Wochenstunden Arbeit verpflichtet werden, die sie unentgeltlich ableisten müssen, in Arbeitsstellen, die das "Gemeinwohl fördern" und vom Staat bereitsgestellt werden, der nach irgendeiner Milchmädchenrechnung auch noch 25 Milliarden jährlich dabei sparen will (interessanterweise erklärt wirklich kein einziger Artikel, wie das funktionieren soll).
Das wirklich schöne, das Arbeitslose beruhigen dürfte ist dabei, dass keine Arbeitspflicht besteht. Das wäre ja schließlich der RAD, das Dritte Reich und davon sind wir ja bekanntlich meilenweit entfernt, auch wenn Chavez etwas anderes behauptet. Stattdessen herrscht hierzulande eine "Pflicht zur Mitwirkung". Ahhhhha. Das ist natürlich ein wichtiger Unterschied, auf den wir dankenswerterweise aufmerksam gemacht wurden.

Soviel zu den geplanten Fakten. Ich habe selten einen größeren Unsinn gehört, selbst aus dem Munde eines Glos. Hat der Mann eigentlich noch alle Tassen im Schrank? Ich meine, klar, in Bayern sind bald Landtagswahlen und auf Arbeitslose hauen funktioniert im Lederhosenland immer gut, aber mal ernsthaft: was soll der Unsinn? Vollbeschäftigung will Glos so erreichen, das verkündet er vor Stolz platzend wie ein kleines Kind. Sicher, die Statistik wird dann kaum mehr Arbeitslose aufweisen. Kunststück. Genau die gleiche, wirklich genau die gleiche Strategie ist das Dritte Reich gefahren und ist die DDR gefahren. Ganz besonders die DDR, genau die DDR, die man immerzu wegen ihrer geschönten Statistiken, dem Staatsbankrott auf Raten, der Einschränkung der Bürgerrechte, der Repressionen und generell der mangelnden Freiheit bezichtigt. Die DDR, die die Linke angeblich herbeiführen will! Wöllte sie das tatsächlich, könnte sie nun dankend von der politischen Bühne abtreten und zur Wahl der CSU aufrufen, denn die kriegt das ziemlich gut hin.
Richtig absurd wird aber, dass die Wirtschaft dem Konzept zujubelt. Staatliche Stellen? Zwangsarbeit? Arbeitsbeschaffung im Rahmen von 1,4 Millionen Jobs? Bei Einführung eines Mindestlohns droht der Sozialismus, aber DAS ist in Ordnung? Ich versteh die Welt nicht mehr.

Vielleicht wird klarer, wenn man ansieht, wer hinter der ganzen Chose steckt. Denn natürlich hat Klein-Glos sich das Ganze nicht selbst ausgedacht, er wurde nur aufgeblasen, um die frohe Botschaft zu verkünden. Ausgedacht hat sich das ganze das IZA (Institut zur Zukunft der Arbeit), dessen Präsident nach wie vor Millionensteuerhinterzieher Zumwinkel ist und das enge Beziehungen zu anderen zwielichtigen Lobbyorganisationen wie der INSM oder der Aktionsgemeinschaft Soziale Markwirtschaft unterhält. Ich kann gar nicht so viel fressen wie ich kotzen will, um mit Bertold Brecht zu sprechen.

Quellen:
Telepolis
Welt

Andere Blogs:
Feynsinn
Spiegelfechter
F!XMBR
Carls Webblog


Donnerstag, 8. Mai 2008

Zerschlagung der FR verhindern!

Medienholdings wollen nun die FR aufkaufen, zerschlagen und wieder verkaufen. Die Frankfurter Rundschau ist eines der letzten wenigstens halbwegs kritischen und liberalen Blätter in Deutschland. Tragt die Botschaft weiter und zeigt Solidarität mit der Redaktion!

Fundstücke 08.05.2008

Geschmeidige Gestalten
Über den Generationenwechsel bei der SPD.
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Bayern bald demofreie Zone
Die Bayern verschärfen das Demonstrationsrecht.
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Pfingstpause

Über Pfingsten wird der Oeffinger Freidenker schweigen und voraussichtlich erst am nächsten Dienstag wieder neue Beiträge online stellen, denn er hat sich auch einmal Urlaub verdient. Solange er nicht hier ist, verweist er gerne auf die Kollegen in der Blogroll, von denen der eine oder andere sicher ebenfalls interessante Beiträge vorzuweisen hat. Schöne Pfingstfeiertage wünscht er seinen Lesern außerdem :)

Mittwoch, 7. Mai 2008

Fundstücke 07.05.2008

Missbrauchte Moneten
Studiengebühren werden selten transparent oder sinnvoll verwendet. Den Vogel schießt dabei aber die Uni Saarland ab. Auf eine bittere Art unterhaltsamer Artikel.
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Freie Schulwahl: einfache Idee, schwierige Umsetzung
Die NZZ erklärt das von Milton Friedman entwickelte Modell der Vouches, Bildungsgutscheine, und stellt Vergleiche in Ländern an, in denen dieses System praktiziert wird.
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Almosen für die Alten
Die Nürnberger Nachrichten zerreißen den neuen CDU-Rentenreformentwurf als das, was er ist: billiger Wahlkampf und nicht durchdacht.
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Der Mitarbeiter als Humankapital
Am Beispiel einer Angestellten der Telekom wird in der SZ gezeigt, wie sinnlos die Konzerne heute ihre Mitarbeiter einsetzen, ihre Organisationsstruktur über den Haufen werden und überhaupt alles tun, um möglichst ineffizient zu sein.
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Der Bauch soll weg
Plötzlich erkennt die SPD im Kielwasser der CSU-Vorschläge, die Peer Steinbrück so wortreich verdammt hat, ebenfalls ihr soziales Profil wieder. Es wird richtig ekelhaft.
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Wenn Heuschrecken Fernsehen machen
Der Stern analysiert die Lage bei ProSiebenSat1 und zeigt, wie das Niveau der Sender durch den Einstieg der Heuschrecken heruntergejagt wurde - und wie die Gewinne der Sender jetzt, trotz aller Einsparungen und Rationalisierungen, zusammenbrechen. Oh Wunder.
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Neuseeländischer Irrweg?
Ausgerechnet im Spiegel erscheint eine treffende Satire zur Bahnprivatisierung.
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Vollbeschäftigungsgerede
Michael Schöfer nimmt kompetent die aktuellen Arbeitsmarktzahlen, Parolen und die wirtschaftliche Lage auseinander. Lesenwert!
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Wenn sogar Steingart kapiert...
Feynsinn zeigt, dass Obama effektiv gewonnen hat.
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Popanz des Weltfeindes
Inzwischen spricht sich auf Gisy für Israel aus. Zu dem Anlass erklärt die SZ den linken Antizionismus.
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Lidl, welt.de und der Glaube an die Dummheit der Leser
Im Handelsblatt nimmt Thomas Knüwer die augenfällige Zusammenarbeit zwischen Springer und Lidl und die billigen Phrasen derer PR-Abteilungen auseinander. Lesenswert!
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BILD ist Meinung: das ist Spitze!
BILDBlog deckt Unsinn auf, den die BILD zum Spitzensteuersatz verzapft.
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Warum macht sie weiter?
Warum Hillary Clinton immer noch weitermacht, ist nicht wirklich Gegenstand der öffentlichen Debatte. Telepolis analysiert deswegen selbst und kommt zu einem überraschenden Ergebnis.

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Kanzlerfrage noch nicht geklärt
Laut dem Stern-Artikel läuft alles auf Frank-Walter Steinmeier hinaus. Meine Vorhersage: das ist der sicherste Weg, bei den 2x Prozent zu bleiben.

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CHE-Uniranking 2008
Studis Online über das, nett ausgedrückt, umstrittene Ranking des CHE.
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Bologna Reform
Bei Studis Online gibt es ein Streitgespräch zum Thema.
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"Schallende Ohrfeige" für Rot-Grün
Das BVerfG hat den AWACS-Einsatz 2003 als grundgesetzwidrig eingestuft. Die Ohrfeige hat dabei wie jedes gute Ding zwei Seiten: sie trifft auch die Union mit ihren Sicherheitsratplänen hart.

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Der Einäugige unter den Blinden
Bilderstrecke zum Thema US-Vorwahlkämpfe.
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Neue Diätenerhöhung

Die Abgeordneten erhöhen sich nach der letzten Erhöhung um rund 8 Prozent erneut ihre Diäten. Dieses Mal passiert das Ganze allerdings etwas versteckter: weil der Öffentliche Dienst mehr Geld bekommt, sollten sie davon auch profitieren, weil sie ja auch öffentlicher Dienst sind.
Nicht, dass mich jemand falsch versteht: ich bin durchaus für hohe Gehälter der Abgeordneten, denn sie haben verantwortungsvolle und fordernde Jobs. Aber es kann nicht sein, dass die gleichen Politiker bei einer "Erhöhung" der Rente um 1,1% und jedem kleinen Furzabschluss, dessen Gewinne für die Arbeitnehmer von steigenden Kosten aufgefressen werden schreien. Das zeugt einerseits von Arroganz und andererseits von Realitätsverlust.

Wallraff recherchiert wieder

Günther Wallraffs neueste Recherche ist bei der Zeit erschienen: er war beim Lidl-Bäcker Wenzheim, dessen Antwort auf die erhobenen Vorwürfe inzwischen vorliegt - dünn und dürftig.

Montag, 5. Mai 2008

Fundstücke 05.05.2008

Kochs Strategie ist das Spiel auf Zeit
In der faz wird klar gemacht, dass Koch gerade versucht, auf Zeit zu spielen, denn die arbeitet für ihn. Für Neuwahlen braucht er 56% der Abgeordneten, also eine große Koalition oder eine Drei-Parteien-Koalition. Fragt sich nur, wer davon zu gewinnen hofft.
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Heuschreckenfonds fressen Felder leer
Joachim Jahnke analysiert die Rolle der Spekulanten in der derzeitigen Nahrungskrise und bietet so sachliche, unaufgeregte Analyse, die auch alle anderen Faktoren einbezieht.
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Scharfe Kritik am Sicherheitsrat
SPD und die anderen Oppositionsparteien haben sich gegen das CDU-Konzept ausgesprochen. Schauen wir mal, was weiter passiert. Die Bahnprivatisierung beweist ja, wie viel "dagegen aussprechen" heute noch wert ist.

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"...Nämlich den Staat Israel"
Aufsatz von Uri Avnery, in dem dieser die Rolle Israels, das Selbstverständnis der israelischen Politik, die Mauer und die generelle Mentalität analysiert und Rückblicke auf den Kampf von 1948 gibt, an dem er aktiv teilnahm.
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Obama vergleicht Clinton mit Bush
Das klingt fast wie "...vergleicht [NAME] mit Hitler", oder? Zumindest die Wirkung ist dieselbe.
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in nuce
ad sinistram redet noch einmal über die bescheuerte Phrase vom Wortbruch in Hessen.

Ökonomisierung der Kindheit

In der SZ ist ein Artikel zur frühkindlichen Bildung erschienen. Darin werden Kurse beschrieben, die den Kindern irgendwelche Vorteile für ihren weiteren Lebensweg mitgeben sollen, die in etwa so deutlich umrissen sind wie die Lage von Atlantis. Zum Beispiel privater Englischunterricht für Vorschul- und Grundschulkinder: da redet der Lehrer ein bisschen Englisch, die Kinder alle deutsch, und irgendeine CD läuft im Hintergrund mit englischen Sprachfetzen. Bringen tut das nichts, kosten recht viel (40 Euro/Monat plus etwa 75 Euro für Lehrmaterial). Gleiches gilt für Unfug wie "Fasttrackkids", wo Zweijährige Reden halten, wissenschaftliche Experimente durchführen und etwas über Ökonomie lernen sollen (120 Euro im Monat für zwei Wochenstunden).
Das alles ist grober Unfug. Wissenschaftlich ist von dem Gerede von sich schließenden Zeitfenstern und der frühen Aufnahme von Wissen nichts erwiesen, aber Schindluder wird viel damit getrieben. Es gilt als relativ gesichert, dass Kinder eine Fremdsprache in diesem Alter nur im täglichen Umgang mit native speakern erlernen können, aber sicher nicht in solch einem Kurs wie oben beschrieben. Und auch das Konzept von Fasttrackkids ist mehr als fraglich, da, wie gesagt, die Grundlagen auf denen das Konzept beruht überhaupt nicht zufriedenstellend erforscht sind.

Aber das ist eigentlich auch egal. Denn diese Konzepte machen ihr Geschäft mit der Angst der Eltern. Es ist die Angst, dass ihre Kinder später einmal ausgeschlossen sind (vgl. Süddeutsche Zeitung), dass man als Eltern versagt, wenn man ihnen nicht das nötige Rüstzeug mitgibt. Und es ist eine gefährliche Ideologie zu glauben, dass bereits die früheste Kindheit (oft, bevor die Kinder richtig reden können) zum Erlernen von für das spätere Berufsleben als relevant gehaltenem Wissen vebraucht werden müsse. Denn Kinder brauchen eine Kindheit, eine, die frei ist von Leistungsdruck. Frei von Sorge und Angst, sondern angefüllt von Spiel. Kinder lernen nebenbei, und zwar mehr, als sie in irgendwelchen in Strukturen und Formen von Erwachsenen gepressten Unterrichtsstunden erlernen könnten.

Scheer auf Konfrontationskurs mit SPD-"Bahnkonsens"

Warum alle Zeitungen die gegen die Basisentscheidung der SPD durchgedrückte Bahnteilprivatisierung als "Bahnkonsens" bezeichnen, ist mir ein Rätsel. Inzwischen hat Hermann Scheer jedenfalls die Augen aufgemacht, sie verwundert gerieben und erkannt, dass Beck und der Rest der Junta ihn und die anderen Privatisierungsgegner zum zweiten Mal gehörig verarscht haben. Das erste Mal haben sie das Votum des Hamburger Parteitags, dem sie sich wortreich verpflichtet haben, unterlaufen. Das andere Mal zeigt sich nun, dass die 24,9%-Beteiligungen, die nach dem neuen Modell ausgeteilt werden sollen, ebenso vergiftet sind.

Nicht nur, dass die Endfassung des Vertrags doch plötzlich die 49,9% Ausgabe enthält statt der 24,9% - Hartmut Mehdorn soll auch noch Chef beider Sparten werden. Scheer fordert deswegen ein Gesetz, das die Investoren zu Investitionen verpflichtet (welch Wortspiel!) und außerdem, dass Mehdorn nicht Chef beider Sparten werden darf, sondern bei der "öffentlichen" Bahn bleiben muss, wo er durch die Politik kontrollierbar sei.

Aber das ist Augenwischerei. Scheer wird sich wohl auch noch ein drittes Mal über den Tisch ziehen lassen, was umso bedauerlicher ist, als dass er einer der wenigen vernünftigen in der SPD verbliebenen Köpfe ist. Besonders seine energiepolitischen Konzepte sind wegweisend. -
Sei es wie es sei, die Junta hat hier eiskalt gewonnen. Die Bahn wird nun zerfleddert, weitere Strecken werden veröden, die Tickets werden teurer. Und die Junta grinst ein Wolfslächeln.

Siegeszug der Vernunft

Es scheint, als ob die Hegemonie der neoliberalen Lehre allmählich ihr Ende finden würde. Heute ist in FR und FTD eine Serie von Artikeln erschienen, die abgesprochen sein könnten, so gut passen sie aufeinander. Es geht um die abstruse Zinspolitik der EZB, den starken Euro und die Rolle der Gewerkschaften.
Dass die Hochzinspolitik der EZB zur Erreichung des Inflationsziels von unter 2% (was Experten als illusorisch ansehen, tatsächlich ist der Schnitt seit Einführung des Ziels etwa 2,3%) ein Irrweg ist, habe ich hier bereits öfter herausgestellt. Der EZB-Schattenrat diskutiert selbiges inzwischen auch äußerst hitzig. Die Konsequenzen der EZB-Politik, die sich außerdem immer wieder durch Einmischungen in den Politikalltag politische Gestaltungskraft anmaßt (besonders bei Haushaltsfragen) und sich gleichzeitig jede Einmischung der Politik verbittet, sind auch frappant. Der Euro stieg um bislang 40% über dem von der EZB selbst herausgegebenen 1,10$ bis 1,20$, was als "gesund" bezeichnet wurde. Und der Höhenflug wird durch die restriktive Zinspolitik der EZB auch immer weiter befeuert.
Umso unverständlicher ist, dass sich dagegen keine Kritik wehrt. Thomas Fricke zeichnet in der FTD ein deutliches Bild davon, was die Konsequenzen für eine auf Export hin orientierte Wirtschaft (!) sind, die immerhin 3% ihres BIP durch den Handel mit den USA gewinnt. Die gesamten Reallohneinbußen der letzten 25 Jahre sind vollkommen für die Katz, dank der EZB-Politik, denn was die Unternehmen durch Rationalisierung, Verschlankung und Verlagerung sparen, das kostet sie die EZB-Währungspolitik. Umso seltsamer, dass dies niemanden zu kratzen scheint. Als nicht so bedeutsam wird es in öffentlichen Stellungnahmen eingeschätzt, dass sich die deutschen Produkte in der Welt seit Einführung des Euros locker ums anderthalbfache verteuert haben. Ist es Ignoranz oder Arroganz, die solchen Einschätzungen zugrunde liegt? - Ich weiß es nicht. Lucas Zeise weist denn auch zurecht darauf hin, wen die Kosten dieser Inflationsvermeidung um jeden Preis - die zudem auch noch fehlschlug! - am meisten treffen: die kleinen Arbeitnehmer und Rentner. In der EZB sind derweil weiterhin alle Nachrichten von sinkenden Löhnen gute Nachrichten, weil sie die Inflationsrate mindern. Dass die EZB eigentlich auch auf Wirtschaftswachstum festgeschrieben ist, interessiert dabei scheinbar niemanden. Folgerichtig titelt die FR auch: Mehr Inflation wagen!

Gleichzeitig hört bei den Gewerkschaften der Kuschelkurs der letzten Jahre auf, den Schröders falsche Versprechen erwirkt hatten. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass in einem immer rücksichtsloseren Kapitalismus mit Zurückhaltung nicht viel zu holen ist - wer einem den kleinen Finger reicht, der bekommt die ganze Hand genommen. Die Gewerkschaften haben sich inzwischen auf die neuen Bedürfnisse eingestellt und haben den Mindestlohn als Instrument und die prekär Beschäftigen als Klientel erkannt. Man darf gespannt sein, welche Ergebnisse Die neuen Kämpfe der Gewerkschaften erbringen.

Sonntag, 4. Mai 2008

BILD auf Kreuzzug, Teil XXIII

*düstere Musik* *der Zuschauer sieht in Zeitlupe Bilder von Krawallen aus Hamburg: vermummte Personen, irgendetwas brennt, Polizisten, alles sehr verwischt und unscharf* *Der Sprecher beginnt mit Grabesstimme zu reden*
Wäre die BILD ein Film, würde die Berichterstattung zum 1. Mai etwa so wie oben beginnen. Das macht Guido Knopp ähnlich, und bei beiden funktioniert es hervorragend. Worum geht es? In gewohnt sachlicher Manier hat die BILD sich gegen die Krawalle am 1. Mai postiert, wo "linke Randalierer" und "dumpfe Krawallmacher" (also die BILD-Redaktion) gegen "den Wohlstand" kämpfen und "Hunderttausende Euros in Rauch" aufgehen lassen. Das Thema ist natürlich so wichtig, dass man es mit der Genauigkeit nicht ernst zu nehmen braucht, aber messerscharf hat die BILD erkannt, dass es außerdem noch eines Aufhängers bedarf, denn sonst locken vermummte Randalierer keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Kennt man ja alles noch von Heiligendamm. Also hat sich die BILD was ganz besonders ausgemacht:

Ihr gewissenlosen Chaoten!

Maifeier-Tag in Berlin und Hamburg: Stundenlange Ausschreitungen, fliegende Steine, berstende Scheiben und brennende Autos.

Hunderttausende Euro gingen bei den sinnlosen Krawallen in Rauch auf! Fassungslos sehen wir die Bilder eures Hasses gegen den Wohlstand.

Zur gleichen Zeit in Afrika und Asien: Alle 30 Sekunden stirbt ein Kind an Malaria!

Für jeweils nur fünf Euro hätte jedes einzelne Kind gerettet werden können (…)

Die sinnlose Gewalt der Chaoten kostet Staat und Steuerzahler ein Vermögen – jeden einzelnen Euro hätten die armen von Malaria bedrohten Kinder so bitter nötig. (Quelle)

Huh, das ist mal perfide. Demonstranten in Deutschland töten Kinder in Afrika und Asien! Denn wenn die Polizei nicht hätte ausrücken müssen, hätte man mit den Polizistengehältern Kinder in Afrika und Asien gerettet, und in den Vorstandsetagen der Versicherungen weint man bittere Tränen, weil man nun Schäden in Hamburg ersetzen muss statt Kinder in Asien und Afrika retten zu können, was ja der eigentliche Daseinszweck einer Versicherung ist.
Für wie bescheuert halten die ihre Leser eigentlich? BILDBlog weist zu Recht darauf hin, dass zehnmal die BILD nicht zu kaufen auch fünf gesparte Euros ergibt.


Fundstücke 04.05.2008

Lafontaine beherrscht die Matrix
Feynsinn kommentiert einen Artikel zu Lafontaine in der Zeit, der einfach nur niveaulos ist.
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FKKS - Förderung der Kaufkraftschöpfung
Ein interessantes neues wirtschaftliches Konzept durch die Besteuerung von Unternehmen abhängig von der Zahl der Beschäftigten.
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Niederlage für New Labour
Telepolis setzt die Wahlniederlage der britischen Sozialdemokraten in Kontext mit den Wahlniederlagen der anderen sozialdemokratischen Parteien Europas, die sich an einer solchen "Modernisierung" versucht haben, von der deutschen SPD bis zum italienischen Olivenbaum.
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Sozialer Abstieg heißt jetzt Exklusion
In der SZ wird über die Debatte um die sozialen Folgen von Hartz-IV erläutert. Die Hauptthese, die diskutiert wird ist, ob es um Ab- und Aufstieg oder In- und Exklusion geht. Ganz interessant.
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Der lachende Dritte?
Telepolis analysiert den überraschenden Erfolg McCains und kommt zu interessanten Schlussfolgerungen.
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Keine halben Sachen

Jetzt wird endlich wieder durchregiert: die CDU hat einen Vorschlag vorgelegt für einen "nationalen Sicherheitsrat". Dieser soll endgültig die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit aufbrechen. Federführend ist dabei Wolfgang Schäuble; eine Kommission hat ein sechzehnseitiges Papier zusammengestellt, das mit Merkel und Jung (Verteidigungsminister) abgestimmt ist. Dieses sieht die Schaffung des "nationalen Sicherheitsrats" nach US-amerikanischem Vorbild vor.
Der Sicherheitsrat solle ressortübergreifend mögliche Bedrohungen für die innere und äußere Sicherheit analysieren, präventive Maßnahmen einleiten, sowie die zivil-militärische Krisenbewältigung und Krisenprävention im In- und Ausland koordinieren, so die Union. Er soll auch für die „Einleitung geeigneter Abwehrmaßnahmen und Notfallplanungen“ sowie den Einsatz von Heimatschutzkräften zuständig sein, „in dem Falle, dass Katastrophen die Fähigkeiten einzelner Bundesländer überfordern“. Grundlage für das neue Beratergremium soll der Bundessicherheitsrat sein, dem neben Kanzler verschiedene Minister angehören und der heute im Wesentlichen über die Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter entscheidet. „Hierzu ist der Bundessicherheitsrat unter Vorsitz der Bundeskanzlerin aufzuwerten und unter Nutzung bestehender Ressourcen mit einem handlungsfähigen Stab auszustatten, dessen Mitarbeiter interdisziplinär und ressortübergreifend arbeiten“, so die Union. [...] „Für Aufgaben des Heimatschutzes, wie beispielsweise Pionieraufgaben, Sanitätswesen und ABC-Abwehr, müssen aus dem Personalbestand der Bundeswehr ausreichend Soldaten zur Verfügung stehen“, so die Union. „Die Erhöhung der Wehrhaftigkeit Deutschlands nach außen wie nach innen muss sich auch organisatorisch in der deutschen Sicherheitsarchitektur niederschlagen.“ (Quelle)
Man muss sich klarmachen, was das heißt. Ein Rat, der mit Sicherheit nicht demokratisch zusammengestellt und vermutlich auch kaum kontrolliert ist, wird dem Kanzleramt zugeteilt und untersteht damit direkt der Exekutive. Er sammelt dabei einen riesigen Haufen von Kompetenzen an, von der Ausfuhr von Rüstungsgütern bis hin zu vielen Entscheidungen bei Auslandseinsätzen und natürlich dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren, des Konservativen liebstes Kind. Alles Aufgaben, die vormals bei den gewählten Volksvertretern des Parlaments lagen und dort wenigstens halbwegs einer demokratischen Kontrolle unterlagen. Die CDU-Forderung nach einem strategischen Abwehrraketenschild schmiegt sich in dieses Konzept vollkommen ein:
Die nukleare Teilhabe ist ein Konzept innerhalb der Abschreckungspolitik der Nato, das Mitgliedstaaten ohne eigene Nuklearwaffen in die Planung des Einsatzes von Nuklearwaffen und in den Einsatz der Waffen selbst durch die Nato einbezieht. In der großen Koalition ist umstritten, ob diese Beteiligung für Deutschland weiter nötig sei.
„Die im Rahmen der Nato seit Langem bestehende nukleare Teilhabe garantiert Deutschland dabei Einfluss. Systeme wie Raketenabwehr und andere Schutzkomponenten lassen den Erwerb von Nuklearwaffen weniger attraktiv werden und sind daher im deutschen Interesse“, heißt es weiter. (Quelle)
Die Stoßrichtung des Papiers ist die eines global agierenden Deutschlands, das seine wirtschaftlichen (und politischen, aber das kommt in dem Papier nur am Rande vor) Interessen mit Waffengewalt vertritt. Klar wird in dem Papier darauf Bezug genommen:
Der Nationale Sicherheitsrat solle sich früh mit Krisen und Herausforderungen befassen und dabei alle wichtigen Ressorts miteinbeziehen, sagte Kauder. „Gerade bei der Bedrohung durch den globalen Terrorismus ist es wichtig, dass wir die traditionellen Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit überwinden. Auch die Energie- und Rohstoffversorgung ist ein wichtiges sicherheitspolitisches Thema. Wie sollen wir reagieren, wenn die Chinesen in Afrika Diktatoren unterstützen, um sich den Zugang zu Rohstoffen zu sichern?“, so der Fraktionschef. (Quelle)
Ja, wie soll man dann reagieren? Man könnte vielleicht die neu gebauten Zerstörer die Küsten bombardieren lassen, mit dem KSK das Regierungsviertel einnehmen und im Verbund mit anderen EU-Staaten das Land besetzen? All das scheint möglich, denn gerade an die 2003 formulierte Europäische Sicherheitsstrategie lehnt sich das Unionspapier deutlich an. Aber das ist noch nicht alles:
Unions-Fraktionschef Volker Kauder will mit der Sicherheitsstrategie auch die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Auslandseinsätze der Bundeswehr stärken. „Das sicherheitspolitische Umfeld Deutschlands hat sich in den letzten zehn Jahren dramatisch geändert. Deshalb will die Union in einem breiteren Rahmen erklären, welche Sicherheitspolitischen Interessen Deutschland leiten. Die neue Rolle Deutschlands wird besonders deutlich am Beispiel Afghanistan. Ich weiß genau, dass die Menschen im Land diesen Einsätzen mit Skepsis gegenüberstehen. Aber dieses Engagement fügt sich in ein sicherheitspolitisches Gesamtkonzept ein“, sagte Kauder WELT ONLINE. (Quelle)
Der Rat dient also gleichzeitig auch noch als Propagandainstrument. Hervorragend. Ich denke, die Bürger, die Skepsis gegenüber Auslandseinsätzen haben werden sicher beruhigt wenn sie wissen, dass sich "dieses Engagement in ein sicherheitspolitisches Gesamtkonzept einfügt". Auch, dass gerade die Welt als erste die Meldung publiziert (inzwischen gefolgt von ARD), ist sicherlich kein Zufall. Man hat auch gleich eine Umfrage geschaltet; allein während ich diesen Artikel schreibe, haben sich die Nein-Stimmen von 35% auf 48% (!) vermehrt. Wir dürfen gespannt sein, wie das weitergeht.

Insgesamt sehe ich diese Entwicklung mit großer Sorge. Die CDU schickt sich an, vorbei an allen parlamentarischen Kontrollen und Gegenwichten eine Behörde zu schaffen, die mit gewaltigen Befugnissen in sensible und essentielle Bereiche eingreift. Aus der BND-Affäre (ich spezifiziere gar nicht genauer, derzeit ist der BND eine einzige Affäre) scheint man jedenfalls nichts gelernt zu haben, genauso wenig aus allen anderen Fällen der Geschichte, in denen Staaten glaubten, sie könnten mit der Aufgabe von Freiheit Sicherheit gewinnen. Am Ende verliert man immer beides.

Verwandte Themen bei Bloggern:
Fefe
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Samstag, 3. Mai 2008

Widerliches Gezerre in Hessen

Andrea Ypsilanti hat einen neuen Vorstoß zur Bildung einer rot-grünen Minderheitsregierung gemacht. Die Äußerung von CDU-Generalsekretär Boddenberg, "Ypsilanti wolle offenbar mit aller Gewalt als versuchte Wahlbetrügerin und Wortbrecherin in die hessische Geschichte eingehen" ist dermaßen daneben, dass man ihr keine weitere Beachtung zu schenken braucht. Überraschend ist dagegen die kalte Schulter, die die Grünen Ypsilanti zeigen:
"Von einer Partei, die den Regierungswechsel leichtfertig verspielt hat, brauchen wir Grüne keine Ratschläge." Für eine Partei- und Fraktionsvorsitzende, deren Wahl zur Ministerpräsidentin an den eigenen Leuten gescheitert sei, zeige Ypsilanti erstaunlich wenig Selbstkritik. (Quelle)
Es scheint, als würden die Avancen, die Koch den Grünen macht, doch noch Wirkung zeigen. Das wäre dann - natürlich - keinesfalls ein Wortbruch oder Wahlbetrug, bewahre! Das wäre dann pragmatisch, vernünftig und wegweisend. Ich gehe mich jetzt übergeben.


McKinsey-Studie sieht Mittelschicht gefährdet

McKinsey hat eine Studie herausgebracht, nach der bis 2020 nicht einmal mehr jeder zweite Deutsche der Mittelschicht angehöre; zwischen 2000 und 2006 sank ihr Anteil bereits von 62 auf 54%. Soweit nichts Neues; McKinsey prognostiziert außerdem, dass der "Aufschwung" nicht bei den Menschen ankam (ein nichtssagendes Schlagwort, das inzwischen alle Politiker, Wirtschaftler und Medien durchgekaut haben). Die Lösung sieht man in Wirtschaftswachstum, und zwar in "dynamischem", mindestens 3% sollen es sein. Das sei "nicht unrealistisch".
Verdammt, was ist mit McKinsey los? Optimismus? Und bisher kein Wort von Kürzungen! Unglaublich! Spaß beiseite, die Bedrohung ist nicht erst seit der McKinsey-Studie bekannt. Etwas blauäugig finde ich das Rezept dagegen; als ob allein Wirtschaftswachstum ausreichend sei, um mal eben wieder die Mittelschicht zu beleben. Mittelschicht wird von McKinsey einzig und allein am Einkommen festgemacht, und die Reformen der letzten Zeit haben klar gezeigt, dass Wirtschaftswachstum und neue Jobs rein gar nichts dazutun. Der prekäre Sektor wächst immer weiter, was politisch und wirtschaftlich ja durchaus gewollt ist. Die Wirtschaft kann wachsen, wie sie will, wenn in den entstehenden Jobs nicht vernünftige Löhne deutlich jenseits der 10€/Stunde gezahlt werden, ist es Essig mit einer Belebung der Mittelschicht, wird das Prekariat weiter deutlich anwachsen.
Das wäre eigentlich auch im Interesse der Wirtschaft, denn eine große Mittelschicht konsumiert, sie konsumiert Produkte, die gerade auch in Deutschland hergestellt werden: teure, aber qualitativ hochwertige Produkte. Ein Prekariat kann sie sich nicht leisten, muss auf solche ausweichen, die mit niedrigen Lohn- und Produktionskosten in irgendwelchen Boomstaaten der zweiten und dritten Welt hergestellt werden.
Dieser recht einleuchtende volkswirtschaftliche Zusammenhang jedoch kommt bei McKinsey nicht vor. Hier reicht ein recht nebulös umrissenes "Wirtschaftswachstum", um uns alle wieder glücklich zu machen. Als ob die Zahl vor der dem Prozentzeichen irgendetwas über die Verteilung des entstehenden Reichtums aussagte! Da können es auch 10% Wirtschaftswachstum sein - solange keine anständigen Löhne bezahlt werden, wird es auch keine Mittelschicht mehr geben, die eine Kaffeemaschine von Braun, ein Auto von Daimler und ein Eigenheim kauft und dreimal die Woche im Feinkostladen einkaufen geht. Da bleibt es bei Jobs, die mit Steuergeldern via Hartz-IV aufgestockt werden müssen, die namenlose Importe beziehen und bei Aldi und Lidl einkaufen, sprich, Gift für die Konjunktur. Aber das ist McKinsey dann wohl doch zu kompliziert.

Fundstücke 03.05.2008

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