Dienstag, 23. Juni 2009

In eigener Sache

Ich werde von Mittwoch bis Montag nicht im Land sein und entsprechend auch nicht bloggen. Haltet euch solange an die Kollegen aus der Blogroll. Vielen Dank für's Lesen und bis Montag!

Ach ja, bevor ich es vergesse: lest auch diese zwei Artikel. Die sind gut.

Zensursula

Sonntag, 21. Juni 2009

Unrealistische Forderungen

Es heißt immer wieder, die Forderung nach einem Mindestlohn, von dem alle Menschen leben können, sei unrealistisch, ganz besonders wenn man diese ernsthaft vertritt und 7,50 Euro oder sogar noch mehr fordert (die LINKE hat gerade einen von 10 Euro als Forderung beschlossen). Aber dabei sind mehr oder weniger sozialdemokratische Politiker beileibe nicht die Einzigen, die unrealistische Forderungen stellen. Maria Daniela Schulze, Direktorin der QF-Hotelkette, beklagte sich:
"Es gibt viel zu wenige geeignete Arbeitskräfte, die qualifiziert, mit hoher Arbeitsmoral und Enthusiasmus ihren Job verrichten."
Hintergrund dieser Klage war Kritik an den viel zu niedrigen Stundenlöhnen der Hotelreinigungsfachkräfte. Bei SpOn ist zu dem Thema ein Artikel erschienen, bei dem eine gelernte Architektin arbeitslos wurde und vom Amt in QF-Hotels Putzen geschickt wurde. Dort verdiente sie pro Stunde 3,56 Euro. Schulze ist sich dabei keiner Schuld bewusst:
"Ich zahle zwischen sieben und neun Euro für die Reinigung eines Zimmers an meinen Dienstleister. Das ist oberstes Niveau. Dem Hotel die niedrigen Löhne anzulasten, ist deshalb unfair."
Zwischen sieben und neun Euro? Aber, aber, Frau Schulze, natürlich ist das fair, Ihnen das anzulasten. Was glauben Sie denn, wie viel von dem Geld bei den Beschäftigten tatsächlich ankommen kann, wenn da noch eine weitere Firma zwischengeschaltet ist? Die Hälfte? Dann sind Sie Optimistin. Immerhin, Thorsten Benthin, der Geschäftsführer der B+K-Agentur, bei der die Dumping-Zimmermädchen angestellt sind, hat ein Herz:

Er wisse, dass die Zimmermädchen "einen Knochenjob haben", sagt Thorsten Benthin, Geschäftsführer von B+K Dienstleistung. Deshalb gestatte man ja ausdrücklich, dass die Flaschen aus den Hotelzimmern gesammelt werden dürfen. Zudem gebe es ja auch Trinkgeld.

Und außerdem: "Wenn bei uns wirklich ein Mädchen nur 3,56 Euro pro Stunde verdient, dann ist es eben die Falsche für den Job", so Benthin. "Dann ist sie zu langsam." Im Übrigen bestreitet er, dass der gesetzliche Mindestlohn für Zimmermädchen überhaupt gilt, weil diese, so seine Argumentation, überwiegend nicht mit Reinigungs-, sondern mit "Servicetätigkeiten" beschäftigt seien.

Das kann eigentlich auch nur als Plädoyer für einen Mindestlohn verstanden werden. Wie viel schneller kann sie denn werden? Selbst wenn sie doppelt so schnell wäre, was rein physikalisch kaum machbar ist, selbst dann würde sie gerade einmal rund 7 Euro verdienen - immer noch ein Witz. Deswegen verwundert es auch nicht, dass wir Steuerzahler hier für das Sparen von QF und B+K aufkommen dürfen:

"Die Zimmermädchen sammeln leere Flaschen aus der Minibar und bringen sie zur nächsten Lidl-Filiale, um ihren Verdienst aufzubessern", erzählt die 31-Jährige. Und der reicht dennoch nicht. Sie und fast alle ihre Kolleginnen beziehen Lohnzusatzleistungen von den Arbeitsagenturen. Bei ihr sind es 130 Euro im Monat. "In gewissem Sinne sind die teuren Hotelzimmer auch noch staatlich subventioniert", sagt Sonntag.

Das ist die wirkliche Frechheit dabei, und volkswirtschaftlich auch höchst schädlich. Wie kann es sein, dass die Löhne dermaßen niedrig sind, bei einer regulären Beschäftigung, dass es nicht zum Leben reicht? Eine Antwort liegt darin, dass die Zimmermädchen auch noch nach Strich und Faden beschissen werden:
"Es sind die Nebenaufgaben, die das Erreichen des gesetzlichen Mindestlohns unmöglich machen", sagt sie. Zustellbetten müssen aufgebaut, die Etagenwagen mit Shampoo-Fläschchen und Utensilien für die Minibar bestückt werden. Doch das findet außerhalb des Hotelzimmers statt - und wird deshalb nicht bezahlt.
Wie kann das sein? Ganz offensichtlich arbeiten diese Menschen, und sie arbeiten auch hart, aber sie bekommen es einfach nicht bezahlt. Glauben die Verantwortlichen bei QF und B+K, dass es ein Privatvergnügen ist, diese Knochenarbeit zu machen? Aber, wir wollen nicht zu hart mit Frau Schulze und Herrn Benthin sein, denn die haben ihre eigenen Probleme.
"Es gibt viel zu wenige geeignete Arbeitskräfte, die qualifiziert, mit hoher Arbeitsmoral und Enthusiasmus ihren Job verrichten."
Ich kann mir kaum vorstellen warum.

Tauss-Interview zum Eintritt der Piratenpartei

Freitag, 19. Juni 2009

Tauss' Rede zur Ablehnung des Überwachungsgesetzes

Hagen Rether zum Thema Lafontaine

Deutschland, geliebte Bananenrepublik

Die Gewaltenteilung in Deutschland, im Grundgesetz als unverrückbar festgeschrieben, ist in Deutschland offiziell abgeschafft worden. Das neue Gesetz, das angeblich Kinderpornographie im Netz bekämpfen soll, in Wahrheit aber der vollständigen Kontrolle dieses Raums dienen soll, in dem sich unsere Parlamentarier offenkundig nicht im Geringsten auskennen - eine geradezu groteske Vorstellung - schaltet die Judikative aus und übergibt die Strafverfolgung und -aufdeckung der Exekutive in Form der LKAs und des BKA. Nebenbei wird auch noch ein weiterer Artikel des Grundgesetzes ausgehebelt, nämlich der Artikel 5, in dem es ausdrücklich heißt, eine Zensur finde nicht statt. Die Sperrlisten der LKAs und des BKA sind geheim und dürfen nicht eingesehen werden, wer auf den gesperrten Seiten landet wird protokolliert und weiter verfolgt - ebenfalls ohne jede richterliche Kontrolle.
In meinen Augen zeigt dies im Jahr des 60jährigen Bestehen des Grundgesetzes, das von den Politikern aller Couleur so wortreich gefeiert wurde, welchen Wert unser Grundgesetz eigentlich hat: nämlich keinen. Die Politik setzt sich genauso beliebig darüber hinweg wie es die Privatwirtschaft tut (siehe Schnüffelskandale der Bahn und Telekom, die Geschäftspraktiken von Aldi und Lidl und vieles mehr). Der einzige Schutz, den das Grundgesetz überhaupt hat, sind die demokratischen Kontrollinstanzen Bundesrat, Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht. Sie alle haben sich als zahnlos erwiesen. Der Bundesrat besteht effektiv aus denselben Akteuren wie der Bundestag, der Bundespräsident hat sich als geradezu handzahm erwiesen wie bislang noch praktisch jeder Bundespräsident vor ihm und das Bundesverfassungsgericht ist keine demokratisch legitimierte Instanz und verfügt nur über sehr begrenzte Macht. Würde das neue Gesetz vor dem BVerfG scheitern, könnte der Bundestag einfach nur ein paar monierte Änderungen vornehmen und schwupps! wäre es durch.
Unser Grundgesetz ist schutzlos. Die Artikel, die wohlgeil hineingeschrieben wurden, sind praktisch ohne jede Bedeutung. Es wäre zumindest nicht zu erkennen, dass sie die Politik in irgendeinem Maße besonders beschränken oder anleiten würden. Meist ist es unbequem, im Weg, muss umgangen, geändert, uminterpretiert werden. Eine Achtung vor dem Grundgesetz gibt es nicht. Damit ist Deutschland nicht besser als jede beliebige Bananenrepublik, die ebenfalls nur den Buchstaben nach eine Verfassung hat.

Contentmafia oder Musikindustrie?

In den USA hat die Contentmafia einen Prozess gegen eine vierfache Mutter gewonnen: wegen illegalem Download (resp: wegen Weitergabe, Tauschbörsen laden ja auch immer gleichzeitig hoch, aber letztlich kommt das auf dasselbe hinaus) von 24 Songs wurde sie zu 1,92 Millionen Dollar Schadensersatz verurteilt. Um dem Recht der Musikindustrie genüge zu tun: natürlich hat sie mehr als 24 Songs downgeloadet, aber die Klage wurde auf 24 begrenzt um das Verfahren zu beschleunigen. Die Frage, wie in aller Welt 24 Songs 1,92 Millionen Dollar Schadenseratz rechtfertigen steht trotzdem im Raum. Die Frage, die ich hier aufwerfen will, ist aber eine andere, denn:
[Die Plattenindustrie] macht Online-Piraterie für zurückgehende Einnahmen verantwortlich. Die Geschworenen sprachen der Industrie pro Titel 80.000 Dollar Schadenersatz zu, insgesamt 1,92 Millionen Dollar. 150.000 Dollar pro Titel wären laut Gesetz möglich gewesen. (Quelle)
Den ersten Satz dieses Absatzes, den ich hier zitiert habe, halte ich für besonders bemerkenswert. Zahllose Kampagnen haben die Botschaft hinausgebrüllt, dass Raubkopierer Verbrecher sind und Eigentum stehlen. Einer der besser gemachten Spots zeigte deutlich, dass die Qualität der Produkte unter der Piraterie ebenfalls leidet; es ist einer der besseren. Ich halte die zurückgehenden Einnahmen der Plattenindustrie und ihre Prozesslust allerdings nicht für in direktem Zusammenhang mit de illegalen Download der Musikdateien stehend. In meinen Augen handelt es sich hier vielmehr um einen krassen Fall von Marktversagen.
Die CD, auf der sich ungefähr 10 bis 18 Musiktitel einer Band befinden und die in den 1980er Jahren das Musikgeschäft revolutionierte, ist eigentlich schon längst klinisch tot. In häufigen Fällen ist sie ein Produkt, das den Ansprüchen der Kunden auf keiner Linie mehr entspricht. Erstens sind die CDs deutlich zu teuer, und zweitens will man häufig genug gar nicht alle der Liedtitel haben. Früher gab es häufig keine andere Möglichkeit, an die Musik zu kommen, und Compilations wie die BRAVO HITS oder andere CD-Sammlungen hatten gewaltigen Erfolg. Heute kann ich einzelne Songs, die mir gefallen, einfach aus dem Internet herunterladen, ohne für nutzlose Werbung und Songs, die ich nicht will, gleich mitzubezahlen. Offenkundig gibt es also ein gewaltiges Bedürfnis danach, Songs direkt zu erhalten, ohne Umweg über Sammlungen mit anderen Titeln, CDs und Hüllen. Es gibt aber kein entsprechendes Angebot. iTunes und andere kommerzielle Downloadmöglichkeiten sind zu teuer und ineffizient, mit oft 1 Euro pro Titel, häufig elektronische Signaturen oder Verschlüsselungen in den Dateien, so dass der Wechsel von einem Rechner zum anderen bereits zum Problem ausartet.
Eine vernünftige Lösung gibt es bis heute nicht. Stattdessen bedient sich die Contentmafia ungehindert des Staates und überrollt das Land mit einer Klagewelle, die die Gerichte in Anspruch nimmt und ihnen Zeit stiehlt, die sie eigentlich sinnvoller anderweitig unterbringen könnten. Die Musikindustrie ist absolut nicht willens, neue Vertriebswege zu finden oder auf die Veränderungen der Zeit zu reagieren. Dass die Zeit der CDs schlicht vorbei ist wie vormals die der Platten, geht den Bossen einfach nicht auf.

Zweierlei Maß

Zitat aus einem SZ-Interview mit Guttenberg:

SZ: Sie hatten vor der Opel-Entscheidung gesagt, Sie ließen sich nicht "unterbuttern". Genau das ist passiert. Wäre es nicht konsequent gewesen, wenn Sie zurückgetreten wären?

Guttenberg: Wäre es nicht weiter wichtig, dass es eine ordnungspolitische Stimme in dieser Regierung gibt, die sich bei ähnlich gelagerten Fällen zu Wort meldet?

Wie anders wird Lafontaines Rücktritt immer beurteilt.




Sonntag, 14. Juni 2009

Parteitag der SPD - Compiègne reloaded?

Der SPD-Parteitag ist ein armseliges Spektakel. Lippenbekenntnisse zur Einigkeit und Frank-Walter Steinmeier, die noch auf der Veranstaltung selbst gebrochen werden, hohle Phrasen von den Stones und Müntefering, vollständige Konzeptionslosigkeit. Thomas Strobl und Albrecht Müller haben dies beide erkannt; Susanne Höll dagegen zeigt weiter, wohin der Niedergang des Journalismus führen kann.
Allen Ernstes behauptet sie, dass die SPD sich für einen "Richtungswahlkampf" entschieden habe. Die "Richtung": schwarz-gelb verhindern. Dieses wirklich armselige, einzige Ziel für die Bundestagswahl wird von Höll zu einer Richtungsentscheidung stilisiert, zu einem Wahlkampf der Fronten, einem Lagerwahlkampf. Was ist denn das? Die SPD-Führungsriege, die nur deshalb nicht abgesägt ist weil so kurz vor der Wahl keine Änderung mehr möglich und kein Spitzenpersonal in Sicht ist; dessen vorhandenes Spitzenpersonal den Kontakt zur eigenen Partei und zum Wähler verloren hat und mit verzweifelten ausfallenden Verbalinjurien nun auch noch die geistesverwandten Funktionäre des Koalitionspartners abstößt, diese Riege soll einen Lagerwahlkampf führen?
Für riskant hält Susanne Höll das, denn

Wenn die Bundestagswahl keine Richtungsentscheidung für das Land sein sollte, ist sie doch eine für die SPD. Misslingt ihr die Rückkehr in die Regierung, wird sich die Partei entscheidend verändern. Sie muss dann über die eigene Richtung streiten und fürchten, in der Opposition auf dem Weg nach links ihren Charakter als Volkspartei zu verlieren.

Wie aber sollte die SPD etwas verlieren, das sie gar nicht hat?

Donnerstag, 11. Juni 2009

SPD im Kreuzfeuer

Die SPD ist zu bedauern: sie steht in einem verheerenden Kreuzfeuer, aus dem es derzeit keinen Ausbruch gibt. Ihre Umfragewerte sind im Keller, die Wahlergebnisse verhalten sich zur Abwechslung einmal kongruent dazu und es ist keine Besserung in Sicht. Die politischen Gegner anpacken ist fast unmöglich, stattdessen verliert man Prozentpunkt um Prozentpunkt. Dies hat mehrere Ursachen.
Die erste, offensichtlichste, Ursache ist die Große Koalition. Die Zweite, ebenso offensichtliche, ist Frank-Walter Steinmeier. Die Dritte, weniger offensichtliche, ist die CDU. Die Vierte, zumindest für Mitmenschen mit offenen Augen offensichtliche sind die Medien. Die Fünfte, ständig unterschwellig präsente, ist die Politik der vergangenen elf Jahre. Die Sechste schließlich sind die inneren Widersprüche.

1. Die Große Koalition

Die SPD steckt derzeit in einer Großen Koalition als Juniorpartner fest. Sie stellt nicht den Kanzler, kann also nicht Kompetenzpunkte dadurch abräumen oder die Medienaufmerksamkeit genießen, die mit dieser Tatsache einhergeht. Sie ist zu Kompromissen gezwungen, die nicht honoriert werden, egal wie sie aussehen. Sie bekommt wenig von den Erfolgen, aber viel von den Misserfolgen ab. Es scheint, als würde Merkel erstere wie ein Magnet anziehen, während letztere an ihr wie Teflon apperlen und stattdessen auf die bedröppelte SPD unten am Boden tropfen.

2. Frank-Walter Steinmeier

Der Spitzenkandidat der SPD ist genau das nicht und wollte es eigentlich auch nie sein. Er ist ein Verwaltungsmensch, ein Funktionär, jemand der seine Ideen in den Hinterzimmern der Macht umsetzt. Er war der Konstrukteur der Agenda 2010, er glaubt an sie. Jetzt soll er nach dem Willen Münteferings einen Wahlkampf führen, der mit dieser Politik gnadenlos bricht, soll die sozialdemokratischen Stammwähler mobilisieren und Protestwähler von LINKEn, CDU und FDP zurückholen. Ein aussichtsloses Unterfangen. Steinmeier will nicht wahlkämpfen, er kann es nicht. Er erklärt und berichtet, er tut dies mit der mitreißenden Wirkung eines Buchhalters. Dass die Agenda 2010 ein Erfolg war wiederholt er ständig, glauben kann man es ihm nicht. Wenn er den Koalitionspartner, mit dem er nichts lieber will als in Frieden arbeiten scharf attackieren soll, tut er dies mit einer linkischen Art. Von Schröder hat er "den Baron" übernommen, aber dieser einzige Moment, in dem der Wahlkampf ein Profil gewann, in dem es um ein Sachthema ging, war absurd gewählt. Ausgerechnet mit einer sachlich falschen und platten Forderung wie "Keine Insolvenz, Staatshilfen für jedermann" punkten zu wollen ist totaler Unfug und nicht im Mindesten glaubwürdig. Wie soll dieser Mensch eine Partei anführen, die auf die Mitwirkung ihrer Basis schon immer angewiesen war?

3. Die CDU

Die CDU ist der strategische Partner der SPD. Mit ihr hat sie eine Koalition geschlossen, mit ihr arbeitet sie überwiegend geräuschlos zusammen. Dies liegt hauptsächlich an Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück; beide könnten genausogut in der CDU oder in jeder anderen Partei sein, sie sind nur ihrer eigenen Ideologie verpflichtet, nicht der Linie der Partei. Dadurch haben sie den Arbeitstakt des sozialdemokratischen Teils des Kabinetts vorgegeben, das sich geradezu zu schämen scheint, in der SPD zu sein. Viel lieber würde man eine Einheitspartei aus CDU, FDP, Grünen und SPD gründen, denn die könnte ohne das Wahlkampfgetöse arbeiten und so effizienter sein - eine zutiefst undemokratische Arbeitsauffassung, aber sie scheint zu herrschen. Die CDU selbst ist dabei nicht in einer Symbiose mit der SPD, wie es Steinmeier und Steinbrück - von letzterem wissen viele Deutsche nicht einmal, dass er in der SPD ist, und es würde auch nicht auffallen - in der Außendarstellung wirken lassen wollen. Für die beiden ist die Große Koalition ideal, eine Vereinigung von Vermittlungsausschüssen und gut ausgearbeiteten Kompromissen, während man auf die Opposition scheißen kann - die eigene Stimmenbasis ist breit genug, um alles abzufedern.
Doch so ist es nicht. Die SPD hat sich an die CDU gebunden, doch die saugt ihren Partner eher aus, als dass sie ihm etwas zurückgibt. Die gefühlte Kompetenz Steinmeiers und Steinbrücks wird abgesaugt und dem Gebilde "Regierung", das in der Öffentlichkeit stets als "Merkel" identifiziert wird, zugeführt. Für die Partei bleibt nichts. Aber die SPD kann Merkel nicht auf ihre Plakate drucken, das kann nur die CDU.

4. Die Medien

In der Zeit der Richtungsstreits, in der Zeit Kurt Becks vor allem, feuerten die Medien Breitsalve um Breitsalve in die brodelnde Partei. Bloß nicht abrücken von der Agenda 2010, weiter im Kurs, das war die Devise, nach der man die Partei zu lenken versuchte. Für Steinmeier, für Müntefering, für Steinbrück, für Weiter-so und gegen eine Änderung des status quo. Wie dies in der Geschichte der Partei schon so oft geschehen ist, hat sich die SPD in die gewünschte Richtung drücken lassen. Nun, da sie in der Falle ist, wenden sich die Medien plötzlich gegen Frank-Walter Steinmeier. Bislang war er die Stimme der Vernunft innerhalb der SPD, nun plötzlich wird er von allen Seiten angegriffen. Der Mainstream der Medien hat die SPD da, wo er sie haben will und zerkleinert den letzten Widerstand, und die kritischen Medien sehen wohin Steinmeier sie geführt hat und kritisieren ihn weiter wie bisher. Von dieser Seite ist die SPD verlassen; Steinmeier muss dieselbe Erfahrung machen wie Schröder sie bereits 2005 gemacht hat: auf die Loyalität der Medien ist kein Verlass, kann kein Verlass sein.

5. Die Politik der vergangenen elf Jahre

Für die SPD ist die Agenda-Politik weiterhin eine schwere Hypothek. Bei vielen ihrer alten Wähler ist sie dadurch und durch ihr Festhalten daran unmöglich geworden, die CDU, FDP und die vielen mit ihr verbundenen Medien und Meinungsmacher warten nur auf einen kleinen oder kleinsten Schritt in die andere Richtung, um die SPD sofort aus allen Rohren zu beschießen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Gegüllnere, das die SZ letzthin wieder veröffentlicht hat. Die SPD kann sich weder glaubhaft zur Agenda bekennen - zu offensichtlich sind ihre Irrtümer, zu stark sind Basis und Stammwähler dagegen - noch kann sie sich von ihr abwenden, denn was dann geschieht, hat man in der causa Beck gesehen.

6. Der innere Widerspruch

Dazu kommt, dass die nach außen zur Schau gestellte Einigkeit der SPD eine Farce ist. Die Basis ist in weiten Teilen gegen die Politik der Parteiführung, nur gibt es keine Alternative. Beck brummelt noch im Hintergrund, die Partei ist in drei Richtungen fragmentiert, die sich gegenseitig bekämpfen (Linke, Netzwerker und Seeheimer). Dazu kommt, dass die derzeitige Führung der SPD eigentlich eine Partei innerhalb der Partei darstellt, sich nicht an deren Beschlüsse gebunden fühlt und eine Politik vertritt und ausübt, die mit dem Parteiwillen und vor allem dem Parteiselbstverständnis nur wenig zu tun hat. Das einzige Scharnier, das diese Schattenpartei mit ihrem Rumpf zusammenhält, ist Müntefering, der immerhin ihre Sprache spricht, auch wenn seine Versprechungen und Phrasen immer hohler werden.

Diese sechs Punkte sind nur eine Bestandsaufnahme, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Es scheint, als ob es keinen Ausweg für die Partei gibt. Aber den gibt es. Er ist das Gegenteil dessen, was Müntefering will. Der Weg heißt: Opposition.

Dienstag, 9. Juni 2009

Buchbesprechung: Hildegard Hamm-Brücher - Demokratie, das sind wir alle

Das Grundgesetz ist dieses Jahr 60 Jahre alt geworden. Für viele Persönlichkeiten besonders der Politik war dies ein Grund zu feiern und die Überlegenheit dieses unseres Systems herauszustellen. Zu den Feierlichkeiten fanden sich genügend Menschen ein, die das Grundgesetz, auf dem unsere Demokratie fußt, sicherlich nicht eingeladen hätte. Welches Vergewaltigungsopfer lädt schon seine Täter? Diese Fragen rücken aber in die Ferne. In dem vorliegenden Buch, für das sich das FDP-Urgestein Hildegard Hamm-Brücher verantwortlich zeigt, die die Republik aktiv von 1949 bis 1994 begleitet hat (im letzten Jahr als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, das dann Roman Herzog errungen hatte), kommen Zeitzeugen der demokratischen Entwicklung zu Wort.

Die erste dieser Zeitzeugen ist dabei Hamm-Brücher selbst, die in einem sehr langen Beitrag die Geburtswehen der Bundesrepublik beschreibt und anhand ihres Beispiels, wie schwierig es damals für Frauen war, an der politischen Gestaltung Anteil zu haben. Doch ihre Beschreibung hört in den Trümmerjahren der Republik längst nicht auf. Die Zeit der 1960er Jahre mit der Großen Koalition und dem folgenden Machtwechsel zu Willy Brand, der Reinigung der FDP von den damals noch in Hülle und Fülle vorhandenen rechten und rechtsradikalen, häufig antisemitischen Elementen, ihr programmatischer Schwenk mit den Freiburger Thesen 1971 und letztlich der Verrat von 1982, den sie opponierte und letztlich dann doch mitmachte. Hamm-Brücher hat genügend Abstand zum Tagesgeschäft, als dass sie glaubwürdig darüber schweben und sich Gedanken allgemeiner Art machen kann.

Gleiches kann man beispielsweise von Egon Bahr behaupten. Bahr war Mitarchitekt der Ostverträge, Direkter des RIAS und hat von daher die Teilung hautnah erlebt und kann viel von dem berichten, was in den 1960er und 1970er Jahren zu ihrer Überwindung getan wurde. War Hamm-Brüchers Blick noch hauptsächlich auf die Innenpolitik konzentriert, widmet sich Egon Bahr mehr der Außenpolitik im Spannungsfeld zwischen Fremdbestimmung und Souveräntität.

Weitere Autoren, die mit größerer Distanz zu ihrem Wirken schreiben und dabei natürlich auch versuchen, am eigenen Mythos zu stricken, sind Hans-Dietrich Genscher und Jutta Limbach, die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Sie haben sich zweifellos Verdienste erworben und wissen es auch, in deren Licht zu argumentieren. Daran ist nichts Verwerfliches, ihre Ansichten sind interessant.

Eine jüngere Generation findet Repräsentation in Franziska Augstein und Norbert Frei. Erstere ist als Journalistin schon häufig positiv aufgefallen und schreibt scharfsinnig; Frei ist Historiker, der mir bis zur Lektüre des Buchs nicht bekannt war und mit dem ich mich zu beschäftigen auch nach der Lektüre keinen besonderen Drang verspüre. Zu flach seine Thesen, zu wenig historisch fundiert sondern durch seine eigenen tagespolitischen Überzeugungen geprägt bewegt er sich in einem schwammigen Graubereich, aus dem herauszumanövrieren ihm nicht gelingt und weswegen er zur Erhellung des Lesers nicht beizutragen weiß.

Problematisch wird das Buch dann wenn Autoren zu Wort kommen, die den Dunstkreis der gerade jetzt äußerst kontroversen Tagespolitik noch nicht verlassen haben und deswegen versuchen, die Geschichte stark in ihrem Sinne zu schreiben, Geschichte zudem, die von echten Historikern bisher noch unbeührt ist, da die Erfahrungen deutlich zu frisch sind. Dazu gehören Kurt Biedenkopf, der glaubt, Soziale Marktwirtschaft im Sinne der Neoliberalen neu definieren zu müssen, dazu gehört Horst Köhler, der an seiner eigenen Legende strickt, dazu gehört Joachim Gauck, der die Geschichte der DDR im Alleingang zu schreiben versucht und seiner Nachfolgerin Birthler Schützenhilfe gibt.

Besonders diese letzten Aspekte sorgen für einen düster-ambivalenten Gesamteindruck des Buchs. Aufrechte Demokraten sind es leider nicht immer, die hier zu Wort kommen, das kann man Biedenkopf und Konsorten beileibe nicht zugutehalten. Auch wird der Titel „Demokratie, das sind wir alle“ nicht wirklich einbezogen: Zeitzeugen plaudern mit unterschiedlicher moralischer Intention über ihre Zeit, aber sind wir das alle? Ist das Demokratie? Solche Fragen werden leider nicht beantwortet, weswegen der Wert des Buches ein halbierter bleiben muss.

Die verpassten Chancen

Dass die SPD bei den Kommunal- und Europawahlen die wahren Tiefen ihres "Fahrstuhls" nach unten weiter ausloten würde war mir von vornherein klar. Auch dass die CDU über 35% oder die FDP und Grünen über 10% bleiben würden war abzusehen, daran hat auch der sicher bald vergessene Skandal um Koch-Mehrin nichts geändert. Es war auch abzusehen, dass die LINKE ein nur schlechtes Wahlergebnis einfahren würde. Ihr will ich meine Aufmerksamkeit in diesem Artikel widmen, denn beim Rest ist ohnehin Hopfen und Malz verloren. Deswegen zu Beginn nur kurz zu den anderen fünf Parteien:
Die CDU hat, wie immer, einen solide-inhaltsleeren Wahlkampf geführt. Patriotismus (und bei der CSU Türkenfeindlichkeit) und Merkel sowie die Schwäche der SPD waren die treibenden Elemente des Wahlkampfs. Entsprechend ist das Ergebnis: ein Verlust, aber vor der relativen Schwäche der SPD und wegen des Hauptnutznießers FDP, dem strategischen Partner, nicht ernst zu nehmen.
Die FDP hat weniger gut abgeschnitten als die Umfragen suggerierten, was ebenfalls keine große Überraschung ist: das Herumgegüllnere kann eben nicht darüber hinwegtäuschen, dass die FDP in keinster Weise eine Antwort zu bieten hat und derzeit hauptsächlich Protestwähler der CDU abzieht, die noch viel weniger einen kompetenten Eindruck zu erwecken weiß.
Die SPD versuchte den Spagat zwischen Krisenmanagern und Wahlkämpfern und scheiterte erwartungsgemäß. Gleichwohl ihre "[Gegenstand] würde [Partei] wählen"-Plakate von einem nicht zu verachtenden Witz und einer neuen Frische waren, konnte die gesamte Kampagne sich ihrer zwitterhaften Verharrung nicht verbergen: was die SPD fordert, weil der Zeitgeist es zu erfordern scheint, ist nicht aufrichtig. Niemand in der SPD-Chefetage steht hinter diesen Forderungen, und auf den Krisenmanager-Plakaten, wo Schulz und Steinmeier paradierten und staatsmännisch dreinblickten, wurde dies auch allzu offenkundig.
Die Grünen fuhren zu Recht den größten Erfolg bei dieser Wahl ein. Ihre Kampagne war jugendlich und sie vertraten als einzige echte Inhalte mit ihrem Programm des Green New Deal, dessen relativ komplexe Zusammensetzung sie in dem Slogan "Wums" zusammenfassten (Wirtschaft und Umwelt, menschlich und sozial). Sie vereinten viele Stimmen der gebildeten, unter 40jährigen auf sich.
Die LINKE denn hat sich ihr schlechtes Wahlergebnis absolut selbst zuzuschreiben. Im besten "Ein Opa für Europa"-Stil wurde Bisky, großväterlich von Plakaten blickend, Spitzenkandidat, ohne dass man irgendwie wüsste, für was er stünde oder was es rechtfertigen würde, ihm seine Stimme zu geben. Tatsächlich gibt es auch nichts, was dies rechtfertigt; offenkundig wurde hier nur ein störendes Alt-Element der PDS entsorgt. Die Plakatierung in weiß auf blau war zwar eine nette Abwechslung zum sonst dominierenden hässlichen gelb auf rot, aber die Assoziation zur Europafahne erfuhr ich aus der Zeitung. Erschlossen hat sie sich mir nicht. Auf den kleinen Wahlplakaten, von denen immerhin eine vernünftige Anzahl geklebt worden war, fanden sich in großen Lettern Slogans, die zwar mehr Inhalt hatten als die der CDU, SPD und FDP zusammen, aber dieses Merkmal mit denen der Rechtsextremen teilten - ebenso wie ihre äußerliche Form. Plattitüden wie "Millionäre zur Kasse" oder "Raus aus Afghanistan" klingen nach den Republikanern, nicht nach einer Partei, die irgendwelche Lösungen für die Krise anzubieten hätte oder wüsste, was sie nach einer erfolgreichen Wahl eigentlich tun soll. Es sind klar Werbephrasen einer Oppositionspartei, die auch entschlossen ist, dort zu bleiben. Die absolut mangelhafte graphische Gestaltung der Plakate (Text unter den Phrasen, der selbst für direkt vor den Plakaten Stehende schwierig zu lesen ist) tut da ihr Übriges.
Was soll das? Wer ist für diese Kampagnen verantwortlich? Gerade die LINKE hatte allerlei Bedürfnisse, denen der Wahlkampf überhaupt nicht entsprach. Man wirft ihnen billigen Populismus vor, Verweigerung der Verantwortung, Sektiererei - anstatt diese Vorwürfe offensiv anzugehen und sie zu widerlegen, was wirklich möglich wäre, da sie zumindest teilweise unbegründet sind, bestätigt man sie auf jedem Plakat. Eine Partei, die auf diese Art und Weise agiert, weist jeden Gestaltungsanspruch von sich. Ich habe absolut keine Lust, eine solche Partei zu unterstützen, denn sie ist nur eine Alternative zu dem restlichen Mainstream, weil der sich bislang als Einheitsfront präsentiert hatte.
Bei der Europawahl haben sich die Grünen erstmals wieder als Gegenalternative empfohlen. Wie ernstzunehmen das ist, bleibt abzuwarten. Die SPD jedenfalls bleibt offenkundig unwählbar. Allzu offensichtlich ist die Diskrepanz zwischen Wort und Tat, und zu den Stümpern der CDU und FDP, die dank jahrzehntelanger freundlicher Medienberichterstattung von einer völlig unverdienten Aura der Kompetenz und Standhaftigkeit umgeben sind, ist ganz zu schweigen.

Gerechtigkeit sieht anders aus

Dienstag, 2. Juni 2009

Du bist Terrorist



Mit Bericht in der Zeit.

Fundstück

Fefe hat darauf hingewiesen, dass bei SpOn eine großartige Satire auf "vuzg", die Kurzform von "von und zu Guttenberg" erschienen ist. Liest sich super, und ich denke dass vuzg das Zeug hat sich zu etablieren :)

Montag, 1. Juni 2009

Maybrit Illner vom 28.05.2009 - Kritik

Ich habe mir gerade die Sendung Maybrit Illner vom 28.05.2009 angesehen, in der es hauptsächlich um Wirtschaftspolitik geht. Gäste waren Guttenberg, Lafontaine, Jörges (Stern-Chefredakteur), Hoeneß (Bayern-Manager) und Precht (Schriftsteller). Der Fixstern der Sendung war dabei Guttenberg, dessen Wirtschaftspolitik gewissermaßen auf dem Prüfstand stand. Entgegen sonstigen Gepflogenheiten war Lafontaine eher eine Randfigur; das Interesse an ihm hat sich mit der Akzeptanz der Forderungen der LINKEn deutlich reduziert, weil er kein so krasser Gegenpol mehr ist.
Sie Sendung bewegte sich häufig entlang an Detailfragen (hauptsächlich die Opelrettung) und streifte nur selten Systemfragen. Das war durchaus so beabsichtigt, denn einmal bürstete Illner einen Hinweis Lafontaines auf einen Antrag der LINKEn mit dem Hinweis ab, dass diese ja "immer Grundsatzfragen" stelle, und auch Jörges tat sein Bestes, die Diskussion immer wieder zerfasern zu lassen. Er betätigte sich eigentlich die gesamte Sendung als Stichwortgeber und Jubel-Perser Guttenbergs und kann von daher vernachlässigt werden; etwas anderes hat man von ihm auch nicht zu erwarten. Precht fiel in dieser Sendung die Rolle zu, die sonst immer Lafontaine hatte, nämlich die Systemfrage zu stellen. Lafontaine war das nicht erlaubt, weil die anderen Diskussionsteilnehmer inklusive Moderator immer auf die Einzelfragen zurückkamen, was bei Precht nicht der Fall war. Diesem fehlte jedoch eine tatsächliche Vision oder konkrete Vorstellung, und man lauschte seinen zwei Wortmeldungen auch artig, um sie danach zu ignorieren.
Interessant muss für uns die Performance von Guttenberg sein, der ja einer der ersten war, die in der endlosen Reihe der Obama-Vergleiche einen abbekam (in der Sendung haben sie mit Klinsmann als Obama meiner Meinung nach die Messlatte mal wieder höher gelegt). Es ist tatsächlich so, dass sich Guttenberg sehr gut schlägt. Er hat klare fachliche Defizite und ist deutlich ideologiegeprägt, aber das war von Anfang klar. Als Einziger der Großkoalitionäre ist er aber in der Lage sich auszudrücken und Lafontaine tatsächlich Paroli zu bieten. Man kann ihm zuhören; das er hat er dem ganzen Rest der Bande deutlich voraus. Ein Mensch, der Massen begeistert ist er sicher nicht, und dank solcher Hündchen wie Jörges ist ihm zwar ein Gutteil der Presse gewogen und er erhält kaum Kritik, aber letztlich ist es immerhin möglich, unterhaltsame Debatten mit ihm zu bekommen. Ich gehe davon aus, dass seine Thesen in einem Zweier-Gespräch zerlegt worden wären, aber Lafontaine konnte praktisch nie eine direkte Erwiderung führen - häufig wurden zwei, einmal sogar drei weitere Statements zwischengeschaltet, so dass die Diskussion wieder bei einem völlig anderen Thema war, als Lafontaine wieder an der Reihe war, was denke ich beabsichtigt war.
Überhaupt finde ich, dass diese Form der Talkshow wenig ergiebig ist. Da sitzen sechs Leute, und nur zwei haben wirklich etwas zu sagen. Jörges hätte man weglassen können, denn er hat nichts Substanzielles beigesteuert, was Hoeneß in der Sendung zu suchen hatte verstehe ich absolut nicht und auch Precht redete ziemlich viel Unsinn. Dafür, dass er der große Freigeist der Runde sein wollte, redete er ziemlich viel Mist; beispielsweise warf er Lafontaine "Postkutschen-Verstaatlichungsideen" vor, um dessen Meinung abzuqualizieren - nachdem er in seinem vorherigen Wortbeitrag eigentlich mit ihm auf einer Linie lag. Bemerkt zu haben schien er das nicht, hauptsache mal wieder LINKE gebasht. Auch dass Jörges mit seiner Umfrage durchkam, nach der 2% der Deutschen der LINKEn Wirtschaftskompetenz zutrauten ist ein Armutszeugnis für Illner, denn was solche Umfragen taugen hat Mogis gerade eindrucksvoll bewiesen. Auf diesem Niveau kann man nicht diskutieren, aber für eine echte Diskussion ist Jörges auch der falsche Mann, gleichwohl er einen eindrucksvollen Auftritt hinlegt, das muss man ihm lassen.

Richtig bedenklich fand ich allerdings eine ganz andere Tendenz, die in der Sendung deutlich wurde. Es begann damit, dass natürlich wieder Parteien-Bashing betrieben wurde, indem man den Wahlkampf als großen Übeltäter ausmacht. Precht bot die ganze Spitze davon, indem er vorschlug, dass die Wahl um zwei Jahre verschoben werden solle, damit man erst mal die Probleme lösen könne. Zustimmung aller Orten, man war nur traurig, dass es wohl nicht realpolitisch umsetzbar sei. Selbst Lafontaine protestierte nur schwach. Später wurde noch vorgeschlagen, eine Kommission einzusetzen, die nach der Wahl eine verpflichtende, abzuarbeitende Reform-Agenda abarbeiten solle - auch hier aller Orten Zustimmung.
Ich finde dies absolut bedenklich, ich kann mich da nur wiederholen. Die Parteien und die Wahlkämpfe, ja die gesamte öffentliche Auseinandersetzung gehören zum politischen System der parlamentarischen Demokratie. Diese beständige Herabwürdigung der Parteien und Verachtung der Wahlkämpfe, die sich durch fast alle Bevölkerungsschichten und vor allem die Medien, ja teilweise sogar die Parteien selbst zieht, ist in höchstem Maße gefährlich. In Diskussionen wie dieser wird der Graben immer weiter vertieft. Dabei trifft die Medien, wie sie hier von Jörger repräsentiert wurden, eine erhebliche Mitschuld, denn sie sind es, die das ganze Wahlkampfgetöse erst richtig breittreten. Würden sie einfach einmal darauf verzichten den gesamten eingefahrenen Raum der rituellen Beleidigungen unter den Parteien so viel Platz zu widmen und stattdessen kritischer sein, würden die Parteien auch nicht gezwungen sein, so furchtbar plakative Aussagen zu machen. Aber das ist vermutlich Wunschdenken.

Nachtrag: Auch die NDS haben was zu Guttenberg.