Donnerstag, 11. November 2010

Melvyn Krauss' willkürlicher Feldzug für Deutschland

Von Stefan Sasse

In der gestrigen FTD findet sich ein Gastartikel des emeritierten VWL-Professors Melvyn Krauss (New York/Stanford), in der dieser den US-Finanzminister Geithner dafür angreift, seinerseits Deutschland angegriffen zu haben. Zur Erinnerung: Geithner beklagte, dass Deutschlands hohe Exportüberschüsse Ungleichgewichte schüfen (ebenso wie die Chinas) und Deutschland seine Binnennachfrage stärken solle. Natürlich - das konzediert Krauss auch zu Recht - steckt dahinter das US-Eigeninteresse, seinen eigenen seit Jahren darniederliegenden Exportsektor zu stärken und so vielleicht endlich wieder in die Nähe einer ausgeglichenen Handelsbilanz zu kommen. In weiten Teilen aber ist Krauss' Kritik vollständig irregeleitet. 

Die Deutschen haben allen Grund, wütend zu sein. Da ziehen sie den Karren der Euro-Zone praktisch allein aus dem Rezessionsdreck - und ernten nur Kritik. Und das bloß, weil die deutsche Lokomotive von Exporten angetrieben wird, nicht von der Inlandsnachfrage. Aber wen interessiert, was die Deutschen tanken, solange der Karren läuft?
Es ist nicht egal, was die Deutschen tanken. Um im Bild zu bleiben: würden wir plötzlich wieder anfangen, verbleites Benzin zu tanken, wäre das schlecht für die Umwelt, in der alle leben. Klar würden die deutschen Autos damit laufen. Aber was ist mit denen, die kein Auto haben? Oder mit den Nachbarn, die unverbleites Benzin nutzen, das dann vielleicht entsprechend teurer ist? Schnell würde der deutsche Karren dann auf Kosten seiner Nachbarn laufen und dabei noch Europa ruinieren. Und genau das ist das, was die deutsche Volkswirtschaft derzeit tut. Die deutschen Exporte profitieren ungemein von der Währungsunion, denn sie verhindert die eigentlich längst fällige Aufwertung der deutschen Währung in Parität zu den restlichen europäischen Währungen. Der Dollar wertet ab, weil er nach allen Regeln der Markwirtschaft abwerten MUSS. Natürlich ist das eine Entwicklung, die den Amerikanern gelegen kommt. Derzeit aber zieht Deutschland den Karren aus dem Rezessionsdreck, indem es die Währungsunionspartner davor spannt und die Peitsche schwingt.
Offene Türen rennt Geithner in Berlin nicht ein. Dass Deutschland seinem Druck nachgibt, steht nach den Äußerungen von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) nicht zur Debatte: Geithners Idee sei ein "erschütternder Rückfall in planwirtschaftliches Denken".
Dass Brüderle so etwas sagt ist in etwa eine so große Neuigkeit als wenn ein LINKE-Politiker der Regierung soziale Kälte attestiert. Brüderles intellektueller Horizont ist der eines Mannes, der sich den Schirm seiner Mütze tief ins Gesicht gezogen hat und wundert, warum es eigentlich so dunkel ist.
Außerdem wäre eine höhere Neuverschuldung kontraproduktiv - die deutschen Verbraucher würden mehr Geld sparen, statt es auszugeben. Zu groß wäre ihre Sorge vor noch größeren Haushaltsdefiziten in der Zukunft. Die Deutschen müssten also bloß ein riesiges Haushaltsdefizit ausbaden, während Washington vergeblich auf mehr Exporte nach Europa wartete.
Wer Tugendhaftigkeit bestraft, leistet der Sünde Vorschub. Wird Deutschland dafür abgekanzelt, zu wettbewerbsfähig zu sein, kann das seine Ambitionen und die der anderen Euro-Länder untergraben. Der Euro sollte die Schwachen stark machen, nicht umgekehrt.
Das ist ein so großer Quatsch, dass man nur den Kopf schütteln kann. Den Luxus zu sparen haben in Deutschland nur unwesentlich mehr Menschen als in den mit einer hohen Sparquote nicht eben gesegneten USA. Und der Durchschnittsdeutsche, der seine Sparentscheidung von dem Haushaltsdefizit des Bundes abhängig macht, muss erst noch geboren werden. Ein solches Verhalten existiert vielleicht im Reagenzglas des volkswirtschaftlichen Elfenbeinturms, innerhalb eines mathematisch einwandfrei durchgerechneten wirtschaftswissenschaftlichen Modells - mit der Realität hat es indessen nichts zu tun. 
Deutschland würde deswegen auch nicht dafür abgekanzelt, zu wettbewerbsfähig zu sein - das tut ja gar niemand. Hinter den Forderungen nach einer Stärkung der Binnennachfrage steht die Senkung des Exportanteils am gesamten volkswirtschaftlichen Aufkommens, nicht die Senkung des Exports insgesamt. Es geht um ein Wachstum des gesamten Kuchens, indem man die Seite der Binnennachfrage stärkt - von einer Schwächung des Exports redet überhaupt niemand. Deutschland könnte danach immer noch genauso wettbewerbsfähig exportieren und die Monstranz des starken Exportsektors vor sich her tragen. Alles, was es tun soll ist, Ungleichgewichte abzubauen. Dazu wäre es übrigens auch gesetzlich verpflichtet.
Geithners Vorschlag ist aus einem weiteren Grund schlecht: Er behandelt Handelsüberschüsse oder -defizite als "externe Schieflagen", die einer Korrektur bedürfen. Ausländische Ersparnisse zu importieren ist aber gut, sofern diese wertschöpfend eingesetzt werden - etwa in Forschung und Entwicklung. Ob dem so ist, zeigt ein Blick auf die Handelsbilanz allein aber nicht.
Außerdem wird Deutschlands Exportüberschuss ausgeglichen - von den Ersparnissen, die die Deutschen im Ausland investieren. Ob das gut ist oder schlecht, hängt davon ab, ob es zu einer effizienteren Verteilung der globalen Ersparnisse im Allgemeinen führt. Für sich genommen sagt der Exportüberschuss wenig aus.
Hier hat Krauss wieder Recht. Tatsächlich sagt der Exportüberschuss per se nichts darüber aus, ob die Wirkung segensreich ist oder nicht. Nur verhält er sich scheinheilig, wenn er so tut, als ob wir es bezüglich des deutschen Exportüberschusses nicht wüssten. Denn weder wurden ausländische Ersparnisse in Deutschland in Forschung und Entwicklung eingesetzt, noch wurde der deutsche Kapitalexport effizient verteilt. Stattdessen sorgte das Ungleichgewicht in der deutschen Außenhandelsbilanz dafür, dass eine absurde Menge liquiden Kapitals entstand, das Anlagemöglichkeiten suchte und, wenig überraschend, nicht fand (wie auch, wo so viele Länder Netto-Importeure waren). Entsprechend "sinnvoll" wurde das Geld auch angelegt; der Finanzcrash von 2007/8 entsprang ja genau diesem Kapitalüberschuss. 
Krauss' Schilderung ist deswegen vor allem ein plakatives Beispiel für die Schieflage in den Wirtschaftswissenschaften. Auf Basis theoretischer, vollkommen abstrakter Modelle, die mit der Wirklichkeit nicht nennenswert in Bezug stehen, wird eine reale Politik empfohlen. Das ist absurd. Melvyn Krauss sollte das nächste Mal einen Blick aus seinem Elfenbeinturm hinauswerfen, bevor er glaubt, zur Verteidigung Deutschlands ausrücken zu müssen. Andererseits hat Karl May seine phantastischen Geschichten ja auch geschrieben, ohne Amerika je gesehen zu haben. Nur erwartet da niemand, dass das Oeuvre irgendwelchen Realitätsbezug haben müsste. 

1 Kommentar:

  1. Preaching to the faithful (was die Leserschaft dieses Blogs angeht) - dennoch muss es natürlich immer wieder gesagt werden.

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