Sonntag, 31. Januar 2010

Viva la Republica de las Bananas!

Spätestens seit dem Mövenpick-Deal und dem Solarenergie-Deal ist es für alle Zweifler amtlich, dass die FDP eigentlich nur ein riesiger Haufen käuflicher Gesetze mit angeschlossener Parteistruktur und Abgeordnetenbüros ist. Die Apologeten der Freiheit sind die Hartgeldhuren der Republik und verdingen sich stets an den Meistbietenden, wobei sie ihr pratentiöses Geschwätz von gestern etwa so viel angeht wie mich morgen das weiße Zeug, das gerade draußen vom Himmel fällt. Aber die FDP war die längste Zeit ihres Bestehens ein korrupter Haufen, dass die CDU sich inzwischen in ähnliche Tiefen begibt ist eine jüngere Entwicklung. Ich denke, man kann ohne im Geringsten zu übertreiben sagen, dass schwarz-gelb gerade vier Monate gebraucht hat um zu zeigen, dass sie die schädlichste, inkompetenteste und zu allem Überfluss auch korrupteste Regierung ist, die Deutschland je hatte.
Wenn Helmut Kohl zwischen seinen Phasen der Ehrenwort-Demenz noch Zeit hat, fällt ihm vielleicht manchmal die Kinnlade herunter. Sein Kirch-Deal war im Vergleich ja wirklich ein Witz, die Parteispendenaffäre damals Peanuts verglichen mit dem, was Westerwelle und seine Spießgesellen vor aller Augen mit Rafferlächeln einstreichen und es rotzfrech auch noch in Ordnung nennen. Die damalige Bande hatte wenigstens noch so viel Anstand, es heimlich zu machen weil sie wussten, dass es schmutzig ist. Aber das ist heute nicht mehr nötig. Ich warte auf den FDP-Parteitag mit Preisschildern. Man möchte die ganzen 14,6% nehmen, die dieser Bande im September ihre Stimme gegeben haben, und sie heftig am Kragen schütteln. Wie bescheuert musste man sein, diesen Dünnbrettbohrern, diesen Heißluftproduzenten, diesen Immobilienmaklern in eigener Sache auch noch den Segen durch die eigene Stimme zu geben? Jetzt habt ihr alle den Salat.
Aber klar, wir haben ja die sozialdemokratisierte Union, die, Wunder über Wunder, doch ihre Wähler behalten will und deswegen im Windschatten einer im Zerfall stehenden SPD und einer ohnehin weit abseits von jedem guten Geschmack operierenden FDP nur nett schauen muss, um ein wahrer Leuchtturm zu sein. Aber das wird sich nach der Landtagswahl im Mai ganz schnell haben. Wenn die Bande ihre Pfründe in Sicherheit weiß, und derzeit spricht dank der NRW-SPD auch wenig dagegen, dann wird sie schon bestätigt werden und dann auch mit abgreifen können. Im Raffen vereint, so werden sie dann dastehen, die schwarz-gelben, eventuell verstärkt durch die Grünen, wird man dann ja sehen. Eins ist sicher - so lange Verbrecher regieren, werden keine Geschäfte mit Verbrechern gemacht. Das ist immerhin Kontinuität, da kann man sich behaglich zurücklehnen und im Freilandexperiment beobachten was passiert, wenn man den Gaunern die Strafverfolgung überlässt.

Und jetzt entschuldigt mich, ich muss zur Bank, eine Parteispende an die FDP absetzen, damit sie mich nicht für den Artikel verklagen. Sollte ja nicht allzu teuer werden.

UPDATE: Heribert Prantl schreibt zur CD-Affäre.

Samstag, 30. Januar 2010

Comeback für das Personal der Sozialdemokratie?

Die SZ berichtet, dass in Deutschland die erste Gründung eines linken Thinktanks ansteht. Gründer sollen Hermann Scheer, Andrea Ypsilanto, Katja Kipping und andere Mitglieder von rot-rot-grün sein; man will einen Gegenentwurf zum Neoliberalismus entwickeln. Ich finde das höchst erfreulich; wenn die Initiative Erfolg hat, was ich ihr wirklich wünsche, entsteht vielleicht doch bis 2013 eine Alternative zu GroKo und Schwarz-gelb. Mal sehen was man in Zukunft davon hört; ich habe gerade leider keine Zeit mehr dazu zu schreiben. Was denkt ihr? Hat das Ding Chancen?

Dienstag, 26. Januar 2010

Oettinger qualifiziert sich als neue Außenwelle



Yes, Sir!

Fundstücke

Feynsinn weist auch darauf hin, aber das ist ein zu großer Leckerbissen um nicht darauf aufmerksam zu machen.

UPDATE: Noch einige weitere Fundstücke: die SZ schaut sich in einem Artikel sehr genau an, wer eigentlich wie viele Parteispenden von wem bekommt, in der Welt findet sich ein beachtenswerter Artikel gegen die herrschende Ökonomenzunft, und im SpOn findet sich ein Artikel über Lafontaines Abgang, der so bescheuert ist, dass er schon wieder als grandiose Realsatire durchgeht.

Sonntag, 24. Januar 2010

Zitat des Tages

Die CSU warnte vor einem Zusammengehen von SPD und Linker. "Viele Genossen träumen nach dem Rückzug Oskar Lafontaines aus der Bundespolitik von einer Vereinigung von SPD und Linke", erklärte der Parlamentsgeschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller. Dies erinnere an die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED. (SpOn)
Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal Fresse halten.

Wie weit links ist Volks?

In einem an sich recht ausgewogenen Kommentar zum Lafontaine-Rücktritt spekuliert Daniel Brössler in der SZ auch über die Zukunft von SPD und LINKEn. Zu Recht stellt er fest, dass die SPD nicht darauf zu hoffen braucht, dass die LINKE sich selbst zerlegt. Ich vermute dass Brössler Recht hat wenn er sagt, dass die Partei vom Zenit aus abwärts schaut, jetzt da Lafontaine geht. Für vollkommenen Unsinn halte ich aber die Behauptung, es sei der SPD nicht möglich, das Vakuum auszufüllen, das ihr Abschmelzen hinterlassen würde.
Die Argumentationslinie Brösslers ist sattsam bekannt: wenn die SPD versucht, inhaltlich in die Lücke vorzustoßen, die der Wegfall der LINKEn hinterlassen würde, gäbe sie "die Mitte" auf und würde ultimativ Wähler verlieren. Das ist aber Unsinn, denn Brösslers Argumentation zerlegt sich selbst. Zum einen erkennt er, dass die SPD ohnehin bereits auf einem gigantischen Tief angekommen ist - ein noch tieferer Absturz ist eigentlich kaum mehr denkbar. Zum anderen erklärt er auch, dass die LINKE-Wähler nicht von selbst verschwinden werden (bzw. ihre Themen) und dass diese nicht die SPD wählen würden, selbst wenn die LINKE nicht mehr wäre. Daraus folgt, dass das Wahlpotential der LINKEn (also rund 15%, plus die vielen Nichtwähler) der SPD prinzipiell zugänglich wären, würde diese endlich ihren unsinnigen "Mitte"-Kurs verlassen, den Schröder einst gegen Lafontaine durchgesetzt hat. Auf der anderen Seite wäre das maximale, was die SPD verlieren könnte, die 23% der letzten Bundestagswahl, unterstellt, dabei handele es sich um die so genannte "Mitte". Es wäre also im katastrophalsten Fall ein Nullsummenspiel - und der wird kaum eintreten, weil die Mentalität des Wählers so einfach nicht ist (ein Problem, dem ich mich in einem zukünftigen Beitrag noch zu widmen gedenke).
Das heißt, die SPD kann mit einer Öffnung nach links (die wegen der breiten Unterstützung der dort angesiedelten Positionen eigentlich die Mitte ist) nur gewinnen. Das würde natürlich nicht von jetzt auf nachher passieren - unglaublich viele Wähler sind von der Sozialdemokratie zutiefst enttäuscht und entweder zur Konkurrenz gewechselt oder, darin hatte Müntefering durchaus Recht, schlicht zuhause geblieben. Es besteht für die SPD großes Potential, das aber derzeit brach liegt und bei Verfolgung des aktuellen Kurses nicht nur weiter brachliegen wird, sondern mit der Zeit auch schmilzt. Menschen, die früher SPD gewählt haben, also in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren, und die das heute nicht mehr tun, sehen in den anderen vier Parteien häufig keine Alternative. Sie gehen gar nicht mehr zur Wahl, weil es keinen Sinn macht - der SPD zur Juniorpartnerschaft mit der CDU oder gar zu einer Ampel zu verhelfen macht schlicht keinen Sinn. Erst, wenn die SPD bereit ist, eine Alternative zu sein, wird sie zur Wahl auch wieder interessant, und das ist das, was all diese Kommentoren vergessen. Die aktuelle Positionierung der SPD im politischen Niemandsland wird bereits weit erfolgreicher von Merkels CDU und Westerwelles FDP betrieben, und auch die Grünen wildern bereits erfolgreich in diesen Gefilden. Was sollte die SPD dort gewinnen? Was für ein Profil könnte sie entwickeln, das sie in dieser intellektuellen Brachlandschaft attraktiv macht? Ich kann mir keines vorstellen.

Samstag, 23. Januar 2010

Scheuklappen in Sicht

Es ist manchmal echt traurig zu sehen, wie jemand mit ideologischen Scheuklappen verzweifelt versucht, die Wirklichkeit auszublenden und in gewohnten Bahnen zu argumentieren. Hervorragend studieren lässt sich das gerade an Thomas Öchsner, SZ-Autor, der trotz leichten Ekelgefühls für Koch und seine Hartz-IV-, nun, nennen wir sie einmal "Vorschläge", in die Bresche springt. Er verkündet, dass Koch nicht einfach nur hetzt, obwohl er genau weiß, was das Volk will (als Beleg hält die Wahl von 1999 her, die von 2008 wird einfach ignoriert), sondern eine "dringend notwendige Debatte über die Grundsicherung" anstößt.
Dringend notwendige Debatte über die Grundsicherung, da schrillen doch alle Alarmglocken. Öchsner rutscht auf einer Schleimspur um Kochs Aussagen herum und versucht so viel davon zu rehabitilieren wie möglich, bevor er dann feststellen muss, dass die Forderung nach härteren Sanktionen dämlich ist. Aber nicht vergessen, Koch ist gut. Nach diesem intellektuellen Salto Mortale wendet sich Öchsner der "dringend notwendigen Debatte über die Grundsicherung" zu. Er stellt fest, dass es schlicht nicht genug Stellen gibt, als dass mehr Druck auf die Arbeitslosen sinnvoll wäre (oblgeich das Hauptargument bleibt, dass die Sanktionen eh schon hart genug sind und "klare Gesetze" notwendig sind, damit die Sozialgerichte nicht jede zweite Klage kassieren können - als ob das deren Hobby wäre...), sondern dass es sich nicht "lohnt", für eine niedrig bezahlte Arbeit viele Stunden arbeiten zu gehen. Damit hat er Recht, der gute Öchsner.
Es lohnt sich seiner Meinung nach nicht, weil Zuverdienste fast vollständig auf ALG-II angerechnet werden und weil, nota bene, auch schlicht nicht viel mehr rumkommt als mit Hartz-IV. Damit sind wir am Knackpunkt angekommen, und Öchsner spürt es, schreibt es sogar, versteckt in Nebensätzen: Arbeit in diesem Lohnsegment lohnt sich nicht, weil sie zu schlecht bezahlt ist. Punkt. Sie ist dreckig, anstrengend, und sie ist beschissen bezahlt. Klar will das keiner machen, was aber eh nicht der Punkt ist, weil die Wirtschaft nicht gerade an zu vielen offenen Stellen leidet, wie er ebenfalls eingesteht. Es entsteht gewissermaßen ein Gerechtigkeitsproblem, weil der stereotypische hart arbeitende Familienpapa kaum mehr bekommt als der stereotypische faule, vor der Glotze saufende Hartzi. Die logische Konsequenz, da das ALG-II nicht weiter gesenkt werden kann (es fehlt nicht einmal der obligatorische Verweis auf das ausstehende BVerfG-Urteil, das voraussichtlich die Höhe der Sätze als zu niedrig ausweisen wird), heißt Lohnsteigerung. Das logische Mittel für den Niedriglohnsektor heißt Mindestlohn.
Nur passt der dummerweise nicht ins Bild. Mindestlohn, das ist sozialistisches Teufelswerk. Da wird man bei der SZ-Wirtschaftsredaktion wahrscheinlich fristlos entlassen, wenn man das positiv konnotiert. Kriegt eine mit der Fliegenklatsche von Marc Beise, keine Ahnung. Auf jeden Fall erkennt auch Öchsner dieses Dilemma. Und was tut er?
Ein Alleinverdiener mit einem Durchschnittsverdienst oder darunter hat netto, wenn überhaupt, nur wenige hundert Euro mehr in der Tasche als die vergleichbare Hartz-IV-Familie. Selbst Mindestlöhne würden daran nichts ändern. Das Geld allein kann so kaum als Anreiz dienen, eine Arbeit aufzunehmen.
Aha. Würde also nichts ändern. Ich hab das Zitat nicht verkürzt, mehr findet sich zum Thema bei Öchsner nicht. Er verrät uns das "Warum" nicht. Ist auch irgendwo überflüssig, weil Marc Beise schon mit der Fliegenklatsche wartet und die Scheuklappen so bequem sitzen.

Freitag, 22. Januar 2010

Afghanistan, Volksparteien und der ganze Rest

Allmählich geht mir die Schönschreiberei und "Ich kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche"-Rhetorik in den Mainstreammedien zum Thema Afghanistan echt tierisch auf den Keks. In der aktuellen SZ ist schon wieder so ein Beispiel: weil die SPD jetzt, vornehmlich aus wahltaktischen Gründen, einen Abzug zwischen 2013 und 2015 fordert, gerät die Autorin völlig aus dem Häuschen, salbadert von Volkspartei und Oppositionskurs, und erklärt wie generell brandgefährlich so eine Festlegung ist. Immerhin, er verwendet nicht ein einziges Mal das Wort "Populismus", das muss Selbstbeherrschung gekostet haben.
Ernsthaft: als ich schrieb, dass die Forderung "Sofort raus aus Afghanistan" Unsinn ist und dafür so herbe Kritik geerntet habe, hatte ich im Kopf dass wohl mindestens ein Jahr notwendig ist, um halbwegs vernünftig aus Afghanistan abzuziehen. Dass eine Forderung, in drei bis fünf Jahren abzuziehen für SZ-Autorin Susanne Höll mit "jetzt" übersetzt werden könnte, habe ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Wenn dieser Zeitraum als "jetzt" gilt, ja, dann bitte seid gestern abgezogen.
Ich möchte Frau Höll nichts unterstellen, aber mal zum Mitschreiben: 2013 bis 2015, veranschlagen Steinmeier und Gabriel. Dann wird die Bundeswehr zwölf beziehungsweise vierzehn Jahre am Hindukusch sein. Was, in aller Welt, glauben die Befürworter des Einsatzes eigentlich noch gewinnen zu können? Einen Blumentopf? Den spendier' ich ihnen. Was man in zehn Jahren mit Militär in einem Land nicht schafft, bekommt man auch in vierzehn nicht hin, ganz besonders dann nicht wenn das Militär gegen Rebellen mit selbstgebastelten Bomben und AKs antritt, also gewissermaßen mit Schießpulver gegen Steinzeitmenschen. Die NATO-Militärmaschinerie ist den afghanischen Rebellen (die hierzulande immer noch eilfertig als "Taliban" subsumiert werden, weil es dann in Ordnung ist, sie abzuknallen) dermaßen grotesk überlegen, dass sie eigentlich schon längst hätte gewonnen haben müssen, besonders weil sie im Gegensatz zum sowjetischen Einsatz ja nicht einmal von einer anderen Supermacht aufgerüstet werden.
In Deutschland rechtfertigt man den Einsatz meist mit dem zivilen Aufbau, inzwischen genügt meist ein Verweis auf die Bündnispflichten oder das Brechstangenargument, dass über den Abzug zu diskutieren nur den Taliban hilft. Ja doch, sicher. Die Unsinnigkeit dieses Vorwurfs erkennt Höll immerhin, und sie verweist darauf dass es für Steinmeier, sollte er 2013 Kanzler werden (aber klar) dann ein "Glaubwürdigkeitsproblem" geben könnte, sollte er den Termin dann doch nicht halten können, er hätte dann "sein Wort gebrochen". Oh nein, und wenn er den Abzug ankündigt und in der Legislaturperiode dann nicht macht nicht? Wenn ich mir die Liste der gebrochenen Wahlversprechen ansehe, die schwarz-gelb allein in den ersten vier Monaten akkumuliert hat und nach denen kein Hahn kräht frage ich mich langsam wirklich, was diese völlig überzogene Aufmerksamkeit auf das "Wort" von Politikern soll, das ja nicht einmal ein Versprechen, sondern eine Absichtserklärung ist. Wer hätte denn je einen Politiker nach dem gemessen, was er in der Opposition gefordert hat? Das tut man ja nicht einmal Westerwelle an.
Völlig widersinnig aber ist der Vorwurf, die SPD würde mit einem solchen Abzugsbegehren ihren Volksparteistatus aufs Spiel setzen. Erstens hat sie den gar nicht, und zweitens wüsste ich nicht wie anders als so man bei einer Ablehnungsrate des Einsatzes in der Bevölkerung von 70-80% man sich als "Volkspartei" bezeichnen will. Aber diese Frage wird nicht gestellt, "Volkspartei" heißt in diesem Milieu oft nur "vertreten was wir für richtig halten".
Deshalb: hört endlich auf, mit Scheuklappen über Afghanistan zu reden, als hinge die Existenz der westlichen Welt von diesem Land ab. Fast niemand versteht Afghanistan wirklich, und wir sind dort offensichtlich nicht gewollt. Der Einsatz verfolgt keinen Sinn mehr, er produziert nur Leichen, Kosten und Skandale. Aber ich vermute eh, dass die SPD sich bald verwundert die Augen reibt, weil Guttenberg einen Abzug zwischen 2011 und 2013 ankündigt und die Medien sich dann vor Begeisterung über die Weitsicht und Größe dieses einzigartigen Politikers überschlagen. Bestimmt auch Susanne Höll.

Dienstag, 19. Januar 2010

Buchbesprechung: Der Kalte Krieg - Wie die Welt den Wahnsinn des Wettrüstens überlebte

Spiegel-Artikel können eine sehr zählebige Sache sein. Nachdem sie in den regulären Heften erschienen sind, kann man sie thematisch sortiert in einem Sonderheft zusammenfassen. Nachdem das passiert ist, kann man ein Buch daraus machen. Und dann noch ein Taschenbuch. Diese Entwicklungsreihe scheinen die Spiegel-Artikel rund um den Kalten Krieg auch mitzumachen, das Taschenbuch fehlt allerdings noch. Zur Rezension liegt dereit das Hardcover vor, das im Großen und Ganzen die Artikel aus dem Spiegel-SPECIAL ohne die Bilder, dafür aber in Leseanfängergroßschrift enthält.

Der Kalte Krieg war eine der gefährlichsten Epochen der Menschheitsgeschichte. Die Spezies Mensch stand am Abgrund, jederzeit bereit, sich gegenseitig mit Atomwaffen auszulöschen. Dass es so lange nicht passierte, nahm der Gefahr nicht ihre Realität, wohl aber der Perzeption derselben. Heute, aus der Retrospektive, scheint MAD (Mutual Assured Destruction, also die gesicherte gegenseitige Zerstörung durch Nuklearwaffen) erneut eine gangbare Strategie zu sein, etwas, das die Welt sicher machen kann. Dass die Kubakrise kein Betriebsunfall, sondern eher der erwartete Fall war, der nur durch Glück vermieden wurde, ist kaum in das Bewusstsein gedrungen. So erscheint die Epoche des Kalten Krieges heute oft als Goldenes Zeitalter, in dem der Russe als Feind gleich an der Elbe stand und das Wirtschaftswunder mit den Plattenbauten konkurrierte. Wie gänzlich anders ist es gewesen! Wie notwendig wäre es, mit den zahllosen dummen Klischees aus der Kalter-Kriegs-Ära aufzuräumen! Und wie überflüssig muss ein Buch sein, das seine Aufgabe darin zu sehen scheint, diese Klischees hauptsächlich noch einmal abzuspulen?

Diese Frage stellt man sich beim Lesen immer wieder. Letztlich bleibt das Spiegel-Buch intellektuell auf dem Stand eben des Kalten Krieges, nur dass die Autoren dankenswerterweise das Ende schon kennen. Neuigkeiten? Fehlanzeige. Erkenntnisse der historischen Forschung der letzten 20 Jahre? Ach, wer braucht denn so was, wenn man mal wieder die Story von den Rosinenbombern erzählen kann? Irgendwo da draußen muss es ein Publikum geben, das sich in nichts lieber als der x-ten Version dieser zur Guido-Knopp-Pathosmahnmal geronnenen Erinnerung zu suhlen weiß. Warum nur? Ein Mehrwehrt ist aus diesem Buch nicht auszumachen, nicht im Geringsten. Allein die Überschriften kranken an der typischen Spiegel-Krankheit, das Fehlen des emotionalen Elements, das bei Guido Knopp in dem Einspielen der immer gleichen pathetischen Musik besteht, mit möglichst reißerischen Überschriften zu kompensieren. Beispiele gefällig? Es fängt beim Untertitel des Buches an, „Wie die Welt den Wahnsinn des Wettrüstens überlebte“, „Ruf nach Freiheit“ über die Aufstände im Ostblock der 1950er Jahre, „Das Schicksal der Welt“ über die Kubakrise, „Panzer gegen Ideen“ für die Tschecheslowakei, „Showdown im Dschungel“ für den Vietnamkrieg und „Die Wunderwaffe – Jazzmusiker als subversive Botschafter des Westens“. Man glaubt Fanfaren, Tusch und Trommelwirbel und die kernige Nachrichtensprecherstimme gleich mit im Ohr zu haben.

Natürlich ist das Buch nicht vollständig mies, einige Artikel brechen aus dem Schema aus und bieten tatsächlich etwas wie kritische Untertöne oder Informationen mit Neuigkeitswert, etwa wo es um die Rüstungslobby geht. Doch insgesamt dominiert der Anekdotenhafte, unkritische Stil mit so deutschlastiger Perspektive, dass es wehtut, viel zu sehr.

Zu allem Überfluss fehlen in der Buchversion auch noch die Bilder, die dem Spiegel-SPECIAL-Heft wenigstens einen Hauch von Daseinsberechtigung liehen. Bitte, bitte nicht kaufen – die 20 Euro sind anderweitig wirklich weit vernünftiger angelegt.

Bewertung

Die SZ will eine Bewertung für das schwarz-gelbe Gruselkabinett haben. Geben wir ihr eine. Klickt hier und legt los!

Sonntag, 17. Januar 2010

Wettbewerb

Angesichts seines neuesten Werks rufe ich einen Wettbewerb aus: der erste, der einen vernünftigen Artikel von Marc Beise findet und hier in den Kommentaren verlinkt, bekommt einen Preis.

Buchbesprechung: Einigkeit und Recht und Wohlstand

Die Bundesrepublik feierte 2009 ihr 60jähriges Bestehen, der Mauerfall jährte sich zum 20. Mal. Für die jüngere deutsche Politikgeschichte ist dies ein langes, stabiles Bestehen, das entsprechend feier- und auch kritikwürdig war, ist doch selten alles Gold, was glänzt. Leider wurde diese Gelegenheit selten ergriffen, stattdessen ging das Jahr in albernen, klischeebeladenen und selbstreferentiellen Feiern vorbei, war von schlechten Dokumentationen und hastig zusammengeschriebenen, anspruchslosen Büchern durchsetzt. Umso mehr sticht der von Heribert Prantl und Robert Probst erstellte Jubiläumsband, der in der Süddeutschen Zeitung / Bibliothek erschienen ist, aus dieser tristen Masse heraus.

Der optisch ansprechende Band ist in mehrere Sektionen gegliedert, die sich jeweils miteinander abwechseln: von nur wenig Text erläuterte großformatige Bilder („Orte der Demokratie“) alternieren mit nur wenig bebilderten Essays. Die Essays umfassen zwischen einer und drei Seiten und sind damit angenehm lesbar. Die Essays sind zudem lose in verschiedene Überthemen eingeordnet: Grundgesetz, Neubeginn, Familie, Parteien, Wirtschaft, DDR, Bundeswehr, Kirche, Bildung, NS-Vergangenheit, Integration, Außenpolitik, Umwelt, Bürger und Staat, Kultur und Politik, Gesellschaft und Politik. Am Ende findet sich dann noch eine Karikaturensammlung von 1949 bis heute. Eingangs des Buches wird die Entstehung des Grundgesetzes genau beleuchtet, so etwa der Verfassunskonvent vom Chiemsee, die in nur 13 Tagen einen Entwurf ablieferten, der bayrische Einfluss auf den Entwurf, die bereits damals auftretende Blockademacht der Ministerpräsidenten und vieles mehr. Später lernen wir die Familie der BRD unter sprachhistorischem Gesichtspunkt kennen, erfahren wie die Parteien die Macht an sich banden und wie KPD und SRP verboten wurden. Die Begeisterung für sozialistische Ideen vor 1949 wird thematisiert, wie die Bundeswehr unter zivile Oberherrschaft gestellt wurde, wie der Asylstreit der 1990er Jahre radikal mit der Vergangenheit brach und Deutschland zu einem Einwanderungsfeindlichen Land machte, wie die Außenpolitik sich veränderte, wie die Umweltbewegung begann und vieles mehr. Hervorzuheben ist auch, dass die Themen sich nicht auf eine bestimmte Epoche konzentrieren, sondern stattdessen alle Jahrezehnte zu ihrem Recht kommen lassen und damit den Anspruch des Buches auf eine umfassende Darstellung legitimieren.

Ich liste die Themen deswegen so minutiös auf, weil aus dieser Aufstellung klar wird, dass „Einigkeit und Recht und Wohlstand“ nicht auf dem ausgetretenen Pfad der reinen Jubel-Rückblicke wandelt, auf denen vor dem Zerrspiegel der DDR die BRD-Geschichte in rosigsten Farben als eine einzige Erfolgsstory gemalt wird. Das Wirtschaftswunder wird kritisch analysiert und erklärt, die Rolle der Kirchen in der Adenauer-Zeit beleuchtet, die zunehmende Repression im Rahmen der Studentenproteste und des RAF-Terrors beleuchtet, der fehlende Umgang mit der Nazi-Zeit bemängelt und und und. Es ist diese Seriosität, die „Einigkeit und Recht und Wohlstand“ – allein der Titel ist brillant – über die Masse seines Bastardgeschwister erhebt. Es gelingt den Autoren auf dem wenigen Platz, der ihnen zur Verfügung steht, tatsächlich tiefe Einblicke zu erlauben oder scharfe Analysen abzuliefern – oder schlicht eine Geschichte zu erzählen, die die Deutschen treffend charakterisiert, etwa die über die proletarische Familie Kaninchenzüchter in der weißgottwievielten Generation.

Es fehlt vollständig jener einseitig wertende Touch, jener hochnäsige Überlegenheitsdünkel, der so viele „Dokumentationen“ über die BRD auszeichnet. Für diese Leistung darf man Heribert Prantl und Robert Probst dankbar sein und sie dadurch ehren, dass man ihr Buch kauft.

Samstag, 16. Januar 2010

Fundstücke

So, heute abend mal noch vier Fundstücke:

Der Vorsitzende vom CC schreibt eindringlich über die neuesten Netzwerkentwicklungen, Schlecker bescheißt in großem Stil das Arbeitsamt, FDP und CSU wurden mir Rekordspenden für die Hotelmehrwertsteuersenkung geschmiert und Oberst Klein hat gelogen.

Manchmal hilft nur ein Schuss Naivität

Überraschend schwache Konjunktur: Dieses Jahr wächst die Wirtschaft nur um 1,5 Prozent - und lässt keinen Spielraum für Steuersenkungen. Mittlerweile tendiert auch die FDP zu einer Verschiebung der Entlastungen.
- SZ
Nein, tatsächlich? Ausgerechnet die Freiheitlich-Demokratische Umfallerpartei? Nein, wer hätte denn auch mit so einer Entwicklung gerechnet! Eine Wirtschaftskrise? Man muss schon sagen, das kommt überraschend. Da hätte vor der Wahl echt keiner mit rechnen können! Wie naiv kann man sich eigentlich geben? Wie unglaublich naiv? Ich hätte die Schlagzeilen lesen wollen, wäre die LINKE jetzt an der Regierung und hätte auf illusionären Wirtschaftswachstum irgendwelche sozialen Wohltaten versprochen! Da würde es bei dieser grundnaiven Einführung wie zu dem Artikel oben sicherlich nicht reichen, das garantiere ich persönlich...


Freitag, 15. Januar 2010

Große Afghanistankoalition

Ich hatte mir schon überlegt, dass es strategietechnisch für die Union Sinn machen würde, die SPD für Afghanistan ins Boot zu holen. Ich hätte aber nicht damit gerechnet, dass dies in diesem politischen System so offen (also abseits des derzeit nicht nötigen Vermittlungsausschusses) möglich wäre. Nun aber passiert genau das: Merkel bittet die SPD - also deren Fraktionsvorsitzenden Steinmeier - um eine Zusammenarbeit in Fragen Afghanistanmandat, um wie es heißt "Parteiengezänk" zu vermeiden.
Aus Perspektive Merkels und Steinmeiers ist das ideal: weiter wird der immer mehr in die Kritik geratende Einsatz aus der parlamentarischen Diskussion herausgehalten. Dass das Gabriels neuen Kurs total torpediert ist Steinmeier dabei natürlich egal. Jetzt rächt es sich, dass man es ihm erlaubt hat, den Posten des Fraktionsvorsitzenden zu behalten. Der Steinzeitkurs mit der Nulldiskussion über Afghanistan soll verlängert, jede Kritik vermieden werden. Es ist Zeit, Steinmeier endlich abzusägen - nötigenfalls auf die richtig brutale Weise durch direkte Abstimmung. Es könnte der erste Test für den "Basiskurs" der SPD sein, den Gabriel gerade proklamiert. Nur glaube ich irgendwie nicht dran.

Montag, 11. Januar 2010

Leckerli Bürgergeld?

Laut IZA würde eine sofortige Umsetzung der Reform die öffentlichen Haushalte mit zusätzlich 40 Milliarden Euro belasten. Grund sei, dass der Anreiz für Erwerbstätige mit geringem Einkommen, ihren Job aufzugeben und stattdessen das Bürgergeld in Anspruch zu nehmen, steige. "Es werden faktisch keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern in der Summe Erwerbsanreize zerstört", sagt IZA-Direktor Klaus Zimmermann.
- Rheinische Post
Es geht um den Vorschlag der FDP, 662 Euro Bürgergeld anstelle aller Sozialleistungen herzunehmen. Man, das sind ja Reichtümer! Klar häng ich da meinen Job an den Nagel. Herr Zimmermann, mit Hartz-IV kriegt man effektiv mehr.

Samstag, 9. Januar 2010

Zwei Fundstücke

Einmal via Hebel: ein großartiger Artikel in der SZ, der sich für die Einstampfung des Political-Correctness-Begriffs einsetzt.

Einmal via K&K: endlich wissen wir, wer wirklich an der Finanzkrise schuld ist: der Jude. *facepalm* Manche lernen es echt nie...

Mitleid mit der FDP

Ich muss ehrlich sagen, ich habe gerade Mitleid mit Westerwelle und Konsorten, menschliches Mitleid, kein politisches. Man muss sich deren Situation mal vor Augen führen (gerne auch genüsslich): da dampfplaudern diese Spaßpolitiker ein Jahrzehnt lang und müssen feststellen, dass ihre Politik ausgerechnet von rot-grün und schwarz-rot durchgeführt wird, alle Medien klatschen Beifall zu ihren geistigen Ergüssen und doch interessiert sich eigentlich niemand ernsthaft für das, was da aus der gelben Ecke kommt. Ergo entsteht ein veritabler Minderwertigkeitskomplex, und um sich überhaupt noch von der Politkonkurrenz abzuheben, muss man das (sehr) kleine Einmaleins der neoliberalen Reformer nur umso härter runterbeten, ganz nach dem Motto: was fiecht mich die Realität an. Das funktioniert super, weil alle Medien diesen berechtigten Vorwurf der Konkurrenz auf der anderen Seite des Spektrums machen. Dazu kommen steigende Wahlergebnisse und Umfragewerte, die Leute klatschen in der Talkshow statt zu lachen, da geht doch die liberale Sonne auf. Nur regieren darf man nicht, und dann hat der olle Soze Müntefering auch noch das passende Motto "Opposition ist Mist" selber gefunden, anstatt dass es Westerwelle am Dreikönigstreffen hätte verkünden können. Böse Zungen behaupten natürlich, dass ihm ein so origineller Satz nicht eingefallen wäre und wenn, dann hätte er ihn rhetorisch kaum so rübergebracht.
Und jetzt ist die FDP an der Macht, mit dem besten Ergebnis für die Partei ever. Und dann kommt da zuerst diese eklige Wirklichkeit und macht ihnen ihre Träume kaputt, und dann dreht sich plötzlich die versammelte Journaille, die sie vorher so verehrt hatte um und zeigt ihnen die kalte Schulter, bevor die arme FDP feststellen muss, dass nun sie die Exkremente dieses Berufsstandes abbekommt, was angesichts der eingenommenen Position auch nicht weiter verwundert. Einen Grund dafür gibt es aus FDP-Sicht eigentlich nicht: sie macht genau das Gleiche wie vorher, furchtbaren Unsinn verkünden nämlich. Nur plötzlich wird nicht mehr geklatscht, sondern gelacht, wie zu besten 18%-Spaßparteizeiten. Und kritisiert dass sich die Balken biegen. Die CDU steht kaltlächelnd daneben und sieht seriös aus, während sich die FDP auflöst wie der Schutthaufen, der von einem durchschnittlichen Kindergeburtstat übrig bleibt wenn die Gäste heimgegangen sind. Wäre nicht die CSU, die FDP müsste sich ernsthaft Sorgen machen.
Echt arme Schweine, die Jungs. Sie haben unser Mitleid verdient. Niemand hat ihnen gesagt, dass sich die Regeln geändert haben, und von Hui auf Pfui in weniger als drei Sekunden ist echt nicht fein. Aber was will man machen, nicht wahr?

Dienstag, 5. Januar 2010

Zitat des Tages

Der frisch gebackene Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel verdankt der Schweinegrippe zumindest sein erstes Erscheinen in den Medien. Niebel will afrikanischen Staaten 13 Millionen Euro Entwicklungshilfe für deren Schweinegrippeimpfprogramme zur Verfügung stellen. Gerade so, als ob es in Afrika keine dringlicheren Probleme und keine gefährlicheren Krankheiten als die Schweinegrippe gäbe. Man könnte von dem Geld ganze Landstriche gegen Diphterie, Tetanus oder Keuchhusten impfen. Einem geschenkten Gaul schaut man aber nicht ins Maul – da kann man nur abwarten, wann Niebel endlich einen nationalen Hilfsplan zur Bekämpfung von Adipositas für Afrika südlich der Sahara aufstellt.

- Jens Berger, Spiegelfechter

Großartig. :)

Samstag, 2. Januar 2010

Anfängerkurs Parteiengeschichte der BRD

Manchmal hat man das Gefühl, den hätte die Journaille dringend nötig:
Wenn sie [CSU und SPD, Anm. d. Autors] ihren Absturz nicht bremsen können, wird das Machtgefüge, wie es sich nach dem Krieg austariert hat, nachhaltig durcheinandergeraten. In SPD und CSU stehen zwei von drei Volksparteien auf der Kippe.
- Stefan Braun, SZ
Jungs, zum Mitschreiben: dem ersten deutschen Bundestag gehörten neun (!) Parteien an. Diese Zahl reduzierte sich bis in die 1960er Jahre durch die Integrationskräfte der CDU und die Marginalisierung der KPD auf drei; sie stieg 1983 auf vier und 2005 auf fünf. In den Landtagen gilt dieses Schema ohnehin nicht; dort sind häufig mehr und andere Parteien vertreten. Ich weiß, dass es Braun um das Drei- bzw. Viertparteiensystem geht, das den meisten Menschen als "natürlich" erscheint, es aber schlicht nicht ist. Prinzipiell ist das Fehlen einer sechsten Bundestagspartei, die das rechtskonservative Spektrum abdeckt eigentlich nur der Unfähigkeit dieser Klientel zuzuschreiben, eine mit der LINKEn vergleichbare Alternative aufzustellen; das Chaos der Freien Wähler, die gescheiterte Verbürgerlichung der NPD oder der rapide Untergang der Schill-Partei zeigt das deutlich. Ihr wenn auch zeitlich begrenzter Erfolg zeigt, dass es Potential für eine solche Partei gibt; und ich rechne auch mit einem Erscheinen innerhalb der nächsten zwei oder drei Legislaturperioden, sollten die Volksparteien es nicht aus irgendeinem Grund schaffen, stärkere Integrationskräfte zu beweisen, wofür ich aber gerade keinen Anlass sehe.

Auflösung der Voraussagen 2009

Im Dezember 2008 habe ich euch aufgerufen Voraussagen über 2009 zu machen; sehen wir mal, was davon eingetroffen ist!

WAHLEN:
- Die Wahl in Hessen bringt eine schwarz-gelbe Mehrheit. Das äußerste, was sie sonst bringen könnte wäre eine von Koch geführte Große Koalition, die TSG auch eingeht, wenn er die Chance dazu hat. Haben wir Recht gehabt.
- Horst Köhler bleibt Bundespräsident. Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier begrüßen die Wahl. Kommt hin.
- Die Europawahl wird verheerend für die Volksparteien ausgehen und eine niedrige Wahlbeteiligung aufweisen. Die CDU wird sich um die 33% verorten können, die SPD bei etwa 23%, die CSU schafft knapp den Sprung über die 5%-Hürde. Die CDU war besser als erwartet; aber als Gesamtbetrachtung kann man das stehen lassen.
- Die Wahl in Thüringen lässt die CDU als stärkste Kraft, dicht gefolgt von der LINKEn. Die SPD wird stark abgeschlagen. Es kommt zu einer Großen Koalition unter Führung der CDU. Manchmal hasse ich mich dafür, dass ich Recht hatte.
- Die Wahl im Saarland lässt die SPD ganz knapp vor der LINKEn. Stärkste Fraktion wird die CDU, die eine Große Koalition mit der SPD anführt. Ergebnis richtig, aber nicht die Folgerung. Mit Jamaika hatte ich ehrlich gesagt null gerechnet, aber damals war uns der Grünen-Chef auch noch ein unbekannter.
- Die Wahl in Sachsen lässt die SPD bei unter 10%, die LINKE als stärkste Fraktion. Es kommt zur kleinsten Großen Koalition aller Zeiten, natürlich unter Führung der CDU. Nein, reichte für schwarz-gelb. Aber die Ergebnisse passen.
- Bei der Bundestagswahl reicht es nicht für schwarz-gelb oder rot-grün. Die FDP verschließt sich einer Ampel, die Grünen Jamaika. Die Große Koalition wird fortgeführt. Merkel und Steinmeier sprechen von einem klaren Wählerauftrag und loben die Arbeit der letzten Jahre. Gelobt wurde, aber es reichte für schwarz-gelb, die Voraussagen von damals, denen wir nicht vertraut hatten, haben sich doch bewahrheitet. War auch überraschend deutlich, das Ergebnis.
- Die Wahl in Brandenburg lässt die SPD stark absacken, CDU und LINKE legen zu. Es kommt zur Großen Koalition unter Führung der CDU. OK, offensichtlich lag hier der größte Mangel der Wahlvoraussagen. Die SPD hat praktisch nicht verloren, aber die CDU drastisch; wir haben Rot-Rot.

POLITIK:
- Die organisierte Bedeutungslosigkeit der deutschen Politik wird sich nicht wesentlich ändern. Richtig.
- Schäuble und Zypries werden weitere Gesetze gegen die Bürger und Grundrechte verabschieden, solange sie noch die Möglichkeit dazu haben. Stimmt nicht, gegen Ende hat der Wahlkampf sie ausgebremst.
- Die Probleme der Sozialpolitik bleiben ungelöst. Stimmt.
- Die so genannte "Politikverdrossenheit" wird weiter zunehmen. Dies wird sich nicht in den Wahlergebnissen äußern (die werden sich nicht mehr großartig von den aktuellen Prognosen unterscheiden), sondern vielmehr in einer allgemeinen Apathie, die den Funktionärsgestalten der Großen Koalition natürlich zugute kommt. Ist sogar schlimmer geworden.
- Es wird auch 2009 außerhalb der LINKEn keinen Politiker geben, der durch Visionen oder Charisame auffallen würde. Die sind langsam auch innerhalb der LINKEn Mangelware.

WIRTSCHAFT:
- Es wird keine echten, funktionsfähigen Konjunkturpakete geben. Stattdessen werden ständig kleine Programme aufgelegt, die nur Geld kosten und dazu verpuffen, um einzelnen Branchen, deren Lobbyisten am erfolgreichsten in Berlin vorsprechen, das Geld in den Arsch zu blasen. Ich sag nur Hotelmehrwertsteuersenkung....
- Dafür wird aber konsequent weiter darauf verzichtet, irgendwelche Experten anzuhören. Man wird einzig und allein mit Lobbyisten konferieren. Eventuell wird Hans-Werner Sinn hinzugenommen. Richtig. Und die sind sogar alle gegen die Regierung! Eine so einhellige Ablehnung hätte ich nie erwartet.
- Die Wirtschaft wird 2009 in eine tiefe Rezession schlittern. Da die Bundesregierung außer herabhängenden Mundwinkeln nichts zu bieten haben wird, wird es Entlassungen geben. Diese belasten dann den Haushalt (genauer: den Sozialhaushalt), was alle Mitglieder der Regierung überraschen und vollkommen unvorbereitet treffen wird. Nein, die blieb bisher aus.
- Es wird wieder fette Bonuszahlungen für Manager geben. Ohja.
- Den Banken wird es gut gehen. Zumindest den meisten.

MEDIEN:
- Die großen Medien werden weiter kürzen, um Geld zu sparen. Die Qualität der Formate wird darunter leiden. Richtig.
- Weitere Journalisten werden auf den Zug der Merkel-Kritiker aufspringen, ohne dass dies großartige Konsequenzen hätte. Ebenfalls passiert.
- Es wird im Netz leise Verwerfungen geben. Die großen Medien werden an Bedeutung verlieren, kleine Medien an solcher gewinnen, wenn sie die Möglichkeiten der Netzkultur zu nutzen wissen. Sehe ich noch nicht.
- Blogger werden an Bedeutung leicht zunehmen, aber immer noch ein Randphänomen bleiben. Dito
- Die meisten Leute werden immer noch der Ansicht sein, durch die Massenmedien gut, unparteiisch und umfassend informiert zu werden. Wohl.

Freitag, 1. Januar 2010

Replik "Warum die demographische Entwicklung für die Rentenfinanzierung eben doch ein Problem wird"

Ein Gastbeitrag von Jürgen Voss.


Der Beitrag von Jan Knittel zu Stefan Sasses Ausführungen zur Rentenversicherung unter dem Titel „Warum die demographische Entwicklung…..“ ist einer der wenigen sachlichen Beiträge zu dieser Thematik, die ich als Statistiker und Sozialversicherungsfachmann seit langem gelesen habe. Knittel stellt die Problem der Rentenversicherung im Umlageverfahren korrekt dar (Arbeitsplatzverluste, „zu viele“ ältere Menschen, Wachstumsfinanzierung, die sog. Produktivitätsthese usw.).

Dennoch sind seine Schlussfolgerungen bezüglich der Demographie nicht richtig. Warum?

Wenn eine Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren in Schwierigkeiten kommt, die arbeitsmarktbedingt, wachstumsbedingt und ideologisch (z. B. durch das Lohnnebenkostendogma des neoliberalen Ansatzes) bedingt sind, dann kann eben nicht auf die Demographie verwiesen werden, denn das hieße ja, das mit einem Mehr an jungen Menschen die Schwierigkeiten verschwänden. Paradoxerweise steigen sie sogar noch, da die Verknappung des Arbeitsangebotes gerade die nachwachsende Erwerbstätigengeneration voll trifft, dort Sozialleistungen ( ALG I und II oder gleich Sozialhilfe) notwendig macht, die ebenfalls die Sozialabgabenlast und die Steuerlast erhöhen (wie zur Zeit).

Wäre die Demographiethese korrekt, müssten alle Länder mit guten Relationen „jung zu alt“ glänzend finanzierte Renten haben, in der Türker liegt z. B. das Verhältnis jung (erwerbsfähig) zu alt bei 11 zu 1, in Ägypten bei 14 zu 1. Wenn aber von den Erwerbsfähigen nur ein Teil erwerbstätig ist, und davon wiederum nur ein Teil sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, muss jedes Umlageverfahren in Schwierigkeiten kommen. Dies gilt übrigens auch für die Krankenversicherung und alle anderen Zweige der Sozialversicherung: Der arbeitslose junge Mensch bleibt als „Risiko“ erhalten, Beiträge fallen aber nicht an

Stefan wollte mit seinen Zahlen nur die These des Bevölkerungswissenschaftlers Mackenroth beweisen; dass eine Volkswirtschaft alle Sozialleistungen nur in der Periode finanzieren kann, in der sie anfallen, also aus dem gegenwärtigen Bruttoinlandsprodukt. Keine Volkswirtschaft kann 40 oder mehr Jahre im Voraus sparen. Auch das Geld einer Privatversicherung mit Kapitaldeckung ist bei Eintreten des Rentenfalls längst „umgelegt“, die Deckung bringt das Kapital des „nachgewachsenen“ Beitragszahlers. Auch der braucht einen Arbeitsplatz, um seine Beiträge zu entrichten. Alle ökonomischen Schwierigkeiten treffen auch das Kapitaldeckungssystem mit voller Wucht, von den Unsicherheiten des Kapitalmarktes ganz zu schweigen..

Der Unterschied der beiden Systeme besteht lediglich darin, dass bei der Privatversicherung die Leistung (nach Abzug des Profits der Versicherung, der erheblich ist), exakt den Einzahlungen plus Verzinsung entspricht, dass also die Zahl der Leistungsempfänger, die nie eingezahlt haben, absolut null ist. Während die Zahl der Rentenempfänger, die nie eingezahlt haben und trotzdem eine auskömmliche Rente bekommen, erheblich ist (deshalb übrigens der hohe Bundeszuschuss). Schätzungen liegen bei über 50% der Empfänger (ehemalige DDR-Bürger, Aussiedler, Polen nach dem deutsch-polnischen SV-Abkommen, Witwen usw.) Auch Leistungen wie Frühverrentung, Erwerbsunfähigkeitsrenten, vorzeitiger Eintritt in die Rente wegen Schwerbehinderung, Rehabehandlung usw., kennt die Privatversicherung nicht. All diese Leistungen müssten zusätzlich versichert werden.

Die klassische Rentenversicherung, wie wir sie seit 1957 kennen, ist ein umfassendes Altersversorgungssystem, dessen Zielsetzung ist, nicht nur auskömmliche Renten sondern auch – so dumm das klingen mag – sozialen Frieden zu sichern, durch die Solidarität von jungen zu alten (Arbeitnehmern), aber auch von mehr Verdienenden zu weniger Verdienenden. Die Alternative würde bei manchem Beitragszahler im Alter – sofern er über Jahrzehnte hohe Beiträge entrichtet hat – (vielleicht) eine höhere Rendite ergeben, sie würde aber auch bedeuten, dass wir 10 Mio. Sozialhilfeempfänger mehr hätten.

Aber wie gesagt: Die Schwierigkeiten, die Jan Knittel andeutet, sind vorhanden und können nicht geleugnet werden, nur: sie sind nicht demographischer sondern ökonomischer und ideologischer (!) Natur. Sie sind deshalb nur politisch und nicht demographisch lösbar.

Warum die demographische Entwicklung für die Rentenfinanzierung eben doch ein Problem wird

Ein Gastbeitrag von Jan Knittel.

Nicht selten wird von den Gegnern der privaten Rentenversicherung ins Feld geführt, dass die demographische Entwicklung für eine umfassende Reform des Rentensystems kein Argument sei, da „zu Bismarcks Zeit […] 12 Arbeiter auf einen Rentner“ kamen, während es „unter Ludwig Erhard noch sieben“ waren, die Verfechter einer Rentenreform also die Produktivitätssteigerung außer Acht ließen. Im Kern lautet die Botschaft also, dass Dank der Produktivitätssteigerung in Zukunft auch 3 Arbeiter in der Lage sein werden, das notwendige Geld für die Versorgung der verdienten Mitbürger zu erwirtschaften.


Dem muss in zweierlei Hinsicht widersprochen werden. Zunächst einmal, das weiß jeder der sich seine Gehaltsabrechnungen genauer anschaut, zahlen die Beschäftigten regelmäßig Rentenversicherungsbeiträge, welche dem Grundgedanken des Umlagesystems entsprechend den aktuellen Rentnern zukommen. Ein Blick auf die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung verdeutlicht allerdings, dass diese Beiträge lediglich etwas über 70% des gesamten Finanzierungsvolumens stellen, das zur Ausbezahlung aller Rentner anfällt. Der große Rest wird aus Steuermitteln finanziert. Die Mit-Finanzierung der Rente aus Steuermitteln, deren Anteil am Gesamtvolumen der Rentenversicherung seit den 90ern stetig erhöht werden muss, ist eine logische Konsequenz, wenn das Gleichgewicht zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern nicht mehr gegeben ist.

Insofern muss hier zumindest ein Finanzierungsproblem diagnostiziert werden. Offenbar möchte man die Rentenbeiträge nicht erhöhen, was in einem Umlagesystem doch zunächst die logische Konsequenz aus fehlenden Einzahlungen sein müsste. Folglich ist es also doch so, dass man den Beitragszahlern eine weitere Belastung durch die Erhöhung des Beitragssatzes nicht zumuten will/kann. Ein solches Umlageverfahren, das nur über eine erhebliche Bezuschussung dauerhaft funktioniert, widerspricht sich schon im Kern enorm und ist in dieser Form sicher auch nicht mehr als reines Umlageverfahren zu bezeichnen.

Als zweiten Punkt möchte ich zur „steigenden Produktivität“ als Heilmittel zur Rentenfinanzierung ein paar Worte sagen. Denn hier liegt nach meinem Erachten keine Kausalität vor, weshalb es nicht als selbstverständlich gesehen werden kann, dass auch 3 Beitragszahler einen Rentner ausreichend versorgen werden.

Unter der Produktivität wird das Verhältnis von Output zu Input verstanden. Wenn also eine Produktivitätssteigerung vorliegt, bedeutet das durch weniger Input etwas mehr Output erzeugt werden kann, oder konkret: dass weniger Beitragszahler ein paar mehr Rentner unterhalten können. Schauen wir uns einmal an wie das möglich sein soll. Über die Beiträge wird es nicht möglich sein, da hier bei weniger Beitragszahlern entweder der Beitragssatz oder die Bruttogehälter deutlich steigen müssten, was aus verschiedenen Gründen getrost als nicht umsetzbar abgetan werden darf. Somit bleibt die Erkenntnis: der Anteil der Bundeszuschüsse an der Rentenversicherung muss überproportional steigen (in diesem Fall kann man dann aber nicht mehr von einem Umlagefinanziertem System sprechen).

Wenn Stefan nun von Produktivitätssteigerung spricht, meint er damit den Fakt, dass auch weniger Erwerbstätige in der Lage sein werden ein konstantes Wirtschaftswachstum zu erreichen und dementsprechend auch ein steigendes Steueraufkommen entsteht. Das ist sicher richtig. Dennoch warne ich inständig davor, die Finanzierung unseres Staates auf das ständige Wachstum unserer Volkswirtschaft auszulegen. Denn Wachstum im volkswirtschaftlichen Sinne bedeutet eine Mehrproduktion an geldwerten Leistungen. Wenn diese Leistungen (wie einige Branchen kürzlich schmerzlich erfahren mussten) aufgrund von Überkapazitäten am Markt nicht mehr abgesetzt werden können, findet auch kein Wachstum mehr statt. Und wie soll die Bevölkerung in Zeiten gleichbleibender oder sogar sinkender Reallöhne Wachstum generieren? Schon jetzt muss Deutschland auf die Karte Export setzen um überhaupt noch Wachstum generieren zu können. Angesichts aufstrebender Schwellenländer die danach trachten sich ihren Wohlstand durch eigene Arbeitsplätze zu erreichen und dem absehbaren Verlust des Titels „Exportweltmeister“ an andere Nationen, sollte man sich darauf einstellen, dass selbst das ohnehin schon geringe Wachstum früherer Jahre mittelfristig nicht mehr erreichbar sein wird.

Bei keinem oder zu geringem Wachstum wird die so hochgelobte Produktivität dann sogar zum Problem werden. Bei gleichbleibendem Output wird der Input weiter optimiert, sprich verringert. Konkret bedeutet das einen weiteren Abbau von Arbeitsplätzen durch vor allem Verlagerung von Geschäftsaktivitäten ins Ausland. In diesem Fall würde einerseits die Zahl der Beitragszahler verringert, andererseits wäre ein Rückgang des Steuereinkommens zu verzeichnen.

Hallo 2010!

Was erwarte ich von dir?
- Die FDP wird weiter im Delirium zwischen Wahn und Realität wandeln
- Die CDU wird sich weiter wünschen, es hätte nur für die Große Koalition gereicht
- Der Richtungsstreit der SPD wird weiter nicht beigelegt
- Die LINKE wird Flügelkämpfe haben
- Die Grünen auch
- In NRW wird schwarz-gelb obsiegen
- Die Lage scheint weiter hoffnungslos
- Aber vielleicht wird doch alles besser
Zu dumm, dass ich mich für den mageren Post nicht mal mit Rest-Alkohol rausreden kann...