Dienstag, 25. Juni 2024

Serap Gühler entlässt chinesische Jugendoffizier*innen aus den Seminaren, um den Autobahnausbau zu finanzieren - Vermischtes 25.06.2024

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Rassisten raus?

Die Entscheidung der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), eine Studentin nicht dauerhaft zu exmatrikulieren, obwohl sie in ihrer Freizeit rassistische Parolen skandierte, ist korrekt. Obwohl der öffentliche Druck groß war und viele forderten, dass die Beteiligten ihre Studienplätze verlieren sollten, entschied die HAW, dass Hochschulen Studierende auch bei Fehlverhalten nicht ausschließen sollten. Dies gilt sowohl für rassistische Gesänge als auch für antisemitische Parolen. Die rechtlichen Hürden für eine Exmatrikulation sind in den meisten Bundesländern hoch. In Hamburg ist ein »schweres, schuldhaftes Fehlverhalten«, das der Hochschule schadet, erforderlich. Da das Verhalten der Studentin außerhalb des Campus stattfand, ist der direkte Schaden für die Hochschule fraglich. Hochschulen tragen eine besondere Verantwortung und haben strengere Regeln als Unternehmen, die sich leichter von Mitarbeitenden trennen können. Bildung kann Rassismus nicht vollständig heilen, aber Universitäten bieten eine Plattform für politische Diskussionen und Meinungsbildung. Junge Erwachsene haben oft noch keine gefestigten politischen Ansichten und können durch den universitären Austausch zum Umdenken bewegt werden. Es ist wichtig, junge Menschen nicht aufzugeben, um sie nicht weiter in die Arme der rechten Szene zu treiben. Die Rückkehr der Studentin im Wintersemester bietet die Chance, durch den Kontakt mit Professor*innen und Kommiliton*innen positive Veränderungen zu bewirken. (Tanya Falenczyk, Spiegel)

Ich finde die Entscheidung absolut korrekt und finde es schon albern, dass da überhaupt eine Suspendierung und Überprüfung war. Ich habe an dieser Stelle schon oft argumentiert, dass dieser Drang bei solchen Ereignissen, den Leuten die Lebensgrundlage wegzunehmen, mich absolut abstößt. Das gilt auch für die Kündigung des Arbeitsplatzes. Das steht in meinen Augen in überhaupt keinem Verhältnis. Daher begrüße ich diese Entscheidung auch sehr. Auf der anderen Seite heißt das aber nicht, dass so etwas konsequenzenfrei bleiben kann. Ich würde nur davon ausgehen, dass die Leute diese Konsequenzen eh schon spüren - durch sozialen Druck, durch die unangenehme Öffentlichkeit, etc. Das wird sicher nicht in Fällen so sein; manchmal dürften die dadurch erst Prestige und Status gewinnen. Bei Gruppen, bei denen es bereits so weit ist und der moralische Kompass schon so kaputt ist, schafft man aber mit Kündigungen gegebenenfalls auch nur Märtyrer.

2) Die deutsche Lehrerbildung ist nicht mehr zeitgemäß

Das deutsche Bildungssystem steckt in einer schweren Krise, wobei insbesondere die Lehrerbildung kritisiert wird. Es fehlen Studien, die den Einfluss der Lehrerbildung auf die Schülerleistungen analysieren. Internationale Forschungen, wie John Hatties "Visible Learning", zeigen, dass Lehrerbildung weltweit kaum Auswirkungen auf die Schülerleistungen hat. Auch in Deutschland gibt es Hinweise, dass viele Lehramtsstudierende ihr Studium abbrechen und die Ausbildung als zu praxisfern empfinden. Die Lehrerbildung legt zu viel Wert auf Fachkompetenzen und vernachlässigt pädagogische und didaktische Fähigkeiten. Hinzu kommt eine problematische zweite Phase der Ausbildung, die von alten Lehrmethoden geprägt ist und junge Lehrer oft demotiviert. Dies trägt zu sinkenden Schülerleistungen bei, wie die Pisa-Studien zeigen. Reformen sind dringend nötig, um Theorie und Praxis besser zu verbinden und die Lehrerbildung an den aktuellen Bedürfnissen der Schulen auszurichten. Zentral ist, dass Lehrer nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch eine reflektierte Haltung einnehmen. Eine stärkere Zusammenarbeit im Kollegium könnte ebenfalls zur Verbesserung beitragen. (Klaus Zierer, Welt)

Das Referat hat eine ganze Latte von Problemen, und weitgehend unterschreibe ich Zierers Kritik auch. Allerdings finde ich, dass er in einigen Punkten über das Ziel hinausschießt. So ist etwa die universitäre wissenschaftliche Fachbildung wesentlich besser als ihr Ruf. Für das Gymnasium bin ich absolut der Überzeugung, dass ein Fachstudium weiterhin Voraussetzung sein sollte, und zwar eines auf Master-Niveau. Ich habe meine eigenen Fächer erst im Hauptstudium wirklich zu durchdringen begonnen; das Grundstudium (Bachelor) leistete das einfach noch nicht. Dass die Uni bei der Praxisorientierung furchtbar ist - geschenkt. Ich würde, wenn ich das entscheiden könnte, das auch komplett aus der Uni auslagern und das Studium eher dual aufbauen. Das wäre in einen Augen wesentlich sinnvoller. Dass allerdings die Seminare dafür gerade nicht wirklich ausgestattet sind, unter anderem wegen der Wissenschaftsfeindlichkeit, ist ein ganz anderes Problem. Darüber spricht etwa auch Benedikt Wisniewski immer wieder, mit dem ich erst letzthin in den Bohrleuten zum Thema sprach.

3) Whither China? Part 6: Between now and early 2025 Beijing faces a world-changing climate decision (also carbon note 15)

Chinas Klimapolitik ist entscheidend für die globale Umweltzukunft. Obwohl der historische CO2-Ausstoß des Westens höher ist, hat China seit den 2000er Jahren die größte Bedeutung für das globale Klima. Mit einem Anteil von über 30 Prozent an den globalen Emissionen und einer dominanten Kohleindustrie sind Chinas politische Entscheidungen von weltweiter Bedeutung. Trotz eines großen Investitionsschubs in erneuerbare Energien bleibt der Anteil der neuen erneuerbaren Energien an der chinesischen Stromproduktion bescheiden. Die nächsten 12 Monate sind entscheidend: China muss seinen Weg zur Dekarbonisierung bis 2060 festlegen. Ein schnelles Handeln könnte den globalen Temperaturanstieg auf 2 Grad begrenzen. Verzögerungen könnten katastrophale Folgen haben. Während Chinas grüne Energiebranche dynamisch wächst, herrscht Unsicherheit in der Energiepolitik. Ein langsamer Übergang gefährdet die Glaubwürdigkeit der grünen Wende. Chinas Entscheidungen werden die globale Klimastabilisierung maßgeblich beeinflussen. (Adam Tooze, Chartbook)

Dass Chinas Rolle für die Klimapolitik entscheidend ist, ist glaube ich mittlerweile völliger Konsens. Das kann angesichts der Größe des Landes und seiner Volkswirtschaft auch gar nicht anders sein. Wir erleben hier ein ähnliches Phänomen wie viele Länder mit amerikanischen Präsidentschaftswahlen: man hat keinerlei Einfluss auf die Richtungsentscheidungen im Land, aber das Ergebnis bestimmt das eigene Leben mehr als die eigenen nationalen Wahlen.

4) Schickt die Bundeswehr in die Schulen!

Jugendoffiziere der Bundeswehr, oft missverstanden als Rekrutierer, sind in Wahrheit pädagogisch ausgebildete Fachkräfte, die Schüler objektiv in sicherheitspolitischen Themen bilden. Sie informieren, erklären und ordnen sicherheitspolitische Sachverhalte ein, ohne eine bestimmte Meinung zu vertreten, gemäß dem Beutelsbacher Konsens. Trotz des Aussetzens der Wehrpflicht 2011 und dem damit verbundenen geringeren Kontakt zur Bundeswehr, ist die sicherheitspolitische Bildung durch Jugendoffiziere wichtiger denn je, insbesondere angesichts aktueller geopolitischer Krisen wie dem Ukrainekrieg. Bundestagsabgeordnete und Bildungsministerin betonen die Bedeutung von Jugendoffizieren in Schulen. Sie fordern mehr Unterstützung und Kooperationen, um sicherzustellen, dass Schüler regelmäßig sicherheitspolitisch gebildet werden. Dies erfordert eine Ausweitung der Kapazitäten und eine frühzeitige Information der Lehrkräfte über die Angebote der Jugendoffiziere. Ziel ist es, die sicherheitspolitische Bildung zu stärken und die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. (Serap Güler/Thomas Jarzombek, Welt)

Ich habe ja schon öfter gesagt - und das im Podcast auch mit David Matei besprochen - dass ich kein grundlegendes Problem mit Jugendoffizieren an Schulen habe. Ich bin allerdings sehr skeptisch, ob Güler und Jarzombek hier nicht die Funktionsstelle mit Erwartungen überladen. Jugendoffiziere kommen für 60 bis 90 Minuten an eine Schule. Da sprechen sie vor zwei, vielleicht drei Klassen. Selbst unter der optimistischsten Annahme, dass man das so skalieren kann, dass ein Großteil der Schüler*innen die Leute mal hört, und unter der viel optimistischeren Annahme, dass sie von allen verstanden und reflektiert werden, ist das ein Mini-Ausschnitt aus dem Schulalltag. Die haben teilweise über 40 Wochenstunden. Welchen Eindruck soll da eine Doppelstunde hinterlassen? Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Wenn Güler und Jarzombek wirklich die sicherheitspolitische Bildung stärker in den Schulen verankern wollen, erfordert das hartes Bohren von Brettern: ran an die Bildungspläne, an die Lehrmaterialien und noch viel weitergehend die Universitäten und Fortbildungen (weil die meisten Lehrkräfte da ja auch keine Ahnung von haben!). Aber das dauert viele Jahre, mal angenommen die politischen Hindernisse existierten nicht. Und lässt sich nicht eben mit Schmackes in einem Leitartikel raushauen.

5) Mehr Plan für weniger Autos

Der geplante Ausbau der Autobahn A5 in Hessen auf zehn Spuren wird als unsinnig kritisiert. Diese Erweiterung steht symbolisch für eine veraltete Verkehrspolitik, die den Autoverkehr bevorzugt und Städte weiter verstopft. Trotz der Klimakrise setzen die Regierungen weiterhin auf den Ausbau des Straßennetzes, ohne ein klares Konzept für eine nachhaltige Mobilität. Ein Tempolimit wurde von der Ampelkoalition ausgeschlossen, und viele Autobahnprojekte werden als von „überragendem öffentlichen Interesse“ deklariert. Verkehrsminister Wissing sollte sich auf die Instandhaltung der bestehenden Infrastruktur konzentrieren, da viele Brücken baufällig sind. Der Fahrgastverband warnt vor überfüllten Zügen, sollte der Ausbau des Schienenverkehrs nicht vorangetrieben werden. Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich ein menschenfreundlicheres Verkehrssystem, doch politische Maßnahmen zur Reduzierung des Autoverkehrs stoßen auf Widerstand. Ein Umdenken in der Verkehrspolitik ist dringend notwendig, um nachhaltige Mobilität zu fördern und die Abhängigkeit vom Auto zu reduzieren. (Arvid Haitsch, Spiegel)

Einmal mehr die Frage des Autobahnausbaus. Es ist tatsächlich ein Zeichen veralteter Verkehrspolitik. Würde man wenigstens parallel dazu andere Ausbauten machen - vor allem die Bahn - wäre das ja eine Sache, aber die Tatsache, dass man die Mittel der Bahn kürzt (die ja in einem Stück Realsatire ihren "Deutschlandtakt" auf das Jahr 2070 plant) macht das einfach nur ärgerlich. Wie wir schon öfter diskutiert haben bräuchte es Anreize für weniger Auto, nicht für mehr. Aber das wird in diesem autoverrückten Land noch lange nicht umsetzbar sein.

Resterampe

a) Es zeitenwendet.

b) Großartiger Essay, der The Shield und The Wire miteinander vergleicht.

c) Noch mehr zum Thema Skandal im Bildungsministerium.

d) The lazy authoritarian.

e) Ich habe prophezeit, dass das passieren wird, auch wenn meine Prognose zeitlich um ein Jahr zu "optimistisch" war.

f) Ich bin kein Experte, aber diese Kritik an Baerbock scheint mir schon stichhaltig.

g) Manche Leute sind echt komplett irre.

h) Ich lass das einfach mal da.


Fertiggestellt am 24.06.2024

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