Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Landkreis Sonneberg laut Ezra neuer Schwerpunkt rechtsextremer Gewalt
Die neue Jahresbilanz der Opferberatung Ezra zeigt einen starken Anstieg rechtsextremer Gewalt im Landkreis Sonneberg, der nun als Schwerpunkt dieser Straftaten in Thüringen gilt. 2023 wurden 20 rechtsextreme Angriffe in Sonneberg verzeichnet, darunter Überfälle auf Unterkünfte für Geflüchtete und Angriffe auf Kinder. Laut Ezra hängt der Anstieg der Gewalt eng mit dem Erstarken der AfD zusammen, die seit 2023 den ersten AfD-Landrat in Deutschland stellt. Wissenschaftliche Studien belegen, dass rechtsextreme Täter durch die AfD in ihrem Handeln bestärkt werden. Landesweit gab es knapp 150 rechtsextreme Angriffe, was einen Rückgang gegenüber 2022 bedeutet. Dennoch sieht Ezra keinen Grund zur Entwarnung, da viele Gewalttaten im Umfeld von Aufmärschen verübt wurden. Thüringer Politiker, darunter Vertreter von Linken, SPD und Grünen, reagierten alarmiert auf die Zahlen und forderten verstärkte gesellschaftliche und politische Maßnahmen gegen Rassismus sowie eine finanzielle Aufstockung der Beratungsstellen von Ezra. (MDR)
Das ist genau das, was Warnende immer befürchtet haben: es ist eben nicht irrelevant, ob Faschisten in Exekutivfunktionen kommen, auch wenn es "nur" ein Landrat ist. Die Zahlen sind auch so eindeutig, dass man über Korrelation und Kausalität nicht ernsthaft diskutieren muss. Selbst wenn man einbezieht, dass die Quelle ein eher linksgerichtetes Aktivistenspektrum ist - wenn es "nur" eine Verdreifachung statt einer Verfünffachung wäre, wäre das immer noch alarmierend genug. Dieser Sachverhalt ist eindeutig, und genau das ist der Grund, warum es eine Brandmauer braucht: diese Leute dürfen nicht an die Macht kommen, weil sie die Macht missbrauchen. Und wenn sie die Macht haben, schaffen sie letztendlich Recht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis AfD-Richter*innen dann solche Dinge sanktionieren. Je länger die AfD bleibt, je mehr sie normalisiert wird, desto schwerwiegender werden diese Fälle werden.
2) Die große Entfremdung, die schon unter Merkel begann
Die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen zeigen deutlich, dass der Parlamentarismus in Deutschland funktioniert, indem er den Wählern ermöglicht, Veränderungen herbeizuführen, wenn sie mit der aktuellen Regierungspolitik unzufrieden sind. Die AfD konnte in beiden Bundesländern starke Wahlergebnisse erzielen, weil sie Themen aufgegriffen hat, die von den etablierten Parteien aus Sicht vieler Wähler nicht ausreichend behandelt wurden. Dazu zählen unter anderem Migration, Energiepolitik und das Heizungsgesetz. Die zunehmende Entfremdung von der Bundespolitik, die bereits unter Angela Merkel begann, hat sich unter der aktuellen Regierung fortgesetzt. Viele Ostdeutsche empfinden die Politik als übergriffig und ideologisch, was sich in der Ablehnung von Maßnahmen wie dem Heizungsgesetz und den Corona-Regelungen zeigt. Auch die Ukraine-Politik und die wahrgenommene Bevorzugung kleinerer Minderheiten haben zur Unzufriedenheit beigetragen. Diese Entfremdung spiegelt sich in der breiten Unterstützung für die AfD wider, die von vielen als Alternative zu den etablierten Parteien gesehen wird. Die traditionelle Strategie, die AfD und ähnliche Gruppierungen auszugrenzen, scheint gescheitert zu sein. Einige Kommentatoren fordern daher, dass die etablierten Parteien besser auf die tatsächlichen Anliegen der Wähler eingehen müssen, anstatt sich in Wählerbeschimpfungen und Ausgrenzung zu ergehen. Nur durch den Nachweis, dass sie die Probleme besser lösen können als die AfD oder BSW, können die etablierten Parteien das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen und die Demokratie stärken. (Hubertus Knabe, Welt)
Ich stimme Knabe soweit zu, dass das Vertrauen der Wählenden zurückgewonnen werden muss - unabhängig davon, was die Leute gerade wählen; auch Grünen-Wählende haben gerade nicht überragend viel Vertrauen in den Staat - und dass es entsprechende Angebote braucht. Nur gibt es keinen Automatismus, dass dies dem der AfD entsprechen muss (oder einer AfD light). Dass Knabe das bevorzugt ist nachvollziehbar und legitim, aber will man das Problem angehen gibt es grundsätzloch auch die Option, ein Angebot in die andere Richtung zu machen und tatsächlich Alternativen zu bieten (es ist eh ein Treppenwitz, dass die ALTERNATIVE für Deutschland damit bekämpft werden soll, keinesfalls Alternativen für ihr Kerngebiet anzubieten). Nur macht das keiner, wie wir hier ja schon öfter diskutiert haben.
3) Germany’s growth model is broken
Der Artikel beschreibt die strukturellen Herausforderungen, vor denen die deutsche Wirtschaft steht. Trotz ihrer Rolle als größte Volkswirtschaft Europas stagniert Deutschland nach der Pandemie. Ein zentrales Problem ist die Abhängigkeit vom exportgetriebenen Wachstum, das angesichts der sinkenden globalen Nachfrage, insbesondere aus China, und der Konkurrenz im Bereich der Elektrofahrzeuge immer schwieriger wird. Auch der Wegfall des Handels mit Russland und die insgesamt schwächelnde Weltwirtschaft verschärfen die Lage. Hinzu kommen demografische Probleme: Die alternde Bevölkerung belastet die öffentlichen Finanzen, während die jüngere Erwerbsbevölkerung schrumpft. Gleichzeitig leidet Deutschland unter einem chronischen Investitionsmangel in Infrastruktur, einer überbordenden Bürokratie und einer langsamen Digitalisierung. Zwar wurde die Einwanderungspolitik reformiert, um qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen, doch der politische Widerstand, besonders durch den Aufstieg der AfD, erschwert die Umsetzung. Obwohl Deutschland über fiskalischen Spielraum verfügt, verhindert die strenge Schuldenbremse (Schuldenbremse) eine expansivere Haushaltspolitik. Trotz dieser Herausforderungen betont der Artikel, dass Deutschland in der Vergangenheit, wie nach der Wiedervereinigung, Anpassungsfähigkeit gezeigt hat und daher auch jetzt wieder das Potenzial zur Erholung besitzt. (Mark Sobel/Taylor Pearce, OMFIF)
Hier kommen einige Themenbereiche zusammen. Ich glaube, es gibt aktuell niemanden, der das deutsche Wirtschaftsmodell sonderlich loben würde; allein, die entsprechenden Analysen unterscheiden sich. Die Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft wird ja gerade aus progressiven Kreisen schon lange kritisiert, weil sie zulasten der Binnenkonjunktur geht, was - und ist fairerweise zugegeben der Punkt, der hier üblicherweise interessiert - eher drückend auf Löhne und Arbeitsbedingungen wirkt. Es hat aber auch die negative Auswirkung, deutlich von der Auslandskonjunktur abhängig zu sein, auf die man praktisch keinen Einfluss hat. Vor allem Ordoliberale sehen darin auch gleichzeitig einen positiven Faktor durch die disziplinierende Wirkung und den Wettbewerbsdruck (Standortvorteile), und auch da ist sicher etwas dran. Aber in einer Welt, die von einer zunehmend aggressiveren Rivalität mit China beherrscht wird, kommen auch weitere Probleme hinzu.
4) Die CDU im Osten sollte aus dem Rundfunk-Staatsvertrag aussteigen
In dem Text wird die politische Lage in Thüringen und Sachsen nach den Landtagswahlen diskutiert, insbesondere die Herausforderung für die CDU, sich in einer polarisierten politischen Landschaft zu positionieren. Der Satiriker „LiberalMut“ macht sich darüber lustig, dass die CDU möglicherweise mit ehemaligen Linken und Sozialisten koalieren könnte, was in den Augen des Autors nur die AfD stärken würde. Er argumentiert, dass die CDU konsequent "Nein" zu Koalitionen mit sowohl der AfD als auch der Linken (und deren Abspaltungen wie der BSW) sagen sollte, um die "Brandmauer" zu wahren. Der Text kritisiert außerdem den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der als parteiisch und ideologisch beeinflusst wahrgenommen wird, und schlägt vor, dass die CDU in einer möglichen Minderheitsregierung Bildungs- und Migrationspolitik priorisieren sowie eine Reform oder den Ausstieg aus dem Rundfunkstaatsvertrag in Betracht ziehen sollte. Diese Positionen spiegeln eine wachsende Distanz zu den etablierten Medien und politischen Institutionen wider. (Ulf Poschardt, Welt)
Die Radikalität dieser Leute wird immer schlimmer. Wie kann jemand glauben, dass in einer Atmosphäre, in der die AfD stärker oder gleich stark wie die CDU ist, die Vernichtung der ÖRR mit einer Besserstellung der CDU enden würde? Wie kann man als bürgerlicher Liberaler annehmen, dass sich das Meinungsklima damit zu seinen Gunsten bessern würde? So sehr man sich aufregt über den ÖRR, das muss einem doch klar sein. Ich würde nie davon ausgehen, dass wenn Springere heute bankrott geht oder mit einem Fingerschnippsen Thanos' beseitigt würde, dies besser für die Progressiven wäre. Springer ist sicher nicht mein Freund, aber wesentlich besser, als es sein könnte. Man schaue nur in andere Länder. Dasselbe gilt für den ÖRR. Der erfüllt nicht alle Erwartungen an die Qualität, die man so an ihn hat, sicherlich. Aber so schlimm, dass er die Poschardt'sche nukleare Option rechtfertigte, ist er auch nicht.
5) Eine Atommacht Europa wird es nicht geben
In dem Artikel wird die Debatte um die nukleare Abschreckung Europas thematisiert. Es wird argumentiert, dass eine europäische Atommacht, etwa durch Frankreich oder Großbritannien, keine realistische Option sei. Beide Länder nutzen ihre Atomwaffen primär zum Schutz des eigenen Territoriums und zeigen keine Bereitschaft, sie für den Schutz anderer europäischer Staaten einzusetzen. Der Text beschreibt, dass der Einsatz von Atomwaffen in einem Konflikt zwischen Russland und Europa auf das europäische Territorium beschränkt bleiben könnte. Russland hat strategische Vorteile durch seine geografische Lage und könnte europäische Städte ohne direkte Bedrohung seines eigenen Landes angreifen. Europa fehlt es an der strategischen Tiefe, um dieser Bedrohung effektiv zu begegnen. Es wird zudem kritisiert, dass die USA sich nicht bereit zeigen, europäische Staaten konventionell zu verteidigen. Stattdessen liegt der Fokus auf der Abschreckung durch Atomwaffen. Die Europäer müssten daher stärker in ihre konventionellen Streitkräfte investieren, um ihre Verteidigung sicherzustellen. Insgesamt bleibt die Aussicht auf eine eigenständige europäische Atommacht unwahrscheinlich, während die Zusammenarbeit mit den USA für den Schutz Europas unverzichtbar bleibt. (Jürgen Reichardt, Welt)
Reichardt gibt hier eine gute Erklärung für das System der nuklearen Abschreckung. Auch die Rolle Frankreichs und Großbritanniens werden gut erklärt, und warum Europa keine Atommacht sein kann. Was mir etwas zu kurz kommt, ist die Rolle der USA. Denn natürlich gibt es keinen nuklearen Schutzschirm ohne die USA, das war ja die gesamte Logik hinter dem Atomwaffensperrvertrag: die europäischen Länder, vor allem die BRD, entwickeln kein eigenes Arsenal, dafür garantieren die USA ihren Schutz. Diese Gleichung war stets eine Schwachstelle in der Abschreckung (würden die Amerikaner "Paris für New York" eintauschen?), aber funktionierte durch den Kalten Krieg hindurch. Nur, seit der Wahl Trumps - und kaum gelindert durch Bidens Präsidentschaft - steht das in Frage. Denn wenn die USA auch aus Europa zurückziehen, gehen nicht nur die Truppen (ein Problem, das angesichts der europäischen Kapazitäten und Verteidigungsausgaben schlimm genug ist), sondern bekommt der nukleare Schutzschirm entscheidende Löcher. Das scheint mir viel zu wenig bedacht zu werden.
Resterampe
a) Markus Söder hat schon echte Probleme mit dem Rechtsstaat.
b) Wohl wahr.
d) Kamala Harris' Versprechung von 2010.
e) Weiteres Futter für meine Harris-Analyse.
f) What’s the matter with West Virginia?
g) Sie kapieren es einfach nicht. Tun sie tatsächlich nicht, aber Poschardt meint das nicht so, wie es richtig wäre ;)
h) Hamas murdered six hostages in cold blood.
i) FDP: Warum Christian Lindner als Parteichef und Ampelpartner weitermachen will. Weil er keine andere Wahl hat.
j) Saskia Esken: SPD-Chefin korrigiert eigene Aussage zu Solingen. Manchmal wäre vorher denken echt gut.
k) Don’t send the Afghanistan withdrawal down the memory hole. Sehr richtig.
l) So true.
m) Scheint fast als würde Habeck doch etwas von Wirtschaft verstehen ;)
n) Autsch.
o) Plädoyer, keine toten Schauspieler*innen digital wiederzubeleben.
Fertiggestellt am 05.09.2024
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