Montag, 25. Februar 2008

Fachkräftemangel, mal wieder

Die Unternehmen schreien groß: Deutschland hat zuwenige ausländische Fachkräfte, die ins Land kommen. Schuld ist natürlich die GroKo, besonders aber die CDU mit ihren ausländerfeindlichen Tönen. Das Fehlen ausländischer Fachkräfte und Studenten, die keine große Veranlassung sehen sich hier niederzulassen wird dabei als großes Wachstumshindernis emfunden.
Gleichzeitig haben wir hier tausende arbeitslose Ingenieure. Die weiterzubilden finden die Unternehmen aber doof, weil das nicht reichen würde - aber natürlich muss der Staat das trotzdem dringend tun.
Ob allerdings die Ein-Euro-Jobs hier einen wichtigen Beitrag leisten, dürfte fraglich sein. Liegt die unglaublich abstoßende Wirkung Deutschlands auf ausländische Einwanderer vielleicht auch an den exorbitant niedrigen Gehältern, die hier gezahlt werden? An den miesen Arbeitsbedingungen? Fragen, die man sich nicht zu stellen wagt. Dass das Problem hausgemacht ist, wird natürlich auch nicht erwähnt. Über Jahre haben die Unternehmen am Personal gespart, wo es nur ging und ein minderqualifiziertes Arbeitslosenheer geschaffen, anstatt in Fortbildungen zu investieren und für Produktions- und Auftragsspitzen gute, loyale Leute in der Hinterhand zu haben. Die Quittung kommt teuer.

Die Lust an der Scheindebatte

Mit dem Ergebnis der Bürgerschaftswahl in Hamburg hat eine fröhliche Scheindebatte eingesetzt. Warum ist rot-grün nicht möglich? Vielleicht aus demselben Grund wie immer? Weil die SPD ihre Wähler verrät und einfach weder gutes Programm noch gute Köpfe bietet? Nein, natürlich nicht. Stein des Anstoßes ist, wohin man seinen Kopf auch wendet, die - zugegebenermaßen reichlich komisch - Aussage Becks, vielleicht doch Ypsilanti zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Vielleicht merkt's ja keiner.
Das ist Unfug, und das dürfte jedem klar sein. Die SPD lässt sich von der CDU so vollkommen in die Ecke drängen, was von den Medien hinreichend unterstützt wird, dass man annehmen könnte, der rechtsgerichtete SPD-Vorstand hätte das schwarze Parteibuch und nicht das rote. Dafür bekommt sie Quittung um Quittung. Zu recht.

Weitere Links:
Blogsgesang
Spiegelfechter
ad sinistram

Samstag, 23. Februar 2008

Union gerät in Panik

Angesichts der bevorstehenden Möglichkeit einer rot-grünen von der Linken tolerierten Minderheitenregierung in Hessen beginnt die Union durchzudrehen. "Führende Unionspolitiker" stellen die GroKo in Berlin in Frage, sollte Ypsilanti darauf eingehen. Man hofft auf einen "Aufstand der Anständigen innerhalb der SPD" und sagt, "ein Pakt mit der kommunistischen Linken in Hessen wäre eine schwere Belastung für die große Koalition" (Erwin Huber). Und: "Nach einem solchen Betrug am Wähler gäbe es keine Grundlage mehr für eine Zusammenarbeit mit der SPD. Dann sollte die Kanzlerin die SPD-Minister entlassen und Neuwahlen ansteuern." (Markus Ferber) Ihr könnt raten, wo diese Äußerungen getätigt wurden.
Zu den oben beschriebenen Äußerungen kommt hinzu, dass der SPD für den Fall dieser Konstellation "Wählerbetrug" vorgeworfen wird. Wählerbetrug? JEDE denkbare Konstellation wurde vor der Wahl ausgeschlossen, deswegen MUSS es zu einem "Wählerbetrug" kommen. Was wäre denn kein Wählerbetrug? Eine Ampel-Koalition, in der die FDP gegen jedes Wahlversprechen der SPD stünde? Eine Große Koalition, nachdem man einen expliziten Anti-Koch-Wahlkampf geführt hat? Man muss schon wirklich Unionspolitiker oder ziemlich wirr im Kopf sein, dieser Argumentation folgen zu können.
Die Union hat Angst, das ist eindeutig zu sehen. Die Forderung nach Neuwahlen für den Fall dieser Koalition in Hessen entbehrt nicht einer gewissen Logik: Die Union droht, nur noch ein Mandat Vorsprung vor der SPD im Bundestag zu haben. Würden jetzt Neuwahlen abgehalten, so kann es als wahrscheinlich gelten, dass dieser Vorsprung deutlich ausgebaut würde - dank eines guten Abschneidens der Linken. Für Schwarz-Gelb würde es wohl trotzdem nicht reichen, aber die CDU stärkte sich dabei. Zumindest in der Theorie.

Weitere Quellen: FR und Handelsblatt.

Freitag, 22. Februar 2008

Die SPD in der Falle

Die SPD hat sich vollständig in die Falle manövriert. Der Konflikt erhält eine bildliche Darstellung im Falle Hessens. Die SPD könnte große Teile ihres Wahlprogramms sofort umsetzen, wenn sie mit der Linken zusammenarbeitete. Stattdessen wir das jedoch kategorisch ausgeschlossen und stattdessen unentwegt in beschämender Weise eine stets die kalte Schulter zeigende FDP umworben, deren Wahlprogramm dem der SPD kaum entgegengesetzter sein könnte.
Auf diese Art bewegt sich die SPD bundesweit in eine Falle, aus der aus kaum ein Entkommen gibt. Die Schröderianer drängen ihr genau diesen Kurs auf, und er bringt die SPD in den Dunstkreis von CDU und FDP, die mit dem Schmuddelkind aber nicht wirklich spielen wollen.
Entsprechend bleiben die Umfragewerte deutlich im Keller. Was die SPD-Spitzen dazu treibt, ausgerechnet von der FDP die Lösung aller Probleme zu erhoffen, bleibt im Dunkeln, ganz besonders in Hessen.
Gleichzeitig wird versucht, mit allen Mitteln das Thema Soziale Gerechtigkeit - also quasi die Kernkompetenz der SPD - wieder von der Agenda zu wischen. Dieses hat durch die Steuersünderdebatte unglaublichen Auftrieb bekommen, der nun mit allerlei bizarren Aussagen irgendwie wieder beseitigt werden soll. Wolfgang Clement sorgt in diesem Zusammenhang dafür, dass ja kein Schaden an seinem Image vom skrupellosen und widerwärtigen Lobbyisten entsteht. In der BILD wird versucht, Gregor Gysis Bonusmeilenaffäre von 2002 (wegen der er damals auch zurücktrat!) mit Zumwinkels Steuerbetrug gleichzusetzen. Und so weiter und so weiter.
Doch die Versuche, die alte Sozialneiddebatte aus den Agendatagen wiederzubeleben scheitern. Vermutlich wird die Linke mit all den Skandalen, dem rasend wachsenden Misstrauen gegen die herrschende Klasse und den schlechten Bedingungen im Rücken einen weiteren Höhenflug erleben.

Linksrutsche, Kommunisten und Siegeszüge

Diese drei Worte findet man derzeit ständig, wenn irgendwo in der bürgerlichen Presse über die Linke berichtet wird. Angeblich rutscht "die Republik" nach links, nur weil die zusammengezählten Werte von SPD, Grünen und Linken mehr ergeben als die von CDU und FDP. Da wird von Siegeszügen schwadroniert, die es aufzuhalten gilt, weil die Linke ein westdeutsches Landtagsparlament nach dem anderen bereichert. Und die Linken werden als Kommunisten verunglimpft.
Zumindest Letzteres, wie wir indessen wissen, mit Grund. Die auf den offenen Listen angetretenen DKP-Mitglieder haben der Linken ein echtes Glaubwürdigkeitsproblem beschert. Sozialistische Revolution ist nichts, was die breite Mehrheit hören will, und das massenhafte Antreten von DKP-Mitgliedern auf den derzeit noch offenen Listen der Linken sorgt tatsächlich für die berühmte "Chaostruppe", von der man so gerne redet. Es ist wirklich mehr als Zeit, dass die Linke diese Praxis beendet und sich endlich vom Sozialismus, Kommunismus etc. nicht nur in der Führungsspitze, sondern in breitem Konsens verabschiedet.
Ein Problem der gänzlich anderen Art stellt der "Linksrutsch" dar. Denn der kommt, natürlich, nicht von alleine. Und er hängt gleichzeitig damit zusammen, dass die rechnerische Mehrheit des linken Lagers keine ist, weil das linke Lager hier ziemlich rechte Angehörige untergeschoben bekommt. Die SPD-Basis mag rumoren, wie sie will, die Führungsspitze hält unbeirrt an ihrem Kurs fest - und der ist mehr CDU und FDP. Von den Grünen gar nicht zu reden. Derzeit vertritt die Linke als einzige eine Alternative zu den anderen vier. Kein Wunder, dass sie zulegt. Denn die Frage nach der Gerechtigkeit wird immer wichtiger, auch wenn die Diskussion aus dem Ruder zu laufen droht - kein Wunder, nachdem sie so lange unter dem Deckel gehalten wurde.

Donnerstag, 21. Februar 2008

Spaß muss sein

Das Internet wäre unsagbar langweilig, wenn man nicht hin und wieder ein paar nette Scherze entdecken würde. Aktuellen Anlass dazu gibt der Libertäre Dominik Hennig:
Steuerhinterziehung ist ein Menschenrecht. (Quelle)
Ich fürchte nur, der meint das ernst. Ich fordere ja schon lange die Aufnahme des Rechts auf bewaffneten Raubüberfall in die Menschenrechtscharta, aber da bin ich wohl zu progressiv.

Mittwoch, 20. Februar 2008

Bewegung in Hessen

Wie heute vermeldet wird, hat sich Ypsilanti entschieden, eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken zu führen. Damit sind die Würfel endgültig gefallen, und das ist gut so. Es wird spannend zu sehen, welche Folgen dieser Dammbruch haben wird.
Seltsame Reaktionen hat das bereits hervorgerufen; ganz besonders bei der Süddeutschen Zeitung: zu Recht wird angemahnt, dass der Wortbruch dilettantischer kaum hätte vorbereitet werden können, aber warum man es als solchen Fehler hinstellt, dieses Modell zu werden ist absolut unverständlich. Der Artikel tut so, als habe die SPD sich nicht ernsthaft genug um die FDP bemüht. Die FDP, der sich die SPD in beschämender und wählerverhöhnender Weise an den Hals geworfen hat. Die FDP, die kategorisch das Bündnis ablehnte und deren Programm in totalem Widerspruch stand. Was nun passiert ist, zeugt von Vernunft - und hoffentlich von einem Wetterleuchten am Horizont.

Nachtrag: Scheinbar ist es doch noch nicht soweit, vermeldet zumindest die FR.

Fundstücke 20.2.2008

Der Stimmungswandel wird immer deutlicher: ein Plädoyer gegen den "Steuersenkungspopulismus" und für höhere Steuern und mehr Staatsausgaben in der SZ! Gleichzeitig schreibt die WAZ gegen den Elitenwahn.
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Zeit-Interview mit Höppner für eine Minderheitenregierung in Hessen.
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Geniale Zumwinkel-Satire.
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Geheimniskrämer

Es ist schon erstaunlich, wie man für Gesetze sein kann, die Anwalts-, Beicht- und sonstiges Geheimnisse aufheben, aber andererseits die Aufdeckung von Nebeneinkünften mit dem Argument des Mandantenschutzes verweigert. Gründe dafür gibt es genug, und keiner ist irgendwie sauber zu nennen.

Montag, 18. Februar 2008

Wir sind doch alle keine Engel

Ein Gastbeitrag von Robert J. De Lapuente

Jene Kreise, die ansonsten in fröhlicher Regelmäßigkeit auf Langzeitarbeitslose und die unflexible Arbeitnehmerschaft eindreschen, stehen nun selbst am Schandpfahl. Kreise, die selbst in der Hartz IV-Reform noch eine sozialistische Grundidee erblicken, und den Mindestlohn für Arbeitnehmer als ebensolche Gleichmacherei abtun; Kreise, die Arbeitslose als faul, antriebslos, unmotiviert und Arbeitnehmer als unflexibel, wenig einsatzbereit, gewerkschaftliche Rotarmisten proklamieren; kurz: Kreise, die gar nicht greise, sondern innovativ und mit jugendlichem Unternehmerelan versehen, Generalverurteilungen gegen jene aussprechen, die sich im Regelfall nur schwer oder gar nicht zu wehren wissen.

Freilich ist der Pranger nun für die Zumwinkels dieser Republik reserviert, doch völlig alleine müssen sie diese Krise nicht durchstehen. Nein, sie sind wirklich nicht vergleichbar mit den im Sturm diverser BILD-Zeitungs-Kampagnen stehenden Langzeitarbeitslosen, die keine moralische und argumentative Unterstützung in den öffentlichen Medien haben, welche die tolldreisten Behauptungen von BILD, INSM, Arbeitgeberverbänden usw. entkräften würde. Dergleichen können sich aber die aktuellen Sünder leisten. So stellt der stets apart wirkende Peter Hahne via BILD fest, daß ja in uns allen ein Zumwinkel stecke, und natürlich läßt sich Oswald Metzger nicht zweimal bitten und fragt: "Sind wir nicht alle mit von der Partie?"

Selbstverständlich sind das legitime Gedanken oder Fragen. Gleichermaßen sind das aber auch Gedanken oder Fragen, die man sich im Kontext der üblichen Arbeitslosenhetze und der Arbeitnehmerschelte nicht - bestenfalls kaum - stellt. Ein BILD-Zeitungs-Kolumnist würde sich niemals dazu "herablassen", die Irrtümer der Schmarotzerdebatten aufzudecken. Ganz im Gegenteil, wie man letzte Woche Nicolaus Fests Zeilen entnehmen konnte. Hahne gelingt es einmal mehr, Dinge miteinander zu verweben, die bei näherer Betrachtung so nicht zusammengehören. Der Zumwinkel in uns, so versucht er zu argumentieren, treibe viele Menschen zur Schwarzarbeit. Daher gäbe es keine kleinen und großen Sünder, sondern es gäbe nur Sünder. Schwarzarbeiter und die Zumwinkels dieser Republik betrügen gleichermaßen den Sozialstaat. Soweit mag man ihm vielleicht zustimmen, zumindest dann, wenn man nicht dazu geneigt ist, weiter darüber nachzudenken.

Die Kreise aber, die üblicherweise den Langzeitarbeitslosen Schwarzarbeit unterstellen, vergessen darüber - und mit ihnen Hahne -, daß viele ALG2-Bezieher zwar schon möglicherweise schwarzarbeiten, daß sie aber in dieser Weise den Sozialstaat betrügen, weil der Sozialstaat sie vorher schon betrogen hat, indem "er" sie mit einem unzureichenden Regelsatz abspeiste. Ist es also der "Zumwinkel in dem schwarzarbeitenden Langzeitarbeitslosen", der ihn dazu zwingt, sich noch etwas dazuzuverdienen, um nicht den trostlosen Speiseplan Sarrazins ausgeliefert sein zu müssen? Immerhin kann man ja nicht davon ausgehen, daß Zumwinkel aufgrund materiellen Mangels Steuern hinterzog. Und genau mit dieser Vermischung zweier verschiedener Straftatbestände und der fehlenden Fragestellung nach dem Motiv, gelingt es Hahne, Steuerhinterziehung diverser Millionäre mit dem Dazuverdienen einiger Euros von Langzeitarbeitslosen gleichzusetzen und folglich auch zu entschuldigen. Denn man tut zwar beides nicht, aber man sollte die Hinterzieher von Millionen von Steuergeldern nicht allzusehr verurteilen, denn immerhin tut sowas ja jeder auf seine Art und Weise. Dass es einige Menschen aus Not, andere aus Habgier tun, bleibt im Kommentar Hahnes auf der Strecke.

Wenn diverse Kolumnisten und Kommentatoren nun verkünden, man dürfe nicht den gesamten Stand verurteilen, dann kann man das nur begrüßen. Aber dies muß für alle gelten und in noch verstärkter Weise für die Schwachen der Gesellschaft. Wenn mal wieder davon die Rede ist, daß die Arbeitslosen schmarotzen, dann könnte man - auch wenn man damit die Lüge nicht entkräftet, die in solch einer Behauptung steckt - entgegenhalten, daß man die Arbeitslosen verstehen müsse, denn in jedem Wirtschaftsboss steckt ja auch ein "schmarotzender Arbeitsloser".

Robert J. De Lapuente betreibt den Blog ad sinistram.

Fundstück

Wer erinnert sich noch an den Speiseplan von Thilo Sarrazin? Ein Blogger hat ihn im Selbstversuch getestet. Erschütterndes Ergebnis, unbedingt lesen!

Sonntag, 17. Februar 2008

Fundstück

Lafontaine-Interview in der SZ mit Lesebefehl. Wie gut wäre es um die politische und publizistische Kultur in Deutschland bestellt, wenn alle Interviewpartner so befragt werden würden wie Lafontaine. Ob sie ähnlich souveräne Antworten geben könnten?

Fundstücke 17.02.2008

Es scheint tatsächlich eine Art Stimmungswandel zu geben, seht euch nur den Beitrag hier und hier aus der SZ an.
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Samstag, 16. Februar 2008

Machtmissbrauch

Die gewaltige Aktion gegen Steuerhinterzieher unter den oberen zehntausend hat ein Erdbeben sondersgleichen hervorgerufen: weder das Bankgeheimnis noch ihr Reichtum scheint sie, die sich kollektiv hinter dem Identifikationsmerkmal des Victory-Zeichens versammelt hatten, noch zu schützen. Der Höhenflug derer, die sich selbst als herrschende Klasse und über den profanen Gesetzen stehend betrachtet hatten, ist zu Ende. Es war äußerst schmerzhaft.
Meine Schadenfreude hält sich trotz alledem sehr in Grenzen. Denn der Schlag gegen die Großbetrüger der deutschen Wirtschaft basiert vor allem auf nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, sprich: der BND hat geschnüffelt. Der BND, das bdeutet ein Apparat, der eigentlich für die Abwehr äußerer Bedrohungen gemacht ist - und nicht, um Steuersündern hinterherzuschnüffeln. Trotz des offenkundigen und an sich begrüßenswerten Erfolgs ist das Geschenk vergiftet, denn es bedeutet effektiv einen massiven Rechtsbruch.
Statt schadenfreude hege ich Hoffnung: da nun endlich auch die selbst ernannte Oberschicht ins Visier eines immer gieriger und zügelloser nach Kompetenzen greifenden Sicherheitsapparats geraten ist, besteht die Möglichkeit, dass sich daraus eine Abwehrfront der etwas einflussreicheren Sorte entwickelt. Dieser Artikel im Handelsblatt könnte auf eine Einstellungsänderung hindeuten. Nachdem nicht nur Otto Normalverbraucher von aggressiven Polizisten und sich über alles geltendes Recht hinwegsetzenden Justizapparat drangsaliert wird, könnte das Pendel endlich zurückschlagen.

PS: Auch Lawblog befasst sich mit der Frage, ebenso Feynsinn und Spiegelfechter und Fefe gleich zweimal.

Die geistig-moralische Wende

Bonn, im Jahr 1982. Eine SPD-FDP-Koalition regiert. Die wirtschaftliche Lage ist im Tal einer weltweiten Rezession und zwei Ölpreisschocks eher schlecht. Die Ostpolitik, entscheidendes Vehikel der sozialliberalen Koalition, ist durchgeführt. Die CDU hat sich daran gewöhnt und hat ihren innerparteilichen Machtkampf zwischen Kohl und Geißler ausgefochten. Wirtschaftspolitisch schwenkt sie auf den monetaristisch-neoliberalen Kurs ein, den dieser Tage in den USA ein gewisser Ronald Reagan und in Großbritannien Margaret Thatcher propagieren. Die Gemeinsamkeiten zwischen FDP und SPD scheinen aufgezehrt.
In dieser Situation verfasst der FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff ein Papier auf (das Lambsdorff-Papier), das eine radikale Abkehr vom bisherigen Regierungskurs hin zu einer neoklassischen Angebotspolitik mit massiven Sozialkürzungen beinhaltete. Gleichzeitig kündigten er und die drei anderen FDP-Minister an zurückzutreten. Daraufhin sprach Helmut Schmidt ihnen das Misstrauen aus; die FDP wählte mit der CDU Helmut Kohl zum Kanzler. In den folgenden Neuwahlen (durch Auflösung des Bundestags nach planmäßig verlorener Vertrauensfrage) wurde schwarz-gelb bestätigt. Kohl kündigte eine "geistig-moralische Wende" an.
Der Rest ist Geschichte. Die SPD wurde auf die Oppositionsbank verbannt, während die FDP gravierende Einbußen bei den folgenden Landtagswahlen erlitt (man bezichtigte sie nicht unangebracht des Verrats). Relativ schnell schwenkte die BRD auf einen neoliberalen Wirtschaftskurs ein, der jedoch die versprochene Rendite nicht erbrachte (Senkung der Arbeitslosigkeit und der Schulden, par exemple). Stattdessen stiegen die Arbeitslosenzahlen weiter, die Staatsschulden explodierten und die Rückführung der deutschen Gesellschaft in trostlos-konservative Gefilde sorgte auch für Unmut. 1989 hatte schwarz-gelb abgehalftert, die Zeichen standen auf starken Zugewinnen für die SPD; die Bevölkerung war Kohls müde.
Dann kam die Einigung. In einem Schurkenstück von geradezu gigantischen Ausmaßen gelang es Kohl, die Einigung sowohl außenpolitisch abzusichern als auch innenpolitisch als Kickstart zu benutzen und auf der Welle der Einigungseuphorie die Wahlen 1990 zu gewinnen, was ihm durch das Attentat auf den SPD-Spitzenkandidaten Lafontaine noch zusätzlich erleichtert wurde. Gleichzeitig wurde gezielt die ostdeutsche Wirtschaft eliminiert - zugunsten reicher Investoren. Beteiligt war damals unter anderem federführend Horst Köhler, aber das ist eine andere Geschichte. Um den Wahlsieg nicht zu gefährden, bezahlte Kohl die Einigung aus den Sozialsystemen, anstatt eine einmalige Steuer zu erheben. In der Folge explodierten die Staatsschulden weiter, und der Einigungsboom wurde von der Bundesbank ohne Not durch eine Zinserhöhung von etwa 3% auf über 12% (!) abgebrochen. 1994 konnte sich schwarz-gelb knapp behaupten, 1998 wurde es dann endlich abgewählt. Der Muff und Filz blieb, bekanntlich.

Warum erzähle ich diese Geschichte? Der obige Text fasst in Kürze die politische und wirtschaftliche Dimension des Geschehens zusammen. Die "geistig-moralische Wende" (die in Wirklichkeit eher eine geistig-moralische Verwahrlosung ist, aber dazu später) tat jedoch weit mehr, als nur die Wirtschaftspolitik zu ändern. Um das zu verstehen müssen wir zurücksehen, in das Ende der 1960er und die 1970er Jahre.
1965 brach die Dominanz der CDU in der Regierung, die seit 1949 vorgeherrscht hatte; es musste eine große Koalition gegründet würden. Zusammen mit zahlreichen anderen, bislang unterdrückten Konflikten in der Gesellschaft (das Erbe des Dritten Reiches, der Generationenwechsel, die Spießermoral, die überkommenen moralischen Vorstellungen hier nur als pars pro toto) ergab die GroKo dabei eine explosive Mischung, die in APO und 1968 mündete. Das jedoch soll hier nur am Rande Thema sein. Die Meinungführerschaft eines Götz Aly und seinesgleichen ist zwar ein Crux, aber wir wollen uns an dieser Stelle mit anderen Dingen beschäftigen. Der "Aufbruch" (in doppeltem Wortsinne) aus verkrusteten Strukturen Ende der 1960er Jahre mündete in eine Erneuerungseuphorie, die trotz gelegentlicher Rückschläge einen Großteil der 1970er Jahre in Atem hielt. Dazu gehört nicht nur keynesianische Wirtschaftspolitik und der Glaube an die Globalsteuerung (also an die zentrale Steuerung der wichtigen Abläufe), sondern auch eine Erneuerung im gesellschaftlichen Sinne. Der Ausbau der Sozialleistungen war schließlich nur die fiskalpolitische Ausprägung einer Umsetzung sozialdemokratischer Utopien: die Bildungsoffensive, die - einzigartig in der deutschen Geschichte davor wie danach - sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten durch Bafög und zahllose andere Förderungsmaßnahmen ein Studium ermöglichte und auch das System der Weiterbildung extrem ausbaute. Die Rentenerhöhung, um die Rentner endlich am Aufschwung teilhaben zu lassen (verbunden mit den vergeblichen Versuchen, sie aus der konservativen Dauerumarmung der CDU zu lösen). Der Ausbau der Kinderbetreuung, um Frauen bessere Erwerbsmöglichkeiten zu geben. Zahllose Gesetze zur Verbesserung der Bürgerrechte und Partizipationsmöglichkeiten (die 1970er waren ein unglaublich politisches Jahrzehnt). Zahllose weitere Reformen. Überhaupt war "Reform" damals ein positiv konnotiertes Wort und keines, das von Furcht und Kürzung spricht.

Gegen diese Entwicklungen positionierte sich die CDU offen, und diese Entwicklungen waren es, die sie mit der "geistig-moralischen Wende" rückgängig zu machen gedachte. Und das gelang ihr auch, gründlichst. Denn 1998 wechselte zwar die Regierung, aber nicht die Mentalität. Gerhard Schröder und seine Entourage waren spätestens nach dem Rücktritt Lafontaines von der schwarz-gelben "Opposition" in den politischen Positionen nicht allzuweit entfernt. Die "geistig-moralische Wende" wurde sicher nicht nahtlos weitergeführt, aber sie wurde auch nicht abgeschafft. Erst dieser Tage, seit etwa Ende 2006, Anfang 2007, macht sich ein Umschwung der öffentlichen Meinung bemerkbar.

Es ist eine längst überfällige Diskussion in Gang gekommen, eine Diskussion nach Werten und Grenzen. Die neoliberale Wirtschaftspolitik ist wie Hartz-IV mit seinem Fördern und Fordern gescheitert, und die Erkenntnis setzt sich immer mehr durch. Alte Werte wurden aufgelöst, ihr Propagieren ist hohl geworden. Dazu gehören Ehrlichkeit und Solidarität in besonderem Maße; beides wurde geradezu zum Unding gemacht - von der geistig-moralischen Wende, die Kohl und seine Spießgesellen initiiert haben und noch immer in zahlreichen Organisationsformen (wie dem Deutschlandkonvent oder der Aktionsgemeinschaft soziale Marktwirtschaft zu erhalten suchen. Einige Jahre lang konnte die BILD im Verbund mit zu boulevardesken Zerrbildern ihrer selbst degenerierten Blättern wie dem Spiegel den Fokus auf der Unterschicht halten: dem Archetyp des Hartz-IV-Empfängers, der faul in der sozialen Hängematte liegt und Leistungen erschleicht, auf die er keinen Anspruch hat. Dieses Bild hat Risse bekommen, und die neueste Affäre um Zumwinkel ist der Dammbruch. Damit wären wir am Ausgangspunkt.

In der Süddeutschen Zeitung ist heute ein Artikel erschienen, in dem sich der Autor Kurt Kister gegen die, wie er es ausdrückt, "Raffzahn-Mentalität, die in den achtziger Jahren begann", erschienen:

In Wirklichkeit aber lebte auch er [Zumwinkel, Anm. d. Autors] offenbar nach der Devise: Ich habe so viel Geld, dass ich selbst bestimme, welche Regeln für mich gelten. Natürlich wusste Zumwinkel, dass die Millionen in Liechtenstein gegen Moral und Gesetz seines Heimatlandes verstießen. Aber erstens zahlt man ja sowieso so viel Steuern, zweitens ist es jahrelang gut gegangen mit der Stiftung, und drittens machen es doch alle...

Nein, es machen nicht alle. Aber es machen viel zu viele. In etlichen Golfclubs und an noch mehr Stammtischen führen die das Wort, die sich damit brüsten, wie sie das Finanzamt, die Arbeitsagentur oder die Krankenkasse austricksen. Der Staat wird von viel zu vielen grinsend, pardon, beschissen - von Hartz-IV-Empfängern, von Angestellten, von Millionären.

Raffzahn-Mentalität nimmt zu

Die im Betrug vereinten Schlauberger jeden Besitzstandes interessieren sich mehr dafür, wie man Gesetze umgeht, als dass sie sich dafür interessierten, warum und zu wessen Wohl diese Gesetze erlassen worden sind. Für die res publica, den Staat als Angelegenheit aller, haben zu viele nur noch Missachtung bis hin zur Verachtung übrig. Dies ist auch eine Folge der Raffzahn-Mentalität, die in den achtziger Jahren begann.

Die Tatsache, dass in allen Schichten betrogen wird, mindert nicht die Verantwortung der besonders vermögenden Betrüger. Die meisten von ihnen gebieten nicht nur über Besitz, sondern als Eigentümer oder Vorstandschefs auch über Menschen. Warum sollte man in der Firma keine silbernen Löffel klauen, wenn der Boss seine Silberbarren nach Liechtenstein schafft? (Quelle)

Damit wären wir auch bei dem Ergebnis der geistig-moralischen Wende: Die Moral wurde abgeschafft, und Geist gibt es längst nicht mehr. Die Wende hat Raffgier und Einsamkeit gebracht, Solidarität und Ehrlichkeit aus diesen Gefilden verbannt. Es sind nicht nur die Manager, die sich tagtäglich schuldig machen, und sicherlich auch nicht alle von ihnen - sie sind nur die plakativen Galeonsfiguren, sie, die sich selbst zu den Führungs- und Vorbildpersönlichkeiten unserer Zeit stilisiert haben und nun im Verbund mit vielen anderen vor dem Scherbenhaufen stehen, den ihr Vorbild angerichtet hat. Es ist Zeit für eine neue Wende. Eine echte Wende. Und sie wird kommen.

Nachtrag: Indessen zeigt die FAZ eindrucksvoll die Qualität der Wende: sie gibt Tips zur besseren Steuerhinterziehung und dem Verstecken von Laptops und Dokumenten, wie die NDS aufzeigen.

Freitag, 15. Februar 2008

Fundstücke 15.02.2008

Plädoyier in der FR gegen CDU-Schulpolitik.
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Die Bachelorstudiengänge haben höhere Abbrecherquoten als die alten.
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"Dafür gibt es nur das Wort Gier"
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Keine Bange vor großen Ländern.
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Staatsschulen - das große Missverständnisses.
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Ungerechtferigte Hausdurchsuchungen - erschütterndes Video.
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Erdogans Rede

Die SZ hat die Rede Erdogans im Wortlaut veröffentlicht. Besonders wichtig finde ich diesen Abschnitt:

Seit dem Jahr 1961 haben Tausende unserer Brüder und Schwestern ihre Häuser, manchmal ihre Familien, ihre Eltern, ihre Ehefrauen und ihre Kinder zurückgelassen und sind hierher gekommen. Nicht wenige haben hier geheiratet, es kamen hier Kinder zur Welt, es wurden hier Enkel geboren. Heute haben Sie allein in Deutschland eine zahlenmäßige Stärke von fast drei Millionen erreicht. Sie haben nunmehr seit 47 Jahren mit Ihrer Arbeit, mit Ihrem Bemühen dazu beigetragen, dass Deutschland vorankommt, dass Deutschland in Europa und in der Welt zu einem mächtigen Land wird.

Sie haben hier einerseits gearbeitet, andererseits aber haben Sie sich bemüht, Ihre Identität, Ihre Kultur, Ihre Traditionen zu bewahren. Ihre Augen und Ihre Ohren waren immer auf die Türkei gerichtet. Die Tatsache, dass Sie seit 47 Jahren Ihre Sprache, Ihren Glauben, Ihre Werte, Ihre Kultur bewahrt haben, vor allem aber, dass Sie sich gegenseitig stets unterstützt haben, diese Tatsache liegt jenseits aller Anerkennung. Ich verstehe die Sensibilität, die sie gegenüber Assimilation zeigen, sehr gut. Niemand kann von Ihnen erwarten, Assimilation zu tolerieren. Niemand kann von Ihnen erwarten, dass Sie sich einer Assimilation unterwerfen.

Denn Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie sollten sich dessen bewusst sein. Wir müssen jedoch auch Folgendes zur Kenntnis nehmen: Sie können sich im heutigen Deutschland, in Europa von heute, in der heutigen Welt, nicht mehr als "der Andere", als derjenige, der nur vorübergehend hier ist, betrachten, Sie dürfen sich nicht so betrachten.

Die türkische Gemeinschaft hat sich volle 47 Jahre für dieses Land verausgabt. Nicht nur in Deutschland, in zahlreichen Ländern Europas nähert sich die Zahl unserer Staatsbürger fast fünf Millionen. Es ist bemerkenswert, dass trotz diesem immensen Einsatz, trotz dieser zahlenmäßigen Stärke, gewisse grundlegende Probleme in diesen Ländern sich immer noch nicht auf der Tagesordnung befinden.

Selbstverständlich werden unsere Kinder Türkisch lernen. Das ist Ihre Muttersprache und es ist Ihr natürlichstes Recht, Ihre Muttersprache Ihren Kindern weitergeben. Jedoch würden Sie, wenn Sie die Sprache des Landes erlernen, in dem Sie leben, oder sogar noch einige Sprachen dazu, in jeder Hinsicht davon profitieren. Schauen Sie, viele unserer Kinder hier lernen im frühen Alter keine Fremdsprachen. Diese Kinder werden mit Deutsch erst dann konfrontiert, wenn sie mit dem Schulbesuch beginnen. Und das führt dazu, dass diese Kinder im Vergleich zu den anderen Schülern, die Schullaufbahn mit einem Nachteil von 1 - 0 beginnen müssen. Doch würde es für Sie und für Ihre Kinder in jeder Hinsicht vorteilhaft sein, wenn Sie die Möglichkeiten maximal ausschöpfen, die das hiesige gute Schulsystem Ihnen bietet. Sie werden einen Beruf ausüben, Sie werden öffentliche Dienste in Anspruch nehmen. Wenn Sie die Sprache des jeweiligen Landes nicht beherrschen, nicht lernen, so fallen Sie unweigerlich in eine Situation der Benachteiligung.

Weiter: Jahrelang hat eine Haltung vorgeherrscht, die durch eine Distanz gegenüber der Politik in diesem Lande, gegenüber der Außenpolitik, der Innenpolitik, der Sozialpolitik charakterisiert war. Doch sollte die türkische Gemeinschaft mit ihren drei Millionen Menschen in der Lage sein, in der deutschen politischen Landschaft einen Einfluss auszuüben, Wirkungen zu erzielen.


Donnerstag, 14. Februar 2008

Innenministerium bespitzelt kritischen Polizisten

In Stasi-Manier hat das sächsische Innenministerium einen ihrer Polizisten ausgespitzelt, weil der kritisch war. Jetzt fragt man sich, warum der kritisch war, aber hören wir uns zuerst einmal an, was sich das Ministerium geleistet hat.
Ihm wurde aus "charakterlichen" Gründen die Zulassung zur Polizeiuniversität verweigert, wo er sich inzwischen eingeklagt hat. Dort allerdings hat das Ministerium Kommilitonen angehalten, "verdächtiges" Verhalten zu melden.
Was aber war es, das der Mann kritisch angemerkt hat? Es geht um die Bekämpfung der Rechtsextremen in Niedersachsen, sowohl bei der Aufklärung ihrer Verbrechen als auch bei anderen Aktionen. In zahlreichen Fällen hat das Ministerium dabei die Aufklärung behindert und teilweise sogar verhindert; verlangsamte und streute wo es ging Sand ins Getriebe. Dabei deckte es die Rechten oft genug, wie im Falle der Verbrennung des Schwarzen Oury Jalloh in seiner Zelle, wo erst im Rahmen dieses Skandals neue Erkenntnisse ans Licht kamen. Man fühlt sich glatt nach Weimar zurückversetzt.
Ach ja, der Innenminister ist von der SPD.

Henkel für Mehrheitswahlrecht

Hans-Olaf Henkel, seines Zeichens Chef des BdI, hat im Stern-Gespräch das Mehrheitswahlrecht nach französischem Vorbild gefordert. Das würde "stabile Regierungen" ermöglichen und dem beginnenden Fünf-Parteien-System einen Riegel vorschieben (die gleiche Argumentation wurde auch in den 1980er Jahren aufgebracht, als die Grünen das Drei- zum Vier-Parteien-System erweiterten). Henkel warnt davor, dass das nur der Anfang von mehr sein würde und bald unzählige Parteien den Bundestag bevölkern würden (und beschwört so das Gespenst von Weimar herauf - vollkommener Unfug angesichts einer Fünf-Prozent-Klausel).
Weitere Vorteile, die Henkel darin sieht ist die Schwächung der Parteien und die "direktere" Einflussnahme der Bevölkerung, da die ja dann jeden wählen könnte, nicht nur die Kandidaten der Parteien. Dass das jetzt schon geht - zumindest in der Theorie - entgeht Herrn Henkel. Vermutlich meint er mit direktere Einflussnahme auch die direkte Bestechung von Kandidaten, anstatt die etwas anonymeren Wahlkampfspenden benutzen zu müssen.
Richtig absurd wird es, wenn er vor dem Linksruck warnt, der angeblich gerade die BRD erfasst (oh nein, die Kommunisten kommen!):
Die Situation erinnert mich an die Sache mit der "Pamia", dem Schulschiff, das in den 50er Jahren gesunken ist: das ist gesunken, weil die Ladung auf eine Seite verschoben wurde und Deutschland rutscht nach links, und was für ein Segelschiff gilt gilt auch für die Gesellschaft: wenn die Ladung sich auf einer Seite befindet, egal ob Backbord oder Steuerbord, dann kann ein Schiff in Not geraten wenn ein Sturm kommt - und damit müssen wir in Deutschland rechnen. (Quelle)
Glauben die Leute den Scheiß eigentlich, den sie da erzählen?

Lehrerstreiks

Zu den unbestrittenen Vorteilen einer verbeamteten Lehrerschaft gehört, dass die nicht streiken kann. Allgemein ein Vorteil, egal, wo man Beamte einsetzt. In der neoliberalen Propaganda allerdings nimmt der Beamte als Feindbild einen ganz besonderen Rang ein, mit der Folge, dass immer weniger Leute verbeamtet werden und prekäre Angestelltenverhältnisse bevorzugt werden. Das rächt sich nun.
Beamtenbund, ver.di und die Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes haben zum Streik für höheres Gehalt aufgerufen. Dabei beteiligen sich Angestellte aller Coleur - Erzieher aus Kindergarten und Jugendhaus, angestellte Lehrer, Müllleute, Polizisten.

Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, kündigte Streiks beim Bundeskriminalamt, der Bundespolizei und einigen Ortspolizeibehörden an. "Dort sitzen Beschäftigte der Polizei, denen das Streikrecht zur Verfügung steht, an den Schaltstellen der Infrastruktur", sagte er. (Quelle)
Ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen.

Zuminkel in den Knast!

Erinnert sich noch wer an den Millionendeal mit Aktienverkäufen, den Zumwinkel direkt am Anschluss an den Postmindestlohnbeschluss durchgezogen hat? Damals hieß es, das sei "ungeschickt" gewesen.
Etwas harschere Prädikate dürfte man für seinen neuesten Streich finden: Zumwinkel hat Steuerhinterziehung in zweistelliger Millionenhöhe begangen; seit zwanzig Jahren deponiert er Geld in Liechtenstein, in einer Stiftung.
Das ist wieder einmal ein Fall eines alten Mannes, der einfach nicht genug bekommen kann. Ab in den Knast, wie jeder andere ordinäre Steuerhinterzieher das auch müsste.

Dienstag, 12. Februar 2008

Verfassungstreue

In Bayern werden alle Staatsdiener mittels eines Fragebogens auf Verfassungstreue geprüft (also sowohl Staatsreferenten als auch HiWis an der Uni). Eine Frage, die hier angekreuzt werden muss ist, ob man die Linke unterstützt. Denn die sei ja linksextremestisch und eine Gefahr für den Staat.

Keine Ampel in Hessen

Was schon immer klar war hat sich nun bestätigt: die FDP lehnt eine Ampel in Hessen entschieden ab. Damit bleiben nur noch wenige Möglichkeiten:
1) Kooperation mit der Linken, ob Tolerierung oder Koalition.
2) Minderheitenregierung mit wechselnden Mehrheiten.
3) Große Koalition.
4) Neuwahlen.
Wird spannend.

Montag, 11. Februar 2008

Vier Euro Fünfundzwanzig

Laut dem SPD-Finanzsenator Berlin Thilo Sarrazin sind die vorgesehenen 4,25 Euro für die tägliche Ernährung vollständig ausreichend. Er hat deswegen einen beispielhaften Speiseplan durchgerechnet und "beweist", dass man auch mit unter vier Euro auskommen kann.
Sarrazins Speiseplan für einen Ein-Personen-Haushalt sieht zum Beispiel für ein Mittagessen eine Bratwurst für 38 Cent mit 150 Gramm Sauerkraut für 12 Cent und Kartoffelbrei für 25 Cent plus Gewürze und Öl für 20 Cent vor. Insgesamt kommt Sarrazin so auf einen Tagessatz zwischen 3,76 Euro und 3,98 Euro. (Quelle)
Ich will gar nicht auf die Absurdität dieser Rechnung eingehen, die mit realen Lebensumständen wenig zu tun hat. Die unbeschreibliche Arroganz, die der SPD-Politiker ausstrahlt ist viel mehr eine Betrachtung wert. Albrecht Müller hat zu Recht angemerkt, dass die abendliche Flasche Mineralwasser des Politikers vermutlich das doppelte dieses Tagessatzes kostet. Eigentlich kann man nur mit Udo Vetter d'accord gehen:
Ich habe ungefähr zehnmal angesetzt, mein Empfinden über diese Äußerung zu formulieren. Nicht, was den Inhalt an sich angeht. Sondern wegen der offenkundigen Bereitschaft, auf den Armen in diesem Land auch noch rumzutrampeln. Ich lasse es, weil ich nicht die richtigen Worte finde. (Quelle)
Gleichzeitig hat Roland Pofalla in der FTD einen Gastartikel geschrieben, in dem er das Märchen vom neoliberalen Wunderland erzählt. Der Artikel ist vom Inhalt her in etwa derselben Niveaukategorie einzuordnen wie Sarrazins Rechnung, weswegen ich mich ehrlich gesagt nicht weiter damit auseinandersetzen will, genausowenig wie mit Sarrazin. Vielleicht findet ja jemand anderes die Kraft dazu. Ich geh jetzt erst mal Reiern.

Türkische Schulen? - Gedanken zur Intergration

Der türkische Premier Erdogan hat in einer Rede den Vorschlag gemacht, in Deutschland doch türkische Schulen und Unis einzurichten. Dies sei kein Aufruf gegen Integration, sondern solle dieser helfen, denn wer seine eigene Sprache nicht richtig beherrscht, kann auch keine fremde lernen.
Kaum gesprochen, brach ein Sturm der Entrüstung los, getragen besonders von den allzeit bereiten Springerbrigaden und der CSU. "Nationalismus" wirft Beckstein Erdogan vor, Huber warnt vor der Schaffung einer "Klein-Türkei". Überall wird ins ausländerfeindliche Horn gestoßen, wie üblich unter dem Deckmantel der "Integration". Dass der Spruch langsam nicht mehr zieht zeigt sich am Zusatz "nicht Assimiliation".
Doch was ist überhaupt davon zu halten? Unaufgeregtheit findet man selten dieser Tage. Die Türken stehen in Deutschland häufig stellvertretend für alle Ausländer und stellen mit 1,7 Millionen auch die deutlich größte Gruppe. Was also ist von der Idee zu halten, türkische Schulen und Unis einzurichten?
Ein Blick über den Gartenzaun lohnt sich. In der Türkei leben 25.000 Deutsche. Sie verfügen in Ankara über eine deutsche Schule (aus deutschen Steuermitteln finanziert), deutsche Metzger und deutsche Bäcker, um ihre Heimat zu erhalten. Insgesamt unterhält die BRD 117 deutsche Schulen im Ausland, hat 1700 Lehrer für diese angestellt und gibt jährlich 200 Millionen Euro - die Hälfte des Kulturhaushalts des Auswärtigen Amts - aus, um die "Förderung der deutschen Sprache" aufrecht zu erhalten.
An einer ganzen Reihe von deutschen Universitäten kann man ein Studium auf Englisch absolvieren, ohne deutsche Sprachprüfung, und keiner wundert sich darüber, dass das (ab der achten Klasse einsprachige) französische Gymnasium in Berlin Wartelisten führt. All diese Unternehmungen gelten als Beförderung der internationalen Verständigung, als Erfolge des Dialogs zwischen den Kulturen. Geht es aber um die Türkei und die Türken, gelten die Regeln nicht mehr. (Quelle)
Warum ist das so?

Tatsächlich gibt es die "Klein-Türkei", vor der sich Erwin Huber fürchtet, hierzulande schon lange, obwohl sie mit der großen Türkei nur wenig zu tun hat. Sie ist vor allem eine Folge einer großen und nicht enden wollenden politischen Unreife. Sie ist die Konsequenz einer arroganten Weigerung anzuerkennen, dass man mehr als zwei Millionen Einwanderer im Land hat. (Quelle)

Genau hier liegt das Problem. Doch es gibt auch noch ein anderes. Wenn Ali, der Türke, endlich jeden Sonntag Schweinebraten isst und sich zwischen den Ave Maria in perfektem Deutsch zur Demokratie und Gleichheit der Frau bekennt, während seine Kinder Hans und Jürgen die Universität besuchen - wird Bayern-Schorch ihm dann sein Lieschen zur Frau geben? Nein. Bayern-Schorsch wird Ali immer noch als Türke wahrnehmen. Lieschen wird jemand mit hellerer Hautfarbe heiraten. Wer dieses Fakt leugnet, ist blind.
Warum also sind die Türken immer Gegenstand heftigster Diskussion? Warum fordert man gerade bei ihnen so gebetsmühlenhaft ein Bekenntnis zur deutschen Sprache und Kultur, das sich in seiner Radikalität so nicht einmal im Kultusministerium findet, das zweisprachigen Unterricht in allen Schulen obligatorisch machen will? In Englisch, wohlgemerkt, nicht in türkisch.
Die Idee Erdogans hat nämlich etwas für sich - 117 deutsche Schulen im Ausland beweisen es. Warum also weigert man sich hierzulande so verbissen, entwickelt so ausgeprägte Beißreflexe gegen die Türken?
Wie will man [Erdogan] erklären, dass französische oder englische Schulen hierzulande willkommen sind, nicht aber türkische? Und wer wollte ihm die Wahrheit sagen: dass es hier nicht um Sprache oder Kultur, sondern um die Abwehr einer Unterschicht geht. (Quelle)
Weiterführender Link: ad sinistram

Samstag, 9. Februar 2008

Fundstück

Unbedingt empfehlenswerter Artikel zum Thema Übergewicht, Sozialstaat und Krankenkassen.

Freitag, 8. Februar 2008

Kerviel ist wieder in Haft

Auf Insistieren des Pariser Gerichts wurde Jérome Kerviel wieder in Haft genommen. Ihr wisst schon, der Typ, der über fünf Milliarden Euro verzockt und die Socièté Génerale an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat.
Eigentlich müssten sie ihm ja eine Millionenabfindung zahlen und danach in einer anderen Großbank einstellen, aber ich fürchte die Gesetze der Branche gelten nur für die Upper Class. Er kann es ja mal mit einem Victory-Zeichen vor Gericht probieren, vielleicht klappt es ja nochmal.

SozialDEMOKRATEN

Es wird wieder Druck gemacht bei der Bahnprivatisierung: Noch 2008 soll sie über die Bühne gehen, oder auch: bloß kein Wahlkampfthema draus machen. Die Union ist voll dafür und übt entsprechend Druck aus; 10 bis 15 Milliarden Euro erwartet man sich davon. Dass sie zu verhökernden Teile ein vielfaches wert, die rechtliche Situation mit "ungeklärt" noch beschönigend umschrieben und es auch ansonsten einfach keine, keine Vorteile bringen würde - all das wird dabei unter den Tisch fallen gelassen. Aber das ist keine Überraschung.
Streng genommen ist das auch das Verhalten der SPD-Spitze nicht. Denn obwohl die Basis auf dem Parteitag in Hamburg eigentlich eine relativ klare Absage erteilt hat, macht Tiefensee - gestützt vom Rest der Junta - weiterhin Druck. Die Volksaktie, wie sie als Modell ebenfalls klar aus dem Parteitag hervorging, sieht man dabei einfach nicht als Option an. Hat ja nur die eigene Partei beschlossen, warum also auch nur drüber nachdenken? Um den Widerstand der Basis zu brechen will man, wenn im März darüber entschieden werden soll, einfach einen Sonderparteitag abhalten, der alles klären soll.
So also ist das Demokratieverständnis der Sozialdemokraten inzwischen aufgestellt: die Basis ist dagegen - kümmert uns nicht. Hoffen wir einfach, dass zum Sonderparteitag weniger Leute kommen, dann ist das geritzt. Klasse. Die Hast, mit der das Ganze gerade durchgesetzt werden soll, spricht eindeutig dafür.

Quo vadis, Spiegel?

Der Spiegel hat Aust nach langen Querelen nun endgültig beurlaubt und eine Doppelspitze eingerichtet; der ehemalige Spiegel-Online-Chef (und größter Boulevardisierer des Spiegels) und ein weiterer Interner; kein Wunder, nachdem man den ARD-Mann abgelehnt hatte. Nun fragt sich: wie geht es weiter? Die Spiegelverkäufe sind drastisch gesunken, darüber hat sogar die BILD berichtet (allerdings in Schützenhilfe für Aust mit völliger Verdrehung der Fakten). Wieder zurück zum kritischen Blatt von einst? Oder weiter das neoliberale, boulevardeske Kampfblatt des publizistischen Mainstreams? Alle Anzeichen weißen auf Letzteres.
Einer der ersten wirklich für die Lösung dieser Frage interessanten Artikel ist der jüngst bei SpOn erschienene "Anti-Neoliberalismus - Unsozial sind immer die anderen". Unter grotesker Verdrehung von Fakten wird dabei der Neoliberalismus verteidigt und ausgerechnet Eckhardt als erster Neoliberaler bezeichnet. Was Neoliberal wirklich ist und bedeutet, erfährt der Leser nicht. Stattdessen gibt es ein Propagandapamphlet der Extraklasse aus der Feder von Christian Reiermann. Es lohnt sich, sich mit dem Unfug auseinanderzusetzen - und fürderhin die Antwort darauf zu haben, warum man den Spiegel besser auch weiterhin nicht liest.

Mittwoch, 6. Februar 2008

Fundstücke 6.2.2008

Die BILD hetzt wieder gegen Arbeitslose.
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Hermann Scheer spricht sich für die Ampel in Hessen aus.
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Die taz zum Rauswurf von Aust.
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Dienstag, 5. Februar 2008

Zitat des Tages

Neue Blüte der Überwachungsmanie: Bank nutzt Videoüberwachungsbänder, um Frau Reinigungsrechnung zu schicken, deren Tochter Hundescheiße am Schuh hatte. Und GENAU SO läuft das mit allen Überwachungssachen. Erst "DIE TERRORISTEN" bzw "DIE KINDERSCHÄNDER", dann "Straftäter" und am Ende Hundekacke und Warez-Downloads.
- Fefe

Montag, 4. Februar 2008

Fundstücke 04.02.2008

NDS lesenswert zu Mindestlohn und Maximalgehalt.
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Wie der Staat unsere Konten ausschnüffelt.
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Schriftstellerin Juli Zeh klagt gegen den ePass, weil Schily befangen war - schließlich arbeitet er für die Firma, die die Dinger herstellt.
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Verrückte Republik

Klingelt was beim Namen Horst Dreier? Das ist derjenige, der Flugszeugabschüsse und Guantanamo fordert und von der SPD und den Grünen als neuer Vizepräsident des BVerfG (und damit in zwei Jahren automatisch dessen Präsident) vorgeschlagen wurde. Die FDP und die Linke sind natürlich, aus offensichtlichen Gründen, dagegen.
Zu dieser dunkelrot-gelben Koalition hat sich nun ausgerechnet die CDU geschlagen. Diese lehnt nämlich die Berufung Dreiers ebenfalls ab. Dreiers "relativierende Haltung" zur Menschenwürde mache ihn für die Union nicht tragbar.
Rondo.
Neben der Tatsache, dass die CDU sich gerade anschickt, die SPD in punkto Mitgliedszahlen zu schlagen und sie links zu überholen, sind sie nun auch noch die Beschützer des Rechtsstaats vor den Genossen, an der Seite der Linken und der FDP!

Danke an Benson für den Link.

Farbenspiele [Update]

Noch immer weiß nach der Hessenwahl niemand, wie es weitergehen soll. Eines allerdings ist klar: die Bedeutung der Landtagswahlen ist deutlich größer als die reine Zusammensetzung von Landtag und Bundesrat. Es geht um die weitere Entwicklung politischer Strömungen, den Wahlkampf 2009 und die Zusammensetzung der Republik danach.
Da ist einerseits die CDU. Die ist erfolgreich aus ihrer neoliberalen Leipziger Ecke herausgekrochen und hat sich wieder als Volkspartei etabliert, ohne vom Reformkurs ernsthaft abzuweichen. Dieses Kunststück ging fast zwei Jahre gut, aber die Belastbarkeit der Strömungen gerät allmählich an ihre Grenzen. Wulff fordert eine Besinnung auf einen wirtschaftsliberalen Kurs, andere wollen die Linie verschärfen und der SPD noch mehr den Platz streitig machen. Notwendig geworden ist diese Richtungsdiskussion wegen
der SPD. Der gelingt es seit der Hessenwahl wenigstens lokal, wieder die Position einer Volkspartei zu besetzen. In der Sonntagsfrage verharrt die SPD zwar weiter bei etwa 25%, während die Linke den 15% nahe kommt. In Hessen aber immerhin hat sich das noch um 10 Prozent verschoben. Die SPD will wieder Volkspartei werden und nicht Erfüllungsgehilfe der CDU, doch das würde man am liebsten machen, indem man die Linke wieder aus den Parlamenten wirft. Obwohl das rhetorisch das Ziel bleibt, sowohl bei SPD-Linken wie bei SPD-Rechten, wissen alle, dass es utopisch ist. Deswegen strebt man inzwischen offiziell die Ampel an, deren prominentester Forderer Kurt Beck ist. Dass diese bei den aktuellen Programmen mehr als nur absurd ist, während rot-rot-grün bei den aktuellen Programmen problemlos machbar wäre, steht auf einem anderen Blatt. Die strikte Ablehnung gegenüber der Linken dürfte sich auf Dauer genauso wenig halten lassen wie die gegenüber den Grünen in den 1970er und 1980er Jahren.
Die FDP steht vor einem großen Problem. Einerseits will sie nicht wieder als Umfaller gelten, andererseits haben sie aber auch keine Lust, Mehrheitsbeschaffer für eine wirtschaftspolitisch nach links und liberalpolitisch rechts rückenden CDU zu sein. Mitunter sind schwarz-gelbe Bündnisse kruder als rot-rot-gelbe, bedenkt man die Reduzierung der Libertät auf Marktliberalismus. Der Wahlkampf eines Roland Koch tat hier sein Übriges, die FDP hat also tatsächlich Potenzial, doch auf eine Ampel zuzugehen. Und das sagt sie neuerdings auch.
Die Grünen indessen strecken zaghafte Fühler nach der CDU aus und gerieren sich sonst als ökologischer Flügel der FDP. Man deckt das grüne Gewissen der Bürgerlichen ab und würde gerne in die rot-grünen Reformerzeiten zurück, die jedoch endgültig passé sind. Die Richtungsstreits zwischen "Fundis" (wie Trittin) und "Realos" (wie die derzeitige Führungsriege) ist ähnlich ernst wie in der SPD, wird jedoch nicht so publikumswirksam beachtet.
Bleibt die Linke. Diese hat endgültig bewiesen, weder zu zerbrechen noch eine Eintagsfliege zu sein. Sie zieht in fast jeden Landtag ein, presst SPD wie CDU (vor allem letztere!) nach links und hat in den letzten beiden Jahren aus der Opposition her schier unglaubliches erreicht. Doch wie es weitergehen soll, weiß niemand. Natürlich würde die Linke gerne irgendwo in Westdeutschland die Regierung mitstellen. Vorzugsweise natürlich in Hessen. Aber die anderen Parteien behandeln sie als Schmuddelkinder, und die rechtsgerichtete Springerpresse feuert volle Salven auf die Linke ab. Das könnte sich, genauso wie die lautstarke Unterstützung von Roland Kochs Schmutzwahlkampf, noch als großer Bumerang erweisen.
Zwar mag die BILD stark von besonders den ungebildeten Bevölkerungsschichten gelesen sein, aber ein Schmutzblatt lesen und ihm glauben sind zwei Dinge. Gleichzeitig ist die BILD für alle Menschen mit einem Hauch von Niveau ein rotes Tuch. Roland Kochs Wahlkampf hat bewiesen, dass die Unterstützung der BILD die für die CDU wichtige Wählerschicht der Bürgerlichen abstoßen kann. Wettert also die BILD fleißig und so indifferenziert wie lächerlich gegen die Linke, macht dies diese für ihre wider das Klischee eher gebildeten Wählerschichten nur interessanter - die Schmutzkampagne der BILD wird so zum Adelsprädikat für das vermeintliche Opfer.
Auch die Warnungen der Lobbyisten von der INSM und ihrem Umfeld stoßen immer mehr auf taube Ohren. Ihre Parolen stoßen immer weniger auf Interesse, werden an prominenter Stelle von prominenten Wissenschaftlern widerlegt und ihr wissenschaftliches Ansehen schmilzt mit jeder Unterstützung der BILD und Widerlegung durch FAZ und FTD.

Nachtrag: Inzwischen werden die Stimmen nach einem Mehrheitenwahlrecht wieder laut, glücklicherweise sind die Aussichten dafür aber schlecht.