Montag, 1. Juli 2024

Rezension: Cixin Liu - The Dark Forest

 

Cixin Liu - The Dark Forest (Hörbuch) - Cixin Liu - Der dunkle Wald (Hörbuch)

Wann immer jemand eine Fantasy- oder Science-Fiction-Welt erschafft, muss diese Person Annahmen treffen. Annahmen über die Funktion der Welt, über Politik, über die Gesellschaft. Diese Annahmen bestimmen dann die folgende Geschichte. Nachdem der erste Band der Trilogie vor allem das Setup für den Beginn der Kriegsvorbereitungen gegen Trisolaris war, beginnt der Konflikt in "The Dark Forest" nun im Ernst. Die große Frage, die sich dabei stellt, ist nicht nur, wie die Menschheit mit der Erkenntnis umgeht, nicht nur nicht alleine im Universum zu sein, sondern von unseren galaktischen Nachbarn auch attackiert zu werden, und wie sich vier Jahrhunderte unter unschönen Bedingungen (Sophons!) darauf vorbereitet. Auf einem Metalevel stellt sich die Frage, wie Liu es schaffen will, eine so geographisch wie temporal umfassende Geschichte zu schreiben und lesenswert zu halten. Ob ihm das gelingt, wollen wir im Folgenden sehen.

Die UN bildet den Planetaren Verteidigungsrat (PDC), um die Verteidigungsmaßnahmen gegen den bevorstehenden Angriff der Trisolarier zu koordinieren, deren Flotte noch 421 Jahre entfernt ist. Die von Trisolaris gesandten subatomaren Computer, bekannt als Sophons, haben jedoch bereits die Erde erreicht. Sie können nationale Geheimnisse und private Gespräche überwachen und den Betrieb von Teilchenbeschleunigern stören, um neue Entdeckungen in der Physik zu verhindern. Da die Sophons keine Gedanken lesen können, beschließt der PDC, zusätzlich zum regulären militärischen Ausbau vier Personen als "Wallfacers" zu ernennen. Diese sollen Zugang zu den Ressourcen der UN erhalten, um geheime Strategien zu entwickeln, die nur ihnen selbst bekannt sind. Drei von ihnen werden aufgrund ihrer Verdienste ausgewählt: Frederick Tyler, ehemaliger Verteidigungsminister der USA; Manuel Rey Diaz, ehemaliger Präsident von Venezuela und Nuklearingenieur; und Bill Hines, ehemaliger Präsident der EU und Neurowissenschaftler. Überraschenderweise wird der vierte Wallfacer Luo Ji, ein unbedeutender chinesischer Soziologieprofessor, der als faul und wenig ehrgeizig gilt. Später stellt sich heraus, dass Luo gewählt wurde, weil die ETO ihn ermorden wollte.

Tyler entwirft einen Schwarm kleiner, nuklear ausgestatteter Kamikaze-Raumjäger, aber sein geheimer Plan, mit der ETO zusammenzuarbeiten, um die Erdkräfte zu überlisten und anschließend die Trisolarier zu täuschen, wird von seinem Wallbreaker veröffentlicht. Die Nationen der Welt verurteilen ihn als Kriegsverbrecher, was ihn in den Selbstmord treibt. Diaz beantragt Mittel für massive Nuklearsprengköpfe und lässt einen erfolgreich auf dem Merkur zünden. Sein geheimer Plan, einen nuklearen Mechanismus zu bauen, der den Merkur in die Sonne treiben soll, wird jedoch von seinem eigenen Wallbreaker enthüllt. Bei der nächsten PDC-Anhörung beschließen die USA, Diaz' diplomatische Immunität zu verletzen und ihn zu verhaften, aber Diaz entkommt, indem er vorgibt, einen Schalter zu besitzen, der New York City zerstören kann. Nach seiner Rückkehr nach Venezuela wird er von der Bevölkerung als Kriegsverbrecher beschimpft und von einem wütenden Mob getötet. Hines führt Experimente zur Steigerung der Intelligenz durch und entdeckt dabei eine Methode zur Implantation von Überzeugungen. Die UN erlaubt Soldaten, Hines' Gerät zu verwenden, um den Glauben an einen Sieg gegen Trisolaris zu implantieren, um Defätismus zu bekämpfen. Das Programm wird jedoch später eingestellt, da es als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen wird.

Luo weigert sich zu arbeiten und nutzt seine Mittel, um ein komfortables Leben zu führen und eine ideale Frau zu heiraten. Er erkennt jedoch einige Wahrheiten über galaktische Zivilisationen, basierend auf einem Gespräch, das er Jahre zuvor mit seiner ehemaligen Lehrerin Ye Wenjie geführt hatte, die später für die Gründung der ETO inhaftiert wurde. Entsprechend arrangiert Luo, dass der Standort eines 50 Lichtjahre entfernten Sterns durch die Galaxis ausgestrahlt wird, wobei die Sonne als Verstärker dient. Sowohl Luo als auch Hines gehen in den Winterschlaf. Zu dieser Zeit bemerkt ein Observatorium durch die Verfolgung von Weltraumstaub, dass die Trisolarierflotte schnelle Sonden gestartet hat, die die Erde in nur 200 Jahren erreichen werden.

Luo, Hines und Hines' Frau wachen 200 Jahre später in einer wohlhabenderen und fortschrittlicheren Gesellschaft auf, obwohl es aufgrund der anhaltenden Sophons-Sabotage keine Fortschritte in der Teilchenphysik und Supercomputing gibt. Die Erde hat jetzt Tausende von Raumschiffen, die sowohl größer als auch schneller sind als die tausend Schiffe von Trisolaris. Die ETO wurde eliminiert. Die UN ist siegesgewiss und betrachtet das alte Wallfacer-Projekt als Absurdität. Hines' Frau enthüllt, dass sie der letzte Wallbreaker war und den geheimen Teil von Hines' Plan enthüllt: Das Glaubensimplantationsgerät wurde umgekehrt, sodass seine Subjekte glaubten, der Sieg sei unmöglich, und versuchten, von der Erde zu fliehen. Die menschliche Raumflotte, besorgt, dass das Gerät eine Geheimgesellschaft von Fluchtbefürwortern hervorgebracht haben könnte, holt Zhang aus dem Winterschlaf, um zu ermitteln. Zhang nutzt die Gelegenheit, die Besatzung des größten Schiffes zu sedieren und das Schiff aus dem Sonnensystem zu steuern, da er die ganze Zeit ein geheimer Defätist war. Die Raumflotte schickt vier Schiffe hinter Zhang her. Inzwischen passiert die erste Trisolarier-Sonde Jupiter, und die Menschheit startet 2000 Kriegsschiffe, um sie abzufangen.

Die Sonde erweist sich jedoch als Kugel aus "starker Interaktionsmaterie". Sie durchbohrt die Treibstoffzellen der Schiffe und zerstört alle bis auf zwei. Diese beiden beschließen, aus dem Sonnensystem zu fliehen, anstatt zum Stützpunkt zurückzukehren. Als die Nachricht verbreitet wird, verfällt die Gesellschaft in Hysterie. Die vier Schiffe, die Zhang verfolgten, beschließen, sich seiner Desertion anzuschließen. Jedes Schiff kommt schließlich zu dem Schluss, dass es seine Überlebenschancen maximieren kann, indem es die Besatzungen der anderen Schiffe tötet und ihre Ressourcen übernimmt. Die fünf Schiffe versuchen, sich gegenseitig zu töten, wobei eines siegreich hervorgeht. Auf der anderen Seite des Sonnensystems tötet eines der beiden fliehenden Schiffe auch das andere. Luo erklärt, wie diese Ereignisse seine frühere Theorie bestätigen: Es gibt überall in der Galaxis Leben, aber aufgrund des exponentiellen Wachstums und begrenzter Ressourcen ist der Anreiz sehr hoch, dass jede galaktische Zivilisation andere präventiv tötet. Das einzige, was dies verhindert, ist das Fehlen von Wissen über die Standorte anderer.

Luo wird wieder zum Wallfacer ernannt, nachdem die UN bemerkt hat, dass der von Luo früher markierte Stern zerstört wurde. Seine Strategie war es, Trisolaris zu einem Waffenstillstand zu zwingen, indem er drohte, ihren Standort zu verbreiten. Die Trisolarier verhindern dies jedoch, indem sie die Erde mit EMF-Wellen umhüllen. Luo scheint aufzugeben und schließt sich dem Regierungsprojekt "Snow" an, einem aussichtslosen Versuch, durch den Einsatz von Atombomben riesige Trümmerwolken zu erzeugen, um die verbleibende Reise der Trisolarierflotte zu verfolgen. Er wird von der Öffentlichkeit gemieden, weil er keinen Plan zur Niederlage von Trisolaris hat, und verfällt dem Alkoholismus. Es stellt sich jedoch heraus, dass er eine Nachricht in die Bomben kodiert hat: Bei deren Explosion werden die daraus resultierenden präzise platzierten Staubwolken dazu führen, dass die Sonne für einen extrasolaren Beobachter zu flackern scheint und so den Standort von Trisolaris in einer Art Morsecode übermittelt. Trisolaris ist gezwungen, einem Waffenstillstand mit der Erde zuzustimmen. Die Regierung genehmigt Luos Arbeit und stimmt zu, seine Frau und Tochter aus dem Winterschlaf zu holen, woraufhin sie wieder vereint werden.

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Ich sagte eingangs, dass jede Geschichte auf Prämissen beruht, Prämissen über Geschichte, Politik, Gesellschaft, Kultur, die menschliche Natur und vieles mehr. Diese Prämissen bestimmen dann die Handlung. Man sehe nur auf den Unterschied zwischen den DC- und Marveladaptionen der vergangenen beiden Dekaden, oder den Unterschied zwischen Frank Miller und Brian Vaughan. Was man als Grundlage annimmt, bestimmt die resultierende Geschichte. In "Der dunkle Wald" packt Cixin Liu das Banner seiner eigenen Prämissen aus, indem er beinahe 200 Jahre in die Zukunft springt und den ersten Kontakt der Menschen mit den Trisolariern durchdekliniert. Was daraus resultiert, ist alles andere als schön anzusehen - aber das ist ganz im Sinne des Autors.

Im Zentrum des Romans steht die titelgebende Erkenntnis Luos, dass das Universum ein "Dark Forest" sei, in dem jede Zivilisation wie ein Jäger umherschleiche, der jedes andere Leben in einem Kampf aller gegen alle tötet. Die zugrundeliegenden Hypothesen sind die einer "galaktischen Soziologie" mit den beiden simplen Prämissen dass jede Zivilisation als oberstes Ziel überleben wolle und sich in eine endliche Galaxie hinein ausbreite, so dass Konflikte um die Existenz unvermeidlich seien. Dies erkläre das Fermi-Paradox. Das ist natürlich eine Prämisse, die man haben kann (und Liu verkompliziert diese etwas, indem er auf die Kapazität für Liebe zumindest der Menschen und Trisolarier verweist).

Aus dieser Prämisse - die die Trisolarier als eine im Wortsinn "universale" Erkenntnis teilen - leitet sich sowohl die Abschreckung im finalen Twist der Handlung als auch die jeweilige Reaktion der Gesellschaften mit ab. Die Trisolarier unterdrückten ihre Kapazität für Liebe, weil sie ihre Fähigkeit zu überleben (Axiom 1 der galaktischen Soziologie) gefährde. Die Menschen ihrerseits bauen nun darauf, um Beziehungen zu ihnen aufbauen zu können. Ich muss den finalen Roman der Reihe abwarten um zu sehen, was daraus hervorgeht; ich bin allerdings sehr skeptisch bezüglich der "bellum omnium contra omnes"-These des "Dark Forest" selbst. Sie ist in sich schlüssig, aber sie ist nichts, womit ich mich identifizieren kann.

Ein ähnliches Spannungsfeld besteht für Individualismus versus Kollektivismus. Liu betont immer wieder die Bedeutung des Invididuums in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, vor allem in der zweiten Renaissance nach der "großen Kluft" des Niedergangs in der Krisenzeit. Gleichzeitig aber tritt die Menschheit mit Ausnahme der wenigen Charaktere - die die Schwächen des ersten Romans nicht nur teilen, sondern sogar noch schärfer erleben, wo der bestentwickelte Charakter Ye nicht mehr in der Handlung vorkommt - immer nur als perfekt organisiertes Kollektiv auf. Ich bin unsicher, ob das schlicht das Desinteresse Lius ist, die Grenzen seiner Fähigkeiten als Autor oder Ausdruck seiner eigenen ideologischen Prägung (ich will nicht zu viel Küchentischpsychologie bezüglich seiner Herkunft aus der chinesischen Diktatur betreiben), aber im Ergebnis ist das auch recht egal.

Besonders augenfällig ist dieses Zusammentreffen der Prämissen in der "Schlacht in der Dunkelheit", als sich die überlebenden Schiffe gegenseitig zerstören, um die begrenzten Ressourcen bestmöglich zu nutzen. Mich überzeugt dieser Plotpunkt vergleichsweise wenig. Die Zahlen der Leute auf den Schiffen sind ohnehin so klein (2000 pro Schiff), dass das Überleben der Menschheit irgendwo im Universum eine mehr als wackelige Vorstellung ist. Aber dann auch noch einen Großteil zu erledigen, weil es begrenzte Ressourcen gibt, und diese Ressourcen im Zuge dieses Kampfes zu zerstören, erscheint mir völlig unsinnig. Aber darüber kann man natürlich diskutieren, und gerade solche Diskussionen sind ja der große Wert, den Science Fiction bereitstellt.

Auffällig finde ich auch den "Chauvinismus der Gegenwart" (mir fällt kein besserer Begriff ein). Liu greift auf den üblichen Trick der Hard SciFi zurück, seine ohnehin nicht sonderlich ausgebauten Charaktere durch technologische Kniffe über Jahrzehnte und Jahrhunderte überleben zu lassen, in dem Fall durch Einfrieren und Auftauen ("hibernation"). Die Vorstellung, dass die Menschen der Gegenwart in 200 Jahren besser geeignet sind, die Führung der Welt zu übernehmen, weil sie härter sind als die durch Wohlstand verweichlichte zukünftige Generation, ist ein Topos, von dem ich gar nichts halte. Diese Vorstellung von "harte Zeiten produzieren harte Menschen" und dass diese Vorteile hätten, hat Bret Deveraux als "Fremen Mirage" fulminant widerlegt.

Die Handlung basiert auch massiv auf der Vorstellung kontinuierlich vollzogener großer Pläne einzelner großer Männer. Auch das ist sicherlich mit der bereits diskutierten Grundstruktur von Lius Roman geschuldet, aber es verstärkt die erzählerischen Probleme. Ständig erklären Charaktere einander irgendwelche Pläne, und Plottwists beruhen ständig auf der Offenbarung solcher Pläne, entweder in ihrem Erfolg oder, öfter, in ihrem Scheitern, wobei der auktoriale Erzähler die Lesenden gerne im Dunkeln hält, um den Twist unterbringen zu können - alles nicht eben elegante literarische Kunst.

Ein Element, das für mich sehr, sehr wahr klingt, ist die Figur Michael Evans'. Die TV-Serie setzt dieses Element besser um, aber auch im Roman ist der Milliardär der Überzeugung, dass er allein mit den Trisolariern kommunizieren sollte. Hätten Regierungsinstitutionen die Möglichkeit, mit Trisolaris zu kommunizieren, würde das alles durch Kommittees über Kommitteees laufen, jedes Wort abgewogen und abgestimmt. Evans redet einfach aus eigener Vollkommenheit mit ihnen, in ungeheurer Hybris, und gefährdet die Menschheit essenziell. Er bedenkt keine Sekunde, dass Grimms Märchen vielleicht nicht der beste Weg sind, um Außerirdischen unsere Zivilisation zu erläutern, und bringt die Trisolarier (endgültig?) auf einen genozidalen Kurs. Wäre Elon Musk die Person, die Zugang zu dieser Kommunikation hätte - ich habe keinen Zweifel, dass er auch überzeugt wäre, der bestqualifizierte zu sein und mit seinen Idiosynkratien die Menschheit zu ruinieren.

Ein letzter merkwürdiger Aspekt ist Luos "ideale Frau am idealen Ort". Die Vorstellung, dass er eine Traumfrau (im Wortsinn) durch einen Geheimagenten finden lässt und diese sich dann auch noch in ihn verliebt, ist in einem kaum erträglichen Ausmaß cringe. Ich bin echt gespannt, wie die TV Serie mit dieser Objektifizierung umgehen wird; ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Plotpunkt in irgendeiner Weise überleben wird. Luo ist generell ein Charakter, den Liu für wesentlich interessanter zu halten scheint, als er ist: große Teile des Handlungsverlaufs beruhen auf ihm, und während die Auflösung seines Wallfacer-Status' sehr gut funktioniert, ist er einfach viel zu uninteressant und durch die Struktur notwendig mysteriös und unnahbar, als dass sich Lesende mit ihm empathisch zeigen könnten.

"The Dark Forest" bleibt daher wie das "Three-Body Problem" vor allem für die Ideen und Denkansätze lesenswert; als Roman taugt es relativ wenig. Hier hat die TV-Adaption der Vorlage einiges voraus.

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