Cixin Liu - The Dark Forest (Hörbuch) - Cixin Liu - Der dunkle Wald (Hörbuch)
Wann immer jemand eine Fantasy- oder Science-Fiction-Welt erschafft, muss diese Person Annahmen treffen. Annahmen über die Funktion der Welt, über Politik, über die Gesellschaft. Diese Annahmen bestimmen dann die folgende Geschichte. Nachdem der erste Band der Trilogie vor allem das Setup für den Beginn der Kriegsvorbereitungen gegen Trisolaris war, beginnt der Konflikt in "The Dark Forest" nun im Ernst. Die große Frage, die sich dabei stellt, ist nicht nur, wie die Menschheit mit der Erkenntnis umgeht, nicht nur nicht alleine im Universum zu sein, sondern von unseren galaktischen Nachbarn auch attackiert zu werden, und wie sich vier Jahrhunderte unter unschönen Bedingungen (Sophons!) darauf vorbereitet. Auf einem Metalevel stellt sich die Frage, wie Liu es schaffen will, eine so geographisch wie temporal umfassende Geschichte zu schreiben und lesenswert zu halten. Ob ihm das gelingt, wollen wir im Folgenden sehen.
Die UN bildet den Planetaren Verteidigungsrat (PDC), um die Verteidigungsmaßnahmen gegen den bevorstehenden Angriff der Trisolarier zu koordinieren, deren Flotte noch 421 Jahre entfernt ist. Die von Trisolaris gesandten subatomaren Computer, bekannt als Sophons, haben jedoch bereits die Erde erreicht. Sie können nationale Geheimnisse und private Gespräche überwachen und den Betrieb von Teilchenbeschleunigern stören, um neue Entdeckungen in der Physik zu verhindern. Da die Sophons keine Gedanken lesen können, beschließt der PDC, zusätzlich zum regulären militärischen Ausbau vier Personen als "Wallfacers" zu ernennen. Diese sollen Zugang zu den Ressourcen der UN erhalten, um geheime Strategien zu entwickeln, die nur ihnen selbst bekannt sind. Drei von ihnen werden aufgrund ihrer Verdienste ausgewählt: Frederick Tyler, ehemaliger Verteidigungsminister der USA; Manuel Rey Diaz, ehemaliger Präsident von Venezuela und Nuklearingenieur; und Bill Hines, ehemaliger Präsident der EU und Neurowissenschaftler. Überraschenderweise wird der vierte Wallfacer Luo Ji, ein unbedeutender chinesischer Soziologieprofessor, der als faul und wenig ehrgeizig gilt. Später stellt sich heraus, dass Luo gewählt wurde, weil die ETO ihn ermorden wollte.
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Ich sagte eingangs, dass jede Geschichte auf Prämissen beruht, Prämissen über Geschichte, Politik, Gesellschaft, Kultur, die menschliche Natur und vieles mehr. Diese Prämissen bestimmen dann die Handlung. Man sehe nur auf den Unterschied zwischen den DC- und Marveladaptionen der vergangenen beiden Dekaden, oder den Unterschied zwischen Frank Miller und Brian Vaughan. Was man als Grundlage annimmt, bestimmt die resultierende Geschichte. In "Der dunkle Wald" packt Cixin Liu das Banner seiner eigenen Prämissen aus, indem er beinahe 200 Jahre in die Zukunft springt und den ersten Kontakt der Menschen mit den Trisolariern durchdekliniert. Was daraus resultiert, ist alles andere als schön anzusehen - aber das ist ganz im Sinne des Autors.
Im Zentrum des Romans steht die titelgebende Erkenntnis Luos, dass das Universum ein "Dark Forest" sei, in dem jede Zivilisation wie ein Jäger umherschleiche, der jedes andere Leben in einem Kampf aller gegen alle tötet. Die zugrundeliegenden Hypothesen sind die einer "galaktischen Soziologie" mit den beiden simplen Prämissen dass jede Zivilisation als oberstes Ziel überleben wolle und sich in eine endliche Galaxie hinein ausbreite, so dass Konflikte um die Existenz unvermeidlich seien. Dies erkläre das Fermi-Paradox. Das ist natürlich eine Prämisse, die man haben kann (und Liu verkompliziert diese etwas, indem er auf die Kapazität für Liebe zumindest der Menschen und Trisolarier verweist).
Aus dieser Prämisse - die die Trisolarier als eine im Wortsinn "universale" Erkenntnis teilen - leitet sich sowohl die Abschreckung im finalen Twist der Handlung als auch die jeweilige Reaktion der Gesellschaften mit ab. Die Trisolarier unterdrückten ihre Kapazität für Liebe, weil sie ihre Fähigkeit zu überleben (Axiom 1 der galaktischen Soziologie) gefährde. Die Menschen ihrerseits bauen nun darauf, um Beziehungen zu ihnen aufbauen zu können. Ich muss den finalen Roman der Reihe abwarten um zu sehen, was daraus hervorgeht; ich bin allerdings sehr skeptisch bezüglich der "bellum omnium contra omnes"-These des "Dark Forest" selbst. Sie ist in sich schlüssig, aber sie ist nichts, womit ich mich identifizieren kann.
Ein ähnliches Spannungsfeld besteht für Individualismus versus Kollektivismus. Liu betont immer wieder die Bedeutung des Invididuums in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, vor allem in der zweiten Renaissance nach der "großen Kluft" des Niedergangs in der Krisenzeit. Gleichzeitig aber tritt die Menschheit mit Ausnahme der wenigen Charaktere - die die Schwächen des ersten Romans nicht nur teilen, sondern sogar noch schärfer erleben, wo der bestentwickelte Charakter Ye nicht mehr in der Handlung vorkommt - immer nur als perfekt organisiertes Kollektiv auf. Ich bin unsicher, ob das schlicht das Desinteresse Lius ist, die Grenzen seiner Fähigkeiten als Autor oder Ausdruck seiner eigenen ideologischen Prägung (ich will nicht zu viel Küchentischpsychologie bezüglich seiner Herkunft aus der chinesischen Diktatur betreiben), aber im Ergebnis ist das auch recht egal.
Besonders augenfällig ist dieses Zusammentreffen der Prämissen in der "Schlacht in der Dunkelheit", als sich die überlebenden Schiffe gegenseitig zerstören, um die begrenzten Ressourcen bestmöglich zu nutzen. Mich überzeugt dieser Plotpunkt vergleichsweise wenig. Die Zahlen der Leute auf den Schiffen sind ohnehin so klein (2000 pro Schiff), dass das Überleben der Menschheit irgendwo im Universum eine mehr als wackelige Vorstellung ist. Aber dann auch noch einen Großteil zu erledigen, weil es begrenzte Ressourcen gibt, und diese Ressourcen im Zuge dieses Kampfes zu zerstören, erscheint mir völlig unsinnig. Aber darüber kann man natürlich diskutieren, und gerade solche Diskussionen sind ja der große Wert, den Science Fiction bereitstellt.
Auffällig finde ich auch den "Chauvinismus der Gegenwart" (mir fällt kein besserer Begriff ein). Liu greift auf den üblichen Trick der Hard SciFi zurück, seine ohnehin nicht sonderlich ausgebauten Charaktere durch technologische Kniffe über Jahrzehnte und Jahrhunderte überleben zu lassen, in dem Fall durch Einfrieren und Auftauen ("hibernation"). Die Vorstellung, dass die Menschen der Gegenwart in 200 Jahren besser geeignet sind, die Führung der Welt zu übernehmen, weil sie härter sind als die durch Wohlstand verweichlichte zukünftige Generation, ist ein Topos, von dem ich gar nichts halte. Diese Vorstellung von "harte Zeiten produzieren harte Menschen" und dass diese Vorteile hätten, hat Bret Deveraux als "Fremen Mirage" fulminant widerlegt.
Die Handlung basiert auch massiv auf der Vorstellung kontinuierlich vollzogener großer Pläne einzelner großer Männer. Auch das ist sicherlich mit der bereits diskutierten Grundstruktur von Lius Roman geschuldet, aber es verstärkt die erzählerischen Probleme. Ständig erklären Charaktere einander irgendwelche Pläne, und Plottwists beruhen ständig auf der Offenbarung solcher Pläne, entweder in ihrem Erfolg oder, öfter, in ihrem Scheitern, wobei der auktoriale Erzähler die Lesenden gerne im Dunkeln hält, um den Twist unterbringen zu können - alles nicht eben elegante literarische Kunst.
Ein Element, das für mich sehr, sehr wahr klingt, ist die Figur Michael Evans'. Die TV-Serie setzt dieses Element besser um, aber auch im Roman ist der Milliardär der Überzeugung, dass er allein mit den Trisolariern kommunizieren sollte. Hätten Regierungsinstitutionen die Möglichkeit, mit Trisolaris zu kommunizieren, würde das alles durch Kommittees über Kommitteees laufen, jedes Wort abgewogen und abgestimmt. Evans redet einfach aus eigener Vollkommenheit mit ihnen, in ungeheurer Hybris, und gefährdet die Menschheit essenziell. Er bedenkt keine Sekunde, dass Grimms Märchen vielleicht nicht der beste Weg sind, um Außerirdischen unsere Zivilisation zu erläutern, und bringt die Trisolarier (endgültig?) auf einen genozidalen Kurs. Wäre Elon Musk die Person, die Zugang zu dieser Kommunikation hätte - ich habe keinen Zweifel, dass er auch überzeugt wäre, der bestqualifizierte zu sein und mit seinen Idiosynkratien die Menschheit zu ruinieren.
Ein letzter merkwürdiger Aspekt ist Luos "ideale Frau am idealen Ort". Die Vorstellung, dass er eine Traumfrau (im Wortsinn) durch einen Geheimagenten finden lässt und diese sich dann auch noch in ihn verliebt, ist in einem kaum erträglichen Ausmaß cringe. Ich bin echt gespannt, wie die TV Serie mit dieser Objektifizierung umgehen wird; ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Plotpunkt in irgendeiner Weise überleben wird. Luo ist generell ein Charakter, den Liu für wesentlich interessanter zu halten scheint, als er ist: große Teile des Handlungsverlaufs beruhen auf ihm, und während die Auflösung seines Wallfacer-Status' sehr gut funktioniert, ist er einfach viel zu uninteressant und durch die Struktur notwendig mysteriös und unnahbar, als dass sich Lesende mit ihm empathisch zeigen könnten.
"The Dark Forest" bleibt daher wie das "Three-Body Problem" vor allem für die Ideen und Denkansätze lesenswert; als Roman taugt es relativ wenig. Hier hat die TV-Adaption der Vorlage einiges voraus.
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