Donnerstag, 10. März 2016

Die republikanischen Zauberlehrerlinge, Teil 2: Kontrollverlust

Am Tag von Obamas Inauguration im Januar 2009 trafen sich die republikanischen Spitzen des Kongresses zu einem Treffen, auf dem sie ihre gemeinsame Strategie festlegten und kurz darauf öffentlich verkündeten: "Obama has to be a one-term President." Nun ist das nicht gerade eine innovative Idee - jede Oppositionspartei will, dass ihr Gegner in der nächsten Legislaturperiode wieder abgewählt wird. Ungewöhnlich war allerdings die Strategie, auf die man sich verlegte: Obama durfte keine Erfolge im Kongress oder sonstwo feiern. Die Republicans legten sich öffentlich auf eine Totalblockade fest. Mit diesem Schritt begann ein Kontrollverlust über die eigene Partei, der aus der Retrospektive hier seinen Anfangspunkt findet - und im Wahlkampf Donald Trumps einen vorläufigen Höhepunkt.

Obama begann seine Amtszeit mit einer Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses und einer katastrophalen Wirtschaftskrise und zwei schlecht laufenden Kriegen, die er beide von seinem Vorgänger geerbt hatte. Die Wirtschaftkrise konnte durch konzertierte Nachfragepolitik (der berühmte "Stimulus") aufgefangen werden, während das Zurückdrehen der amerikanischen Militärpräsenz ohnehin überwiegend unter die Exekutivmacht des Präsidenten fiel. Bereits bei den Verhandlungen zum Stimulus aber zeigte sich, dass die Republicans nicht bereit waren, im Interesse des Ganzen Kompromisse mit Obama einzugehen. Versuche Obamas, den Plan mit Stimmen beider Parteien zu verabschieden - wofür er starke Kompromisse einzugehen bereit war - scheiterte; die Republicans lehnten kategorisch ab, einem Plan zuzustimmen, und schlugen stattdessen Kürzungen vor (etwa eine Streichung von 36 Milliarden Dollar für die Reparatur des desolaten Highway-Systems). Der Stimulus wurde ohne einzige republikanische Stimme verabschiedet, ein Muster, das sich bei den Verhandlungen um Obamacare wiederholen sollte: die anfängliche Unterstützung einiger republikanischer Abgeordneter wurde zugunsten einer geeinten Obama-Abwehrfront im Verlauf der Periode 2009/10 zurückgezogen. Dies ermöglichte es den Republicans, sich ihrer Basis gegenüber als ideologisch rein zu präsentieren und ohne jede Zurückhaltung Wahlkampf gegen Obamas Programm zu machen. Ein solches Verhalten ist man in Deutschland eigentlich nur von der LINKEn gewohnt.

Für die Republicans trug die Strategie Früchte. Die Democrats und ihre Anhänger waren von den harten legislativen Auseinandersetzungen um den Stimulus und Obamacare, bei denen auch die Abgeordneten des rechten Flügel der Democrats hatten gewonnen werden müssen, erschöpft. Die Midterm Elections 2010 gerieten zu einem Desaster für die Democrats; 63 Sitze im Repräsentantenhaus (und die Mehrheit) gingen verloren, sechs Sitze im Senat (wo die Democrats die Mehrheit behielten). Dieser Wahlerfolg wurde vor allem durch zwei Faktoren angetrieben: die relativ geringe Wahlbeteiligung demokratischer Wählerschichten bei den Midterms¹ und die Entstehung der Tea-Party-Bewegung.

Die Tea Party war eine Basisrevolution bei den Republicans. Überwiegend weiß, männlich und älter hatten sie das Gefühl, dass ihr Land sich rapide veränderte - in eine Richtung, die ihnen ganz und gar nicht behagte. Vielerorts trieben sie die Wahlbeteiligung für die Republicans in die Höhe und, was wichtiger war, sorgten bei vielen primaries für die Kongresssitze für die Wahlsiege stramm ideologischer Kandidaten. Dass dies überhaupt möglich war verdankten sie einer Strategie, die bereits seit Jahren auf beiden Seiten verfolgt wurde, jedoch wegen großer Erfolge der Republicans in den Wahlen auf Ebene der Bundesstaaten dort weiter verbreitet war: das Gerrymandering, also der gezielte Zuschnitt von Wahlkreisen auf eine Art, die den Sieg der eigenen Seite sichert. Die relevanten Wahlen waren daher nicht die eigentlichen Auseinandersetzungen gegen den Kandidaten der Democrats, sondern die primaries, wo sich der jeweilige republikanische Kandidat gegen seine parteiinternen Kandidaten durchsetzen musste. Diese Entwicklung, die sich bereits vorher angedeutet hatte, wurde 2010 mit der Tea Party wie durch einen Brandsatz beschleunigt und brachte eine Gruppierung von Abgeordneten in den Kongress, denen man nicht erst sagen musste, dass sie nicht kooperieren sollten - sie kooperierten nicht, auch dann nicht, wenn die republikanische Führung unter John Boehner das gerne gehabt hätte.

Einen ersten Geschmack bekam die republikanische Führung 2011, als die Abgeordneten sich plötzlich weigerten, das so genannte debt ceiling zu erhöhen, das notwendig ist, damit die USA ihre Rechnungen bezahlen können. Jahrzehntelang war dieses grundsätzlich ohne Debatte erhöht worden, weil die Kosten, die dadurch gedeckt wurden, bereits im jährlichen Budget durch das Repräsentantenhaus gegangen waren. Der Konflikt endete mit einem Patt, der im Sequester endete: automatische Budgetkürzungen quer durch alle Ressorts, bis eine Lösung gefunden war. Da dies auch Heilige Kühe der Republicans betraf - etwa den Verteidigungshaushalt - musste schließlich ein Kompromiss eingegangen werden. Nach normalen Maßstäben war dieser für die GOP sehr attraktiv, denn Obama machte viele Konzessionen. Aber die Stimmung in der Parteibasis hatte sich bereits so weit gewandelt, dass jeder Kompromiss als Verrat an den Prinzipien wahrgenommen wurde. Als Folge davon gruben sich die republikanischen Abgeordneten immer tiefer in ihre Gräben ein.

Während diese legislativen Schlachten aus Sicht der Parteibasis unbefriedigend verliefen, brachen die Republicans neben dem Angriff auf das debt ceiling noch eine ganze Reihe weiterer Tabus, die deutlich zeigten, dass sie Obama als illegitim empfanden. Bevor wir diese Beispiele etwas näher betrachten sei bemerkt, dass es einen Unterschied zwischen der Ablehnung eines Präsidenten und seiner Politik und dem Absprechen seiner Legitimität gibt. Die Democrats lehnten Bush ab, aber sie widersprachen nicht seiner Legitimität. Die Republicans dagegen vertraten aggressiv die Position, dass Obama effektiv ein Usurpator im Weißen Haus sei, mit dem es keine Kompromisse geben konnte. Entsprechend auch die Tabubrüche:
  • Bereits bei der ersten "State of the Union"-Rede 2009 wurde Obama von einem Abgeordneten unterbrochen, der lauthals "You lie!" in den Kongresssaal schrie. So etwas war zuvor noch nie vorgekommen.
  • 2011 stellten sich viele Republicans einschließlich des Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney hinter die Birther-Bewegung, die vor allem durch Donald Trump an Bekanntheit gewonnen hatte und postulierte, dass Obama in Wahrheit kein Amerikaner, sondern Afrikaner sei.
  • 2011 ließ Boehner einen Terminwunsch Obamas für eine "Joint Session" platzen - angeblich aus Sicherheitsbedenken. Auch das war ein einmaliger Vorgang.
  • 2015 luden die Republicans hinter Obamas Rücken Benjamin Netanjahu ein, eine Anti-Obama-Rede im Kongress zu halten.
  • Ebenfalls 2015 schrieben die Abgeordneten einen offenen Brief an die iranische Regierung mit dem Ziel, die Verhandlungen Obamas um das Atomprogramm zu torpedieren.
  • 2016 weigerten sie sich, einen Termin für eine Anhörung über Obamas Haushaltsplan anzusetzen.
  • Ebenfalls 2016 weigerten sie sich kategorisch, eine Nominierung Obamas für den Supreme Court auch nur zur Abstimmung zu bringen und verneinten das verfassungsmäßige Recht Obamas, diese Nominierung vorzunehmen.
  • Und noch einmal 2016 weigerten sie sich, seinen Vorschlag für die Schließung von Guantanamo auch nur zur Kenntnis zu nehmen; ein Abgeordneter filmte sogar, wie er das ungelesene Dossier in den Papierkorb warf.
Das ist nur eine unvollständige Liste. Einige dieser Punkte mögen nicht sonderlich relevant erscheinen - die Republicans hätten die entsprechenden Vorschläge dank ihrer Mehrheiten ja ohnehin abgelehnt - aber die Abgeordneten demonstrierten hier einen bewussten, zelebrierten Bruch jeglicher parlamentarischer und demokratischer Formen und verweigerten vollständig jegliche Auseinandersetzung zugunsten eines Alles-oder-Nichts-Ansatzes. Das hinterließ zwangsläufig Eindruck bei der Basis, und von Januar 2009 an entstand ein sich gegenseitig verstärkender Transmissionsriemen zwischen der Basis und den Abgeordneten, der einen Teufelskreis permanenter Radikalisierung und Enttäuschung befeuerte.

Denn die republikanische Strategie, so erfolgreich sie auch Wähler mobilisierte, vermochte eines nicht: legislative Erfolge zu erbringen. Stattdessen erlitten die Republicans eine Reihe von Niederlagen. Satte 62 Mal stimmten sie für die Abschaffung von Obamacare; 62 Mal scheiterten sie. Auch der Supreme Court bestätigte das Gesetz, und 2015 führte der Supreme Court auch noch die Homo-Ehe in den gesamten USA ein - und die Proteste der Republicans endeten in schmählichen Niederlagen; am bekanntesten ist wohl Kim Davis, ein county clerk aus Kentucky, die in Beugungshaft musste, weil sie sich weigerte, das Gesetz umzusetzen. Die größte Niederlage dieser Jahre aber war zweifellos Obamas Wiederwahl 2012.

Dies war besonders schmerzhaft, weil die Republicans fest damit gerechnet hatten, den Sieg davon zu tragen. 2012 war die erste Wahl, in der detaillierte Datenmodelle zum ersten Mal in großem Maßstab eingesetzt wurden, um genaue Prognosen abzugeben, wobei sich besonders Nate Silvers Team um das Blog 538 hervortat. Die Republicans glaubten diesen Modellen nicht und verließen sich auf veraltete, viel auf Intuition (und, in diesem Fall, Illusion) basierende Modelle. Karl Rove, einer der Haupt-Brandstifter unter George W. Bush, weigerte sich beharrlich in einer Live-Sendung auf FOX-News, das Ergebnis zu akzeptieren. Der Wahlausgang zeigte daher deutlich die Grenzen der Attraktivität radikaler republikanischer Ideologie, aber für uns wichtiger ist der vorhergehende Vorwahlkampf der Republicans.

Die "Clownshow" von 2012 ist mittlerweile berühmt-berüchtigt. Von Rick Perrys "oops" zu Herman Caines "9-9-9 tax plan" zu Newt Gingrichs Mondbasis und Rick Santorums Vorliebe für gestrickte Oberwesten genoss jeder noch so absurde Kandidat einige Wochen Oberwasser in den Umfragen, sofern er nur so radikal wie möglich gegen das Establishment wetterte und möglichst unrealistische Cartoon-Versionen republikanischer Politikideen hatte. Am Ende aber gewann Mitt Romney, der Favorit des Establishments, während keiner der "Clowns" die Aufmerksamkeit der Medien lange überlebte. Romney selbst allerdings war gezwungen, in den Vorwahlen scharf nach rechts zu steuern. So bezeichnete er sich als severe conservative und engagierte Paul Ryan, der wie kein anderer für seriösen Radikalismus in der republikanischen Partei steht, als Vizepräsidentschaftskandidaten. Damit öffnete er eine gewaltige Flanke zur Mitte hin, die Obama im Wahlkampf spielend ausnutzen konnte.

Für die republikanische Partei, die einen "Obduktionsbericht" der Wahl anfertigen ließ, waren die Ursachen der Niederlage klar: Obama hatte die Stimmen der Frauen, Schwarzen und Latinos sowie der jungen Gebildeten deutlich gewonnen. Besonders die Latinos wurden als neue Zielgruppe ausgemacht, weil sie eigentlich von ihren gesellschaftlichen Ansichten her eher konservativ ticken (eine ähnliche Situation haben wir in Deutschland mit den Türken, die auch eher konservative Familienansichten haben und trotzdem überwältigend Grüne statt CDU wählen). Die Lösung schien klar: es brauchte eine Immigrationsgesetzgebung, Kernforderung Nummer eins der Latinos. Hierzu entstand eine überparteiliche Verbindung von Senatoren, die so genannte "Gang of Eight" (vier Democrats, vier Republicans), die einen Plan ausarbeitete. Auf republikanischer Seite sind vor allem Marco Rubio und John McCain erwähnenswert.

Und hier zeigte sich zum ersten Mal deutlich der beginnende Kontrollverlust der republikanischen Parteispitze, die die debt-ceiling-Krise von 2011 bis dahin vermutlich für einen Betriebsunfall gehalten hatte. Denn in der Basis, die jahrelang aufgepeitscht worden war, rumorte es gewaltig. Die republikanischen Senatoren mussten einen eiligen Rückzug antreten, und das Immigrationsgesetz ging elendig unter. Erneut konzentrierte sich die republikanische Elite auf die weiße, männliche Basis und peitschte sie weiter auf, um über Wahlbeteiligung die fehlende Breite in der Wählerkoalition wettzumachen (man spricht von going deep im Gegensatz zu going wide). Gleichzeitig entglitt John Boehner völlig die Kontrolle über seine eigene Fraktion im Repräsentantenhaus, die einen Government Shutdown erzwang (wir berichteten hier). Wie so oft endete auch dieser Versuch in einem Debakel und sorgte für eine weitere, tiefere Entfremdung zwischen Basis und Establishment.

Diese Kluft wurde 2014 durch die Erfolge der Republicans bei den Midterm Elections verdeckt. Die Republicans behaupteten spielend ihre Dominanz im Repräsentantenhaus und eroberten dazu den Senat. Dies stellt allerdings weniger einen Erfolg der Bewegung selbst dar: die Sitze, die 2014 erobert wurden, waren im Zuge von Obamas erster Wahl 2008 errungen worden, als die Democrats historische Erfolge feierten. Entsprechend verletzlich waren sie sechs Jahre später. Das gleiche Szenario wird sich 2016 für die Republicans wiederholen, wo die Sitze der Tea-Party-Wahl von 2010 zur Disposition stehen. Für die Parteiführung war das Ergebnis jedenfalls nur teils Grund zur Freude, denn bereits in den primaries hatten viele ihrer eigenen Kandidaten, allen voran Eric Cantor, der designierte Nachfolger John Boehners, die Wahlen gegen radikale und überwiegend unerfahrene wie unzuverlässige Radikale verloren, die sich im Repräsentantenhaus inzwischen als "Freedom Caucus" organisiert hatten und mindestens ebenso sehr gegen John Boehner und Mitch McConnel Krieg führten wie gegen Obama. Die republikanische Partei wurde trotz ihrer Mehrheit praktisch handlungsunfähig, hatte eine rein destruktive Mehrheit - was den Teufelskreis der Enttäuschung und Radikalisierung der Basis nur weiter befeuerte².

Trotz allem glaubte die republikanische Parteiführung, die Sache unter Kontrolle zu haben. Zwar war der Versuch, die Programmatik der Partei nach 2012 zu ändern, weitgehend gescheitert. Das RNC glaubte aber immerhin, die richtigen Lehren aus der "Clownshow" gezogen zu haben und änderte die Regeln des Vorwahlprozesses, um zu verhindern, dass erneut Außenseiter mit verrückten Positionen, schillernder Persönlichkeit und mangelnder Erfahrung die wählbaren Kandidaten in den Dreck zogen. Die Reihenfolge der Staaten wurde geändert, die Regeln angepasst, die Deligiertenverteilung überarbeitet. Anfang 2016 war man ziemlich sicher, eine Reihe von guten Kandidaten (Walker, Bush, Rubio) zu haben, die mavericks wie Ted Cruz oder Chris Christie ausbremsen konnten. Praktisch alle Experten waren sich sicher, dass die Wahl einen der erstgenannten drei gegen Hillary Clinton eine sichere Sache war (auch yours truly).

Und dann kam Trump.

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¹ Die Washington Post hat hierzu eine tolle interaktive Grafik.
² Bis hin zum Rücktritt Boehners, den wir hier analysierten.

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