Montag, 30. April 2007

Ich LIEBE die Öffentlichen Verkehrsmittel

Ich habe nichts gegen die Öffentlichen, außer dass sie viel zu teuer sind, nicht häufig genug fahren, nachts gar nicht und das, was mich heute wieder aufgeregt hat - besonders die Busfahrer glauben wohl immer, sie sind in "Speed 3" oder so. Im Naldo-Tarifbereich suchen sie gerade den "Busfahrer des Jahres". Es wäre schön, wenigstens EINEN zu finden, der seinen Bus nicht für einen Porsche hält.

Fundstücke am 30.4.2007

Lage der Gewerkschaften am 1. Mai laut SZ.
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Robert Misik über Mauern im Kopf.
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Raus mit dem Pack!

Dass der Bundestag weniger dem deutschen Volke als vielmehr der deutschen Wirtschaft dient, ist unbestritten. GeldoderLeben gebührt der Dank dafür, es offensichtlich gemacht zu haben. Mark Seibert gebührt der Dank, ein pikantes Detail zu veröffentlichen, das in den bisherigen Berichten nicht vorkam, was Perspektive2010 ebenfalls kommentiert:
Die SPD-Abgeordnete schrie wohl recht laut, vernehmlich und vor allem hysterisch beim Abseilen der Demonstranten “Raus! Bringt dieses Pack raus!”. Die Interpretationen, ob sie das Sicherheitspersonal zum Herausbringen der Demonstranten oder der Abgeordneten auffordern wollte, gehen auseinander. Beides wäre wahrscheinlich, das eine, weil die Gesinnung, das andere, weil das Wort passen würde. Man merkt nicht mehr nur an Heiligendamm, dass die Eliten Angst vor ihrem eigenen Volk bekommen. Das zweite Detail am Rande ist ein Dialog zwischen Thierse und einem anderen Abgeordneten, von dem Seibert berichtet:
Thierse: Sind das Abgeordnete?
Anderer Abgeordnete: Nein, so blöd sind die nicht
Thierse: Aber die Kollegen von der PDS…
No comment.

Demokratisierung Israels (?)

Ich setze zu der Überschrift ein vorsichtiges Fragezeichen, denn auch wenn Telepolis die aktuellen Skandale um Olmert und deren Aufdeckung durch die israelischen Medien als Demokratisierung feiert, so bleiben mehrere Fragen offen. Bis weit in die 1990er Jahre hinein verharrte Israel medientechnisch auf dem Stand einer Militärdiktatur: drei von vier Zeitungen waren rechtskonservativ, dem Likud-Block nahestand, die vierte englisch. Die großen Nachrichtensender wurden vom Militär betrieben. Die Medien schwiegen alle Skandale aus "Solidarität" mit ihren Herrschern tot. Man kann nicht gerade behaupten, dass das ein gesundes Verhältnis war. Wenn nun (laut Telepolis vor allem durch die Liberalisierung der Medien, was schön wäre) endlich einmal Skandale aufgedeckt werden und dies dazu führt, dass Israels Elite das Land nicht mehr wie einen tollwütigen Hund agieren lassen kann ohne wenigstens dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, wäre viel für die Stabilität des Nahen Ostens getan.

Vom Nutzen eines Hedgefonds

Endlich erklärt mal jemand, wozu ein Hedge-Fonds eigentlich da ist, wenn er keine skrupellose und volkswirtschaftlich schädliche Geldförderungsmaschine sein soll: die Berliner Zeitung. Und sie findet tatsächlich auch ein (!) Argument:
Durch ihre Aktivitäten decken Hedge-Fonds auch schonungslos Manager-Schwächen auf: So hinkte ABN Amro seit Jahren bei den Gewinnen und der Rendite anderen europäischen Großbanken hinterher. Entsprechend dümpelte lange Zeit auch der Aktienkurs der Bank vor sich hin - bis die ersten Übernahmegerüchte um das Institut auftauchten. Zumindest aus Sicht der anderen Aktionäre können Hedge-Fonds also durchaus nützliche Zeitgenossen sein.
Wir brauchen mehr Hedge-Fonds! Besonders, wenn man eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellt:
Es ist unbestritten: Finanzinvestoren wie TCI setzen sich rücksichtslos für ihre eigenen Interessen ein. Und diese Interessen sind sehr einseitig: Das langfristige Wohl eines Unternehmens, in dem sie sich engagieren, spielt für sie keine Rolle. Das einzige, das für sie zählt, ist die Rendite, die sie mit ihrem eingesetzten Kapital in möglichst kurzer Zeit erzielen können. Um ihr Ziel zu erreichen, schrecken sie nicht davor zurück, wichtige strategische Entscheidungen des Vorstands zu torpedieren. Fügen sich die Manager nicht ihrem Willen, werden sie von den Hedge-Fonds mitunter aus dem Unternehmen gemobbt - so wie im Fall von TCI und der Deutschen Börse geschehen.
Her mit dem Zeug! Entschuldigt, wenn ich etwas polemisch wirke, aber das kann doch unmöglich der Ernst dieser Medienleute sein, oder? Für die Aktionäre wird offensichtlich, ob der Manager nichts taugt, wenn die Firma, in die sie angelegt haben, von einem Hedge-Fonds gekauft und zerstückelt wird und hunderte Arbeitslos werden. Meine Güte, das ist natürlich echt ein Punkt auf der Haben-Seite.

Sonntag, 29. April 2007

BILD auf Kreuzzug, Teil X

Ich habe von der Bundestagsprotestaktion von GeldoderLeben berichtet. Da es sich um legitimen demokratischen Protest handelt, kann die BILD ja gar nicht anders als zu versuchen, das ganze zu verschweigen und zu verdrehen. Und das tut sie auch, indem sie über zwei verschiedene Ereignisse berichtet, wo es eigentlich nur eines gab.
Durch diesen Kunstgriff wird die eigentliche Protestaktion faktisch tot geschwiegen. Und das sieht den rechtskonservativen Leitmedien ähnlich.

Fundstücke 29.4.2007

Ab jetzt mit Datumsanzeige im Header.

NachDenkSeiten über die Schulsystemreformen.
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BILD kreuzzugt mal wieder, aber ich habe keine Lust auf einen längeren Artikel.
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Lafontaine über den Sparwahn.
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Die FTD über die Dummheit der herrschenden Ökonomen und ihrer Lehre.
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NachDenkSeiten über die Dummheit des Spiegel.
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GeldoderLeben steckt hinter der beschriebenen Bundestagsaktion.
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Schäuble rudert zurück.
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Eine Meinung gegen das Bürgergeld.
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Die Zeit zum Hartz-IV-Hungertod.
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Samstag, 28. April 2007

Endlich wieder mal Empören!

Am trefflichsten empört es sich über Antisemitismus. Trotz aller Warnungen vor dem drohenden Untergang des Abendlandes kommt der aber nicht so oft vor, dass man sich allzuoft empören könnte, selbst wenn man all die Fälle von gespielter Empörung einrechnet. Zurzeit macht die RAF von sich reden, eigentlich eine gute Gelegenheit.
Der Hintergrund: Stefan Raab hat das Ausscheiden Max Buskohls aus DSDS veralbert, indem er ein Bild des Sängers als Collage mit Stern und Maschinengewehr und Schild "Seit 156 Tagen Gefangener von R.T.L." darstellte. So weit, so witzig. Natürlich empört sich nun alles, allen voran die Schleyer-Familie. Aber auch die CDU ist schnell dabei, denn hier geht es ja gegen das Allerheiligste: die Furcht vor den Systemgegnern. Wenn man darüber Witze machen dürfte...! Dabei sind die Argumente teilweise eng am Rand der Lächerlichkeit: „Wer Fotos von RAF-Opfern für Show-Effekte nutzt, handelt unverantwortlich. So wird die Erinnerung an die schweren Verbrechen der RAF der Lächerlichkeit preisgeben“, so Kulturstaatsminister Bernd Naumann (CDU). Auch andere Berufene und vor allem viele Unberufene äußern sich dahingehend. Tenor: die RAF war böse, deswegen macht man keine Witze drüber. Aber das ist Unfug. Wer könnte ernsthaft daran zweifeln, dass Hitler böse war und der Holocaust ein Verbrechen, wenn man einen Witz über ihn macht? Witze dieser Art spielen mit der Metaphorik, jeder weiß, was gemeint ist. Diese künstliche Erregung, die Maulkörbe, die hier angelegt werden sollen sind Gift für die Meinungsfreiheit. Was den Eliten nicht recht ist, öffentlich diskutiert zu werden, wird mit einem Verweis darauf wie schlimm es wahr zur Tabuzone. Man kann nur hoffen, dass Raab standhaft bleibt und sich nicht zu einer Entschuldigung erniedrigt.

Nachtrag: Die Süddeutsche hat einen guten Kommentar verfasst:
Die große Erfahrung des Abends aber ist: Mit RAF-Analogien trifft man diese Kiddies, ihren Sender und die Berufs-Querulanten der Jury nicht. Nicht, weil sie dem nicht standhielten – sondern, weil sie in ein mediales Parallel-Universum postiert wurden, das über keinerlei Kommunikationsstränge zur Wirklichkeit und also Geschichte verfügt. Die Referenzgröße für die Sangeskerlchen von DSDS sind daher nicht die fehlgeleiteten Terroristen der RAF, sondern eher die programmierten Unwesen der Sims aus dem Computerspiel.

Fundstücke

Einsatzregeln für Kampfroboter - Terminator is back.
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Telepolis zur Bahnprivatisierung.
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Brandrede Prantls zum Thema Onlinedurchsuchungen.
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Analyse zum Wolfowitz-Skandal und der Weltbank allgemein.
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In der Zeit findet sich ein grandioser Artikel gegen die Sicherheitsverwahrung; es scheint, als ob nun sogar die Leitmedien für Fragen der Grundrechte sensibiliert sind. Deutlich zu spät zwar, aber besser als nie.
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Interessanter Artikel zum Grundeinkommen.
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Beck fordert eine Migrationssteuer.
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Sehr guter Artikel zum Thema Wahn des Wettbewerbs von der FR.
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Im Bundestag gab es eine gute Protestaktion; natürlich wird wieder der Ruf nach Überwachung und Verbot laut.
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Feynsinn zum Thema RAF.
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Gespenst der Reaktion

Es sind solche Momente, in denen ich mich wirklich frage, in was für einem Land ich lebe. Baden-Württemberg ist wahrhaftig nicht gerade ein Bundesland, das einem einfällt, wenn man an Dinge wie "Demokratie", "Meinungsfreiheit" oder auch nur "Vernunft" und "Aufklärung" denkt. Aber bisweilen treibt der Geist der Reaktion wirklich bizarre Blüten, und sofern diese nicht gerade in Form nachgerade hetzerischer Artikel bei der BILD zu finden sind, so stößt man todsicher in der Stuttgarter Zeitung und ihren zahlreichen Regionalablegern darauf.
So auch in der Nummer 94 des laufenden Jahres, in der Rainer Wehaus in einem Leitartikel über den "Spuk der RAF" schreibt, brav wie pünktlich zum anstehenden Gedenken an die 30 Jahre zurückliegenden Ereignisse des Jahres 1977. Neben der durchaus richtigen Erkenntnis der übermäßigen Aufgeregtheit der Debatte endet der Leitartikel jedoch mit einem Absatz, der ebenso fragwürdig ist wie er Kopfschütteln auslößt. Denn er lautet folgendermaßen:
"Und die RAF ist auch heute noch gefährlich. Denn ihre Ideologie spukt weiter in manchem Kopf herum. Von 6. bis 8. Juni treffen sich die wichtigsten Industrienationen zum G-8-Gipfel in Heiligendamm. Die Polizei rechnet mit gewalttätigen Protesten von so genannten Globalisierungsgegnern. Im Vorfeld hat es in Norddeutschland bereits 19 Brandanschläge linksextremistischer Gruppen gegeben. Auch diese Gruppen kämpfen angeblich für eine gerechetere Welt. Tatsächlich treibt sie eine unkontrollierbare Wut und Lust an der Zerstörung. Wer heute noch immer der RAF hehre Motive bescheinigt, der redet - ob er will oder nicht - auch solchen Gruppen das Wort."
Man muss sich diesen grotesken Schwachsinn, der hier im Gewand publizistischer Glaubwürdigkeit daherkommt, wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Mit seiner als nüchterne Analyse getarnten Hasstirade gelingt Wehaus nämlich zweierlei: zum einen werden Globalisierungsgegner diffamiert. Alleine die Verwendung solcher Vokabeln wie "so genannte" sorgt zu Stirnrunzeln und konnotiert die Globalisierungsgegnerbewegung in den Köpfen der durchschnittlichen und wenig über die Zusammenhänge informierten Durschnittsleser dieses Organs. Dazu kommt der fröhliche Mix zwischen Attac, Jungdemokraten&Co und den Extremisten, die die Anschläge begangen haben (und von denen man, anders als Wehaus zu suggerieren versucht, bis heute nicht weiß wer sie waren und ob sie die Anti-G8-Parolen nicht nur zur Tarnung nutzten). Mit einem Schlag oder, um im Bilde zu bleiben, mit einem Federstreich denunziert Rainer Wehaus sämtliche Demonstranten als Terroristen oder zumindest potenzielle Terroristen. Ein weiteres Problem ist die in den Leitmedien ständig zu findende Vokabel "Globalisierungsgegner". Sie hat mehrere Vorteile; so ist sie wunderbar griffig und schafft bereits beim Lesen Distanz. Gegner von irgendwas, das kann ja nur böse sein, besonders wenn man traditionell so denkfaul ist wie die Konservativen Baden-Württembergs. Durch Sprache lässt sich bekanntlich viel machen. Ob sich sinistre Personen wie Schäuble immer noch ständiger Zustimmung erfreuen würden, titulierte man sie als "Grundrechts-Gegner"? Die Logik der Benennung wäre dieselbe: denn wollen Schäuble und Konsorten andere Grundrechte, die mehr ihren Ansprüchen genügen, so wollen die "Globalisierungsgegner" nur eine andere Globalisierung: nicht umsonst heißt der attac-Leitspruch "Eine andere Welt ist möglich". Es geht um Gerechtigkeit und Frieden, nicht um Zerstörung und Egoismus. Gerne aber werfen die konservativen Medien dies durcheinander, ob aus reiner Dummheit oder um gezielt Meinung zu machen ist einerlei, unzulässig ist es in jedem Fall.
Zum anderen wird ein völlig unzulässiger Zusammenhang zwischen RAF und der G8-Demonstranten geschaffen geschaffen. Gerne werden autonome Radikale als repräsentativ für die linke Bewegung geschaffen, wenn nicht gerade das Bild des alternden und mauermordenden Ex-SED-Funktionärs besser taugt. Dadurch, dass dem verquerten RAF-Gedankengut hier eine Gemeinsamkeit mit der Antiglobalisierungsdebatte unterstellt wird, wird die gesamte Bewegung auf einen Schlag gleich doppelt diskreditiert. Denn nichts könnte falscher sein: die RAF stand für eine Revolution, gewaltsam und mit Mord und Totschlag gegen die Repräsentanten des von ihnen empfundenen "Schweinesystems". Die Anti-Globalisierungsdebatte steht für Frieden, Gerechtigkeit und soziale Teilhabe aller an der Gesellschaft. Dass dies Konservativen, die ohnehin dem Egoismus des Neoliberalismus das Wort reden nicht behagt, ist mir klar. Dass es eine Schande für die Pressefreiheit ist auch.

Donnerstag, 26. April 2007

Boom der russischen Rüstungsindustrie

Derzeit sinkt die Qualität der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen auf ein nie gekanntes Tief, während umgekehrt proportional der russische Rüstungssektor einen ungeahnten Boom erlebt, den Telepolis als "Rennaissance des russischen militärisch-industriellen Komplexes" bezeichnet (und damit auf das berühmte Eisenhower-Wort referiert). Eine direkte Ursache scheint dabei der geplante Raketenabwehrschild der USA zu sein, den diese in Osteuropa (angeblich gegen den Iran) platzieren wollen.
Experten zufolge ist der Raketenschild dabei kaum funktionsfähig. Das müssen auch die Russen wissen. Warum ich trotzdem einen Kontext herstelle liegt in der geschichtlichen Tradition der 1980er Jahre: damals starteten die Reagan-USA mit "Star Wars" einen ruinösen Rüstungswettlauf, an dessen Ende der Bankrott der UdSSR stand. Auch damals wurde bereits gesagt, dass Star Wars nicht wirklich funktionsfähig werden könne.
Interessanterweise boomen nicht nur die Inlandsaufträge der russischen Rüstungsindustrie, sondern auch die Auslandsanforderungen haben sich auf 30 Milliarden Euro/Jahr verdoppelt. Die derzeitige Politik der USA läuft also auf einen neuen Rüstungswettlauf hinaus; unter den gleichen Vorzeichen, aber einer gänzlich anderen geostrategischen Ausgangssituation wie in den 1980er Jahren. Anstatt die sprudelnden Ölmilliarden für die Beseitigung der grassierenden Armut und Strukturschäden durch die überhasteten Privatisierungen der 1990er Jahre zu nutzen und ihre Wirtschaft in Schwung zu bringen, kaufen die Russen Waffen. Ob da ein Kalkül dahintersteckt?

BILD auf Kreuzzug, Teil IX

Und wiedereinmal übt die BILD harsche Kritik am Rechtsstaat. Wie Bildblog berichtet, schreibt BILD zwar relativ sachlich über die mögliche Entlassung Klars (bzw. die sichere Entlassung 2009), desinformiert ihre Leser aber gezielt im Bereich der Bedingungen dieser Entlassung: laut BILD ist Reue nötig, um in den Genuss von Bewährung zu kommen. Das ist aber falsch. Nötig ist, keine Gefahr mehr darzustellen, was im Falle Klars von allen Quellen bestätigt ist.
So schreibt BILD auch wieder in großen Lettern: "Warum darf so einer frei rumlaufen?" Auf die extrem suggestive Wirkung dieser rhetorischen Frage (die der geneigte BILD-Leser ohnehin nur mit einem diffusen Ausdruck der Ärgernis und der gegen das Subjekt gerichteten Aggression beantworten kann) braucht man kaum mehr einzugehen. Es ist nur erschreckend, dass BILD hier gezielt ihre Leser falsch informiert, um ein ideologisch motiviertes Ziel durchzusetzen. Eigentlich sollte so etwas - sachlich falsche Aussagen - sanktioniert werden können. Nur wird der allgegenwärtige Überwachungsstaat es bei nicht staatstragenden Medien (Schröder: "Zum Regieren brauche ich nur BILD, BAMS und Glotze.") sofort zum Schaden der Meinungsfreiheit einsetzen. So bleibt nur die Hoffnung, dass die Menschen irgendwann klüger werden und die BILD dahingeben, wo sie hingehört: in den Müll.

Girls' Day

Heute ist wieder einmal Girls' Day. Und wie üblich schwadroniert die Presse brav über den gewaltigen Erfolg der Maßnahme, ihre Vorreiterrolle und dass es ohnehin ausgebaut werden müsse. Bezeichnend ist, dass unter den Autoren die Frauen eine deutliche Mehrheit stellen.
Ebenfalls unangenehm ist, dass der Girls' Day trotz eines Kommentars der SZ, nachdem selbst die Kritik an der Jungenbenachteiligung verstummt ist (aha...), immer noch eine Benachteiligung der Jungen darstellt - es ist mehr als unangenehm, dass es trotz schwacher Initiativen für sie noch kein äquivalentes Programm gibt.
Erhoben werden gleichzeitig die üblichen Forderungen von einer Ausweitung dieser Förderung, natürlich einseitig auf Mädchen ausgerichtet, damit die mehr in die technischen Berufe gehen. Ein äquivalentes Programm für Jungen gibt es, wie gesagt, nicht. Dabei gibt es kaum Grundschullehrer, Kindergärtner oder ähnliches. Nötig wäre es, denn die Feminisierung der infantilen Phase kann so nicht gesund sein.

Mittwoch, 25. April 2007

Verfassungsschutz in der Kritik

Der Bericht des Verfassungsschutzes für 2006 ist erschienen. In Kürze die Auffälligkeiten:
- Die Rechten werden stärker. Deswegen beobachtet man sie noch weniger.
- Die Linkspartei ist geradezu langweilig, wird aber weiter beobachtet.
- Hauptaugenmerk sind Islamisten.
- Hauptaugenmerk sind militante Globalisierungsgegner.
- Der Verfassungsschutz fordert Bürger zu Denunziationen auf.
Ein Schelm, wer eins und eins zusammenzählt und an Heiligendamm denkt.

Eigentor

Um ihr soziales Profil zu schärfen, startete die SPD eine Unterschriftenaktion pro Mindestlohn. So weit, so belanglos. Als jedoch Lafontaine, Bisky und Gisy unterschrieben, wurde es unangenehm. Richtig unangenehm wird es für die SPD jetzt, weil die Linkspartei den Text der SPD praktisch unverändert als Antrag in den Bundestag bringt. Allein aus Prestige- und Ideologiegründen wird die SPD damit in die dumme Situation kommen, ihren eigenen Antrag ablehnen zu müssen.
Hier zeigt sich wieder, wie ungeschickt die SPD in der letzten Zeit vorgegangen ist. Wie bereits in den 1980er Jahren mit den Grünen lässt sie sich als verlängerter Hebel der CDU einspannen, anstatt sich endlich wieder auf die eigentlich Bedürftigen zu konzentrieren, in deren Namen sie ungerechtfertigt agiert.

Fundstücke

Lobbyisten kassieren Steinbrücks Gesetz.
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Lebhaft nachgefragte Ladenhüter.
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Ludwig Erhard war nie in der CDU.
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Telepolis bietet eine gelungene Analyse der Probleme der universitären Lehre.
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Wieder einmal gerät die Giftspritze wegen ihres Nicht-Funktionierens in die Schlagzeilen.
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Neue Fragebögen sollen zum Lehrerberuf ungeeignete Personen aussieben.
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Klavierstunden und Freiheit.
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Kritik am Hochschulpakt.
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24 Stunden zum Thema Mindestlohn.
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Gleichberechtigung in Saudi-Arabien.
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Robert Misik über das Ratzinger-Buch.
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Telepolis über reizlose Reizthemen und Post-Politik.
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Bild auf Kreuzzug, Teil VIII

Exhibitionismus gehört nicht unbedingt zu den Verbrechen, die einer gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit wert wären. Trotzdem berichtet besonders die Gossenpresse gerne darüber, weil immerhin entblößte Geschlechtsteile darin vorkommen.
In diesem Falle hat die BILD sich nicht entblödet, wieder einmal alle Vorurteile zu bestätigen. Der Fall: ein winziger TV-Moderator, den fast niemand kennt, durchlebt eine Lebenskrise und entblößt dreimal in der Öffentlichkeit seine Genitalien; einmal onaniert er sogar öffentlich. So weit, so bizarr. Mit einer Geldstrafe ist so etwas im Normalfall erledigt, besonders da sich der Mann bei den Opfern entschuldigt hat und nun eine Therapie macht.
Unter Berufung auf einen ominösen Status als "Person der Zeitgeschichte" jedoch hat die BILD sich entschlossen, lieber für eine Schlagzeile einen Mord zu begehen: mit Foto, vollem Namen und Angabe des Arbeitgebers bringt sie einige falsche Fakten, schlüpfrige Anmerkungen und schrille Töne zum üblichen Potpourri an Geschmacklosigkeiten zusammen. Die berufliche wie gesellschaftliche Existenz des Mannes war sofort zerstört. Diesen Faktor berücksichtigte sogar das Gericht bei seiner Entscheidung, einen großen Teil der Strafe zur Bewährung auszusetzen:
Dass er mit einer verhältnismäßig geringen Strafe davonkommt, hat einen Grund. Die Höchststrafe hat bereits eine andere, eine furchtbare Instanz verhängt: die Bild.
Den passenden Schlusssatz bietet die Frankfurter Rundschau:
Was das alles immerhin an Erkenntnisgewinn bringt, ist die Tatsache, dass sich am sorglosen Vernichten von Existenzen seit Wallraff-Zeiten nichts, aber auch gar nichts geändert hat.

Rückendeckung für Schäuble

Egal, wir durchgeknallt jemand schon ist, ein paar Anhänger findet er immer. So stellt sich der bayrische Innenminister Beckstein demonstrativ hinter Schäuble; gleichzeitig sprechen sich auch einige SPD-"Innenexperten" für ihn aus. Besonders Beckstein stößt dabei ins große Horn: "maßlos" seien die Angriffe der SPD, es "herrscht ein Ton wie von einer Opposition" und "der Datenschutz darf nicht zum Sicherheitsrisiko werden. Das wird von einseitigen Datenschützern verkannt." Kauder indessen pöbelt gegen den profillosen Beck.
Dabei ist besonders Becksteins präventiver Vorwurf in Richtung SPD interessant:
Zum Widerstand der SPD gegen Pläne von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, die Bundeswehr bei der Luftsicherung und beim Objektschutz einzusetzen, sagte der bayerische Innenminister Günther Beckstein laut Passauer Neuer Presse wörtlich: "Ich fürchte, dass wir uns mit der SPD erst nach einem hoffentlich nie kommenden Terroranschlag einigen können. Wenn es dazu kommt, werden wir in jedem Falle auch eine Diskussion über die Mitschuld bekommen.“
Die SPD müsste sich in einem solchen Fall die Frage stellen, "warum sie nicht alles zur Terrorabwehr unternommen hat“, sagte der CSU-Politiker.
Obwohl jeder, selbst die Ein-Mann-Parallelgesellschaft Schäuble, aussagt, dass es vollständige Sicherheit nicht geben kann, wird schon einmal all jenen präventiv die Schuld in die Schuhe geschoben, die den völlig sinnfreien Sicherheitszinnober nicht zu 100% mitgehen. Besonders die Kameraüberwachung und ähnliche Feinheiten dienen ohnehin nicht der Vorsorge, sondern können allenfalls beim späteren "was ist passiert?" helfen - bei dem man dann immerhin alles einer angeblich weichen SPD anlasten könnte.
Noch viel schlimmer ist die Wahrnehmungsschwäche der rechtskonservativen Granden, wenn sie die SPD tatsächlich als entschiedene Gegner ihres Sicherheitswahns wahrnehmen: die echten Gegner mit ihren vorhandenen Argumenten werden beinahe vollständig unter den Tisch gekehrt.

Dienstag, 24. April 2007

Zum Ausstieg Max Buskohls aus DSDS

Dass DSDS nur Teil eines tumben Unterschichtenfernsehens zur Unterhaltung des Nachwuchses eben jener Zielgruppe war, ist eigentlich für keinen klar denkenden Menschen eine große Überraschung. Ebenso logisch erschließt sich aus dem reinen Konsum der Sendung, dass es hier mitnichten um Talentsuche geht, sondern vielmehr die Ausbeutung junger Menschen.
Ungewöhnlich harsche Worte fand das Ausscheiden von Max Buskohl aufgrund eines Streits mit RTL aus der Show die Süddeutsche Zeitung. Es ist schon auffällig, dass die gesamten Kandidaten der späteren Runden Profis sind - von Talentsuche keine Spur; alle haben einschlägige Erfahrung, viele verdienen ihr Geld bereits mit dem Singen. Die Aufrechterhaltung der Illusion der gleichberechtigten Talentsuche kann eigentlich nur mit einer ausgesprochen anspruchslosen geistigen Grundhaltung der Konsumenten begründet werden. Zudem knebelt RTL die Kandidaten in seinen Verträgen stark, so dass drei Partikularinteressen sichtbar werden: die Musikindustrie erhält eine Maxi-CD, deren Verkauf durch das "Verglühen im Popkosmos" (SZ) der Kandidaten befeuert wird, RTL Sendequoten und damit Werbeeinnahmen (die, wie Monitor berichtet, auch durchaus moralisch anrüchig sind) und eine Riesen-ABM wird für den eigentlich seit Jahrzehnten abgehalfterten Dieter Bohlen geschaffen, der immer noch nicht den Aus-Schalter seiner Sonnenbank oder eine gute Kinderstube gefunden hat.

Briefmonopol soll fallen

Die SPD hat aufgegeben, die CDU bekommt ihren Willen: das Briefmonopol der Deutschen Post für Briefe unter 50g soll fallen. DIe wie üblich Partikularinteressen gehorchende CDU redet sich mit der Lieblingsausrede Nummer 1 aller eifrigen Privatisierer heraus: Direktive aus Brüssel. Das ist schon richtig, aber wie so oft nur die halbe Wahrheit.
Denn zum einen verschleppen die anderen europäischen Staaten die Privatisierung dieses letzten Postbereichs. Zum anderen ist es der Deutschen Post aus nicht nachvollziehbaren Gründen verboten, EU-weit zu konkurrieren. Das sind die beiden makroökonomischen Folgen. Deutlich gravierender ist aber, dass von 160.000 Briefträgerstellen um die 32.000 wegfallen werden, wenn der Markt privatisiert wird - dem Konkurrenzdruck sei Dank. Gleichzeitig werden, das ist ebenso voraussehbar, die Preise steigen. Diese Erfahrung musste bisher mit jeder Privatisierung gemacht werden, sei es Energie, Wasser, Bahn oder Telekommunikation.
Wie so oft findet sich in der betriebswirtschaftlichen Folge auch eine nationalökonomische, die stark auf den Staatshaushalt und damit all die kleinen Leute niederschlägt: nicht nur, dass 32.000 neue Arbeitslose durchgefüttert werden müssen; es steht außerdem zu erwarten, dass die verbliebenen Briefzusteller so niedrige Löhne erhalten werden, dass sie zusätzlich ALG-II beantragen können (und müssen!). Dadurch wird im altbekannten wie schädlichen Schema verfahren: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. Und das alles nur, um eine Direktive umzusetzen die überflüssig wie ein Kropf ist und auf einer total verquasten Ideologie fußt. Dazu kommt, dass Neuberwerber gar nicht über das Netz der Deutschen Post verfügen. Wie bitte soll sich ohne drastische Lohnsenkungen und Preissteigerungen überhaupt ein neues Briefverteilungssystem aufbauen lassen, geschweige denn rentieren? Es ist geradezu offensichtlich, dass hier wieder Partikularinteressen bedient und die eigentliche Mandatsaufgabe sträflich vernachlässigt wurde.

Noch ein Teilsieg

Endlich wurde der Fall Christian Klar ein wenig aus der ideologischen Ecke gezerrt: die Entscheidung vom baden-württembergischen Justizminister Goll (FDP), Klar wegen seines Grußwortes keine Hafterleichterung zu gewähren, wurde vom Gericht in Karlsruhe kassiert, das zu Hafterleichterungen verpflichtet.
Grundlage dafür ist, dass von Klar keine Gefahr mehr ausgeht. Für klar denkende Zeitgenossen keine große Überraschung, wird es einige rechtskonservative wohl ziemlich stören. Immerhin wird nach Aussage der SZ dadurch auch eine Begnadigung wahrscheinlicher. So oder so steht zu hoffen, dass das Kapitel RAF damit bald endlich abgeschlossen ist.

Montag, 23. April 2007

Quo vadis, Rechtsstaat?

Es ist nicht allzuschwer sich auszumalen, wohin uns die Schäuble'schen Wahnphantasien führen werden. Ein bisschen Lektüre 1984 tut es; alternativ reicht in Blick nach Großbritannien oder in die USA. Oder eben Russland.
Denn dort geht am offensichtlichsten ein Demokratieabbau der krassen Sorte vor sich. Nicht nur, dass Freie Meinungsäußerung dank rigider Überwachungsgesetze, die auch hier als Terrorschutz verkauft wurden beinahe unmöglich gemacht wird, Demonstranten verprügelt und eingesperrt werden - nun wird auch noch den Medien die Verpflichtung auferlegt, zu 50% "positive" Informationen zu senden. Was positiv ist, entscheidet dabei Putin. Das bedeutet, dass Nachrichten über die Opposition praktisch unmöglich werden, da diese als negativ gilt.
Das erinnert wieder an Deutschland, wo eine Art freiwilliger Konsens herrscht, nicht über die LiPa zu berichten.

Teilsieg für die Bürgerrechte

Erinnert sich noch jemand an Magnus Gaefgen? Kinderschänder, zu lebenslang verurteilt. Dramatische Geschichte seinerzeit, weil man das Gefängnis des Kindes nur deswegen fand, weil die Polizei mit Folter drohte. Riesenknatsch.
Sicherlich, das Ergebnis überzeugt auf seine Weise, da das Kind gefunden wurde. Der Mann hat sich bei der EU beschwert - und die Beschwerde wurde zugelassen und wird bald den Menschengerichtshof der EU beschäftigen. Zwar sind die Aussichten auf einen Sieg für Gaefgen - und damit eine Wiederaufnahme des Verfahrens - gering, und dazu besteht das Problem, dass er nun einmal ein überführter Kinderschänder ist.
Problematisch ist aber, dass Folter angewandt bzw. angedroht wurde. Und das ist nicht rechtmäßig. In diesem Einzelfall mag es zu einem Erfolg geführt haben; jedoch heiligt der Zweck nun einmal nicht die Mittel. Und so sehr auch zu wünschen ist, dass Verbrecher wie Gaefken im Gefängnis landen - es muss mit sauberen, rechtsstaatlichen Mitteln geschehen. Wo sich der Staat mit denen gemein macht, die er verurteilen will, verliert die dafür notwendige moralische Überlegenheit.

Buchtipp: Die Chancen der Globalisierung

Ich möchte darüber nicht allzuviele Worte verlieren: die Rezension findet sich hier, und lest das Buch! Hier noch ein Auszug:

Joseph Stiglitz ist ein Phänomen unter den Ökonomen: ein Mann, der nicht dem neoliberalen Zeitgeist hinterherschwimmt, Chefökonom der Weltbank war und Nobelpreisträger für Wirtschaft ist. Er ist praktisch der lebende Gegenbeweis zur herrschenden wie falschen ökonomischen Heilslehre, ein Schlag ins Gesicht für ihre Anhänger. Bereits sein Buch „Die Schatten der Globalisierung“ war ein gewaltiger Erfolg, dieses Mal will Stiglitz konstruktiver sein: „Die Chancen der Globalisierung“ beschäftigt sich vordergründig mit eben jenen. Vordergründig, weil er natürlich wieder viel kritisiert an dem, was falsch läuft. Und das ist eine ganze Menge.
Stiglitz kritisiert nicht nur. Er bietet auch Lösungsvorschläge, die seine Gegner wohl als utopisch abtun würden. Ja, sicherlich sind sie das. Aber ohne Utopien sind die Menschen allein dem Primat eines effizienten Funktionierens unterworfen und damit mithin keine Menschen mehr. Aber gehen wir in medias res.

Fundstücke

In der Union wollen die Steuersenker einfach nicht verstummen.
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In Frankreich steht die Stichwahl an; angeblich zwischen Lagern. Telepolis berichtet auch.
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In einem Interview lügt Schäuble über seine Überwachungsparanoia.
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Der Vatikan schafft den Limbus ab.
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Die Russen wollen den längsten Tunnel der Welt bauen.
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Lafontaine über das deutsche Lohndumping und die Auswirkungen auf Europa.
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Mensch oder Markt? fragt die taz zum SPD-Programm.
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Zur Scheinheiligkeit der Mindestlohndebatte.
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Wasser im Wein.
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Eine Beschreibung des finnischen Schulsystems mit Schwerpunkt Lehrerausbildung.
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Teil 6 der Telepolisserie zur Zensur.
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Verwendung der Studiengebühren

Die Uni Tübingen hat eine Presseerklärung herausgegeben, nach der die Verwendung der Studiengebühren aufgeschlüsselt ist. Über 15 Millionen flössen in die Lehre, so die Universität. Ein genauerer Blick auf die Erklärung lohnt sich.
Denn in die Lehre fließt bei weitem nicht alles; das ist eine unzulässige (und gewollte) Pauschalisierung. Allein 320.00 Euro fließen in die Verwaltung, davon 200.000 nur für die Verwaltung der Studiengebühren (!). Auch andere Posten werden als "für die Lehre" ausgezeichnet, die mit derselben recht wenig am Hut haben. Große Beiträge fließen nicht näher deklariert an die Fakultäten.
Insgesamt nimmt sich die Aufstellung jedoch positiv aus und verspricht große Qualitätsgewinne für alle Beteiligten. Leider jedoch ist dem nur eingeschränkt so. Wie ich zufällig weiß, will die Uni gerade 10% aller Professorenstellen kürzen - da nimmt sich das Pflästerchen einiger halber Stellen durch Studiengebühren gering aus. Damit sind wieder Befürchtungen der Studiengebührengegner wahr geworden - das Budget wird einseitig gekappt und nur notdürftig durch die Beiträge der Studenten gestützt.

Wider die Erbschaftssteuer

Unsere Eliten befinden sich im permanenten Kampf gegen die letzten Überreste einer halbwegs solidarischen Besteuerung. Unter Dauerbeschuss steht dabei besonders die Erbschaftssteuer. Denn die verteilt schließlich wenigstens ein bisschen von oben nach unten um statt umgekehrt.
Nun schlägt die Union vor, anstatt der komplizierten Regeln einfach eine Flat-Tax einzuführen, die zudem den Verstorbenen belastet anstatt die Erben. Was sich prinzipiell vernünftig anhört, da dadurch viel bürokratischer Wahn abgeschafft wäre und zudem auch kleine Erben bessergestellt wären und die ganzen Ausnahmen fielen, so zeigt es vor allem, dass dabei die - um mit Bush zu sprechen - "have mores" deutlich bessergestellt würden. Denn die würden statt wie bisher bis zu 50% nur noch 6 oder 7% Steuern bezahlen.
Es ist ohnehin paradox, dass die Neoliberalen die Erbschaftssteuer so vehement bekämpfen, unterstellt man, dass sie tatsächlich für Chancengerechtigkeit wären. Denn die Erbschaft ist vollkommen unverdienter, nicht erarbeiteter Reichtum - hier von Chancengerechtigkeit zu sprechen ist blanker Hohn.

Samstag, 21. April 2007

Vom Nichtraucherschutz und weiteren Atomisierungsversuchen

Was haben die beiden Begriffe in der Überschrift miteinander gemeinsam? Nicht viel oder auf den ersten Blick überhaupt nichts – möchte der geneigte Leser meinen. Wie so oft, lohnt sich jedoch ein Blick über des Offensichtliche, das sich auf dem schönen Teller einer gesundheitsbewussten Politik befindet, über den Rand hinaus; doch der Reihe nach:

Ein Volk, innerhalb dessen der ideelle Wert der Solidarität nicht nur eine Floskel ist, sondern auch gelebt wird, ist gefährlich. Wie bitte? "Wie kann etwas derart ethisch Wertvolles und Erstrebenswertes denn gefährlich sein?“, wird sich der geneigte Leser verwundert die Augen reiben. Der kritische Denker erkennt sogleich die sich sofort anschließende Frage: „Für wen gefährlich?“ Sicherlich nicht für diejenigen, welche von gelebter Solidarität profitieren, also für die allermeisten hier lebenden Menschen - das kann wohl ausgeschlossen werden. Für wen aber dann? Nun, holen wir etwas aus: Eine Solidargemeinschaft impliziert ja auch immer einen Gegenpol, nämlich diejenigen, welche dieser Gemeinschaft nicht angehören, die ihr eigenes Süppchen kochen wollen, möglichst noch in einer Weise, dass es nicht bemerkt wird. Dass der einfach gestrickte, aber deshalb keinesfalls zwingend dumme Mensch dann sofort an Eliten, an ohnehin bereits Privilegierte und an Minderheiten, die sich oft noch nicht einmal mehr die Mühe machen, ihre Rolle zu verschleiern, denkt, kommt nicht von ungefähr; Stichwort: „Politikverdrossenheit“.

Wer kann schon berechnen, wozu ein strukturell gefestigtes Volk in der Lage ist? In jedem Falle ist es eher dazu in der Lage, aufzubegehren (in welcher Form auch immer) im Vergleich zu einem individualisierten Volk. Wenn man sich aber sein Volk schon nicht selbst wählen kann, müssen andere Wege gefunden werden, den Status quo zu sichern oder besser noch, ihn noch weiter zu verfestigen. Wir erkennen also, dass es kaum im Interesse von Politikern, die sich auf Grund der hier herrschenden Auslegung des Begriffs der „Demokratie“, die ja immerhin Verfassungsrang besitzt, sein kann, wenn sich das Volk ausgerechnet auf den Wert der Solidarität besinnt. Man sieht ja, wohin dieses Prinzip allein bei den Gewerkschaften führen kann... .

Wie wirke ich nun diesen Entwicklungen entgegen? Das ist einfacher und offensichtlicher, als es zunächst erscheinen mag: Ich atomisiere die Gesellschaft! Individualität ist zu fördern, das kommt auch noch gut an. Dass damit auch Rücksichtslosigkeit und Konflikte bedient werden, muss ja nicht unbedingt Erwähnung finden. Blicken wir ein wenig zurück: Hat es eigentlich jemals zuvor derart zahlreiche gesellschaftliche Gruppen gegeben, die sich in dieser Weise polarisiert gegenüber stehen? Den ganz großen Brocken bilden dabei die so genannten Beschäftigten und die Nichtbeschäftigten, im Volksmund auch „Arbeitslose“ genannt. Das demografische Phänomen kam wie gerufen, Junge und Alte gegenüber zu stellen (da ist er wieder, der Versuch, den Wert der Solidarität in Frage zu stellen). Die steigenden Kosten im Gesundheitswesen bilden einen willkommenen Nährboden dafür, doch einmal nachzufragen, was eigentlich die Kranken noch für einen Nutzen bieten. Diese Gruppen sind anschaulich, sie sind in der Vorstellung leicht zu fassen. Man kann dieses gegenseitige Ausspielen einzelner Bevölkerungsgruppen noch weitaus subtiler angehen, wie wir sogleich sehen werden:

Der Bogen zur seltsamen Spezies des Rauchers ist gespannt. Der Raucher schädigt nicht nur sich selbst, sondern auch die Solidargemeinschaft, er verhält sich deshalb asozial! Die Gemeinschaft soll nach außen hin natürlich gestärkt werden; was tatsächlich beabsichtigt ist, muss ja niemanden interessieren. Aber das ist noch nicht anschaulich genug: Der rücksichtslose Raucher begeht Körperverletzung am Passivraucher! Er ist ein Krimineller, der bei Zuwiderhandlungen empfindlich bestraft werden muss! Jawoll, das haben zahlreiche Studien eindeutig bewiesen!

„Die Studien seien nicht seriös, weil einige genannte überhaupt nicht durchgeführt wurden?“
- „Einerlei – das merkt schon keiner.“

„Von den Krebsfällen waren ohnehin sehr viele bereits im hohen Alter, so dass gar kein ursächlicher Zusammenhang bestehen muss zwischen dem Zigarettenkonsum und dem Krebstod?“
- „Wer wird es denn so genau nehmen?“

„Die Vorschriften über die Atemluftqualität in öffentlichen geschlossenen Räumen sind bereits derart streng, dass sie selbst ohne Zigarettenqualm kaum eingehalten, geschweige denn überwacht werden können!“
- „Das interessiert in diesem Zusammenhang doch nun wirklich nicht!“

„Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt kontinuierlich und stellt die Rentenkassen vor schier unlösbare Probleme, aber die armen Passivraucher werden um Jahre ihrer Lebenserwartung beraubt – wie geht das zusammen?“
- „Meine Güte, ihr findet aber auch immer ein Haar in der Suppe!“

Nein – wir müssen uns profilieren, der Nichtraucherschutz muss her und außerdem befiehlt uns das Brüssel! Und da wir keine halben Sachen machen, muss der Nichtrauchschutz mit allen Mitteln umgesetzt werden! Keine Kompromisse! Wie bitte, wir zerstören damit eine Jahrhunderte gewachsene Genusskultur? Egal – wir ziehen das jetzt rigoros durch! Und wenn einzelne Landesfürsten sich quer stellen, werden sie eben diszipliniert, das machen wir sonst ja auch immer so. Und hier ist es natürlich ganz besonders wichtig! Wen stört es schon, dass ein Abitur aus Bayern mehr wert ist als eines aus Hamburg, aber Im Nichtraucherschutz darf es keinesfalls Unterschiede geben! Der Föderalismus ist gut, wenn er den Zielen unseres Landes dient, anderenfalls ist er zu ignorieren oder gar bekämpfen!

Ein Szenario aus einem Science-Fiction-Roman? Keineswegs, sondern die politische Realität der letzten Monate. Es war für einschlägige Brandstifter schon immer sehr Besorgnis erregend, wie gut sich Raucher und Nichtraucher vertragen haben. Und wenn die Passivraucher partout nicht begreifen wollen, wie sie sich mit ihrer Toleranz gegenüber Rauchern selbst schädigen, muss das halt geändert werden! Unsere tollen in Auftrag gegebenen und teuren Studien haben nichts bewirkt, also müssen wir andere Geschütze auffahren. Es war schließlich schon immer unsere Maxime, die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. Mit dem demografischen Phänomen werden wir das ebenfalls so machen – die Menschen sollen wollen, was sie sollen!

Ein ganz naiver Mensch, welcher tatsächlich noch an edle Motiven der Politiker geglaubt hatte, besuchte ‚seinen’ Abgeordneten und fragte ihn etwas schüchtern, insgeheim aber hoffend und zuversichtlich, eine geradezu genial einfache Lösung gefunden zu haben. Er trug seine Idee vor und betonte, dass er sie auch nicht zum Patent anmelden wolle:

„Man kann dieses Problem doch ganz einfach lösen: Der Passivraucher wird geschützt, das Kulturgut wird weitgehend geschont, die Menschen nur soweit bevormundet, wie es wirklich nötig ist und alle sind zufrieden!“

Der Abgeordnete, zu dem dieser Mensch sprach, ahnte was kommen würde, aber er sagte nur:
„Erzählen Sie, ich bin gespannt, wo der Haken ist!“

Der besonnene und weise, aber eben sehr naive Mensch sagte daraufhin:
„In allen öffentlichen Räumen, denen sich die Betroffenen nicht entziehen können, wie beispielsweise Krankenhäuser, Schulen oder Behörden, wird das Rauchen verboten und meinetwegen die Einhaltung auch überwacht. An Orten, in denen sich die Menschen allerdings freiwillig aufhalten, wie beispielsweise in Restaurants und Kneipen, wird es dem Betreiber freigestellt, ob er das Rauchen gestattet oder nicht, er muss es nur deutlich deklarieren, so dass niemand getäuscht wird. Ebenso bleibt es in Zügen bei getrennten Raucher- und Nichtraucherabteilen. Unter freiem Himmel wird das Rauchen generell erlaubt. Dann könnte jeder selbst entscheiden, wie er sich verhalten möchte!“

Der Abgeordnete schluckte einen Moment, da er aber selbst Raucher ist und das Verbot in der absoluten Form insgeheim ablehnt, was er freilich niemals äußern darf, wenn er seine politische Karriere nicht gefährdet sehen will, konnte diesem inneren Druck kurze Zeit nicht mehr Stand halten, schaute, ob mögliche Zeugen in der Nähe waren, zog den weisen Mann dann bei Seite und flüsterte ihm hinter vorgehaltener Hand zu:
„Das geht doch nicht, denn dann würden wir die Menschen doch nicht mehr polarisieren! Das gehört aber zu einem unserer obersten Gebote... . Raucher und Nichtraucher sollen sich spinnefeind werden! Schauen Sie doch einmal in diese einschlägigen Diskussionsforen im Web: Das Gesetz ist noch nicht einmal verabschiedet und der Ton wird schon jetzt spürbar rauer. So soll es sein! Wir selbst nehmen uns im Budestagsgebäude deshalb ja auch von dieser Regelung aus!“

Der weise Mensch schritt von dannen und beschloss, niemals mehr wählen zu gehen, niemals mehr weise zu sein, sondern ebenfalls rücksichtslos zu werden. Die Politik hat also gerade wieder einen weiteren Menschen für ihre Ideologie sensibilisiert und vielleicht sogar schon abschließend missioniert. In der Folgewoche berichtete der Abgeordnete seinem Fraktionsvorsitzenden von dem Gespräch, worauf dieser ihm anerkennend auf die Schulter klopfte und ihm prophezeite: „Sie werden noch einmal ein ganz Großer!“

Caschny.

Donnerstag, 19. April 2007

2+2=5

Um Heiligendamm wird bekanntlich gerade ein Zaun gebaut, zweieinhalb Meter hoch und 13km lang, und nebenbei einige Millionen teuer. Inzwischen werden Stimmen laut, die das irgendwie nicht ganz mit Demokratie und Rechtsstaat vereinen können. Dem wird mit folgender brillanter Argumentation entgegengehalten:
Der Zaun könne ohnehin die Demonstranten nicht aufhalten. Deswegen sei er nur ein Schutz gegen gefährliche Terroristen und gewaltbereite einzelne G8-Gegner.
Noch mal langsam zum Mitschreiben: unorganisierte Demonstranten kann man nicht abhalten. Aber organisierte zu allem entschlossene Terroristen - kein Problem. Klar.

Fundstücke

Die Zeit gibt einen Überblick zum Meinungsbild über Schäuble.
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Zypries unterstützt Schäuble auch noch.
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Chavez wird radikaler.
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Tolle Verschwörungstheorien zum Amokläufer.
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Monitor hat wieder neue Artikel: Medikamentensucht, der Fall Oury Jalloh, Schäuble.
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Freitag zu Heiligendamm.
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Gleiche Quelle: Oettinger und die Filbingerrede.
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Demo zum G8-Gipfel in Heiligendamm



An dieser Stelle nur ein deutlicher Aufruf: geht zur Demo in Heiligendamm!

Mittwoch, 18. April 2007

Stundenlöhne unter drei Euro? Immer her damit!

Der so genannte "Wirtschaftsweise" Franz, der ein direkter Berater der Regierung ist, verlangt nun Stundenlöhne unter drei Euro. Dadurch würden angeblich viele neue und tolle Jobs entstehen. Ist ja klasse. Und die Leute, die sie ausführen werden daran verhungern.

EU-Kommission fordert Mindestlöhne in Deutschland

Inzwischen gerät die INSM tatsächlich ein wenig in die Defensive: die beständige deutsche "beggar your neighbour policy" gerät immer mehr in die Kritik. Jetzt verlangt auch die EU-Kommission offiziell Mindestlöhne, um den Menschen mit der Umsetzung der neuen europäischen Flexibilisierungsgesetze zu helfen. Diese nämlich würden theoretisch noch prekärere Jobs möglich machen als ohnehin. Ohne einen Mindestlohn würden also noch mehr Menschen in Armut stürzen.

Fundstücke

Gregor Gisy im Interview zum Tornadoeinsatz.
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Schäubles Maßnahmenkatalog.
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UNO demokratisieren?
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Who's who in der französischen Präsidentschaftswahl?
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Die neuen Angriffe der INSM gegen die Rente.
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NachDenkSeiten zur Filbingerrede Oettingers.
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Wut! zum selben Thema...
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Und Robert Misik.
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Sowie der Besitzstandswahrer.
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Verhungern für den Aufschwung.
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Robert Misik über Afghanistan.
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Studiengebühren - wohin, wofür?

Die Telepolis setzt sich ziemlich dezidiert mit der Frage auseinander. Dabei deckt sie einige überraschende Dinge auf: die Unis verwenden das Geld zum einen mit den obskuresten (oder einfach ganz ohne) Begründungen für völlig regelwidrige Etats. Zum anderen aber ist die Höhe der Gebühren mit 500 Euro ein völlig aus der Luft gegriffener Betrag: eigentlich sollten die Unis eine Kosten-Nutzen-Rechnung machen, an deren Ende dann ein gewisser Betrag steht. Das hat jedoch in allen sieben Bundesländern, in denen Gebühren eingeführt wurden nur eine einzige Uni gemacht: Münster. Und die kam prompt auf einen Satz von nur 275 Euro.
Ressumee: die Gebühren sind überhöht und verfehlen vollständig den angeblich anvisierten Zweck. Trotzdem entblödet sich besonders die INSM nicht, stetig eine Erhöhung der Gebühren zu fordern.

Überzeugende Logik

In Virginia hat bekanntlich ein Amokläufer, bisher nicht einmal übermäßig durch Videospiele motiviert, in einer Uni gewütet. Virginia hat extrem lasche Waffengesetze, deswegen kommt man leicht an Waffen heran, die ausreichen ein ganzes Infanteriebataillon zu bekämpfen. Nun berührt das natürlich auch den aktuellen Wahlkampf. Denn wer sich für striktere Waffengesetze stark macht, verliert Stimmen. Wer dagegen votiert, auch. Also trauern gerade alle Kandidaten brav und äußern sich sonst nicht weiter.
Eine Ausnahme gibt es: der Republikaner McCain.
"Man musse lediglich sicherstellen, dass die Waffen nicht in die Hände von schlechten Menschen fallen. Ich glaube an das verfassungsmäßige Recht eines jeden Bürgers, eine Waffe zu tragen. Offensichtlich müssen wir dafür sorgen, dass die Waffen nur in die Hände gesetzestreuer Menschen gelangen."
Gesprochen wurden die Worte in Texas. Aber noch einen weiteren Ratschlag gibt es dieser Tage, wie das Massaker hätte verhindert werden können, natürlich aus dem Dunstfeld der NRA:
Auch Präsident Bush betonte unmittelbar nach den Ereignissen in Blacksburg, "dass Leute das Recht haben, Waffen zu tragen". Und die mächtige Waffenlobby NRA meinte, der Massenmörder hätte gestoppt werden können, wenn die Hochschule keine "waffenfreie Zone" gewesen wäre: Ein Student oder Professor hätte den Amokläufer gewaltsam aufhalten können.
Genau.

Wann endlich stoppt jemand diesen Mann?

Wolfgang Schäuble zeigt immer mehr Anzeichen, seinem Job nicht gewachsen zu sein. Ich möchte das nicht einmal auf die Debatte um seine geistige Zurechnungsfähigkeit reduzieren; es liegt auch einfach daran, dass ein Innenminister den Rechtsstaat zu schützen und nicht zu bedrohen hat. Anlass für die ernste Sorge sind Äußerungen der Ein-Mann-Parallelgesellschaft, die einfach nur noch als verstörend zu werten sind. So empfindet Schäuble, dass die Unschuldsvermutung bei Terrorverdacht nicht gelten dürfe:
Bei der Terrorbekämpfung kann der Grundsatz der Unschuldsvermutung nach Ansicht von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nicht gelten.
„Die Unschuldsvermutung heißt im Kern, dass wir lieber zehn Unschuldige nicht bestrafen als einen Unschuldigen zu bestrafen", sagte Schäuble dem Stern.
Dieser Grundsatz könne nicht für die Gefahrenabwehr gelten. "Wäre es richtig zu sagen: Lieber lasse ich zehn Anschläge passieren, als dass ich jemanden, der vielleicht keinen Anschlag begehen will, daran zu hindern versuche?", fragte der Minister und gab darauf selbst die Antwort: "Nach meiner Auffassung wäre das falsch.“
Dumm nur, dass seine Auffassung hier vollkommen wurscht ist. Denn die Unschuldsvermutung ist ein Kernpunkt des Rechtsstaats, den einfach zu demontieren Schäuble schlichtweg nicht befugt ist - abgesehen davon, dass es grundfalsch ist. Der gute Mann schwebt gerade in Sphären, in denen Vernunft und Verantwortungsbewusstsein nicht mehr vorkommen. Auch Folter ist kein Problem, wenn es um "Terrorismus" geht:
Schäuble hob hervor, dass er Folter strikt ablehne und sie „auch nicht augenzwinkernd“ hinnehme. Allerdings würde der Innenminister Erkenntnisse nutzen, auch wenn sie möglicherweise durch Folter erzwungen wurden.
Wenn Nachrichtendienste Informationen über einen sehr gefährlichen Anschlag erhielten, wäre es nach Aussage Schäubles „absurd“, die Informationen nicht zu nutzen, weil „nicht ganz so zuverlässig wie bei uns garantiert ist, dass sie rechtsstaatlich einwandfrei erlangt wurden“.
Mit einer anderen Haltung „würde ich meiner Verantwortung für die Sicherheit der Menschen nicht gerecht“, fügte der CDU-Politiker hinzu.
OK, langsam zum Mitschreiben: keine Folter, aber wenn wir unter der Folter gewonnene Informationen haben, ist das natürlich toll. Das lässt zwei Schlüsse zu: entweder ist Schäuble zwar persönlich gegen Folter, lässt aber alle machen und nutzt gerne die Infos, die daraus entstehen, oder aber man institutionalisiert einfach die Praxis, Gefangene in irgendwelche Staaten zu überstellen, die foltern - auf den Balkan oder in den Nahen Osten zum Beispiel. Beides spricht Rechtsstaat und Menschenrechten Hohn, die ein Innenminister eigentlich zu verteidigen hätte.
Als Konsequenz kann eigentlich nur eine Amtsenthebung folgen.
Die Telepolis inzwischen hat sich erkundigt, ob Schäuble eigentlich vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Regierungssprecher lügen dabei teilweise dreist, teils täuschen sie Überlastung vor. Bemerkenswert in jedem Falle der Schlusssatz:
Man stößt auf eine Mauer des Schweigens – und die erschreckende Erkenntnis: vielleicht gehen die Befugnisse des Verfassungsschutzes wirklich nicht weit genug, und es bedarf erst einer – wie Hegel es nannte – "List der Vernunft", also eines Wolfgang Schäuble als Innenminister, damit die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden, mit denen auch eine Gefahr wie er überwacht werden kann.

Montag, 16. April 2007

Fundstücke

Noch mehr Gegenwind für die Ein-Mann-Parallelgesellschaft.
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Über die Frage, ob das Inzestverbot zeitgemäß ist.
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Ver.di verliert gegen die Telekom auf allen Ebenen.
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Hervorragende Analyse der Oettingerproblematik.
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Wie Überwachung sich auf das tägliche Verhalten auswirkt.
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Hat Werbung überhaupt einen Effekt?
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Der lupenreine Demokrat at work

Erinnert sich noch jemand an das Schröder-Wort, Putin sei ein "lupenreiner Demokrat"? Selbiger stellt gerade einschlägig unter Beweis, dass er es nicht ist.
Nicht nur, dass sogar die westliche Presse inhaftiert wird, um nicht darüber berichten zu können - eine Demonstration der Oppositionellen gegen die Regierung wurde brutal unterdrückt. Mit Schlagstöcken trieb die Polizei die Demonstranten in Seitengassen und nahm wahllos Menschen fest.
Das hat nichts mit Demokratie zu tun, besonders wenn man bedenkt, dass die Pflicht (!) zu demonstrieren in der russischen Verfassung festgeschrieben ist. Stattdessen unterdrückt der Staat hier brutal die Meinungsäußerung der Opposition. Kein Wunder, dass sich die Beziehungen mit Deutschland auf einem all-time-high bewegen.

Verrohung bei Auslandseinsätzen

Die Geschichte klingt eigentlich einleuchtend: nach einem (misslungenen) Selbstmordanschlag auf einen US-Konvoi werden die Soldaten beschossen und feuern zurück. Dumm nur, dass es sich so nicht abgespielt hat, denn es gab niemanden, der auf sie geschossen hat, wie eine Untersuchungskommission des US-Militärs jetzt feststellte. Stattdessen erschossen die Soldaten wahllos Zivilisten, noch in einem Abstand von 16km zum Explosionsort. Irgendwo ist das verständlich. Die ständige Angst, in die Luft gejagt zu werden, ein unwirtliches Land und ein Krieg gegen Terror, der nicht zu gewinnen und höchst fragwürdig ist. Dass ein Auslöser wie ein Anschlag da zum Durchdrehen führt ist nur nachvollziehbar. Natürlich ist es nicht hinnehmbar, weswegen die Kommission wohl auch ihre Arbeit fortführen und Anklage erheben wird. Aber solche Beispiele zeigen, dass die Auslandseinsätze und auch Krieg als solcher verheerende Schäden an den Menschen anrichten.

Und wieder einmal Bundeswehr

Die Skandale um die Bundeswehr nach Totenkopffotos und Folterberichten reißen nicht ab: nun ist ein Video bekannt geworden, auf dem ein Ausbilder den Rekruten auf fiktive Afroamerikaner schießen lässt, die seine Mutter bedrohen und ihn bei jeder Salve "Motherfucker" schreien lässt. Man kann über die Lächerlichkeit der Szene lachen, wie es auch der Rekrut getan hat, oder Beschwerde einlegen, wie es viele US-amerikanische Bürgerrechtler taten, die von Bush eine Entschuldigungsforderung an Deutschland verlangen.
Sicher ist jedoch, dass das Image der Bundeswehr mehr und mehr Schaden nimmt. Die Legende von der lieben Parlamentsarmee, die sich aus allen Schichten zusammensetzt und der Verteidigung der Freiheit dient, bekommt immer mehr Risse.

Donnerstag, 12. April 2007

Fundstücke

Da es gerade nichts großartig berichtenswertes gibt, nur einige Fundstücke:

Ist Schäuble psychisch gestört? Ernsthafte und zu empfehlende Analyse.
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Mit der Abrissbirne sollen unsere Grundrechte zerschlagen werden.
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Die Chancen der Rechten in Frankreich steigen.
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Montag, 9. April 2007

Militarisierung der EU

Wie die jungeWelt in einem lesenswerten Investigativbericht aufdeckt (danke, Fefe!), bezahlt die EU ihre zunehmende Militarisierung aus dem Zivilhaushalt. Zur Erinnerung: die EU verfügt wegen des Scheiterns des Verfassungsvertrags nicht über einen echten Militärhaushalt. Deswegen liegen die Kosten von gemeinsamen Militäreinsätzen bei den Ländern, die sie durchführen. Dem Ziel einer gemeinsamen EU-Militärmacht kommt das aber nicht entgegen.
Deswegen versuchen die EU-Länder, möglichst viele Militärprogramme über die zivilen Töpfe zu bezahlen, denn hier existieren gemeinsame Haushalte. Haushalte, die für Forschung und Entwicklung, Straßenbau und Wasserversorgung, kurz: all das, was wir Bürger brauchen, vorgesehen sind. Und das ist, neben der unhaltbaren Verwendung des Geldes, der eigentliche Skandal an der Sache.

It's the religion, stupid!

Viele Probleme dieser Welt fußen auf der Religion. Auf der Religion in dem Sinne fester Dogmen und Strukturen, eines institutionalisierten Glaubens. In weiten Teilen des Landes ist das passé, spielt die Kirche im alltäglichen Leben der Menschen genausowenig eine Rolle wie die angeblichen christlichen Werte, die sie stets befeuert. Aber eben nicht überall. Besonders im Süden Deutschlands ticken die Uhren anders.
Hier gibt es noch Dörfer, in denen dogmatisch an dem altbewährten festgehalten wird, das sich noch nie bewährt hat, und in dem das Wort des Pfarrers immer noch mehr zählt als das der Vernunft. An solchen oberbayrischen Dörfern ist die Aufklärung spurlos vorbeigegangen und auch nach über 250 Jahren noch nicht angekommen. In der Süddeutschen Zeitung steht die erschütternde Geschichte einer (zwangsweihe) unehelichen Pfarrerstochter. Zu einem Leben in Lüge und Versteck gezwungen, ausgegrenzt und teilweise richtiggehend verhasst ist sie ein direktes Opfer der dogmatischen Kirchenausrichtung, die so unflexibel ist wie Kruppstahl. Immerhin ist für den zuständigen Kardinal, der sich höchstpersönlich mit der Sache befasste, die Schuldfrage klar: nicht der Pfarrer, der seinen kleinen Freund nicht in Zaum zu halten wusste, sondern Frau und Kind (!) sind schuld. Um ihn zu schützen, wurde er versetzt. Ich mach die Welt, wie es mir gefällt. Der Name des Kardinals: Josef Ratzinger.

Integration via Schule

Die Idee des Schulfach Islam ist weiter auf dem Vormarsch, besonders im Vorreiterland NRW. Die Idee ist, die islamische Religionslehre in staatliche Hand zu legen - und damit zu kontrollieren -, anstatt sie privaten und unkontrollierbaren, möglicherweise islamistischen Gelehrten und Moscheen zu überlassen.
Diese Idee ist gut und richtig, und man muss sie fördern. Es kann nicht sein, dass der Staat in Vogel-Strauß-Manier den Kopf in den Sand steckt und hofft, dass sich das Problem irgendwie von alleine löse. Vielleicht, indem aus den Moslems gute Christen werden oder etwas ähnliches. Stattdessen wäre es nötig, mit ausgebildeten Lehrern dafür zu sorgen, dass ein unvoreingenommenes Bild mit einer säkular motivierten Religionslehre verbunden wird und dadurch der Islam selbst zum Bestandteil der Integration werden kann - und einer Religion wie jede andere auch.

Egraut, vergessen

Ein Bild hängt an der Wand, ergraut und verstaubt. Es zeigt Ostermärsche in den 1980er Jahren, tausende von Menschen gegen Reagan, Kohl und den NATO-Doppelbeschluss, gegen die Rüstung, für den Frieden. Schnitt.
Der gestrige Ostermarsch in Bremen brachte ganze 150 Menschen auf die Straße, fast alle deutlich über 50, ihre Anführer haben die 70 überschritten. Über Megaphone versuchen sie Aufmerksamkeit zu erreichen, sie reden vom imperialistischen Europa, vom Neoliberalismus, vom Neuaufbau der KPD. Ein wirrer Mix aus aktuellen Problemen und Projekten der Vergangenheit, die bereits vor 40 Jahren scheiterten. Sie fühlen sich verraten, verraten von der taz und den Grünen, zurecht. Sie fühlen sich als Speerspitze der Friedensbewegung, des Aufstands der Anständigen, zu unrecht. Die KPD, die sie wieder aufbauen wollen, hat ihren Lebenshauch bereits anfang der 1950er Jahre verloren, und alles was später kam waren Todeszuckungen, letztes Aufbäumen einer zum Untergang verdammten Idee.
Die gestrigen Demonstranten sind so ein vergreisendes, vergilbendes und verstaubtes Denkmal jener Zeit. Wenn man sie überhaupt wahrnimmt, so schüttelt man den Kopf über sie, belächelt sie. Die Zeit heute ist eine andere. Die Repräsentanten der alten sterben aus.

Jenseits aller Grenzen

Der höchstbezahlte Manager 2006 steht fest. Ray Irani, Chef von Occidental Petroleum, strich 400 Millionen Dollar ein. Er allein. Dabei entfielen "nur" rund 60 Millionen als gehalt, von denen etwa dreieinhalb fix und der Rest leistungsbezogen war. Der Rest kommt durch eine unglaubliche Menge an Aktienoptionen zustande, die Iranie in den Jahren seiner Tätigkeit ansammeln konnte.
Insgesamt ist er jedoch damit bei weitem nicht der größte Gierschlund: Oracle-Chef Larry Ellison konnte 2001 über 700 Millionen einstreichen, Disney-Chef Michael Eisner kam 1998 auf 590 Millionen. Dagegen nimmt sich ein Ackermann mit über 13 Millionen wahrhaft bescheiden aus.
Doch das soll kein Plädoyer sein, dieses Karussel und Höllenrad der zügellosen Gier auch auf Deutschland auszudehnen. 13 Millionen in einem Jahr - das entbehrt schlichtweg jeglicher Grundlage, und die zitierten US-Gehälter sind einfach nur aberwitzig. Sokrates meint einmal, dass kein Mensch mehr als viermal so viel besitzen sollte wie ein anderer. Das mag zu wenig sein; selbst aber, wenn man den Spruch auf das hundertfache ausdehnt wären diese Gehälter noch nicht im Geringsten abgedeckt. Und kaum jemand wird die Frage, ob diese Personen mehr als hundertmal so viel leisten wie ein einfacher Arbeiter mit "ja" beantworten können.

SWIFT und Überweisungen

Überweisungen sind, wie Giralgeld allgemein, eine tolle Sache. Da kann man in Bruchteilen von Sekunden Geldbeträge rund um die Welt schicken. Und das alles dank SWIFT, einem System, das dieses Wunder der Technik nicht nur ermöglicht, sondern auch - für den Fall eines Atomkriegs - Backups sammelt, damit das Weltfinanzsystem nicht zusammenbricht. Clevere Idee, eigentlich.
Eigentlich. Könnte nicht eine Riege von korrupten und kriegsvernarrten Cowboys, genannt die US-Regierung, dank äußerst zweifelhafter Antiterrorgesetze SWIFT komplett auslesen. Und nun plant die EU, künftig ALLE Überweisungen, nicht nur internationale, über SWIFT laufen zu lassen und damit der Überwachung, in enger Kooperation mit den USA, Tür und Tor zu öffnen, weswegen Datenschützer nun auch Alarm schlagen. Dazu kommt, dass die Banken ihre Kunden nicht oder nur mangelhaft aufklären.
Besonders problematisch ist das auch, weil die USA dadurch die Möglichkeit erhalten, den gesamten privaten Bankverkehr auszulesen:
Bleibt nur der Rat an jeden, der Auslandsüberweisungen macht, keinen Unfug mit dem Feld Verwendungszweck zu machen. So könnte etwa die scherzhafte Bemerkung "Spende für Al Kaida" dazu führen, dass man auf eine so genannte "Blacklist" der US-Geheimdienste kommt und nicht mehr in die USA einreisen darf – ohne je zu erfahren, warum.

Sonntag, 8. April 2007

Fundstücke

Politblog.net über die lächerlichen Investigativjournalismusversuche des Spiegel.
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Warum unterstützen die USA eigentlich immer Israel?
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Feynsinn tiefgründig zum Thema politische Heimat.
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Samstag, 7. April 2007

Fundstücke

Warum der Telekomservice so schlecht ist.
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Mixa attackiert erneut von der Leyen.
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Telepolis über eine neue Rezession in den USA.
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Die Stimmen gegen das Christentum mehren sich. Scheint so, als ob das Gesetz von Kraft und Gegenkraft noch funktionieren würde - das Pendel schlägt zurück.
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Wargames

Wie jüngst bekannt wurde, haben die USA in der Gefangennahme der britischen Soldaten die Rolle des Kriegstreibers übernommen. Sie schlugen vor, mit Kampffliegern im Tiefflug über iranische Kasernen zu brausen - als Warnung.
Dabei wurde auch bekannt, dass Verletzungen des iranischen Luft- und Seeraums wohl zum Alltag gehören. Deeskalationspolitik sieht anders aus.

Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Bereits Monitor hatte darauf hingewiesen, dass der vorbildliche Klimaschützer Deutschland in Wirklichkeit kaum mehr als einen frommer Wunsch, ein hehres Märchen oder gar böswillige Täuschung darstellt. Nun schreibt auch die Süddeutsche darüber:
Demnach verpesten die Deutschen zwar nur halb so viel wie die Amerikaner, aber wenn wir ehrlich sind: das ist auch keine Kunst. Europaweit (und damit auch weltweit, denn China und Indien verpusten derzeit "nur" eine Tonne CO2 pro Mensch und Jahr in die Atmosphäre) steht Deutschland mit 10 Tonnen CO2 pro Mensch und Jahr derzeit weit oben. Frankreich pustet nur 7 Tonnen, viele andere europäische Länder noch weniger CO2. Einer der großen Sünder ist die Autoindustrie, die dank erfolgreicher Schmiergeldzahlungen an Merkel&Co die geplanten EU-Richtlinien genauso drastisch entschärfen konnte wie die USA nun den Klimaschutzbericht der UN.
Allenthalben also wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Die Leidtragenden sind nicht nur die Menschen hierzulande, sondern auch die an der Entwicklung wirklich gänzlich unschuldigen Entwicklungsländer, die am meisten unter dem Klimawandel leiden.

Freitag, 6. April 2007

In dubio contra muslim

Wie die Zeit berichtet, sind die Muslime nicht nur in Form öffentlicher Anfeindungen, Schmierenpropaganda à al Henryk M. Broder oder rassistischen Übergriffen bedroht, sondern auch durch aktive Diskriminierung durch staatliche Instanzen. Seit 2001 werden Muslime, gleich welcher Glaubensausrichtung und politischer Orientierung, deutlich seltener eingebürgert und deutlich häufiger abgeschoben.
Der Täter ist ein alter Bekannter: der Verfassungsschutz. Seine Urteile sind sowohl unzuverlässig bis gefährlich als auch Entscheidungsgrundlage für die entsprechenden Stellen. Dadurch wird die Integration, auf die die Politik ohnehin nur noch Lippenbekenntnisse abgibt, seit es der konservativen Konterrevolution gelungen ist, die Deutungshoheit wieder an sich zu reißen, deutlich geschwächt bis unmöglich gemacht. Muslime stehen unter Generalverdacht, und wer eingebürgert werden will und sich zu den Werten des Grundgesetzes bekennt (etwas, das die meisten Politiker inzwischen offenkundig nicht mehr tun), der sollte auch auch eingebürgert werden können und nicht wegen irrationaler und rassistischer Bedenken außen vor bleiben müssen.

Moderner Ablasshandel

Ich hatte schon lange das Gefühl, dass die aktuelle Klimadebatte ein Ausbund an Heuchelei ist. Ich könnte mich selbst schlagen dafür, dass ich nicht - wie der Zeit-Autor Jörg Burger - auf die Idee gekommen bin, sie mit dem Ablasshandel des Mittelalters in Verbindung zu bringen. Burger bezieht dies zwar nur auf einen speziellen Fall - das drohende Verbot der Plastiktüte - aber im Endeffekt lässt es sich beliebig erweitern. Um nicht wirklich aktiv werden zu müssen, reden alle vom Klima. Bereits das Reden bringt dieses wohlige "Seht her, ich tue was!" Gefühl in die Köpfe der Menschen und befreit von einem Großteil der Last. Einen weiteren großen Teil wird man los, wenn man irgendwelche kruden Vorschläge macht, die einen nicht betreffen - eine Steuer auf Flugtickets zum Beispiel. Oder mehr mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, wenn man es selbst jeden Tag tut.
Um zurück auf das Plastiktütenbeispiel zu kommen: eine Plastiktüte ist nicht umweltschädlicher als eine Papiertüte, wahrscheinlich sogar umweltschonender. Dieses Paradoxon liegt in den Kosten der Herstellung begraben; für beide wird fast gleich viel Energie aufgewandt. Während aber die Plastiktüten mehrfach benutzbar sind, wirft man die Papiertüte nach Einmalgebrauch meist weg.
Genauso steht es in der großen Politik: statt Emissionen zu beschränken, indem neue Filter in Kamine eingebaut oder der Schadstoffausstoß der Autos begrenzt wird, werden Randbereiche wie der Flugverkehr eingebracht und zur Chefsache erklärt. Dadurch beruhigt man nicht nur das eigene Gewissen, sondern vor allem das der Wähler. Ist doch toll. Nur bringt es keinen Schritt weiter.

Von irgendwelchen Rucks, die durch irgendwelche Länder gehen

1997 hat Roman Herzog, seines Zeichens CDU-Bundespräsident, in seiner berühmten Rede einen durch Deutschland gehenden "Ruck" gefordert, sprich: Umverteilung von unten nach oben. Zehn Jahre später bekommt er glänzende Augen, wenn er die Erfolge der GroKo sieht:
„Ich war nie ein Freund großer Koalitionen, aber im Moment sieht es tatsächlich so aus: Die große Koalition ist die „Ruck-Regierung““, sagte Herzog dem Focus. Vor zehn Jahren, am 26. April 1997, hatte der damalige Bundespräsident die Deutschen in seiner ersten „Berliner Rede“ aufgefordert, einen „Ruck“ durch das Land gehen zu lassen.

„Was in diesen eineinhalb Jahren eingeleitet worden ist, Anfänge einer Haushaltskonsolidierung, die Rente mit 67, jetzt die Unternehmenssteuern - das kann sich sehen lassen“, lobte Herzog.
Ja, in jedem beliebigen Horror-Polit-Kabinett kann sich das wirklich sehen lassen. Oder in einer Geisterbahn für Erwachsene. Aber für irgendwelche ernsthaften Bestandsaufnahmen kann sich die bisherige Arbeit der Großen Koalition beinahe durchgängig nur als Negativbeispiel sehen lassen. Die Unternehmersteuern, die sogar von der FTD abgewatscht werden - als Positivbeispiel? Rente mit 67, ein Positivbeispiel? Und die angekündigte Haushaltskonsolidierung, so sie denn tatsächlich kommt und nicht nur beständig beschworen wird, wiegt mit ihrem Nutzen kaum ihre enormen Kosten auf. Wahrlich, wenn das der Ruck ist, den Herzog sehen wollte - dann können wir froh sein, dass wir so lange auf ihn warten mussten.

Fundstücke

Knut nervt.
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Seehofer redet über eine Einbindung Stoibers.
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Waren die Briten doch auf Aufklärungsmission?
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Freitag zur Mindestlohndebatte; lohnenswert!
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Analyse der Situation in Bolivien.
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In der EU gibt es Widerstand gegen die deutsch dominierte Balkanpolitik.
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Die jungeWelt über die Vorbereitungen zum G8-Gipfel.
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Politblog.net: Wie wir umerzogen werden sollen.
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In England sollte ein zehnjähriger Junge verhaftet werden, weil er in einer Mail einen Schulkameraden als "gay boy" bezeichnet hat.
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Lawblog zur Verfassungsänderungsdebatte durch Schäuble.
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Feynsinn: Sicherheit über alles.
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Die britischen Soldaten dementieren derweil heftig.
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Heribert Prantl schreibt in der SZ einen hervorragenden Beitrag zur Gnadendebatte um Christan Klar.
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Manager an den Pranger

So titelt die Zeit. In ihrem Artikel stellt sie einige fundamentale Weisheiten auf, die ich hier kurz auszugsweise zitieren möchte:
Denn es fällt schwer, Argumente für die Spitzenverdienste zu finden, etwa die 13,6 Millionen Euro von Josef Ackermann, dem Chef der Deutschen Bank. Auch der Durchschnitt der 30 Vorstandsvorsitzenden im Dax fällt mit 3,9 Millionen Euro (ohne Zuwendungen für die Altersvorsorge) noch sehr hoch aus. Dafür muss der Durchschnittsverdiener in Deutschland mehr als 100 Jahre arbeiten, oder anders gerechnet: drei Leben leben. Selbst Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, muss fast 20 Jahre lang Bundeskanzlerin sein, um nur das eine Jahresgehalt des durchschnittlichen Vorstandsvorsitzenden einzustreichen. An diese Dimensionen darf sich eine demokratische Öffentlichkeit nicht gewöhnen.
Besonders wichtig hier: der Schlusssatz.

Besondere Brisanz erhalten die Millionen von Ackermann und Co. in diesem Jahr, weil das Thema Mindestlohn en vogue ist. Erstaunt stellen die Deutschen fest, dass in ihrem reichen Land Millionen Menschen eine feste Stelle haben und trotzdem weniger als fünf Euro pro Stunde verdienen. Auf den Markt zu verweisen und die Debatte für beendet zu erklären ist da falsch. Denn in beiden Fällen, bei den Niedriglöhnen und bei den Spitzenverdiensten, funktioniert der Markt nicht so, wie es die Wirtschaftsliberalen gerne behaupten. Weder bieten die Individuen freiwillig ihre Arbeitskraft an, noch werden sie nach ihrer in Geld bewertbaren Leistung beziehungsweise danach entlohnt, welche Werte sie schaffen. In beiden Fällen spielen Machtfaktoren die entscheidende Rolle.

Die Niedrigstlöhner, die selbst nach einer 40-Stunden-Woche auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind, sind ausbeutbar, vor allem wenn das soziale Netz löchrig ist. Es gibt zu viele Arbeitslose, die einfache Tätigkeiten ausführen können. Da können die Arbeitgeber fast beliebig den Preis für Arbeit drücken. Ganz anders bei den Managern großer Aktiengesellschaften: In der Regel befördern Seilschaften, neudeutsch »Netzwerke«, den Aufstieg der Manager an die Spitze. Einmal oben, verhandeln sie mit ihrem Aufsichtsrat, den sie sich nicht selten selbst zusammengestellt haben, ihren »gerechten Lohn« aus. Im Gegenzug machen sie sich für die Erhöhung der Aufsichtsratstantiemen stark. Es ist nichts anderes als die Ausbeutung der Aktionäre durch die Managerklasse.
Was wieder einmal zeigt, dass die Mindestlohndebatte wichtiger denn je ist.

Das alles ist fortschrittlich. Da inzwischen selbst in Amerika das Thema Ungleichheit wieder auf der Tagesordnung steht und Gesetze auf den Weg gebracht werden, die die Selbstbedienung der Manager begrenzen sollen, besteht Hoffnung. Hoffnung, dass die demokratische Debatte um das richtige Maß nicht spurlos an der Höhe der Spitzenverdienste vorbeigeht.

Genau aus diesem Grunde gehören die Manager zumindest einmal im Jahr an den Pranger.
Genau.
Auch der Rest des Artikels ist sehr zu empfehlen, auch wenn ich den optimistischen Unterton (noch) nicht teilen kann.

Unter der Brücke - mit behördlicher Genehmigung

In Miami/Florida, einem der US-Bundesstaaten mit den härtesten Gesetzen gegen Sexualstraftäter überhaupt, bekommen diese nach Verbüßen ihrer Haft oftmals keine Unterkunftmöglichkeit mehr. Unter einer Brücke leben dort derzeit mit behördlicher Genehmigung drei ehemalige Sexualstraftäter, die jeden Tag zweimal von Behörden kontrolliert wird. Dieser Zustand hält bereits seit sechs Wochen an.
Die Asyl- und Obdachenlosenheime nehmen die drei nicht, weil sie ehemalige Sexualstraftäter sind. Eine Wohnung zu bekommen ist nicht möglich, weil zu teuer, und ohne Wohnung kein Job. Einen Job könnten sie aber auch so kaum erreichen - weil sie ehemalige Sexualstraftäter sind. Seit sechs Wochen also hausen sie zwischen Ratten. Ihre persönliche Habe ist in Plastiktüten verstaut; als Luxus besitzen sie kleine Öfen. Der Verkehrslärm ist unter der Brücke so hoch, dass nicht einmal Unterhaltungen möglich sind - von vernünftigem Schlaf ganz zu schweigen.
Diese Situation empfinden die Männer zurecht als pervers - sie haben ihre Strafe schließlich abgesessen und halten sich an das Näherungsverbot über 700 Meter zu Orten, an dennen sich Kinder aufhalten. Einen besonderen Geschmack erhält das Ganze durch die Tatsache, dass sie von den Boulevardblättern kaum so heroisiert werden wie weibliche Straftäter - deren Hausen unter einer Brücke vermutlich auch einen Sturm der Entrüstung auslösen würde.

Niemand hat die Absicht, das Klima zu wandeln!

So oder ähnlich von George W. Honecker. Oder Erich Bush. Die Grenzen sind da so fließend gerade.
Die UN haben sich endlich auf eine gemeinsame Version ihres Berichts zum Klimawandel geeinigt. Besonders die USA und China bestanden bis zuletzt auf Streichung einiger Passagen - und hatten damit Erfolg. So konnten die USA die Streichung veranlassen, dass Wirbelstürme und Waldbrände durch den Klimawandel mitverursacht werden. China ließ streichen, dass Schäden "mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten werden".
Damit begeben sich die USA und China in etwa auf das Niveau eines Kleinkinds, das sich die Augen zuhält und laut ruft: "Nananana, ihr könnt mich nicht sehen!" Motto: wenn es nicht im Bericht steht, wird es auch nicht passieren. Bei uns gibt es keinen Klimawandel. Vielleicht in Europa und Afrika, aber der Himmel über den USA verhält sich strikt patriotisch.
Die ganze Situation ist so grotesk, dass man nicht weiß, ob man wütend sein soll oder nur entgeistert den Kopf schütteln. Wahrscheinlich eine gute Mischung aus beiden, immer wieder abwechselnd. Die Hintergründe für die Streichungen sind dabei so erbärmlich leicht zu verstehen: entgegen vielzitierter Klischees ist in den USA eine Mehrheit der Bevölkerung für Umweltschutz. Durch geschicktes Informationsmanagment ist es der Regierung jedoch bisher immer gelungen, eine Zustimmung zu Kyoto glaubhaft zu machen und der UNO die Schuld in die Schuhe zu schieben. Die Interessen der Wirtschaft stehen außerdem dem Ganzen entgegen, zusammen mit einem guten Schuss ideologischer Verbohrtheit bei der Bush-Junta. Der Hurrikan Katrina durfte ja keinesfalls als Reaktion des Klimawandels erscheinen.
Die chinesischen Motive sind noch primitiver: die chinesische Wirtschaft ist eine Dreckschleuder sondersgleichen, und die Bevölkerung interessiert sich (noch) nicht für Umweltschutz. Gleichermaßen wären die Folgen eines Klimawandels dramatisch, man denke nur an eine Jangtse-Überschwemmung.
Weder der Welt noch sich selbst haben die USA und China mit ihrer Vogel-Strauß-Taktik einen allzu großen Gefallen getan. Und während in diversen Unternehmen die Kassen klingeln, weil man sich immer noch nicht über die ganzen Emissionen und den Giftmüll kümmern muss, wird die finale Abrechnung, die eines Tages todsicher kommt, nur um so bitterer ausfallen - da sind die Verantwortlichen aber entweder bereits tot oder mit ihren vielen Millionen irgendwo in Sicherheit.

Donnerstag, 5. April 2007

Zusammenarbeit von Polizei und GEZ

Wo? Natürlich in Hessen. Aber der Reihe nach. Die Polizei in Osthessen hat ein neues Projekt gestartet: Radio Blaulicht, einen Radiosender rund um die Polizei, quasi eine hauseigene PR-Agentur über den Äther. Neben Musik (mit Polizeibezug) soll es Informations- und Unterhaltungsprogramme geben.
Nicht, dass die Polizei ihr (meist leider begründet) schlechtes Image nicht dringend aufpolieren sollte. Aber die Kooperation mit der GEZ hat einige wirklich bedenkliche Schlagseiten.
Zum einen kann das Informationsprogramm leicht zur Panikmache im Zeichen des GWOT (Global war on terror) benutzt werden. Auch Hetze gegen irgendwelche Personengruppen durch Warnungen ist gut möglich und alles andere als unwahrscheinlich. Zum anderen aber ist die Kooperation quasi auf "dienstlicher Ebene" besorgniserregend. Während die GEZ die Umschulung einiger Kommissare zu "Medienprofis" sponsorte, versprach die Polizei im Gegenzug Unterstützung gegen Gebührensünder. Und hier fangen die Probleme an.
Solche Verschränkungen irgendwelcher Dienste schaffen wieder Schäuble'sche Albtraumszenarien von vernetzten Datenbanken und übergreifenden Kenntnissen, von präventiven Maßnahmen und Bespitzelung. Nicht nur, dass im Namen der Terrorprävention einfach auf jeder Rechnerplatte geschnüffelt werden soll - durch eine solche Kooperation könnte man auch gleich noch nach raubkopierten MP3 suchen, die andernfalls ignoriert werden müssten. Wenn weitere Kooperationen dieser Art folgen sollten, steht bald einer vollkommen Hilflosigkeit des Individuums gegenüber dem Staatsapparat kaum mehr etwas im Wege. Und mal ehrlich - welcher PC-User hat sich keines einzigen Internetverbrechens strafbar gemacht?

Gedanken zum Grundeinkommen

Es ist schon ein seltsames Ding, diese Vollbeschäftigung. Einerseits ist ihre Erhaltung bzw. das Erreichen das erklärte Ziel der Politik, andererseits ist ihre permanente Abschaffung das immanente Ziel der Freien Marktwirtschaft. Und das ist nicht einmal negativ.
Denn wenn man an das 19. Jahrhundert zurückdenkt, war es damals hip, die Abschaffung der Arbeit zugunsten der Maschinisierung vorauszusagen und diese Vision mit ungeahntem Wohlstand und einem goldenen Zeitalter zu verbinden. Besondere Vorreiter dieser Idee waren damals die Sozialdemokraten. –

Die Welt hat sich seitdem gewandelt. Erwerbsarbeit gilt heute als Maßstab aller Dinge, wer keinem Erwerb nachgeht, ist ein Pariah und aus der Gesellschaft ausgeschlossen, wird drangsaliert, sanktioniert und stigmatisiert. Gesetzlich legitimiert und intendiert ist das durch Hartz-IV. Man will "Anreize schaffen" Beschäftigung anzunehmen, wo überhaupt keine Beschäftigung vorhanden ist. Letzteres ist eigentlich gut so.

Die Zahl der Jobs im sogenannten Niedriglohnsektor, also der unqualifizierten Jobs, sinkt beständig. Übrig bleiben anspruchsvolle, hochqualifizierte Aufgaben. Diese Entwicklung besteht seit Jahrzehnten und ist unumkehrbar. Soziale Politik schreibt sich stets auf die Fahnen, eben dies zu vollbringen. Das ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Man hat die alten Utopien vergessen und begraben, obwohl sie so aktuell wie nie sind.
Die Loslösung des Menschen von der Erwerbsarbeit wäre eine neue Stufe der gesellschaftlichen Evolution. Der immerwährende Drang, für den Lebenserhalt Arbeiten ausführen zu müssen, die den Körper zugrunde richten (und damit eigentlich der Intention der Arbeit zuwiderlaufen) und, im Zeitalter moderner Technik, in der das immer weniger nötig ist, den Ausführenden anöden, ist eigentlich ein Anachronismus. Die Automatisierung schreitet immer rascher voran, immer mehr Arbeitsvorgänge können von Maschinen und Computern erledigt werden. Das ist ein Glücksfall, denn es macht den Menschen unabhängig von schwerer Arbeit.

In der Theorie. In der Praxis ist der Jobverlust gleichbedeutend mit Existenzangst, Existenzproblemen und Selbstzweifeln, die durch Ressentiments, aktive Politik und aktives Verhalten genährt werden. Die Erwerbsarbeit ist der gesellschaftliche Dreh- und Angelpunkt, wer ihr nicht nachgeht, gilt als Schmarotzer, als Pariah. Dabei ist diese Vorstellung falsch. Es wäre nötig, den Arbeitsbegriff zu erweitern, weg von der reinen Erwerbsarbeit. Ehrenamtliches Engagement, beispielsweise. Auch die Unterhaltung dieses Blogs ist Arbeit, wenn auch keine Erwerbsarbeit. Sie geschieht freiwillig, und genau das unterscheidet sie im Regelfall von der Erwerbsarbeit, zumindest der der Niedrigqualifizierten. Es schlummert ein gewaltiges Potenzial, das sich nicht nutzbar gemacht wird.

Die bereits vor langer Zeit entworfene Gegentheorie ist das bedingungslose Grundeinkommen, auch Bürgergeld genannt. Eine bestimmte Summe soll dabei jedem Bürger zustehen, vollkommen bedingungslos. Jeder erhält sie. Man muss nicht arbeiten, man kann. Entweder zur persönlichen Bereicherung oder um sich etwas dazuzuverdienen. Die Utopie sähe so aus, dass viele kleine Teilzeitstellen entstehen, mit denen sich das Grundeinkommen aufbessern lässt und die Arbeit als solche einen ungeahnten Boom erlebt: es stünde massenhaft Zeit zur Verfügung für Vereinsarbeit und ehrenamtliches Engagement, und es bestünde kein finanzieller Druck mehr, der von einem Engagement abhält.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Gesellschaft verroht zunehmend, Hektik bestimmt den Alltag, der Druck steigt, und mit ihm die Angst. Und das, obwohl die Wirtschaft so produktiv ist wie nie zuvor, der technische Stand ebenso und die wenigsten Arbeiten noch wirklich körperlich anstrengend ist. Theoretisch wäre ein Großteil dieser Probleme mit dem BGE zu lösen. Theoretisch.

Ein Hauptkritikpunkt, der von seinen Gegnern auch immer an vorderster Stelle genannt wird ist die Finanzierbarkeit. Die jährlichen Kosten für den Staat würden sich auf mindestens 220 Milliarden Euro belaufen, wahrscheinlicher aber sind Zahlen, die die Billion deutlich überschreiten. Ein großer Teil dieser Summe kann durch den Wegfall der gesamten Sozialsysteme mitsamt ihrer wuchernden Bürokratie erwirtschaftet werden. Aber gleichzeitig fällt mit der Einkommenssteuer eine große Einnahmequelle weg, um nur die direktesten Effekte zu nennen. Es wird schnell klar: ein BGE erforderte eine Gesamtrekonstruktion des Staates, ein vollkommen neues Verständnis von Staat, Arbeit, Erwerb und Wirtschaft, ja, eine neue Gesellschaft.

Vorerst bleibt das BGE also in jedem Fall Utopie. Doch das ist nicht das einzig Bedrohliche. Neuerdings haben Wirtschaft und Politik das BGE ebenfalls für sich entdeckt, und das kann nichts Gutes bedeuten. Besonders Götz Werner ist dabei in die Schlagzeilen geraten. Sein Modell geht von 800 Euro BGE aus, von dem 200 Euro für allfällige Versicherungen einbehalten würden. Dadurch würden die Zuwendungen unter Hartz-IV-Niveau senken; kaum die richtige Ausgangsbasis für eine Restrukturierung des Sozialstaats. Wirklich problematisch jedoch wird sein Vorschlag, wenn man die Finanzierung für die Unternehmen ansieht: diesen soll bis zur Höhe des Grundeinkommens die Lohnzahlung substituiert werden. Das bedeutet, dass die Unternehmen das BGE kostenlos hinzubekommen – für jeden einzelnen Mitarbeiter.

Diese Vereinnahmung des BGE durch die neoliberalen Wirtschaftspropheten lässt von dem Grundgedanken nichts mehr übrig: anstatt der Alternative zur Erwerbsarbeit wird der Druck noch weiter erhöht und unter einem dürftigen Deckmantel eine weitere drastische Kürzung der Sozialleistungen und ein radikaler Abbau der staatlichen Interventionsmöglichkeiten betrieben, getoppt noch durch die vollkommen einseitige Verpflichtung der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern, die dadurch Milliarden ohne Gegenleistung in die Kassen gespült bekommen würden. Diese Vereinnahmung des BGE droht derzeit, die Idee als solche zu diskreditieren.

Der gangbarste Weg besteht wohl aus vielen kleinen Schritten. Zum einen bedarf es dringend eines gesetzlichen Mindestlohns für alle Branchen von mindestens acht, besser aber zehn und mehr Euro, der regelmäßig an gestiegene (oder gegebenenfalls gesunkene) Lebenshaltungskosten angepasst werden muss. Gleichzeitig kann man über ein BGE für Bedürftige nachdenken, sprich Menschen, die keiner regelmäßigen und Unterhaltssichernden Erwerbsarbeit nachgehen. In dieses Spektrum würden deutlich mehr Gruppen fallen als bisher, vor allem Hausfrauen und Studenten. Durch die Bedingungslosigkeit würden die völlig sinnlosen und volkswirtschaftlich schädlichen ABMs im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung wegfallen und so den Empfängern des BGE auf kleiner Basis ermöglichen, sich selbst zu verwirklichen und in ehrenamtlichem Engagement aufzugehen. Hier ist zumindest anfangs auch eine Politik (reeller) Anreize denkbar.

So oder so bietet das BGE viele Möglichkeiten. Wenn es allerdings zu einem verkappten Sozialleistungskürzungs- und Profitsteigerungsinstrument verkommen sollte, sind alle hehren Utopien begraben, und die Abwärtsspirale und der Gang in dieser werden unvermindert fortgesetzt. Das kann nicht im Sinne der Menschen sein.