So auch in der Nummer 94 des laufenden Jahres, in der Rainer Wehaus in einem Leitartikel über den "Spuk der RAF" schreibt, brav wie pünktlich zum anstehenden Gedenken an die 30 Jahre zurückliegenden Ereignisse des Jahres 1977. Neben der durchaus richtigen Erkenntnis der übermäßigen Aufgeregtheit der Debatte endet der Leitartikel jedoch mit einem Absatz, der ebenso fragwürdig ist wie er Kopfschütteln auslößt. Denn er lautet folgendermaßen:
"Und die RAF ist auch heute noch gefährlich. Denn ihre Ideologie spukt weiter in manchem Kopf herum. Von 6. bis 8. Juni treffen sich die wichtigsten Industrienationen zum G-8-Gipfel in Heiligendamm. Die Polizei rechnet mit gewalttätigen Protesten von so genannten Globalisierungsgegnern. Im Vorfeld hat es in Norddeutschland bereits 19 Brandanschläge linksextremistischer Gruppen gegeben. Auch diese Gruppen kämpfen angeblich für eine gerechetere Welt. Tatsächlich treibt sie eine unkontrollierbare Wut und Lust an der Zerstörung. Wer heute noch immer der RAF hehre Motive bescheinigt, der redet - ob er will oder nicht - auch solchen Gruppen das Wort."Man muss sich diesen grotesken Schwachsinn, der hier im Gewand publizistischer Glaubwürdigkeit daherkommt, wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Mit seiner als nüchterne Analyse getarnten Hasstirade gelingt Wehaus nämlich zweierlei: zum einen werden Globalisierungsgegner diffamiert. Alleine die Verwendung solcher Vokabeln wie "so genannte" sorgt zu Stirnrunzeln und konnotiert die Globalisierungsgegnerbewegung in den Köpfen der durchschnittlichen und wenig über die Zusammenhänge informierten Durschnittsleser dieses Organs. Dazu kommt der fröhliche Mix zwischen Attac, Jungdemokraten&Co und den Extremisten, die die Anschläge begangen haben (und von denen man, anders als Wehaus zu suggerieren versucht, bis heute nicht weiß wer sie waren und ob sie die Anti-G8-Parolen nicht nur zur Tarnung nutzten). Mit einem Schlag oder, um im Bilde zu bleiben, mit einem Federstreich denunziert Rainer Wehaus sämtliche Demonstranten als Terroristen oder zumindest potenzielle Terroristen. Ein weiteres Problem ist die in den Leitmedien ständig zu findende Vokabel "Globalisierungsgegner". Sie hat mehrere Vorteile; so ist sie wunderbar griffig und schafft bereits beim Lesen Distanz. Gegner von irgendwas, das kann ja nur böse sein, besonders wenn man traditionell so denkfaul ist wie die Konservativen Baden-Württembergs. Durch Sprache lässt sich bekanntlich viel machen. Ob sich sinistre Personen wie Schäuble immer noch ständiger Zustimmung erfreuen würden, titulierte man sie als "Grundrechts-Gegner"? Die Logik der Benennung wäre dieselbe: denn wollen Schäuble und Konsorten andere Grundrechte, die mehr ihren Ansprüchen genügen, so wollen die "Globalisierungsgegner" nur eine andere Globalisierung: nicht umsonst heißt der attac-Leitspruch "Eine andere Welt ist möglich". Es geht um Gerechtigkeit und Frieden, nicht um Zerstörung und Egoismus. Gerne aber werfen die konservativen Medien dies durcheinander, ob aus reiner Dummheit oder um gezielt Meinung zu machen ist einerlei, unzulässig ist es in jedem Fall.
Zum anderen wird ein völlig unzulässiger Zusammenhang zwischen RAF und der G8-Demonstranten geschaffen geschaffen. Gerne werden autonome Radikale als repräsentativ für die linke Bewegung geschaffen, wenn nicht gerade das Bild des alternden und mauermordenden Ex-SED-Funktionärs besser taugt. Dadurch, dass dem verquerten RAF-Gedankengut hier eine Gemeinsamkeit mit der Antiglobalisierungsdebatte unterstellt wird, wird die gesamte Bewegung auf einen Schlag gleich doppelt diskreditiert. Denn nichts könnte falscher sein: die RAF stand für eine Revolution, gewaltsam und mit Mord und Totschlag gegen die Repräsentanten des von ihnen empfundenen "Schweinesystems". Die Anti-Globalisierungsdebatte steht für Frieden, Gerechtigkeit und soziale Teilhabe aller an der Gesellschaft. Dass dies Konservativen, die ohnehin dem Egoismus des Neoliberalismus das Wort reden nicht behagt, ist mir klar. Dass es eine Schande für die Pressefreiheit ist auch.
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