Montag, 30. Oktober 2017

Der republikanische Angriff auf den Rechtsstaat

Robert Mueller, der special prosecutor der die Verbindungen von Trumps Wahlkampfteam mit dem Kreml untersucht, hat heute die ersten zwei Haftbefehle herausgegeben: gegen Trumps ehemaligen Wahlkampfmanager Paul Manafort und zwei Berater Trumps mit Namen Rick Gates und George Papadopoulos. Dass Manafort das erste Ziel der Untersuchungen sein würde war bereits seit Monaten absehbar; der Mann hat direkte Verbindungen sowohl zu russischen Oligarchen als auch zu den russlandtreuen Elementen in der Ukraine, für die er einst arbeitete. Papadopoulos hat sich bereits am 5. Oktober für schuldig erklärt, Geld vom Kreml angenommen zu haben. Gates' Rolle ist etwas unklarer. Die spannende Frage im Kontext der US-Politik - und die alles entscheidende - ist, ob diese Verbindungen bis in den Wahlkampf hineinreichen, denn aktuell sind nur Geschäfte aus den Jahren 2012 und 2013 bekannt. Ob das der Fall ist, soll hier aber gar nicht Thema sein.

Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste Grund ist, dass ich die mannigfaltigen Entwicklungen der Mueller-Untersuchungen über die letzten Monate bewusst nicht detailliert verfolgt habe. Mueller ging sehr diskret vor, so dass jedes Informationsstückchen entweder Mutmaßungen, Gerüchte oder ohne Kontext ist. Da jedes dieser Informationsstücken sofort von beiden Seiten durch die Mühle des jeweiligen spin gedreht wurde und die diskrete Natur der Untersuchungen eine unabhängige Beurteilung unmöglich machte, blieb ich davon weg. Der zweite Grund ist, dass die Untersuchung zwar politische Verbrechen untersucht, grundsätzlich aber juristischer Natur ist und mir im Gegensatz zur politischen Arena schlicht die Fachkenntnisse fehlten, um die Vorgänge einordnen zu können. Diese beiden Faktoren führten bei mir zu der Einstellung, erst einmal die offiziellen Berichte Muellers und die anschließende Einordnung durch vertrauenswürdige Journalisten abzuwarten.

Daher soll es hier auch ausschließlich um die politische Dimension des Falles gehen. Und was sich derzeit auf der amerikanischen Rechten abspielt, ist zutiefst verstörend. Ein special prosecutor ist kein neues Instrument im US-Politikbetrieb. Besonders die Clintons dürften sich noch gut daran erinner, fast sechs Jahre lang von Kenneth Starr einen imaginären Skandal nach dem anderen angedichtet bekommen zu haben, bis er schließlich auf die Lewinsky-Affäre stieß. In was sich mittlerweile als Muster herauszeichnet sind die Republicans allerdings nicht gewillt, die Spielregeln des Rechtsstaats auch für sich zu akzeptieren. Und das ist in höchstem Maße verstörend.

Schon seit einer Weile geistert die Idee, dass Trump Mueller einfach feuern und für alle Beteiligten Blanko-Begnadigungen ausstellen könnte durch die Debatte. Auffällig ist, dass seit der Ankündigungen der Anklageschriften vergangenen Freitag sämtliche Organe der Republicans unisono auf diese Linie eingeschwenkt sind und seit etwa anderthalb Wochen die Legitimationsbasis dafür legen. So hat das Wall Street Journal - quasi die Hauspostille der Establishment-Republicans - heute auf seiner Titelseite eine entsprechende Empfehlung. Auch andere konservative Figuren aus Presse und Politik blasen in dieses Horn; hierbei handelt es sich eindeutig um korrdiniertes Messaging.

Dieses wird dadurch unterstützt, dass die Republicans seit zwei Wochen mit aller Macht die absurde Idee pushen, dass hinter dem allen - wer auch sonst - Hillary Clinton stecke. Der Plan ist dabei offensichtlich. Da die Medien immer noch nicht aus ihren Fehlern von 2016 gelernt haben und irrsinnigen Verschwörungsquatsch und nachprüfbare Fakten im Namen der Unpartelichkeit gleichberechtigt nebeneinanderstellen (bothsiderism), bombardieren die Rechten alle Nachrichtenkanäle mit diesem Bullshit, so dass Trumps Feuern von Mueller und seine Blanko-Begnadigungen für alle Beteiligten wirken, als würde eine völlig aus dem Ufer gelaufene, von Parteiinteressen nicht mehr zu trennende Hexenjagd beendet und die amerikanische Gesellschaft geeint.

Dies ist, erneut, ein realistisches Szenario. Und genau hier liegt das Problem. Denn während die Medien völlig versagen und in falsch verstandener Unparteilichkeit den Republicans genau das geben, was sie wollen, zerstören diese dabei die Grundlagen des Rechtsstaats. Die Argumente der Trump-Verteidiger sind von atemberaubender Frechheit.

Wir hören die alte Nixon-Argumentation, dass der Präsident per Definition keine ilegalen Akte vollziehen könne und das Recht habe, jegliche Untersuchung der Judikative einzustellen (und, im Umkehrschluss, jede beliebige Untersuchung zu starten - sagen wir, etwa gegen Democrats).

Wir hören, dass Mueller nicht unabhängig sei, weil er Informationen vom FBI erhalten hat, und das FBI ermittelt ja gegen Trump. Wir hören, dass die Untersuchungen des FBI in die russischen Verbindungen nicht gewertet werden dürfen, weil sie Berichte von - man halte sich fest - russischen Quellen enthalten. Und so weiter und so fort. Warum aber zerstört diese Salve von atemberaubend hirnverbranntem Unsinn den Rechtsstaat statt der Glaubwürdigkeit derjenigen Medien, die den Bullshit einfach ungefiltert weiter berichten? Das ist schließlich eine heftige Anschuldigung. Das Problem ist, dass die Republicans den Präsidenten bewusst aus dem System demokratischer Verantwortlichkeit herausnehmen und ihn schützen. Es ist ein völliger Zusammenbruch der Checks&Balances, also der Gewaltenteilung. Die Radikalisierung aller Organe des amerikanischen politischen Betriebs garantiert dies:
      Der Supreme Court ist seit den Ernennungen Reagans (Clarence Thomas, Antonin Scalia) dermaßen politisiert, dass angesichts des gestohlenen Sitzes, den man mit dem radikalen Normenbrecher Neill Gorsuch besetzt hat, keine große Hoffnung darauf bestehen kann, dass er dem republikanischen Treiben Einhalt gebietet.Die Radikalisierung der Abgeordneten im Kongress wurde
hier im Blog bereits ausführlich beschrieben
      . Ich bin bereits zu dem Schluss gekommen, dass die
Republicans
    keine demokratische Partei mehr sind. Die Exekutive ist von Trump und seinen Spießgesellen dominiert.
Die Reaktionen sowohl des Kongresses als auch des Supreme Court der letzten Wochen haben deutlich gemacht, dass nicht darauf zu hoffen ist, dass hier eine ernsthafte Kontrolle stattfindet. Selbst wenn jenseits dem Schatten jedes Zweifels gezeigt würde, dass Trump tatsächlich direkt und illegal mit Russland zusammengearbeitet hat um die Wahlen zu hacken - was keineswegs auch nur annähernd erwiesen ist! - würden die Republicans ihn nicht attackieren und etwa durch ein Impeachment absetzen.

Der republikanische Angriff auf den Rechtsstaat Der Weg in den Autoritarismus für die Hälfte der amerikanischen Gesellschaftet schreitet mit Riesenschritten voran. Gleichzeitig ist es alles andere als abwegig, dass dank eines undemokratischen Wahlkreiszuschnitts die Midterms nächstes Jahr von den Democrats mit im Schnitt sieben Punkten gewonnen werden und die Republicans trotzdem die Mehrheit im Repräsentantenhaus behalten. Es ist Zeit, aufzuwachen.

Freitag, 27. Oktober 2017

CDU und FDP verstehen Klimawandel immer noch nicht

Armin Laschet hat gegenüber der Rheinischen Post erklärt, dass ihm und der CDU Klimaschutz "wichtig" sei, "aber nur, wenn durch ihn der Industriestandort Deutschland und Tausende Arbeitsplätze nicht gefährdet" seien. Das scheint natürlich ein sehr pragmatisches, vernünftiges Argument, also genau das, wie sich CDU und FDP gerne selbst sehen. Aber das ist es nicht. Der Grund dafür liegt in einem grundsätzlichen Unverständnis unter Konservativen und Wirtschaftsliberalen für das, was der Klimawandel eigentlich ist und was die Rolle von Klimapolitik ist. Für CDU und FDP ist Klimaschutzpolitik ein frivoler Luxus, etwas das man sich leistet, wenn es keine oder sehr geringe Opportunitätskosten hat oder aus irgendwelchen Gründen Geld übrig ist. Nichts könnte ferner von der Wahrheit sein, und dieses völlige Unverständnis hält auch konservative oder liberale Problemlösungsansätze zurück.

Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung für die gesamte Menschheit. Wenn die aktuelle Entwicklung weitergeht, wird die Temperatur bis zum Jahr 2100 rund 4 Grad ansteigen. Ab mehr als 2 Grad werden die Folgen dramatisch (weswegen das das Ziel der Pariser Klimakonferenz 2014 ist). 97% aller Klimawissenschaftler unterstützen diese Einschätzung; es handelt es sich also nicht, wie so häufig in rechten Zirkeln kolportiert, um eine völlig offene Fragestellung, bei der es unmöglich wäre zu sagen, was wahrscheinlich passieren wird.

Wenn also Laschet sich hinstellt und sagt, dass es eine Abwägung wäre zwischen dem als Luxuausgabe empfundenen Klimaschutz auf der einen und traditioneller Industriepolitik auf der anderen Seite, dann begeht er einen kategoralen Denkfehler. Weder schließt sich beides aus, noch ist das eine Wahl, die sich einem klar denkenden Menschen stellen kann. Wenn ein Asteroid auf die Erde zuraste, der, wenn man nicht ein sündteures Abwehrsystem baute diese zerstörte, würde man jeden für verrückt erklären, der hier lieber nicht Arbeitsplätze in der Kohleindustrie gefährden will. Leider ist der Klimawandel so schleichend über einen (für Menschen!) unvorstellbar langen Zeitraum, dass es das Vorstellungsvermögen für Probleme einfach übersteigt. Ganz offensichtlich ist das zumindest bei Laschet der Fall.

Erkennt man erst einmal das Gefährdungspotenzial des Klimawandels, so kann die binäre Wahl Laschets keinesfalls mehr zutreffend sein. Stattdessen wäre es an der Zeit, dass Konservative und Liberale sich endlich auf eine konservative und liberale Klimaschutzpolitik verständigen, anstatt die Lösungsvorschläge der Grünen möglichst stark herunterzuwässern. Denn sicherlich kann man genügend Kritik an diesen Lösungen bringen; die Grünen haben die Problemlösungskompetenz bei allen Klimafragen nicht für sich gepachtet. Sie sind aber die einzige Partei, die das Ausmaß der Problems erkannt hat und wenigstens Vorschläge entwickelt. Dass Konservative und Liberale sich dem Ideenwettbewerb um die bestmögliche Problemlösung verweigern ist absurd.

Denn es gäbe massenhaft Möglichkeiten, mit denen man etwa die Rolle des Staates beschränken und stattdessen mehr Initiative auf den Privatsektor auslagern könnte; alternative Besteuerungsmodelle (Stichwort carbon tax) oder gar das Schaffen neuer Märkte (etwa für Emissionsrechte) bieten ebenfalls Möglichkeiten, die völlig vereinbar mit üblichen konservativen oder liberalen Politikpräferenzen sind. Aber nichts davon kommt, weil - erneut - ein grundsätzliches Unverständnis über die Natur des Problems herrscht. Solange Konservative und Liberale (und, in geringerem Maße, Sozialdemokraten) nicht in der Lage sind zu erkennen, um was für ein Problem es sich überhaupt handelt, steuern wir weiterhin auf die Katastrophe zu. Laschet sollte also als Antwort auf seine Kritik an den Plänen der Grünen daher nicht als einzige Alternative Nichtstun propagieren, sondern eigene Vorschläge bringen.

Dienstag, 24. Oktober 2017

Blogparade: Tafelauschriebe

Bob Blume hat auf seinem Blog zur Blogparade zum Thema "Tafelanschriebe" aufgerufen und stellt die Frage, ob es sich nur um eine Weiterentwicklung der 10-G handelt. Normalerweise behandelt das Blog solche Themen ja nicht, aber ich fand die Fragestellung spannend genug das hier zu veröffentlichen; wer sich also nicht für Didaktik interessiert, der lese getrost erst im nächsten Beitrag weiter.

Es gibt nur wenige Elemente, die so sehr Schule symbolisieren wie Tafeln (nur echt in grün, schlecht geputzt und mit weißer Kreide beschriftet) und die darauf von der Lehrkraft kunstvoll angebrachten Aufschriebe, die von mehr oder weniger fleißigen Schülern ins Heft übertragen werden. Wo früher noch halbe Romane aufgeschrieben wurden, mit Fließtext über mehrere Seiten, regiert heute eher die Kunst von "Weniger ist Mehr" und eine Bevorzugung von visuellen Hilfen. Bobs Frage, welche Rolle Tafelbilder eigentlich heute überhaupt noch haben (können, sollen) ist dabei nicht nur für die mündlichen Fachdidaktik-Prüfungen im Referendariat interessant. Tatsächlich scheiden sich an dieser Frage die Geister. Ich will daher im Folgenden ohne jeden Anspruch auf Allgemeingültigkeit meine eigene Konzeption erklären, wie ich sie im Geschichts- und Politikunterricht einsetze.

Generell zu vermeiden suche ich solche Tafelbilder, wie sie sich die Schüler wünschen: eine kompakte Form, die man nur auswendig lernen und in der Arbeit wieder hinschreiben muss. Da wir in Klausuren ja maximal eine ausreichende Note durch reine Reproduktionsarbeit erreichbar machen wollen, sind solche Tafelbilder wenig sinnstiftend. Sie nützen auch überhaupt nichts bei den deutlich anspruchsvolleren Aufgaben des Operator-Niveaus II und III, bei denen Analysen, Erklärungen, eigenständige Beurteilungen, Einschätzungen und Transferleistungen gefragt sind. Diese sind nur mit einem tiefgehenden Verständnis des Stoffes zu meistern, den ein plattes Tafelbild nur dann abbilden könnte, wenn es wirklich episch wird - und wozu genau gibt es dann noch Nachschlagewerke? Zudem gibt es ja unterschiedliche Schülertypen und unterschiedliche Interessenlagen, die sich in einem einzigen, normierten Tafelbild nicht vereinen lassen. Meine Aufgabe kann daher nicht darin bestehen, an der Tafel das eine, verbindliche und für alle Belange ausreichende Tafelbild zu konstruieren. Was also schreibe ich an, und was müssen die Schüler damit anfangen?

An dieser Stelle braucht es einen kurzen Exkurs zu den bereits angesprochenen Klausuren: zwar sind die drei verschiedenen Operatoren-Niveaus bereits eine deutliche Verbesserung gegenüber den reinen Reproduktionsarbeiten vergangener Zeiten, aber die Struktur von Aufgabenstellungen, mit denen mal mehr, mal weniger anspruchsvoll der behandelte Stoff abgefragt wird, ist ohnehin selbst ein Relikt, vermutlich noch viel mehr als der geschmähte Tafelanschrieb. Da aber die Abitursprüfungen immer noch in diesem Format aufgebaut sind, sehe ich das Training auf solche Klausuren und die Fokussierung auf diese Art der Leistungsmessung (neben der üblichen mündlichen Note und eventuellen freiwilligen Zusatzarbeiten) weiterhin als maßgebend an, selbst wenn ich mir alternative Formen wünschen würde. Letztere erforderten jedoch auch eine deutliche Öffnung des Bildungsplans, was angesichts der stoffzentrierten Diskussion eher unwahrscheinlich ist.

Grundsätzlich arbeite ich ungern mit Schulbüchern, da mir die meisten Konzeptionen nicht sonderlich zusagen, sondern gestalte mein Arbeitsmaterial in Form von Arbeitsblättern selbst. Diese enthalten Quellen und ausgewählte Sekundärtexte sowie mit Operatoren ausformulierte Fragestellungen. Sie strukturieren damit nicht nur den Unterricht mit, sondern dienen den Schülern gleichzeitig als erster Mosaikstein ihres Lernkatalogs (auch wenn sie das anfangs immer nicht glauben wollen). Wenn sie beim Lernen auf eine Klausur die Arbeitsblätter durchsehen, werden sie sich an Fragestellungen erinnern, die mit dem Stoff verbunden sind (oder nicht, aber dann ist das erneute Absolvieren der Aufgaben eine gute Übung). Das ist Baustein 1. Baustein 2 wird durch das Internet selbst bereitgestellt; früher musste man dazu auf den Brockhaus der Eltern zurückgreifen oder eben auf die Verfassertexte der Schulbücher. Die Rede ist natürlich von reinen Informationstexten. Im Normalfall tut es dafür Wikipedia oder eine andere verlässliche Internetseite mit Erklärtexten, wenn man den Kontext etwas auffrischen will. Und Baustein 3 ist der Tafelanschrieb. Exkurs Ende.

Der Tafelanschrieb muss daher weder die Funktion von Baustein 1 (konkrete Fragestellungen) noch von Baustein 2 (Information) liefern, da beides bereits durch eine andere Quelle abgedeckt ist. Stattdessen muss der Tafelaufschrieb es leisten, eine Erinnerungsfunktion zu bieten - im Idealfall genügt ein Blick, um die Fakten und Fragestellungen im Kontext wieder miteinander zu verbinden, was durch eine ordentliche Fragestellung unterstützt wird - und Strukturen schnell erkenntlich zu machen. Reine Text-Aufschriebe in Stichpunktlisten oder gar Fließtext sind daher wenig zielführend, weil sie keine Erinnerungshilfestellung für Strukturen bieten. Ich bin daher ein großer Fan von Diagrammen aller Art. Dreiecke, Pfeile, Blasen, Blitze, Säulen, und vieles mehr helfen bei dieser Aufgabe.

Das ist soweit natürlich eine Idealvorstellung. Nicht immer gelingt es mir, Tafelbilder zu entwickeln, die diesen hehren Ansprüchen gerecht werden. Ich habe genügend Tafelbilder, die sehr textlastig sind oder tatsächlich sogar ausschließlich aus Text bestehen. Ich versuche im Allgemeinen, nicht in vollständigen Sätzen zu schreiben, um das nicht ausarten zu lassen, was natürlich im Hinblick auf die Sprachentwicklung der Schüler auch nicht nur Vorteile hat. Zudem erschweren kunstvoll vorher ausgefertigte Tafelbilder den Input von Schülern und ein spontanes Verändern der geplanten Struktur beziehungsweise erhöhen die Unübersichtlichkeit; das ist jedoch üblicherweise bei meiner bevorzugten Form des Tafelbilds weit weniger ein Problem als bei epischen Texten in ganzen Sätzen.

Ja, aber was ist mit 10-G, mögen manche jetzt fragen, und was ist mit der Binnendifferenzierung? Damit schließen wir den Kreis zu meiner anfänglichen Kritik am üblichen Klausuren- und Bewertungsmuster. Solange das allerdings das Nonplusultra der Leistungsfeststellung darstellt, sehe ich wenig Alternative dazu, einen verbindlichen Kanon für alle Schüler, der an durchschnittlichen Leistungen ausgerichtet ist, auch an der Tafel zu fixieren. Wer hierzu irgendwelche Ideen hat, die durch meine eigene mentale Barriere auf diesem Gebiet brechen - immer her damit.

Sonntag, 8. Oktober 2017

Trump, Weinstein und die Akzeptanz sexueller Belästigung

I better use some Tic Tacs just in case I start kissing her. You know, I’m automatically attracted to beautiful — I just start kissing them. It’s like a magnet. Just kiss. I don’t even wait. And when you’re a star, they let you do it. You can do anything. Grab 'em by the pussy. You can do anything.
 - Donald Trump
Für diejenigen, die gnädigerweise die Access-Hollywood-Kontroverse vom Oktober 2016 vergessen haben, sollte das obige Zitat eine kurze Erinnerung mit sich bringen. Die Nation debattierte damals darüber, ob jemand, der auf Band aufgenommen sexuelle Übergriffe (die strafbar sind) zugibt, eigentlich Präsident werden solle. Nach einigem Hin und Her entschied die Nation, dass dieses ganze Gerede von Rechten für Frauen und Minderheiten sie ziemlich ankäste und beantwortete mit einem knappen Ja. Aber ein mutmaßlicher Vergewaltiger im Weißen Haus ist natürlich auch nichts gegenüber einem mutmaßlichen schwarzen Sozialisten, so dass hier keine Notwendigkeit zur Sorge besteht. Nachdem in kurzer Reihenfolge sowohl Bill O'Reilly als auch Roger Aisles ihre Jobs bei FOX News wegen mehrfacher sexueller Übergriffe auf Angestellte und anderweitig von ihnen Abhängige aufgeben mussten (selbstverständlich mit Millionenabfindungen), was im Sexualstrafrecht ein großes "No-No" darstellt, kam nun ans Tageslicht, dass Harvey Weinstein, ein berühmter Filmproduzent, ebenfalls seine Angestellten sexuell belästigte. Im Gegensatz zu Trump, O'Reilly und Aisles gibt es aber einen gewaltigen Unterschied: Weinstein ist ein langjähriger und verlässlicher Großspender der Democrats.

Für die Republicans, für die weder Konsistenz, Anstand, Moral noch Ironie jemals ein Thema waren, präsentierte das eine gigantische Gelegenheit. Von Hillary Clinton über Obama zu allen aktuellen Politikern der Democrats wurde jeder aufgefordert, Farbe zu bekennen und am besten sofort zurückzutreten/in der Versenkung zu verschwinden. Wie können es die Democrats schließlich wagen, so gegen feministische Grundsätze zu verstoßen? Trump, komplett ironiebfreit, erklärte, ihn wundere das bei Weinstein überhaupt nicht (takes one to know one). Man muss das Schauspieltalent dieser Riege bewundern, solche Doppelstandards kriegt hierzulande allenfalls die CSU hin. Aber die Frage ist natürlich berechtigt: wie können die Democrats so jemanden als einen der ihren tolerieren? Wo bleibt die wütende Reaktion der Hollywood-Elite?

Nun, alle Democrats distanzierten sich entschieden von Weinstein, ebenso der größte Teil der kulturellen Elite (die, die es nicht taten, befanden sich in Abhängigkeitsverhältnissen von Weinstein beziehungsweise sind durch Verträge zu Stillschweigen verpflichtet). Niemand auf MSNBC rechtfertigte Weinsteins Sexualstraftaten als "locker room talk", wie es die Rechten seit Oktober 2016 für Trump beharrlich tun. Niemand greift Weinsteins Opfer an und versucht, ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben oder versucht so zu tun, als sei der Täter ein von karrie- und geldgeilen femme fatales verführtes Opfer. Und tatsächlich gibt es, in den Worten Nate Silvers, zwischen Trump und Weinstein nur einen einzigen Unterschied: einer von beiden wurde von seiner Partei zum Präsidentschaftskandidat gemacht.

Aber damit genug vom parteitaktischen Hickhack. Die völlige moralische Abdankung der republikanischen Partei war hier ja bereits ausführlich Thema. Man muss auch nicht den Fokus auf den USA behalten oder nur bei Rechten schauen; Dominique Strauß-Kahn etwa brachte zu seiner eigenen Verteidigung auch an, dass Frauen ihm gerne sexuell zu Diensten stünden, weil er über so große Machtmittel verfügte. Stattdessen möchte ich lieber die Frage stellen: woher kommt es, dass so viele Millionäre und Milliardäre im Alter 60+ auf immer die gleiche Weise und völlig bar jeglicher Schuldgefühle Frauen sexuell belästigen oder, wie etwa in Bill Cosbys Fall, vergewaltigen?

Man könnte hier zuerst ketzerisch die Frage stellen, ob es etwa nicht gut für die charakterliche Entwicklung ist, jemandem alle Privilegien dieser Welt, schier unbegrenzte Geldmittel und totale Macht über die wirtschaftliche Existenz hunderter, wenn nicht tausender Personen zu geben. Wenn um einen herum ohnehin nur noch bezahlte Speichellecker sind, jeder Wunsch sofort Befehl ist und keine Regeln zu gelten scheinen nimmt man schnell an, dass die Regeln tatsächlich nicht gelten und dass man tatsächlich so unwiderstehlich ist, wie man das von sich glaubt.

Der zweite Faktor wurde interessanterweise von Weinstein selbst zu seiner Verteidigung vorgebracht: er sei halt in einer Zeit aufgewachsen, in der solches Verhalten normal war. Dass dieses durchaus zutreffende Statement so wenig beachtet wird, ist eine Schande in sich selbst. Es ist auch falsch: denn Fälle wie der von Brock Turner zeigen, dass diese Verhaltensweisen zumindest in bestimmten Milieus immer noch an der Tagesordnung sind. Man muss nicht lange googeln um Geschichten aus den 2000er und 2010er Jahren zu finden, in denen junge aufstrebende Investmentbanker und Unternehmensberater die Stripklubs und Bordelle der Finanzzentren unsicher machen. Ganze Milieus sind bis zum Hals im Morast der toxischen Maskulinität versunken, wo Frauen hauptsächlich als Objekte vorkommen und Sexualität stets zu haben ist, ja, worauf von Seiten dieser masters of the universe geradezu ein Anspruch besteht.

Und genau das ist der Kern der Angelegenheit. Weder Trump, noch O'Reilly, noch Strauß-Kahn, noch Cosby, noch Weinstein sind in irgendeiner Art und Weise bedauerliche Einzelfälle. Sie hatten nur das Pech aufzufliegen. Die Dunkelziffer ist ungemein viel höher, und das völlige schiefe Machtgleichgewicht zwischen Tätern und Opfern und der Umgang der Gesellschaft mit letzteren sorgen dafür, dass dies auch noch länger so bleiben wird. Solange das nicht als ein Problem gilt, sondern stattdessen das Händeringen immer nur über den einzelnen alten Mann geht, der mit zu viel Geld und zu wenig Charakterstärke von ihm abhängigen jungen Frauen nachstellt, wird sich das auch nie ändern. Aber da der Diskurs gern von jenen bestimmt wird, für die diese Auseinandersetzung allenfalls akademisch ist, wird das wohl bedauerlicherweise weiterhin in das weite Feld der bösen, bösen "identity politics" gestellt, die ja immer nur die anderen machen, aber nie man selbst.

Montag, 2. Oktober 2017

Was nicht passierte

Letzthin geriet ich mit Freunden in eine kurze Diskussion über die Frage, ob die EU-Osterweiterung angesichts der Entwicklungen in Polen und Ungarn nicht ein riesiger Fehler gewesen sei. Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: möglich, aber wer kann das schon sagen? Die Fragestellung dient gut der Illustration eines Grundproblems allen politischen Diskurses, nämlich der stetigen, bohrenden Frage nach dem „was wäre wenn?“. Sowohl Politiker als auch die über sie berichtenden Medien als auch die sie wählenden Souveräne sind vergleichsweise gut darin, eine Problemstellung zu erkennen (Abschaffung der Demokratie in Ungarn ist schlecht), aber sie sind furchtbar schlecht darin, Alternativszenarien zu bedenken. Wir neigen dazu, eine heute schlechte Situation als Boden für die Entwicklung anzunehmen. Dabei gibt es dazu keinen Grund. Es könnte nämlich auch noch schlimmer kommen.

Diese Problemstellung ist im Kontext der EU besonders relevant. Die größte und wichtigste Legitimation der EU überhaupt ist es, Krieg in Europa unter ihren Mitgliedern seit 1945 verhindert zu haben. Für diese Leistung wurde sie als Institution auch jüngst mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Besonders von ihren Gegnern wird diese Leistung gerne in Frage gestellt. Das Problem: selbstverständlich ist es möglich, dass der Frieden in Europa – wie auch der zwischen EU und Nordamerika – ohne die institutionellen Bindungen der EU erhalten geblieben wäre. Nur, wir wissen es nicht.

Unser intellektueller Anker ist ein Europa ohne innerstaatliche Kriege in der EU seit 1945, weswegen es uns sehr schwer fällt, eine alternative Zukunft vorzustellen, in der es schlimmere Konflikte zwischen Frankreich und Deutschland als die Zuständigkeiten eines gemeinsamen Finanzministers gibt. Genauso erscheint es uns völlig natürlich, dass die osteuropäischen Staaten sich schnell und entschieden aus der sozialistischen Planwirtschaft heraus erholen würden und dass die starke Ungleichheit und der resultierende Aufstieg der Proto-Faschisten durch den acquis communitaire hervorgerufen wurde. Und beides ist durchaus möglich. Nur, wir wissen es nicht.

Genauso möglich ist es, dass Osteuropa nach dem Fall der des Eisernen Vorhangs ohne die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft heute insgesamt so stabil und wohlhabend aussehen würde wie die Ukraine und Weißrussland, oder schlimmer gar, dass sie den Weg des Balkans genommen hätten und unsere sicherheitspolitische Debatte nicht von der NATO-Osterweiterung bestimmt gewesen wäre sondern von der Gewalt direkt jenseits der Oder und den Flüchtlingsströmen, die aus dem Osten in die Festung Europas eindringen.

Das klingt nach einem reichlich apokalyptischen Szenario, und das ist es natürlich auch. Aber es ist nicht so viel abwegiger als die Milch-und-Honig-Land-Variante, die EU-Gegner gerne in Abwesenheit der supranationalen Überstruktur in Brüssel postulieren, wo friedliche Nationalstaaten prosperierend ihre nationale Souveränität erhalten. Aber wir finden es deutlich leichter, von der ohnehin stets als unbefriedigend empfundenen Gegenwart aus ein besseres Szenario zu erstellen als anzuerkennen, dass die Gegenwart, während sie sicherlich nicht perfekt ist, mit Sicherheit ordentlich Spielraum für Veränderungen zum Negativen beinhaltet – ob bei der Wahl von Neonazis in den Bundestag oder von White Supremacists ins Weiße Haus.

Sonntag, 1. Oktober 2017

Mitten in die Fresse

Vergangene Woche verkündete Andrea Nahles anlässlich ihrer Wahl zur neuen Fraktionsvorsitzenden der SPD, sie und ihre Partei planten, „der CDU voll in die Fresse“ zu geben. Wenig überraschend wurde dieses kämpferische Statement in den folgenden Tagen gerne kolportiert und genauso wie Gaulands vorhergehendes Statement, man werde „Merkel jagen“ als Indikator für eine verrohende politische Kultur in Deutschland ausgemacht. Tatsächlich aber haben diejenigen Kommentatoren Recht, die in beiden Zitaten eher ein Ende des deutschen Sonderwegs der letzten zehn Jahre mit seiner Konsens-Demokratie ausmachen als ein Abrutschen des Staatswesens in die Anarchie. Noch in den 1980er Jahren hätte sich über diese beiden Kommentare niemand aufgeregt, und Rudolf Scharping versprach 1994 schließlich auch, Helmut Kohl „jagen“ zu wollen. Das Problem mit Nahles‘ Spruch ist aus meiner Sicht ein anderes.

Die Strategie hinter dem „Fresse“-Kommentar ist relativ klar: die SPD muss sich kämpferischer und oppositioneller geben als sie dies seit 2005 getan hat, gewissermaßen mehr Schröder und weniger Steinmeier. Die Idee ist, dass eine aggressive und assertive SPD in der Wählergunst steigen werde, dass man ihr quasi die Blutlust ansehen müsse, mit der sie nach einer Ablösung einer dann hoffentlich altersschwachen CDU lechze, eine Neuauflage von 1998 gewissermaßen. Und das ist auch alles nicht falsch. Was bei mir ein unangenehmes Bauchgefühl hinterlässt ist die Konnotation des Kommentars.

Dominanzrituale in der Politik sind nichts grundsätzlich Neues. Politiker aller Couleur haben sich ihnen stets gerne bedient. Berühmt sind Herbert Wehner oder Lyndon B. Johnson in den 1960er Jahren, Helmut Schmidts staatsmännischer Gestus und Nixons Victory-Zeichen, Heiner Geißlers aggressive Attacken und Ronald Reagans Militarismus. In den 1990er Jahren hatten wir einen jugendlich-forschen Bill Clinton und einen Zigarre rauchenden, Brionie-tragenden Proleten Schröder. Die Gemeinsamkeit zwischen all diesen Politikern und ihren Dominanzattitüden ist ihr Geschlecht: sie alle sind männlich.

Weibliche Politiker haben große Schwierigkeiten, auf ähnliche Art Dominanz zu projizieren. Das kann ein Vorteil sein; Angela Merkel wurde etwa so lange unterschätzt, bis sie ihre Gegner kalt gestellt und völlige Dominanz in der CDU erreicht hatte; angesichts des Ergebnisses von 2005 und der Elefantenrunde seinerzeit wahrlich kein Ausgang, auf den damals viele Zeitgenossen gewettet hätten. Margret Thatcher gerierte sich als die Iron Lady, die nichts aus der Ruhe bringt und die mit Nerven aus Drahtseilen schwere Entscheidungen traf. In innerparteilichen oder auch sonstigen politischen Konflikten Dominanz auszustrahlen war ihnen dagegen nie vergönnt; die Aggressivität ihrer männlichen Kollegen war ihnen stets untersagt.

Und das ist auch ein gutes Ding. Ich nehme tausend Mal lieber eine Angela Merkel, die sich vom Kampfhund-Fan und Oben-Ohne-Kavallerie-Judoka Putin nicht aus der Ruhe bringen lässt als einen Peer Steinbrück, der der Ansicht ist, die korrekte Reaktion auf eine ihm nicht freundlich gesonnene Presselandschaft sei der ausgestreckte Mittelfinger. Wenig überraschend brach die SPD 2013 nach der Veröffentlichung dieses Symbolbilds in der SZ bei den Frauen massiv ein und beendete die Wahl mit (noch) weniger Prozentpunkten als ohnehin ausgemacht.

Daher empfinde ich es auch als zumindest milde störend, dass Andrea Nahles keine andere Projektionsfläche findet um den neuen Geist der SPD auszudrücken als typisch männlich konnotierte, gewaltaffine Dominanzrituale nachzuspielen. Diese „toxische Maskulinität“ gelte es eigentlich zu überwinden, nicht zu bestätigen. Denn zwar erreicht Nahles kurzfristig ihr Ziel – eine kämpferische Aura und Schlagzeilen für die abgeschriebene SPD – aber mittelfristig ist es eher ein Rückschritt, der der Entwicklung von Konfliktroutinen im Weg stehen, die nicht in traditionellen (und eben toxischen) Gender-Konzeptionen verhaftet sind.