Samstag, 30. Dezember 2006

Fundstücke

Was ist eigentlich Neoliberalismus? Eine hervorragende Analyse, unbedingt zu empfehlen! Mit Dank an Perspektive2010 für den Link.
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Franz Walter hat ein Porträt über Helmut Schmidt angefertigt.
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Politblog.net bietet einen hervorragenden Überblick über zehn wichtige Themen des Jahres und, fast noch wichtiger, über die Top 25 der nicht berichteten Themen.
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Ein Artikel zur Rolle Horst Köhlers beim deutschen Einigungsprozess. Unbedingt empfehlenswert! Diskussion hier.

Wann kommt der gelbe Hammer?

Es scheint langsam nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis Arbeitslose einen gelben Hammer (oder etwas vergleichbares) als Identifikationsmerkmal auf der Kleidung tragen müssen. In Stuttgart (wo auch sonst) hat das Oberlandsgericht einen Präzedenzfall entschieden, demzufolge die Anwesenheit von Hartz-IV-Empfängern im Haus ausreichender Grund für eine Mietminderung ist.
Gut, teilweise ist das in diesem Fall durchaus berechtigt, da das Haus zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags ein "exklusives Ambiente" bot - nichts desto trotz sorgt dieses Urteil für eine ungemeine Stigmatisierung der Erwerbslosen und ist in dieser Form einfach nicht hinnehmbar, besonders da zu befürchten ist, dass weitere Urteile dieser Art folgen werden - von den gesellschaftlich bereits praktizierten Ausgrenzungsstrategien einmal ganz abgesehen.

Fundstücke

Da es leider nur noch wenige Zeitungen gibt, die mehr tun als lediglich Presseerklärungen und Agenturmeldungen abzuschreiben für die folgenden Themen jeweils nur ein Link:

- Die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands
- Die Hinrichtung Saddams

Freitag, 29. Dezember 2006

Fundstücke

Und wieder mal Top of the blogs:

Genderama: Pädophobie auf dem Vormarsch
NachDenkSeiten: Was für einen Unsinn sie uns alle erzählen, bis der Tag zu Ende geht. Und immer wieder Reformen!
Politblog.net: Wie Israel regelmäßig palästinensische Kinder tötet
Politblog.net: In Israel ist nie jemand schuldig
Ein Politblog: Sind wir paranoid genug?
Spiegelkritik: Zwangsspam für Spiegelabonnenten
Spiegelkritik: SpiegelOnline in die Psychoklinik
Das Merkel-Camp: Teuerungswelle macht Deutschlands Bürger schöner

Ein Muster in der SPD

Kaum ist der Lärm über die folgenlose Unterschichtendebatte verhallt und dank gleichgeschalteter Medien das potenzielle PR-Desaster um Henrico Frank entschärft, entfacht Kurt Beck über die nachrichtenarmen Feiertage das nächste Strohfeuer, um die SPD wieder mit dem Bild in die Köpfe der Menschen zu rufen, das man so gerne trotz gegenteiliger Politik und willfährigem Lobbyismus gegenüber der Wirtschaft so gerne hat: der warme, heimlige Platz des entrecheteten Arbeiters. Dass dem nicht so ist, erklärt konstante Ergebnisse der SPD unter 30% bei den Umfragen. Das derzeitige "Hoch" der CDU mit ihren knapp über 30% dürfte sich auch bald wieder in den Regionen der Genossen befinden, wenn mit dem "Reform"kurs fortgefahren wird, sofern nicht der Kanzlerinnenbonus durch die große Deutschlandshow vor G8 und EU dem ganzen wieder eine andere Wende gibt.
Sei es wie es sei, letzten Endes ist die aktuell von Beck losgetretene Debatte nicht mehr als das bereits erwähnte Strohfeuer, und solche wahltaktischen Manöver werden nicht ewig funktionieren. Links blinken und rechts abbiegen mag zwar in der SPD wie in der CDU inzwischen zum guten Ton gehören, aber letzten Endes sollten Wahlergebnisse um 20% das zu erhoffende Ziel für diese Volksverblender sein.
Hoffnung macht dagegen Gleickes Positionspapier, das eine Verabschiedung von den Lebenslügen der SPD fordert - so die Vollbeschäftigung - und stattdessen endlich wirksame Reformen fordert. Im Kern gleicht dies den Forderungen der Linkspartei, die dafür ja letzthin von den von Steuergeldern finanzierten Wirtschaftslobbyisten von IW und DiW abgestraft wurde.

Donnerstag, 28. Dezember 2006

Fundstück

Die Gefahr für die Demokratie kommt weniger von den Glatzen aus MeckPomm, sondern vielmehr aus Gütersloh. Warum das so ist, erklärt Albrecht Müller.

Mehr Deutsche nach Afghanistan!

Nachdem es bereits mit Serbien so gut geklappt hat, wird nun das gleiche Spiel in Afghanistan versucht: aus einem Unfall eines Patrouillenwagens wird das Bedürfnis nach mehr Panzern für die Sicherheit der Soldaten konstruiert, die natürlich durch Tornado-Aufklärungsflüge über dem Süden Afghanistans ergänzt werden. Um im Ernstfall abgeschossene Piloten aus dem Süden zu retten, wird natürlich eine gepanzerte Einheit benötigt, die im Süden stationiert wird. Und falls die in Gefhar gerät, braucht man natürlich auch Truppen.
Der Widersinn einer solchen Argumentation ist nicht besonders schwer zu durchschauen, es braucht nur noch Leute, die dagegen vorgehen. Und leider ist die Kriegstreiberfraktion im Bundestag deutlich überrepräsentiert.

Mittwoch, 27. Dezember 2006

"Wie ein Stück Fleisch"

Wer einmal sehen will, wie erschreckend die "Neue Soziale Marktwirtschaft" ist, werfe einen Blick in diesen Spiegelartikel:

Meistens steigen sie nicht mal aus. Sie bremsen, mustern mit kalten Blicken in der Morgendämmerung die Wartenden am Straßenrand. Und wenn ihnen gefällt, was sie sehen, lassen sie langsam die Fensterscheibe runter und beginnen grußlos die Preisverhandlungen.

Ein Tag, 50 Euro, bar auf die Hand, sagt der Fahrer im blauen Golf: "Nur für echte Kerle", fügt er hinzu. 50 Euro sind viel Geld. Torsten Berne, 47, hebt die Hand und nickt. Und die sechs anderen Männer neben ihm auch. Einer ruft in gebrochenem Deutsch noch dazwischen "50 Euro für zwei Mann". Aber der Golf-Fahrer entscheidet sich für Berne. Vielleicht, weil sich so starke Oberarme unter dem löchrigen Blaumann abzeichnen. Vielleicht, weil er Deutsch spricht.

Bei Berne weicht die Spannung aus dem Körper. Ein Lächeln liegt kurz auf dem unrasierten Gesicht. Dann steigt er in den Golf. Er weiß nicht, ob sich hinter der Zeitangabe "ein Tag" am Ende 8 oder 16 Stunden verbergen. Er weiß nicht, welche Arbeit auf ihn zukommt. Er weiß nur: Der Tag ist gerettet.

Der arbeitslose Informatiker Berne gehört auf dem freien Markt zu den Discount-Anbietern der Ware Arbeitskraft. Als illegaler Tagelöhner wartet er am sogenannten Arbeiterstrich auf einem Parkplatz vor dem Treptower Park im Südosten Berlins und hofft ab fünf Uhr morgens auf Aufträge: für einen Tag, eine Woche, einen Monat - oft wartet er auch vergebens. Er arbeitet auf eigenes Risiko, voll flexibel, voll mobil, vielseitig einsetzbar und extrem günstig - egal in welcher Branche. Ein Traum für jeden Arbeitgeber, ein Musterschüler der modernen Arbeitswelt: willig und billig.

Szenen wie die in Treptow erinnern an Schwarzweißfotos aus den dreißiger Jahren, die zum Symbol für eine Gesellschaft wurden, in der die Arbeitslosigkeit dramatisch stieg und die Demokratie in ähnlichem Tempo an Zustimmung verlor. An jeder Straßenecke standen damals in Berlin hungrige Tagelöhner. "Ich suche Arbeit jeder Art", stand auf ihren Schildern.

Weiter geht es hier.

Es ist erschreckend, was in diesem Land möglich ist. Es ist widerwärtig, abstoßend und ekelerregend. Während in Berlin Politiker im Anzug von Investivlohn schwafeln und Müntefering der Unterschicht die Existenz abzuerkennen versucht, während er feindselig über die geschliffenen Brillengläser die wahrscheinlich längst als minderwertiges Ungeziefer abgeurteilten Arbeitslosen taxiert, während Manager in Nadelstreifen in blitzblanken Etagen in Luxusbüros mit Federstrichen (bzw. Tastendrucken) die Existenz tausender Menschen vernichten und von einer gleichgeschalteten Presse dafür bejubelt werden, sinken die Menschen immer weiter ab, wird das Mensch-Sein immer mehr auf die reine Existenz reduziert. Es ist kaum mehr zu beschreiben, welche abstoßend-widerwärtigen Prozesse unter dem fadenscheinig dünn gewordenen Deckmantel ablaufen, den Politik, Wirtschaft und Medien Tag für Tag über das Elend zu breiten versuchen, das sie anrichten.

Neoliberaler Terrorismus: Wann rollen die ersten Köpfe?

Ein Gastbeitrag von Alex.

Vor dem Haus von Thomas Mirow, SPD-Politiker und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, wurde in der Nacht zum zweiten Weihnachtstag ein Auto angezündet und eine Hauswand mit blauen Farbbeuteln beworfen. Das Auto brannte fast vollständig aus, die Fassade des Hauses wurde in Mitleidenschaft gezogen. Staatsschutz und LKA ermitteln. Im Mai hatte sich die Gruppe “fight 4 revolution crews” zu einem Anschlag auf HWWI-Chef Thomas Straubhaar bekannt:

Am 29.04. 2006 berichtete das Hamburger Abendblatt von einem Anschlag auf HWWI(Welt-Wirtschafts-Institut)-Chef Thomas Straubhaar. Straubhaar ist einer der schlimmsten Apologethen des Neoliberalismus, versteckt unter dem wissenschaftlichen Mäntelchen. Dass er auch Botschafter der INSM ist, verdeutlicht seine Position und seine wissensverzerrende Arbeit (wissenschaftlich mag ich das nicht nennen). Zu dem Anschlag hat sich laut Abendblatt eine Gruppe mit Namen “fight 4 revolution crews” bekannt. Wie selbstverständlich wird sie als Linksextremistisch eingestuft, obwohl es dafür bisher keinerlei Anhaltspunkte gibt.

Wo die Gruppierung “fight 4 revolution crews” politisch lokalisiert sein mag, ist eigentlich relativ unerheblich, gibt es doch quer durch das politische Spektrum genügend Kritik an der deutschen Politik, insbesondere seit Gerhard Schröder, mit China und anderen menschenverachtenden Tigerstaaten zu konkurrieren, indem man die Löhne und Lebensbedingungen in Deutschland denen der Tagelöhner in China anpasst.

Bei Gert Flegelskamp heißt es weiter:

Es gibt zwischen den beiden Ereignissen keinen Zusammenhang, aber ich frage mich, wie weit es diese neoliberale und menschenverachtende Clique noch treiben kann, bis es zu Übergriffen kommt, die weit über den auf Straubhaar verübten Anschlag hinausgehen.

Dort, wo Recht durch so genannte Staatsdiener gebrochen wird, wo ständig Forderungen nach weiterer Knechtschaft laut werden, wo so genannte Wissenschaftler ihren Berufsstand mit Füßen treten und mit fingiertem Material Thesen verbreiten, die jeglicher Realität und auch allen Erfahrungen widersprechen, wo die Justiz nur die Kleinen fängt und verurteilt, wo die Politik den Wähler völlig aus den Augen verloren hat, gibt es für die Betroffenen keine Anlaufstelle mehr, wo sie ihr Recht einfordern können. Das kann über kurz oder lang nur in Gewalt und zunehmende Kriminalität ausarten.

Und genau das, nicht irgendeine hanebüchene und aufgebauschte Terrorismus- Bedrohung, ist der Grund für die wachsenden Überwachungs- und Unterdrückungsmaßnahmen, die derzeit Leute wie Wolfgang Schäuble (CDU) durchsetzen wollen.

Aber was soll’s? Ich bin sowieso der Meinung, dass die deutschen Politiker nur deshalb so verlogen und dummfrech dem Volk gegenüber sind, weil in unserer Geschichte ein Kapitel der rollenden Köpfe von Herrschern nach französischem Vorbild fehlt. Der deutsche Michel scheint zwar etwas langsam, aber durchaus lernfähig zu sein. Allerdings hatte Marie Antoinette eindeutig den hübscheren Kopf…

Alex betreibt den Blog Perspektive 2010 (Wider den neoliberalen Wahnsinn. Knallhart.) und möchte ansonsten anonym bleiben.

IW und DiW analysieren das Wahlprogramm der LiPa

Bereits bei der Überschrift dreht sich einem der Magen um. Das wäre, als ob Marx und Lenin die Entscheidung für oder gegen Friedmans Nobelpreis hätten treffen sollen. Aber ich schweife ab. Die ZDF hat einen Vertreter jeweils von IW und DiW aufgefordert, die Wahlprogramme der fünf Bundestagsparteien zu analysieren. Dass das eine Institut eher Nachfrage-, das andere eher Angebotsorientiert ist, schien dabei für die Objektivität als ausreichend angesehen zu werden. Entsprechend ist auch das Ergebnis: dreimal 6 und einmal 5- vergeben die "Experten", denen, natürlich, Härte und Objektivität bescheinigt werden in ihren Bewertungen, die von Ideologie geradezu triefen. Analysiert werden dabei der Arbeitsmarkt und die Steuern. Auf dem Arbeitsmarkt fordert die Linkspartei.PDS im Endeffekt eine Anhebung des Arbeitslosengeldes als Übergangslösung bis zur Finanzierung einer Grundlösung auf 420 Euro (was natürlich "dazu einlädt, sich in der Arbeitslosigkeit einzunisten"). Eine Grundsicherung von 750 Euro monatlich ist dabei das langfristige Ziel, kombiniert mit einem Mindestlohn von 1400 Euro/Monat. Dahinter steht wie immer die Ankurberlung des Binnenmarkts, der im Gegensatz zum Export deutlich schwächelt. Die "Experten" sehen darin natürlich nur eine Alimentierung der Arbeitslosigkeit und verbreiten das bösartige Klischee weiter, dass die Leute alle nur faul sind und nicht arbeiten wollen. Realismus beweist die LiPa, indem sie klar erklärt, dass es keine Vollbeschäftigung mehr geben kann und diese mit staatlich subventionierten Jobs auf dem "dritten Arbeitsmarkt" ausgeglichen werden müsse, was zu mehr Gemeinsinn durch gemeinnützige Arbeit führen würde (von den positiven Effekten mal ganz zu schweigen). Dieses vollkommen sinnige und durchgerechnete Programm - war doch die LiPa die einzige Partei, die ihr Steuerprogramm vor der Wahl von anerkannten Experten hat durchrechnen lassen! - haben die Lobbyisten natürlich nur Verachtung übrig.
Auf dem Steuersektor sieht es nicht besser aus. Steuererhöhungen für die Reichen, Steuersenkungen für die Niedrigverdiener und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer ab 300.000 Euro sollen die radikalte Umverteilung von unten nach oben stoppen und den Prozess umkehren. Die Reduzierung der Mehrwertsteuer bei Arzneimitteln und Handwerk würde zum einen die medizinische Versorgung stark verbessern und zum anderen dem Handwerk neue Impulse geben. Selbstverständlich lehnen die "Experten" das ab, da es zu Kosten der Reichen gehe, die stattdessen dann einfach Steuern hinterziehen würden. Verurteilt wird dieses parasitäre, asoziale Verhalten nicht im Geringsten, vielmehr wird die LiPa dargestellt, als würde sie den Menschen das letzte Hemd rauben wollen.
Es läuft etwas falsch in diesem Staat, und das ist nicht nur die durch und durch korrupte Politik einer wirtschaftshörigen Politikerkaste, das ist nicht nur der parasitäre Virus des Profits, der alle Denkbereiche durchzogen hat, das ist nicht die zunehmende Erosion der Grundrechte und was der Beispiele noch mehr sind, das ist auch der offensichtliche Selbstmord des medialen Niveaus, das sich in solchen Beiträgen vollzieht, wo "Journalisten" einseitig und ideologisch verbrämt berichten. Dieser ZDF-Beitrag ist eine Schmutzstelle in der Historie der deutschen Mediengeschichte, und leider ist vor lauter Dreck kaum mehr etwas von den wenigen, unabhängigen Beiträgen zu sehen.

Fundstücke

Die Zeit hat eine Reportage über die Reichen am Starnberger See geschrieben - und die Tiefenpsychologie der Reichen. Ein guter Artikel, der gleichzeitig melancholisch und glücklich macht. Melancholisch, weil die Reichen keine Mitmenschen sind, sondern geradezu Störenfriede. Und glücklich, dass man nicht dazugehört.
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Die jungeWelt analysiert die Gleichheit von 1800 bis heute, besonders im Hinblick auf die Eisenbahn.
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Im Politblog wird gefordert: "Lasst die Holocaustleugner offen reden!" Eine Forderung, der man sich nur anschließen kann.
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Jutta Roitsch analysiert die Föderalismusreform.
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Die Welt hat ein Jahresrückblickslexikon veröffentlicht, das trotz diverser interpretatorischer Unstimmigkeiten wegen des Humorgehalts dringend empfohlen wird. Beispiele:

Patriotismus, unbeschwerter: 1. Intellektuelle Überhöhung des Karnevals der Kulturen aus der Zeit des Sommermärchens. 2. Vorläufer für Fankrawalle, rassistische Schmähungen und Ausländerfeindlichkeit in unteren deutschen Fußballligen aus der Zeit nach dem Sommermärchen. 3. Besondere Form der Begriffsvermummung. Wer sich ein schwarz-rot-goldene Fähnlein ans Auto klebt, ist kein unbeschwerter Patriot, sondern ein kleiner Spießer, der nichts dringender braucht als ein eigenes Leben.

Prekariat, das: Fremdwort, das die Oberschicht benutzt, damit die Unterschicht nicht mitbekommt, dass die Oberschicht gerade über sie redet

Public Viewing
: englischer Ausdruck für „sich öffentlich auf Großbildschirmen Fußballspiele anschauen“, der nur deshalb nicht deutsches Wort des Jahres wurde, weil er sich auf Deutsch nicht geil genug anhört.

Schröder-Show
, die: Fortsetzung und Vervollkommnung der Gerd-Show. Einst inszenierte Gerhard Schröder lediglich seine Kanzlerschaft für die Fernsehkamera. Heute liest er sogar vor der Fernsehkamera vor, wie er einst seine Kanzlerschaft für die Fernsehkamera inszenierte.

Sommermärchen, das: 1. Unerwarteter Erfolg jener Klinsmannschaft, der im Frühjahr noch ein Sommeralbtraum prophezeit wurde. 2. Im fußballerischen Trübsinn von Champions League und Uefa-Cup vorzeitig verblasster Mythos. 3. Fanfilm, der darunter leidet, dass der Filmemacher mehr Fan als Filmemacher war. 4. Klimatischer Vorbote der Winterhitze.

Totenschädel, der: unverzichtbares Utensil, wenn deutsche Soldaten in Afghanistan mal wieder ihrem Hang zur Weltliteratur nachgehen und, so zum Zeitvertreib, die erste Szene des dritten Aktes von William Shakespeares „Hamlet“ aufführen. Schließlich sind Soldaten ja Bildungsbürger in Uniform.

Unterschicht
, die: 1. Begriff, der Beck, Kurt rausgerutscht ist, weil ihm Prekariat gerade entfallen war. 2. Das, was es laut dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering, gar nicht gibt – kurioserweise aber seinen Haushalt dramatisch belastet.

Urlaubsverzicht, der: 1. Interessanter Vorschlag von Finanzminister Peer Steinbrück, der bestens geeignet scheint, die Erosion der Volkspartei SPD weiter zu beschleunigen. 2. Interessanter Vorschlag von Finanzminister Peer Steinbrück, der bestens geeignet scheint, intensiv an den handwerklichen Mängeln der großen Koalition zu arbeiten

WM-Fieber, das: Deutschlandweite Epidemie, die das Feierstoppzentrum im Hirn angreift und einen für vier Wochen vergessen lässt, von wem man eigentlich regiert wird

SPD im Widerstreit

Kurt Beck ruft das Ende der schmerzenden "Reformen" aus. Die Große Koalition dementiert und kündigt neue an. Stoiber pöbelt herum. Die SPD rutscht in den Umfragen weiter ab. Die Distanz zwischen Bürger und Politik ist so groß wie nie.
Das erste Jahr Große Koalition glich ohnehin einer Achterbahnfahrt in den Abgrund, und nun beschließt man, die Geschwindigkeit noch weiter zu verschärfen. Bis zur unvermeidlichen Abwahl muss möglichst viel möglichst unwiderruflich an die Wand gefahren sein. Es ist zum Kotzen.
Zum Thema passt dabei, dass eine Befragung der "Volks"vertreter ergeben hat, dass deren Ansichten denen des Volkes diametral entgegengesetzt sind - abgesehen von der Linkspartei. Bedenkt man die geradezu abartige Weihnachtsbotschaft Köhlers, dem außer Kampf und WM (also auch Kampf) eigentlich nichts einfiel, so ergibt sich ein Bild in düstersten Farben.

Sonntag, 24. Dezember 2006

Die Kirche mischt sich ein

Die EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) hat sich durch ihren Vorsitzenden, den Berliner Bischof Wolfgang Huber, mit einer Weihnachtsbotschaft zu Wort gemeldet. Darin geißelte er die Managergehälter, die jede Vorstellung von Gerechtigkeit sprengen. Wie recht der gute Mann hat ist kaum zu sagen. Auch wenn es genügend Leute gibt, die das anzweifeln.

Schäuble in allen Wolken, Nachtrag II

Lassen wir Schäuble mal ohne Nachrichtenfilter selbst zu Wort kommen.

Frohe Weihnachten!

Hey - seit sechs Minuten ist der 24. Dezember. Grund genug, allen Lesern frohe Weihnachten zu wünschen. Ich bin ja schon richtig gespannt, ob bald ein dicklicher Mittsechziger durch den Kamin rauscht. Oh, ich hab gar keinen. Schade. Aber es ist ein schönes Klischee.
Und wer wissen will, wie es derzeit in Bethlehem aussieht...

Fundstücke

Wie in einem kurzen Überflug durch die Bloglandschaft hier einige lohnende Beiträge:

Marcel Bartels' Satire über Stoibers Spitzelaffäre

Das Merkel-Camp löst das Unterschichtenproblem

Im Meudalismus wird über eine Verdienstobergrenze nachgedacht

Perspektive 2010 sieht immer mehr Hartz-IV-Empfänger im Dunkeln

Kyneast fordert mehr Unabhängigkeit für Datenschützer

Über die rechten Radiomoderatoren in den USA berichtet der Politblog.net

Arne Hoffmann hat eine nette Henryk M. Broder Analyse entdeckt

Marcel Bartels gibt Stoiber Schützenhilfe auf der Jagd nach Staatsfeind Nr. 1

Samstag, 23. Dezember 2006

Weihnachtsfest in dezidiert ungerechter Sprache

Arne Hoffmann hat auf seinem Blog Genderama einen Artikel der SZ verlinkt, den ich euch keinesfalls vorenthalten möchte. Darin geht es um die neue Bibelübersetzung "in gerechter Sprache", die den gesamten feministischen Stilkatastrophen der letzten 30 Jahre die unbestreitbare Spitze aufsetzt. Ab jetzt kann es eigentlich nur aufwärts gehen. Aber genug der Worte, genießt den Text zur besinnlichen Weihnachtszeit.

Freitag, 22. Dezember 2006

Nazi-Forum entdeckt!

Beim Surfen bin ich gerade zufällig auf etwas gestoßen, das mehr als nur abstoßend ist. Es handelt sich um ein Internetforum "von Rechtsgesinnten für Rechtsgesinnte", das man natürlich nur einsehen kann wenn man sich registriert. Diskutiert wird dabei hauptsächlich über politische Themen (s.u.), aber auch "philosophisches" (bei entsprechenden Niveauabstrichen) wird diskutiert, so z.B. die wichtige Frage, was eigentlich Kommunismus sei:

"Ich bin etwas traurig. Da anscheinend sehr wenige Nationalisten, Nationalsozialisten wissen was der Kommunismus ist.
Ein Besipiel (Name zensiert):

Kamerad (10:38 AM) :
Heil dir
xxx (10:40 AM) :
heil
Kamerad (10:41 AM) :
Was hälst du vom Kommunismus?
xxx (10:41 AM) :
was für ne frage , das gleiche wie jeder anständige nationalist...xxx ist aber im mom nicht da hier ist grade xxx
Kamerad (10:42 AM) :
Egal

Die Frage sollte eher heiSSen.
Was genauer stört dich am Kommunismus^^
Kamerad (10:42 AM) :
?
xxx (10:43 AM) :
was denn?
Kamerad (10:43 AM) :
das frage ich dich ja
xxx (10:43 AM) :
ja wozu denn ic hab deine frage doch beantwortet
Kamerad (10:44 AM) :
Weisst du denn was Kommunismus ist?
xxx (10:44 AM) :
nee ich bin doof

So etwas gibt es doch nicht.

Deswegen frage ich jetzt EUCH. Was haltet ihr vom Kommunismus bzw. was stört euch daran????? Ich sage jetzt mal nichts genaueres^^
Bitte keine Antworten wie oben^^"


Eine der Antworten, die dabei gegeben wurden:


"Kommunismus (vom lateinischen communis = „gemeinsam“) bezeichnet eine klassenlose Gesellschaft, in der das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben ist und das erwirtschaftete Sozialprodukt gesellschaftlich angeeignet wird, das heißt allen Menschen gleichermaßen zugänglich ist.
kurz: ob arbeit geber oder arbeit nehmer jeder bekommt das gleiche gehalt!


naja das jeder das gleiche bekommt find ich nicht so gut weil der eine arbeitet mehr der andere weniger, der eine arbeitet härter der andere vielleicht garnicht.
das ist immer so eine sache beim kommunismus gibt es vielle unterschiede!
viel gerede um nix kommonismus find ich scheisse!
meiner meinung jedem das was er verdient
wenn jemand seine firma aufgebaut hat und seine arbeiter gerecht bezahlt soll er auch den löwenanteil bekommen denn wer hätte ihm geholfen wenn seine firma bankrot gegangen wäre?
aber nicht wie die siemens manager die sich ins gemachte nest setzen sich gehalzerhöhungen geben und dann auch noch leute entlassen!
schlagt sie tot, schlagt sie tot, schlagt die kommunisten tot!!!
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kommunismus enthält auch das alles geld was verdient wird ambesten in den statt läuft und der statt dann die arbeiter bezahlt sodas der statt alles bekommt und der arbeiter sogut wie garnix! dann würde es sich für niemanden mehr lohnen eine firma zu gründen und wenn keiner mehr eine firma gründet gibt es auch keine neuen arbeitsplätze was arbeitslosigkeit zur vollge hätte und das wiederum den untergang des landes!
"was sich auch manchmal im sozialismus wieder spiegelt""


Man sollte sich jedoch nicht dem gefährlichen Trugschluss hingeben, dieses Niveau wäre das Einzige. Auch rhetorisch gewandtere Ideologen finden sich unter den Rechtsextremen:


"Liebe Kameraden - den Kommunismus gibt es nicht; von einer absoluten Einheitlichkeit auszugehen, ist völlig falsch. Es gibt mehrere voneinander abweichende Ideen, die für sich selbst in Anspruch nehmen, "kommunistisch" zu sein.

Wie Kamerad pitti bereits zitierte, ist der Kommunismus dem Wort nach schlicht und einfach ein "Gemeinschaftssystem". So gibt es beispielsweise auch Anarcho-Kommunisten, die sich von Anarcho-Individualisten dadurch unterscheiden, daß sie eine anarchistische Gemeinschaft anstreben. Mit dem Kommunismus, wie man ihn eigentlich kennt, hat das allerdings nur den Namen gemein.

Normalerweise meint man, wenn man allgemein vom Kommunismus spricht, ein "klassenloses" Gesellschaftssystem und schlußendlich die "Diktatur des Proletariats".

Ich kann jedem Kameraden nur ans Herz legen, das Kommunistische Manifest und damit eigentlich die wichtigste Grundschrift dieser Gesellschaftstheorie einfach einmal zu lesen und durchzuarbeiten. Für eventuell auftauchende Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Kamerad Messerschmidt: Der Gedanke des Kommunismus kommt übrigens keineswegs aus Rußland! Als die großen Vordenker gelten der Jude Karl Marx und Friedrich Engels. Die kommunistische Arbeiterbewegung verstand sich selbst als eine revolutionäre Kraft. Rußland war allerdings schlichtweg das einzige europäische Land, in dem die Revolution klappte. In vielen Ländern versuchten die Kommunisten die Revolution, wie auch in Deutschland - diese brach allerdings schließlich unter anderem im Gewehrfeuer der Freikorps zusammen, welche damals schon vereinzelt das Hakenkreuz als deutsches Zeichen am Helm trugen...

Dem Themenersteller stimme ich zu: Es ist für Nationalsozialisten äußerst wichtig, sich mit dem Kommunismus auseinanderzusetzen, denn dieser ist, wie bereits das erste gedruckte Werk der NSDAP feststellte, der Todfeind."


Um das ganze auch bildlich zu untermauern, hier einige Bildbeweise:





Auffällig ist, dies zuletzt, auch noch, dass die Seite eine russische Domain hat. Es scheint, als fühlten sich die Betreiber so sicherer.

Wer Informationen zum Thema hat, besonders, wie man gegen diesen rechten Sumpf vorgehen kann oder ob der Beitrag hier in dieser Form rechtlich einwandfrei ist, der teile mir diese bitte unbedingt mit. Diskutiert wird der Fall z.B. hier. Und ach ja: Hitler ist unter uns.



Lektion in Lebensplanung, Nachtrag II

Endlich hat auch Bildblog sich der Schmutzkampagne der BILD und der niveaugleichen Medien wie SpiegelOnline angenommen und eine sehr genaue Analyse der Kampagne gebracht die, wie zu erwarten, kräftige Maulschellen für die Schmierblätter verteilt. Vor einigen Auszügen aus aktuellem Anlass von den NachDenkSeiten Kästners "Knigge für Unbemittelte":

Erich Kästner: Knigge für Unbemittelte

Ans deutsche Volk, von Ulm bis Kiel:
Ihr esst zu oft! Ihr esst zu viel!
Ans deutsche Volk, von Thorn bis Trier:
Ihr seid zu faul! Zu faul seid ihr!

Und wenn sie auch den Lohn entzögen!
Und wenn der Schlaf verboten wär!
Und wenn sie euch so sehr belögen,
dass sich des Reiches Balken bögen!
Seid höflich und sagt Dankesehr.

Die Hände an die Hosennaht!
Stellt Kinder her! Die Nacht dem Staat!
Euch liegt der Rohrstock tief im Blut.
Die Augen rechts! Euch geht’s zu gut.

Ihr sollt nicht denken, wenn ihr sprecht!
Gehirn ist nichts für kleine Leute.
Den Millionären geht es schlecht.
Ein neuer Krieg käm ihnen recht,
So macht den Ärmsten doch die Freude!

Ihr seid zu frech und zu begabt!
Seid taktvoll, wenn ihr Hunger habt!
Rasiert euch besser! Werdet zart!
Ihr seid kein Volk von Lebensart.

Und wenn sie euch noch tiefer stießen
und würfen Steine hinterher!
Und wenn Sie euch verhaften ließen
und würden nach euch Scheiben schießen!
Sterbt höflich und sagt Dankesehr.

DIe Auszüge:

Die Frage klingt, als wollte "Bild", ähnlich wie bei "Florida-Rolf", eine vermeintliche oder tatsächliche Ungerechtigkeit im Gesetz anprangern. In Wahrheit hat der Bundestag erst vor kurzem die Gesetzeslage für Menschen wie Henrico Frank drastisch verschärft. Wer innerhalb eines Jahres drei Angebote seiner Arbeitsagentur ohne guten Grund ablehnt, bekommt vom kommendem Jahr an für ein Vierteljahr sämtliche Zahlungen gestrichen, ist nicht krankenversichert, bekommt kein Geld für Unterkunft und Heizung. Nach Ansicht von Kritikern dieses Gesetzes kann das für viele hartnäckige Arbeitsverweigerer bedeuten, obdachlos zu werden. Die neue Regelung ist juristisch umstritten, weil eigentlich jeder Mensch einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf das Existenzminimum hat.

"Faulenzern" und "Abzockern" wie Henrico Frank droht also nach dem verabschiedeten Gesetz, nichts zu bekommen. Da es schwer ist, Menschen weniger als nichts zu geben, ist nicht ganz klar, auf welche Art Gesetzesverschärfung die "Bild"-Kampagne zielen könnte: Die Möglichkeit, "Faulenzer" und "Abzocker" aus dem Land zu jagen?

Aber vielleicht geht es der "Bild"-Zeitung hier auch nicht um das Gesetz. Vielleicht hat sie mit Henrico Frank eine persönliche Rechnung offen.


oder
Die "Bild"-Berichte über den Arbeitslosen sind inzwischen voller bösartiger Interpretationen und einseitiger Verdrehungen. Aus dem Angebot, für "5,50 Euro / Stunde" zu arbeiten, macht "Bild" einen von acht "gut bezahlten Jobs". Dass sich die Sprecherin Franks bei den Arbeitgebern erkundigte, ob sich die Stellen (u.a. Straßenbauarbeiter, Maurer, Maler) überhaupt eignen für jemanden, der "nur noch eine Niere, dazu einen Bandscheibenvorfall und eine Schulterprellung" hat, nennt "Bild" schlicht "dreist": "Motto: Ich kann nicht, aber was gibt's denn?" Nebenbei fabriziert "Bild" aus den Zitaten mehrerer Politiker der Linkspartei, die grundsätzlich begrüßen, wenn Arbeitslose in die Politik und die Parlamente gehen, eine mögliche Kandidatur Franks für den Bundestag.


oder

Den CDU-Politiker Michael Fuchs hingegen zitierte "Bild" gestern mit den Worten:

Was wirft das für ein Licht auf all die anderen Arbeitslosen! Henrico Frank bringt sie alle in Verruf.

Tut er das wirklich? Oder tun das nicht "Bild" und die anderen Medien15, die das Verhalten Franks in einer Breite diskutieren, die gar keinen Sinn ergäbe, wenn sie davon ausgingen, dass Franks Verhalten ein völliger Einzelfall wäre. Dadurch, dass sie den Fall seit einer Woche ausführlich begleiten, suggerieren sie erst, dass es sich um ein grundsätzliches Phänomen und Problem handelt.

Der Politologe Frank Oschmiansky hat vor einigen Jahren die Konjunktur der immer wiederkehrenden "Faulheitsdebatten" untersucht16 und befand, sie folgten "zu einem guten Teil politischen Kalkülen". Sie ließen bei den Bürgern den Eindruck entstehen, der "Missbrauch sozialer Leistungen" sei eines der größten Probleme dieses Landes – dabei sei der Schaden rechnerisch "marginal" gegenüber Delikten wie Schwarzarbeit, Subventionsmissbrauch, Korruption oder Steuerhinterziehung. Oschmianskys Fazit17:

Zudem zielen die "Faulheitsvorwürfe" darauf, das sozialpsychologische Klima zu schaffen, um Leistungseinschränkungen oder auch Zumutbarkeits- oder Sanktionsverschärfungen den Boden zu bereiten. (…) Durch die Skandalisierung des Leistungsmissbrauchs wird ein Klima erzeugt, in dem Kürzungen von Sozialleistungen leichter durchsetzbar sind.

Ausverkauf der FDP

Die NRW-FDP hat es erfolgreich geschafft, den Ausverkauf ihrer Werte zu betreiben, indem sie dem neuen Gesetz zur Unterhöhlung des Datenschutzes und der Abschaffung von Bürgerrechten zugestimmt hat. Künftig können staatliche Instanzen ohne jegliche Hinderung auf Privatrechnern herumschnüffeln und dabei alle jene lästigen Grundrechte, welche sie vorher an der Totalüberwachung von Privatrechnern hinderten endlich ad acta legen. NRW-FDP-Chef Wolff meinte dazu, der Staat stünde nun endlich auf Augenhöhe mit den Leute, die böses im Schild haben. Wie Knyeast schreibt, hat er damit wohl recht:
Der Staat steht jetzt endlich auf einer Stufe mit Verbrechern und Kriminellen.

Mittwoch, 20. Dezember 2006

Fundstücke

Die sogenannten Anti-Deutschen hetzen gegen Lafontaine, Linkspartei und den Autor Jürgen Elsässer: "nationalistisch, antisemitisch, fremdenfeindlich". Langsam wird’s langweilig.

So beginnt ein lesenswerter Artikel von Gerhard Wisnewski, den ich euch nicht vorenthalten möchte.

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“Anfang der Neunziger Jahre wurde die Rolle Israels in der Claims Conference noch kleiner, und Juden in den USA erhielten die Kontrolle über die Organisation. Zum Ende des Jahrzehnts hin wurde die Konferenz eine der reichsten jüdischen Organisationen der Welt. Heute hat die Organisation mit Sitz in New York mehr als 1,7 Milliarden US$ auf dem Konto. Ein Großteil dieses Betrags erhielt die Organisation nach der Wiedervereinigung Deutschlands.

Die deutsche Regierung erkannte die Claims Conference als Erben des jüdischen Besitzes in Ostdeutschland an und gewährte ihr 11.000 Fälle von Wiedergutmachung. Auch heute noch stellt die Konferenz Forderungen nach der Entschädigung von jüdischem Besitz. Schätzungen zufolge wird die Konferenz in den nächsten Jahren weitere 400 Millionen US$ erhalten.”

Der gesamte Artikel hier. Auch auf das Risiko hin, in die antisemitische Ecke gestellt zu werden.

Schäuble in allen Wolken, Nachtrag


In der Zeit wird ein Loblied auf Schäubles Vorschlag angestimmt, das Renteneintrittsalter weiter anzuheben, versehen gleich mit einem eigenen Vorschlag: 80. Dabei werden in dem Artikel munter Fakten durcheinandergeworfen und weitere herbeifabuliert. So berichtet man wieder über die allseits bekannte und deswegen nicht minder mysteriöse "demographische Entwicklung", die das Rentensystem angeblich unbezahlbar macht. Da wird erzählt, dass die Rente ohnehin auch bei einer Anhebung auf 80 (und damit die durchschnittliche Lebenserwartung) nicht mehr als eine Grundsicherung sein könne, und dass man privat vorsorgen muss. Da wird erklärt, dass Bismarck, der unser BRD-Rentensystem entworfen habe sich das alles ja ganz anders vorgestellt hat als heute, quasi als Gnadenbrot vor dem Abkratzen.
Was in dem Artikel natürlich nicht erwähnt wird ist, dass die Leute keine Jobs finden werden. Dass es eigentlich hauptsächlich darum geht, mehr Geld zu verdienen (Unternehmer) und weniger auszugeben (Staat). Dass die Versicherungswirtschaft ihre ganzen Schmiergelder für die Privatvorsorgekampagne endlich rentiert haben will.
Aber das sind ja alles Nebensächlichkeeiten. Dass diese überkommene Weltsicht Bismarcks von vor 150 Jahren eigentlich durch unsere sozialen und zivilisatorischen Errungenschaften endlich ad acta gelegt sein sollte, findet keinen Niederschlag. Ich meine, wenn langsam die "Sozialsysteme" des Kaiserreichs als überzogener bürokratischer Moloch gelten weiß ich auch nicht mehr.

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Achse Spiegel-BILD, Nachtrag

Wer Beweise will für die zunehmende Angleichung von Spiegel-Online an die BILD, der braucht nur mal einige der aktuellen Schlagzeilen abzugleichen:
Wer findet ohne auf die Links zu klicken raus, welches Magazin verantwortlich ist?
- Wer ist der Huren-Ripper von Ipswich?
- Ulla träumt vom Weihnachtsfrieden
- Terrorwahn am Flughafen - Oma schiebt Baby durch Handgepäckscanner
- Westerwelle geht auf Becks Arbeitslosen los
- "Sie dürfen meine Frisur nicht so ernst nehmen."
- Reiche Länder wollen Gesundheitsreform platzen lassen
- Tierisches aus 2006: Gebalzt, gebockt, gebissen.
- Wo der Strom teuer wird - und wo nicht.
- VW durfte Sex-Managern kündigen
- Abu Khaled - Am Feierabend in den heiligen Krieg

PS: Die Schlagzeilen sind allesamt von der Startseite entnommen - ich habe also nicht gerade die krassesten Beispiele herausgesucht.

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Dienstag, 19. Dezember 2006

Iran stellt auf Euro um!

Lange war die Maßnahme diskutiert worden, die trotz (oder wegen?) ihrer einschneidenden Wirkung kaum in den Medien diskutiert wird (in den deutschen ein wenig, in den österreichischen nur ganz kurz): der Iran stellt seine Kalkulationen des Staatshaushalts und den Erdölhandel auf Euro um. Die Begründung: man wolle von den USA und damit dem Dollar unabhängig werden. Die USA hatten in der letzten Zeit viel Druck auf Banken ausgeübt, keine Geschäfte mit dem Iran zu machen. Der Schuss ging eindeutig nach hinten los, und das mit kaum absehbaren Folgen: für den ohnehin stark schwächelnden Dollar dürfte sich dieser Schlag verheerend auswirken. Die damit einhergehende Stärkung des Euro wiederum dürfte unserer auf Export basierenden Wirtschaft alles andere als gut tun; politisch dagegen wird Europa ein weiteres Mal aufgewertet und ist drauf und dran, den USA die Rolle der westlichen Hegemonialmacht im Nahen und Mittleren Osten abspenstig zu machen. Es bleibt spannend bezüglich der Frage, was in dieser Region geschieht - jetzt jedenfalls fehlt den USA neben dem militärischen auch noch weitgehend das wirtschaftliche Drohpotenzial.
Tatsächlich scheint es, als ob die wirtschaftliche Lage der USA deutlich dramatischer ist als bisher angenommen - die Insidergeschäfte an der Börse häufen sich gerade in einem besorgniserregenden Maße, wie seit der Rezession von 2006 nicht mehr, der US-Schuldenstand ist seit 2000 um satte 40% (!) gestiegen (der Bundesschuldenstand, wohlgemerkt - Schulden der Bundesstaaten und Gemeinden nicht eingerechnet!), die Inflation galoppiert. Zwar gibt sich die EU derzeit reserviert gegenüber dem Schritt Teherans; es ist jedoch absolut auszuschließen, dass es spurlos an Europa vorbeigehen wird.

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Lektion in Lebensplanung, Nachtrag

Das Vorweihnachtsmärchen um Henrico Frank und Kurt Beck knirscht und knarscht an allen Ecken und Enden. Nachdem die polemische Äußerung Becks, Henrico Frank solle sich waschen und rasieren um einen Job zu bekommen durch Franks Steilvorlage zu einem unerwarteten PR-Weihnachtsgeschenk zu werden schien und prompt zu einer rührseligen Geschichte aufgebauscht wurde, hat man die Rechnung dabei ohne den Wirt gemacht. Nachdem Frank Beck abblitzen ließ schwingt er sich nun zum Anwalt der Arbeitslosen auf - und bedient mit ungeahnter Virtousität das Medienkonzert. Es scheint, als könne Frank dabei durchaus Erfolg haben: bisher schaffen es Beck und Konsorten jedenfalls nicht, die ständige Zerstörung ihres Weihnachtsmärchens aufzuhalten. Am 2. Januar plant nun das Erwerbslosenforum eine Aktion direkt vor Becks Staatskanzlei - Arbeitslose lassen sich öffentlich waschen und rasieren, um von Beck ihren Job einfordern zu können. Man darf gespannt sein, wie sich das weiter entwickelt. Die BILD jedenfalls polemisiert bereits ordentlich.

Schäuble schwebt in allen Wolken


Es muss schön sein, Wolfang Schäuble zu sein: ständig kann man medienwirksam Mist sagen, ohne dass man dafür als der Trottel benannt wird, als den man sich gibt. Stattdessen werden die Worte wohlwollend unkommentiert oder sogar wohlwollend kommentiert weitergegeben. Nach zahlreichen Unkenrufen zur Terrorismusbedrohung kommt nun der neueste Streich: die Rente mit 67 kann nur der erste Schritt gewesen sein, eine weitere Anhebung des Rentenalters müsse folgen. Selbstverständlich fehlt nicht der obligatorische Hinweis auf die Aufgabe der Regierung, "Ängste abzubauen" (auch ein Euphemismus für eine Propagandaoffensive). Die Begründung für diesen aberwitzigen Vorschlag: zum einen sei eine längere Arbeitszeit das beste Mittel gegen Altersdemenz und zum anderen könne nur so der Generationenvertrag weiter funktionieren.
Dumm nur, dass nicht jeder über 50jährige (denn das ist im Normalfall die absolute Einstellungsgrenze für Unternehmen) Innenminister werden kann.

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Studiengebühren, heute: fundierte Berichterstattung

Kaum zu glauben, aber ein Leitmedium hat einen vergleichsweise fundierten Bericht zum Thema Studienfinanzierung aufgestellt. Dass Deutschland dabei in allen Aspekten schlechte Bewertungen bekommt nimmt man inzwischen ja als gottgegeben hin. Interessant ist vielmehr die Argumentationsstruktur des Artikels der SZ:
Die bisherige Finanzierung durch Steuern ist ungerecht, weil die Mittelschicht und untere Mittelschicht das Studium bezahlen. In Skandinavien wird durch eine sehr progressive Einkommenssteuer das Einkommen der Reichen belastete, die auf diese Art ihr Studium refinanzieren. Das Gebührenmodell Australiens dagegen als positives Beispiel von Studiengebühren staffelt dieselben nach zu erwartendem Einkommen und vergibt staatliche, zinslose Kredite, die später einfach als Aufschlag an die Einkommenssteuer zurückbezahlt werden. Beide Modelle sind vergleichsweise sozialverträglich (wobei mir das skandinavische noch lieber ist) und haben für einen Anstieg der Qualifizierten und des Wohlstands gesorgt. Deutschland dagegen belastet wie üblich die Geringverdiener über die Gebühr, alle Studenten gleich, überlässt ihnen großzügig das finanzielle Risiko und sorgt so neben der sozialen Segregation auch noch für ein Absinken der Studenten. Kann man eigentlich noch mehr falsch machen? Bestimmt.
Und, ach ja, zum Thema "Studenten tragen das Risiko allein": dieser Artikel zeigt die Kaltschnäuzigkeit unserer "Neuen Sozialen Marktwirtschaft".

Informiert den MdB!

Dieser Aufruf fand sich bei Oldblog (gefunden über Lumieré dans la nuit) und sollte so auch weitergegeben werden:

Aufruf und Bitte an alle Blogger!

Nehmt Kontakt mit dem Wahlkreisbüro Eures / Eurer
Bundetagsabgeordneten auf und versucht einen Termin
mit Eurer/ Eurem Abgeordneten persönlich zu bekommen.
Geht zu diesem Termin und vermittelt dem / der
Abgeordneten die nötigen Kenntnisse über die
Blogosphäre und Weblogs.

Jüngste Erfahrungen zeigen, daß unsere Volksvertreter
garnicht oder nur sehr selten mit dem Internet konfrontiert
werden
.

Mit Blogs schon garnicht.

Um die Abstimmung über das vom Kabinett Merkel im
Frühjahr 2007 avisierte Gesetz zu Deckelung von
Erstabmahnungs - Kosten nicht zur Durchwink - Ablehnungs - Farce
verkommen zu lassen, müssen die Damen und Herren
Abgeordneten wissen, worum es eigentlich (auch) geht.

Klärt Eure MdBs auf und zeigt ihnen auf deren
Wahlkreiscomputern Beispiele anhand zurückliegender
Abmahnungen, die weit über das Ziel hinaus geschossen sind.

Jeder kennt doch mindesteins ein MdB.

Also: Handeln statt Ärgern.

Bitte übernehmt diesen oder einen eigenen Text in Euer Blog.

Macht mit.

Es wäre doch gelacht, wenn unsere Volksvertreter, das
Internet betreffend, auf dem letzten PISA - Platz sitzen
blieben.

Kinkerlitzchen?
Auch kleine Steine können Wellen schlagen.
Also nehmt dieses olympische Staffelholz und
tragt es weiter

Edit 17.00 Uhr:
Um es einmal ganz einfach auszudrücken: Besucht die Mitglieder
des Bundetages
über die Weihnachtsfeiertage einfach zuhause.
Denn das machen diese alle vier-fünf Jahre ja auch.
Sie wollen dann unsere Stimme.

Jetzt wolle wir deren Stimme für ein gutes und weitsichtiges Gesetz.

Und, sie beißen nicht, sondern sind weitgehend ganz normale Menschen,
wenn man sie in ihrem privaten Umfeld erreicht.

Wer unfreundlich abgewiesen wird, berichte bitte in seinem Blog darüber
oder hinterlasse einen Kommentar mit dem Namen Der-/Desjenigen.
Woll’n wir doch mal sehen, wer der Souverän ist.

Montag, 18. Dezember 2006

In eigener Sache

Heute gibt es gleich zwei Meldungen:
1) Wie ihr vielleicht bemerkt habt, haben sich hier in letzter Zeit so genannte "Gastbeiträge" eingeschlichen. Was das genau ist und wie es funktioniert, will ich eben erläutern: wer Lust hat und in seinen Beiträgen ein bestimmtes formales und inhaltliches Niveau hat (was sich ausschließlich auf die formal-inhaltlichen Dinge bezieht; wer ein lesenswertes Plädoyer für den Neoliberalismus schreiben will - nur zu!) darf gerne seinen Gastbeitrag veröffentlichen. Die Spielregeln sind einfach: Am Anfang steht der Name (wenn ihr unbedingt wollt, aus Datenschutzgründen auch nur ein Nickname) und am Ende einige kurze Infos über denjenigen, damit sich die Leser ein Bild machen können. Also, schreibt mich einfach an, wenn ihr Interesse habt!
2) Seit ich das Sitemeter installiert habe (noch mal Danke an Arne Hoffmann für die technische Unterstützung) habe ich einen ungefähren Überblick, wie viele Leute die Site ansteuern - und seit Beginn der Messungen vor etwa drei Wochen hat sich die Zahl durchschnittlicher Besucher pro Tag mehr als verdoppelt. Heute ist der absolute Besucherrekord erreicht - bis jetztigen Zeitpunkt 91 Besucher. Vielleicht knacken wir ja noch die magische 100er-Marke - eine Stunde ist noch Zeit! Auch, wenn es nicht mehr klappt: an dieser Stelle ein herzliches Danke an alle Leser! Kommentiert auch ruhig, was das Zeug hält, denn dazu ist die Funktion ja schließlich da, und Diskussionen machen die Sache deutlich spannender. Bis zur 1000er-Marke! ;)

Nachtrag: Es ist 23.42, und die Hunderter-Marke ist geknackt! *Sektkorken knallen lässt* Jetzt nur noch denselben Wert bei den durchschnittlichen Besuchern pro Tag ;)

Gysi vs. Müller-Vogg

In der Super-Illu haben sich Gregor Gisy und Hugo Müller-Vogg, der ehemalige Herausgeber der FAZ, eine Art Duell geliefert: beide sollten ihre Einschätzung zum Thema Terrorismus, Bush und Co abgeben. Gerhard Wisnewski, über den ich auf den Link gestoßen bin, hat eine treffende Analyse abgegeben. Während Gysi vernünftig argumentiert ("Den Terrorismus mit schlimmerem Terrorismus [gemeint ist Krieg, Anm. d. Autors] ist verheerend."), schwebt Müller-Vogg auf allen Wolken ("Man darf nicht Täter und Polizist verwechseln."). Es ist eigentlich kaum zu glauben, wie blauäugig und undifferenziert die Meinungselite mit ihrer Terroristenhatz immer noch ist, was sich übrigens auch gut an diesem Interview mit Wolfgang Schäuble ablesen lässt.

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Lobbyismus, heute: Brüssel

Dass Brüssel eine DER Spielwiesen für Lobbyisten aller Couleur ist (immerhin kommen über hundert Lobbyisten auf einen (!) Europabgeordneten), ist keine große Neuigkeit. Nun hat LobbyControl mit seinen Partnern zum zweiten Mal in Folge den "Worst EU Lobby Award" vergeben. Die "Sieger" sind dabei auf Seite der Lobbyisten Exxon Mobile, auf Seiten der Türöffner die Generaldirektion Binnenmarkt. Den dritten Platz räumte Kommissar Verheugen ab. Dabei heraus kam ein ganz passables Medienecho: jungeWelt, heiseOnline, NeuesDeutschland, Tagesschau, FinancialTimesDeutschland.
Der drittplatzierte Verheugen ist zur Zeit aufgrund ganz anderer Vorwürfe in die Kritik geraten: angeblich hat er ein Verhältnis mit einer Mitarbeiterin, angeblich gibt es Nacktfotos. Allein die Tatsache dass BILD, die derzeit zusammen mit Focus und der faz diese Kampagne unternimmt bisher keine Fotos veröffentlicht hat stinkt zum Himmel. Und dass ausgerechnet die faz mit solchen Schmierblättern wie Focus und BILD zusammenarbeit stinkt beinahe noch mehr. Der größte Gestank kommt jedoch aus der Zentrale der Aktion, die bei den schwarz gekleideten Herren der CDU zu finden sein dürfte: denen ist Verheugen lange ein Dorn im Auge gewesen, nicht wegen seiner Politik (die würde wohl 1:1 übernommen), sondern eher wegen derTatsache, dass er SPD-Mitglied ist und die CDU gerne selbst einen Kommissar in der EU unterbringen würde - ganz besonders vor dem Hintergrund der EU-Ratspräsidentschaft, die Deutschland am 1.1. übernehmen will.

Zur selbstdestruktiven Logik kapitalistischer Produktionsverhältnisse

Ein Gastbeitrag von Porphyrios

1992 hatte der amerikanische Politikwissenschafter Francis Fukuyama die These vom "Ende der Geschichte" geäußert. Darin ging es darum, dass nach dem Kollaps der staatssozialistischen Welt und damit dem Ende des vermeintlichen Systemkonflikts die Interessenswidersprüche der bestehenden Staaten so weit in Einklang gebracht würden, dass es keine weiteren einschneidenden politischen Ereignisse oder sozialen Revolutionen mehr geben könne. Diese Vorstellung ging in gewisser Weise auf hegelsches Gedankengut zurück, demzufolge Widersprüche letztendlich zur vollkommenen Gesellschaft führen. Diese Gesellschaft sah Fukuyama im globalisierten Kapitalismus des ausklingenden 20. Jahrhunderts. Nun stellt man sich die Frage: Kann das überhaupt sein? Ist der Kapitalismus eine Ordnung für die Ewigkeit? Weshalb ich diese Fragen ganz klar verneine, werde ich im Folgenden zu erläutern versuchen.

Konstitutives Element kapitalistischer Produktionsverhältnisse ist die Konkurrenz. zwischen Privateigentümern (oder eben Nichteigentümern) auf den verschiedenen Märkten wie Arbeitsmarkt, Rohstoffmarkt, Produktmarkt usw. Jeder Versuch, der Logik der Konkurrenz zu entfliehen, muss zwangsläufig zur Verschlechterung der eigenen Lage führen. Eine Firma, die nicht konkurrenzfähig ist, ist auch nicht mehr in der Lage, mit den Preisen der Konkurrenz mitzuhalten und fällt durch das Gitter der sozialen Auslese. Bei monopolistisch organisierten Produktionszweigen ist das der Sache nach nicht anders, weil auch hier das alles bestimmende Moment darin besteht, den Monopolstatus aufrecht zu erhalten. Was heißt es also, konkurrenzfähig zu sein? Die Antwort ist einfach: Indem man mehr Einnahmen als Ausgaben hat, also Mehrwert schafft. Das wiederum lässt sich nur erreichen, wennman in der Lage ist, Waren billiger zu produzieren und zu transportieren, als man sie verkaufen kann und gleichzeitig die durch mögliche Überproduktion entstandenen Unkosten zu begleichen vermag. Wie aber bleibt man konkurrenzfähig oder anders gefragt wie schafft man es, mindestens so billig zu produzieren und mindestens so teuer verkaufen zu können wie die Konkurrenz? Prinzipiell durch die kombinierte Anwendung mehrerer grundsätzlich verschiedener Vorgehensweisen. Produktionskosten lassen sich zum Einen einsparen, indem überflüssige Arbeitskraft auf die Straße gesetzt und ihrem Schicksal überlassen wird. Weiterhin greift man zu Methoden, mit denen die Produktionspotenz eines einzelnen Produzenten erhöht werden kann, indem man ihm etwa mit Kündigung droht oder ihn, wie es in Entwicklungsländern üblich ist, durch Züchtigung dazu zwingt. Diese Methoden erreichen aber schnell das Limit des Machbaren, weil ihnen durch die Arbeitsfähigkeit eines Menschen natürliche Grenzen gesetzt sind. Die mit Abstand wichtigste, weil prinzipiell unbegrenzte Möglichkeit ist daher die technologische Steigerung der Produktivität. Und so lässt sich erklären, dass der technisch-ökonomische Standard von Gesellschaften beständig steigt und getrieben von den Zwängen der Konkurrenz in irrationalem Wahn seinem eigenen Schwanz hinterherjagt. Es müssen immer neue Wege gefunden werden, schneller, billiger, mehr zu produzieren, um den Chinesen, den Japanern, den Amerikanern das ökonomische Wasser abzugraben. Die Steigerung der Produktivität führt nun per Definition dazu, dass für die Produktion einer einzelnen Ware immer weniger Arbeitszeit benötigt wird. Das heißt, dass es in der kapitalistischen Produktion zur ehernen Gesetzmäßigkeit wird, dass der Bedarf des Kapitals an Arbeitskräften stetig sinkt. Was aber muss ein verantwortungsbewusster Unternehmer tun, der nicht die Konkurrenzfähigkeit seiner Firma aufs Spiel setzen will? Er muss selbstverständlich alle überflüssigen Arbeiter abstoßen, denn diese ohne jeden Nutzen durchzufüttern, kann er sich nicht leisten.Steigende Produktivität führt also zwangsläufig zu höherer Arbeitslosigkeit. Nun könnte man auf die Idee kommen, doch einfach die Produktion allgemein expandieren zu lassen. Aber diese Idee stellt sich schnell als Denkfehler heraus. Durch den sinkenden Bedarf an Arbeitskraft ist nämlich auch die Kaufkraft rückläufig - "Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen" (bzw kann nichts kaufen). So hat Stalin es in seiner Verfassung von 1936 festgeschrieben. Es muss also weniger produziert werden, weil der Bedarf sinkt. Der Kreis der Selbstdestruktion hat sich gewissermaßen geschlossen, indem sinkender Bedarf an Waren und sinkender Bedarf an Arbeitskraft zusammenwirken, sich gegenseitig beeinflussen und so exponentiell fortpflanzen. Es gibt nur einen möglichen Ausgang: Die völlige Trennung der Gesellschaft in Kapitaleigner, deren Kapital fortan keins mehr ist, und Besitzlose. Der Kapitalismus hat sich an seiner eigenen Logik gebrochen.Dieses Zukunftsszenario lässt einen nicht nur frösteln, weil es schon lange angefangen hat, Wirklichkeit zu werden - Am grausamsten daran ist, dass die eiskalte Logik der Konkurrenzwirtschaft gar kein anderes Ende haben kann! Produktivkräfte müssen zwangsläufig in Destruktivkräfte umschlagen, weil sie sich auch durch einen Haufen staatlicher Regulierungen letztlich nicht dem Funktionsprinzip der kapitalistischen Gesellschaft entziehen können. Interessant ist es darüber hinaus, dass demnach endgültig klar sein dürfte, dass das oberste Ziel nicht die Produktion von Waren zur Bedürfnisbefriedigung sein kann sondern dass der ganze Globus blind dem automatischen Subjekt (dem konkurrenzbedingten Zwang zu immer erneuter Kapitalinvestition), ob nun in der Form der technologischen Forschung oder dem stetigen Neukauf von Rohstoffen und Arbeitskraft folgt. Diese vernunftlose Mechanik des Kapitalismus beschreibt Karl Marx im "Kapital" (Band 3 Fünfter Abschnitt, S. 404 - 412) wie folgt:
"Das Kapital erscheint als mysteriöse und selbstschöpferische Quelle des Zinses, seiner eignen Vermehrung. Das Ding (Geld, Ware, Wert) ist nun als bloßes Ding schon Kapital, und das Kapital erscheint als bloßes Ding; das Resultat des gesamten Reproduktionsprozesses erscheint als eine, einem Ding von selbst zukommende Eigenschaft; es hängt ab von dem Besitzer des Geldes, d.h. der Ware in ihrer stets austauschbaren Form, ob er es als Geld verausgaben oder als Kapital vermieten will. Im zinstragenden Kapital ist daher dieser automatische Fetisch rein herausgearbeitet, der sich selbst verwertende Wert, Geld heckendes Geld, und trägt es in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr."

Den Verwertungsmühlen des Eigentums kann also niemand entrinnen, selbst der Kapitalismus wird ihnen zwangsläufig irgendwann zum Opfer fallen. Schon heute werden täglich Berge von Butter, Tomaten, Mais und sonstigen Lebensmitteln verbrannt, während ebenfalls täglich 100 000 Menschen an den Folgen von Hunger sterben und permanent 800 000 000 Menschen hungern. Es gibt also sehr wohl ein milliardenfaches Bedürfnis aber aufgrund der Besitzlosigkeit von ebenfalls Milliarden Menschen keinen Bedarf!. Abgesehen von der aus humanitärer Sicht Unfassbarkeit dieser Zustände ist das vor allem deshalb so schlimm, weil eins sicher ist: Die Hungernden werden mehr werden und die produzierten Waren werden weniger werden. Der Kapitalismus geht drauf, aber er nimmt uns alle vorher noch mit. Die einzige Möglichkeit, dieser Gewissheit zu entrinnen, besteht logischerweise in der Aufhebung der Konkurrenz, des automatischen Subjekts und des Eigentums - also in der Aufhebung des Kapitalismus überhaupt. Eine postkapitalistische Ordnung kann also nur darauf beruhen, dass sich alle Menschen in einer von Klassenschranken emanzipierten Gesellschaft ihre Bedürfnisse überlegen, sich zusammen setzen und auf der Basis vernünftiger Entscheidungen planen, wie die benötigten Güter mit möglichst wenig und gerecht verteiltem Arbeitsaufwand produziert werden können. Die Idee von einer Gesellschaft der Freien und Gleichen stellt damit nicht mehr nur noch einen Ästhetizismus und Romantizismus dar sondern eine Überlebensnotwendigkeit des Menschengeschlechts.

Porphyrios, geboren 1987, studiert Geschichte und Philosophie an der
Universität Tübingen. Er schreibt im Politikforum unter dem Nick Porphyrios und möchte gerne anonym bleiben.

Fundstücke

Arne Hoffmann hat einen Best-of-Katalog der Methoden vorgestellt, mit denen man nervige Telefonwerbeanrufe loswird. Was leider nicht darin erwähnt ist - was man gegen die Bandanrufer tut.

Inzwischen wird das Weihnachtsmärchen um Beck und Henrico F. etwas vor der Zeit demontiert.

Noch mal Arne Hoffmann: dieser Welt-Artikel, den er auf seinem Blog Genderama verlinkt hat, betrachtet das Paarungsverhalten von Frauen - besonders die Diskrepanz zwischen dem, was sie sagen und dem, was sie tun.

Achse Spiegel-BILD

Kaum zu glauben, aber wahr: SpiegelOnline holt sich zunehmend BILD-Mitarbeiter und Presseratrügen ins Boot, um möglichst schnell das Niveau gegen reißerische Themen einzutauschen. Die in letzter Zeit stark zunehmende Anzahl Panoramathemen auf der Startseite ist dabei nur ein Indiz. Auch der Fall des Abschreibens entbehrt nicht einer gewissen Dramatik.

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Lobbyismus, heute: BILD und die INSM

Die Initative Neue Soziale Marktwirtschaft ist Insidern kein Unbekannter: eine lupenreine Lobbyistenorganisation der Arbeitgeberverbände und Mitinitiator der umstrittenen "Du bist Deutschland" Medienkampagne sowie der "Marienhof"-Schleichwerbung und Schleichwerbung in einigen anderen Fällen. Nun hat diese Initiative (schon der erste Teilbegriff ist eine Lüge) ein Proggy online gestellt, mit dem man sich ausrechnen kann, wie die Gesetze für 2007 die Finanzlage verändern (immerhin braucht man kein Proggy für die Tendenz: immer steil nach unten, wenn man nicht gerade zufällig Großverdiener ist). BILD machte daraus "So teuer wird 2007 für Sie" und brachte neben hanebüchenen historischen Fehlinformationen wieder allerlei wirtschaftsliberale Propaganda gewohnt überparteilich und unabhängig mit.
Wer mehr über die Hintergründe der der INSM wissen will, dem sei Albrecht Müllers Buch "Machtwahn" (Rezension hier) empfohlen, das sich eingehend mit der Lobbyarbeit dieser und anderer gleichartiger Insitutionen beschäftigt. Auch diese Folge "Monitor" für Lesefaule ist schwer zu empfehlen.
An dieser Stelle möchte ich auch noch gleich auf die erweiterte Blogroll aufmerksam machen, in der sich nun "LobbyControl" findet, die solche Schweinereien aufdeckt.

Sonntag, 17. Dezember 2006

Zypries marschiert bei Schäuble mit

Brigitte Zypries hat sich nun in den Heerbann der Offensive gegen das Grundgesetz (HdOgGG) eingereiht. Ihrer Meinung nach erhält der Artikel 4 des GG, der die Religionsfreiheit garantiert, eine "ausufernde Auslegung". Schließlich könne "es nicht sein, dass Genitalbeschneidung unter Religionsfreiheit zählt" und packt im selben Atemzug auch noch Haschischrauchen dazu. Jochen Bittner meint dazu nur trocken, dass die Frage sei, warum Haschischrauchen überhaupt verboten sei und dass Genitalverstämmelung weder unter dem Topos Religionsfreiheit ernsthaft diskutiert würde noch straffrei sei, da es unter den Tatbestand schwerer Körperverletzung geht. Bittner nimmt die Zypriesrede dabei im Folgenden noch weiter auseinander; lest einfach den Artikel, es lohnt sich.

Die Überwindung der herrschenden Arbeitsphilosophie

Ein Gastbeitrag von Carsten Krug.

Die Rolle der Arbeit innerhalb des menschlichen Daseins
Dass die Arbeit innerhalb des menschliches Daseins einen wesentlichen Faktor darstellt, würde niemand ernsthaft bestreiten, spätestens seitdem der Erzengel Gabriel die Menschen aus dem Paradies verwiesen hat. Nichtgläubige halten sich zwar lieber an die inzwischen sichere Erkenntnis, dass das Schlaraffenland auf keiner Landkarte der Welt zu finden ist, doch das Ergebnis bleibt dasselbe: Der Mensch muss arbeiten, um seine existenziellen Bedürfnisse befriedigen zu können. Diese Erkenntnis ist zwar uralt, aber entsprechend weit auslegbar: Wie viel muss ein Mensch arbeiten? Was muss er tun? Unter welchen Bedingungen geht er dem nach, was ökonomisch heutzutage gern als ‚Beschäftigung’ bezeichnet wird?

Rund ein Drittel seiner Lebenszeit, so sagt man, verbringt ein Beschäftigter in der westlich-kapitalistischen Kultur am Arbeitsplatz. Ein weiteres Drittel macht die Freizeit aus, schließlich ein weiteres Drittel der Schlaf. Ein ziemlich hoher Anteil, der dabei der Arbeit vorbehalten ist, besonders wenn man bedenkt, dass sämtliche sozialen Interaktionen, welche in diesen Bereich fallen, auch heutzutage noch oder gerade heutzutage relativ streng reglementiert, also weitgehend fremdbestimmt sind. Die Nazis haben diesen Zusammenhang in ihrem verbrecherischen und ins Gegenteil verkehrenden Zynismus aufgegriffen, indem sie den Menschen vorgaukelten, Arbeit mache frei; selbst als Leitthese für eine schreckliche Massenvernichtung menschlichen Lebens wurde dieser Zusammenhang missbraucht.


Die Geschichte der menschlichen Arbeit
Blicken wir eine Weile zurück in die Menschheitsgeschichte. Die Arbeitswelt hat in dieser Zeitspanne mannigfaltige Veränderungen erfahren, die aber doch stets bestimmten Motiven entsprungen sind: So standen im Vordergrund die Produktivitätssteigerung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der rationale Aspekt, den Versuch zu unternehmen, das Notwendige mit dem Nützlichen zu verbinden, kurz, es wurde zunehmend der mit der Arbeit verbundene Selbstverwirklichungsaspekt betrachtet und auch berücksichtigt. All diese rationalen Bestrebungen führten dazu, dass die so genannte Arbeitsteilung Einzug hielt und ständig fortentwickelt wurde. Auf diese Weise war es zunehmend möglich, Menschen nach ihren Neigungen und Fähigkeiten in den Produktionsprozess einzubinden – jeder hatte etwas davon: Es war der Qualität zuträglich und eine Selbstverwirklichung ist nun einmal dann am besten gewährleistet, wenn Menschen das tun können, was ihren Neigungen entspricht, woran sie Freude verspüren. Kein Psychologe würde bestreiten, dass motivierte Menschen bessere Leistungen hervorbringen im Vergleich zu unmotivierten. Nicht zuletzt bot die Arbeitsteilung dem Menschen eine gewisse Unabhängigkeit, weil er nicht mehr selbst alles produzieren musste, was er brauchte, sondern jeder von jedem profitierte.

Die Arbeitsteilung wurde begleitet durch einen ständigen technischen Fortschritt, Beispiele gibt es genug dafür. Diese Entwicklung hat jedoch in den letzten Jahren den Menschen zunehmend außen vor gelassen: Im Vordergrund steht längst nicht mehr die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und es ist zumindest fraglich, ob sie es im kapitalistischen System je gestanden haben. Die sehr wohl mit diesen Entwicklungen einhergehenden Produktivitätssteigerungen führten dazu, dass sich das Verhältnis zwischen dem Grade der Rentabilität auf Grund der Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln immer weiter in Richtung der Eigentümer dieser Produktionsmittel verschoben hat. Vereinfacht formuliert: Der Arbeiter selbst hat immer weniger von diesen technischen Errungenschaften, denn sie werden nicht etwa dazu verwendet, beispielsweise die Arbeitszeiten zu verkürzen, sondern das Gegenteil wird ständig proklamiert. Sogar rein materielle Vorteile gehören längst der Vergangenheit an, das Realeinkommen ist in den letzten Jahren ständig gesunken.


Das Kaninchen vor der Schlange
Es mag Gründe dafür geben, dass diese Entwicklungen von einer derart breiten Masse einfach hingenommen werden; ja, es gibt mit Sicherheit Gründe dafür, denn rational ist das keinesfalls. Diese Gründe sollen an dieser Stelle ein wenig beleuchtet werden, denn sie sind im Bewusstsein der meisten Menschen keineswegs präsent. Weshalb also fordern die Menschen nicht ein, was ihnen zusteht? Weshalb verinnerlichen sie völlig paradoxe Zusammenhänge, die allen Gesetzen der Logik widersprechen? Weshalb versklaven sie sich selbst? Untersuchen wir zunächst, weshalb überhaupt dieses groteske Bild entstehen muss. Wir sollten und zunächst darüber bewusst werden, dass jede Ideologie, die institutionell zum System erhoben wird, bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt.

Dem westlich-kapitalistischen System, das in seinen Bestrebungen, die Welt zu beherrschen, scheinbar unaufhaltsam voranschreitet, liegt eine solche Ideologie zu Grunde. Diese Ideologie definiert sich vor allem über die radikale Ökonomisierung des Menschen: Werte zählen nur, wenn sie materiell erfassbar sind; der Mensch selbst wird zu einem beliebig austauschbaren ökonomischen Faktor. Was bedeutet das nun für die Arbeit? Da der Mensch selbst zu einem ökonomischen Faktor degradiert wird, gilt das entsprechend natürlich auch für seine Arbeitskraft. Sie wird behandelt wie alle anderen Waren auf dem Markt auch, sie wird rigoros Marktgesetzen unterworfen. Da verwundert es natürlich nicht, dass ethische Aspekte, also ideelle Werte, keinen Platz mehr haben. Es zählt allein Leistung und sämtliche Tätigkeiten des Menschen, welche ihm durchaus erhebliche Anstrengungen abverlangen, gelten unter ökonomischen Aspekten nicht als Arbeit, beispielsweise die Haushaltsführung, die Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen oder das Ehrenamt.

Bereits relativ frühzeitig wurde erkannt, dass dieses System einen ganz entscheidenden Schwachpunkt aufweist, nämlich die spezifischen Machtverhältnisse sowie die sich daraus ergebenden Interessenkonflikte. Einige wurden blutig überwunden bzw. ’gelöst’, es gibt aber auch Beispiele der relativ konfliktgerechten Bewältigung: Die Installation von Sozialsystemen, welche die Gegensätze abfederten oder beispielsweise die Tarifautonomie. Innerhalb dieser Entwicklung, die im 20.Jahrhundert vonstatten ging, wurden zahlreiche Vereinbarungen getroffen, welche dem arbeitenden Menschen zu Gute kamen: Die Arbeitsbedingungen wurden verbessert; man muss aber auch sehen, dass das alles nur möglich war, weil sich die Menschen auf breiter Basis organisierten: Sie nahmen ihre Interessen wahr, verliehen ihnen Aus- und gleichzeitig Nachdruck.

Da sich der westliche Kapitalismus immer weiter und scheinbar unaufhaltsam zu einem Globalkapitalismus ausweitet, treten die oben genannten Gesetzmäßigkeiten immer deutlicher hervor. Man spricht dann von ‚Konkurrenz’, von ‚Wachstum’(-zwang), von ‚Beschäftigung’, von ‚Standortbedingungen’: Die nach oben hin offene Skala menschlicher Gier als eine der destruktivsten menschlichen Eigenschaften überhaupt offenbart die Grundregel, dass es ein ‚Genug’ nie geben kann. Dies wäre allein noch kein Problem, wenn es keine Interessenkonflikte geben würde, doch die Tatsache, dass diese Gesetzmäßigkeit nicht nur auf jeden ökonomischen Faktor anzuwenden ist, sondern prinzipiell sogar auf jedes Einzelindividuum, impliziert einen nie enden wollenden Wettlauf, in der Eine den Anderen zu übertreffen versucht, sowie entsprechende Interessenkollisionen – automatisch stellt sich die Frage der Grenzen des Wachstums, welche durch Phänomene wie Klimaveränderungen, Ressourcenerschöpfung oder globale Massenverarmung schnell beantwortet werden. Das Konkurrenzdenken nimmt eine derartig mächtige Eigendynamik an, dass die Mittel, mit denen gekämpft wird, immer brutaler werden und vor allem auch immer unfairer. Die Mechanismen, welche diese Eigendynamik in Schach halten sollen, greifen längst nicht mehr, was sich nirgendwo derart deutlich äußert als in der Arbeitswelt, immerhin einem Drittel der Lebenszeit eines Beschäftigten – wir erinnern uns... .

Diese kapitalistische Ideologie hat sich den meisten Menschen derart fest in das Bewusstsein eingebrannt, dass eine kritische Reflexion kaum noch möglich erscheint, womit wir bereits bei einer Erklärung dafür wären, weshalb es möglich ist, dass sich ein derartige Zerrbild über die Rolle der Arbeit im menschlichen Dasein bilden konnte: Der ‚Verlust eines Arbeitsplatzes’ nimmt unter den herrschenden kulturellen und politischen Verhältnissen eine bereits vergleichbar schwere Dramatik an, wie eine schwere Krankheit oder sogar der Tod. Perspektivlosigkeit, Verzweiflung, Existenzängste und komplexe und schwere psychische Schäden bei Betroffenen belegen dies. Die technischen Errungenschaften, welche den Menschen das Leben erleichtern sollten, erwiesen sich in fataler Weise als Bumerang, ein Segen wurde so zum Fluch. Wie kann so etwas möglich sein? Sind wir nicht ein mündiges Volk, das, zumindest in weiten Teilen, emanzipiert ist, über politische Bildung verfügt? Ein Volk, das viel Wert legt auf eigenständige Entscheidungen? Ich stelle das massiv in Frage, denn ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass sich die breite Masse derart vorführen lässt und sich selbst derart belügen kann. Wie konnte es dazu kommen?

Der manipulierbare Mensch
Menschen sind nun einmal manipulierbar, ganz einfach, weil sie in ihren Trieben immer auch einen Konkurrenten besitzen, welcher ihrer Rationalität entgegenwirkt. Man nehme einen Moloch im Schafspelz, den weite Teile der Medien verkörpern, man wecke diese irrationalen Triebe und verstärke sie, alles selbstverständlich unter den Diensten der neuesten Erkenntnisse in der Psychologie. Unternehmen gehen bereits seit einiger Zeit nicht anders vor („die Mitarbeiter sollen wollen, was sie sollen“); relativ neu ist die Dreistigkeit, mit der auch die Politik auf immer breiterer Front nach diesem Muster vorgeht. Wohl gemerkt, Vertreter der eigenen Klientel, die sie gewählt hat! Auf diese Weise wird auf breitester Basis bei den Menschen ein Bewusstsein geschaffen, das zwischen den Attributen der Resignation, der Ideologiehörigkeit, der Suppression des eigenen Denkvermögens und der Selbstreflexion hin- und herpendelt. Begleitet wird das Ganze dann von einer ganz konkreten Politik, der es ein Kardinalanliegen ist, eine Arbeitsphilosophie zu manifestieren, welche systemkompatibel ist und deshalb die Arbeit zum reinen Selbstzweck degradiert. Die HARTZ-Gesetze, die Aushöhlung der Sozialsysteme unter dem haltlosen Argument, sie wären nicht mehr finanzierbar, die Förderung der psychologisch begründbaren Spaltung der Gesellschaft in arm und reich, in krank und gesund, in alt und jung, in leistungsfähig und leistungsschwach. Die Tabuisierung von Alternativen. Auf diese Weise lässt sich systematisch ein Bewusstsein schaffen, welches das Beschäftigungsverhältnis in den Mittelpunkt des menschlichen Daseins stellt, wobei gleichzeitig eine Riesenchance, dieses Verhältnis im Sinne des Menschen herunterzufahren, vertan wird. Nebenbei hat das noch den im Sinne des Systems überaus erstrebenswerten Nebeneffekt, dass diese Vorgehensweise die Arbeitnehmerschaft diszipliniert. Treibt man Ratten in die Enge, werden sie zu reißenden Bestien. Malt man eine mögliche Arbeitslosigkeit nur in den dunkelsten Farben aus und tut konkret auch genug dafür, dass dieses Bild realistisch wird, dann haben wir diesen Effekt, natürlich mit dem Effekt, dass sich die Aggressionen der Betroffenen gegen alle richtet, aber leider nur selten gegen die Verursacher bzw. gegen das verursachende System.

Wir haben also gesehen, wie Fetische kreiert werden: Das Wachstum durch die Weckung und Förderung der menschlichen Gier in ihrer progressiven und deshalb krankhaften Potenzierung, ihrer Unendlichkeit. Die Arbeit durch Entfremdung und reflexionsloser Betrachtung derselben zum Selbstzweck; den Wettbewerb, indem das belebende Moment undosiert und deshalb unkontrollierbar verabreicht wird; den Wohlstand als Phrase auf rein materieller Basis und ohne Berücksichtigung von Verteilungsaspekten. All diese Mechanismen sind erforderlich für die Funktionalität des kapitalistischen Systems, das immer weniger Gewinner und immer mehr Verlierer hervorbringt – bis es zusammenbricht.

Der Mensch ist und bleibt ein höchst irrationales Wesen.

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EXKURS: Einige systemimmanente Absurditäten an Hand der herrschenden Arbeitphilosophie veranschaulicht

1. Arbeitszeitverkürzung bzw. –verlängerung, Vorruhestand
Es wurde bereits auf den Zusammenhang zwischen systemimmanenten Gesetzmäßigkeiten der kapitalistisch geprägten Ideologie einerseits und der menschlichen Arbeit andererseits hingewiesen. An keiner Stelle wird dieser Zusammenhang und seine Auswirkungen auf die große Mehrzahl der Menschen derart deutlich wie hier: Auf Grund der stetig vorangeschrittenen Technisierung wurden die Arbeitsabläufe in einem niemals gekannten Tempo vereinfacht. Eine feine Sache, sollte man denken, verringert genau dies doch den viel zitierten Schweiß im Angesicht des arbeitenden Menschen. Sollte man denken... . Seltsam nur, dass die Belastungen für den arbeitenden Menschen während dieser Entwicklung nicht etwa gesunken, sondern gestiegen sind. Die Politiker werden nicht müde, ständig zu predigen, wir müssten uns mehr anstrengen, länger arbeiten. So wohl in Bezug auf die Tagesarbeitszeit, als auch die Jahresarbeitszeit (Urlaubsverzicht!), als auch in Bezug auf die Lebensarbeitszeit. Gleichzeitig haben wir ein Heer von Millionen von Arbeitslosen. Die Logik der Wirtschaftslobbyisten und neoliberalen Politiker besteht nun darin, dass eine Verlängerung der Arbeitszeiten zur Folge hätte, dass die Arbeitslosigkeit sinken würde. Eine derartige Logik kann nur jemand verkaufen, der vorher sein Gegenüber gründlich gehirngewaschen hat.

Dies ließe sich konkret am Beispiel des Vorruhestandes veranschaulichen. Um dieses Modell zu verteufeln, schreckt man nicht einmal davor zurück, die Menschen schlicht vorsätzlich in die Irre zu führen: „Die breit angelegte Anwendung der Vorruhestandregelung hätte nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit geführt“, so hört man die Apologeten der Menschen verachtenden Arbeitsphilosophie immer wieder. Einem seriösen Wissenschaftler würden bei eine derartigen Aussage die Haare zu Berge stehen. Weshalb? Die Aussage ist eine absolute ohne vergleichenden Bezug (der übrigens auch nicht möglich ist, weil er spekulativ bliebe). Das bedeutet, dass diese Aussage eben nicht beinhaltet, wie sich die Arbeitslosigkeit entwickelt hätte ohne Anwendung dieses Modells. Sehr wahrscheinlich wäre sie noch schneller bzw. stärker angestiegen.

Eine weitere Absurdität besteht darin, das Augenmerk in besonderer Weise darauf zu lenken, ältere Arbeitslose ‚in Arbeit zu bringen’, wie es die Politiker immer wieder gern formulieren. Erfüllen wir das doch einmal mit Leben: Viele ältere Arbeitnehmer sind bereits mehrere Jahrzehnte einer Beschäftigung nachgegangen und entsprechend verbraucht. Sie sehnen sich ihr wohlverdientes Rentnerdasein förmlich herbei. Gleichzeitig blockieren sie unfreiwillig Arbeitsplätze, die von jungen Menschen besetzt werden könnten. Auf diese Weise ist keiner Seite gedient: Dem älteren Arbeitnehmer nicht, weil er sich eher zur Arbeit quält, als dass er Freude an ihr hätte; dem jüngeren potenziellen Arbeitnehmer nicht, weil seine Chancen auf diese Weise noch kleiner werden, in ein Beschäftigungsverhältnis zu kommen und schließlich auch dem Unternehmen nicht, das anstelle eines unverbrauchten und motivierten jungen Mitarbeiters einen unmotivierten älteren Arbeitnehmer ‚durchschleppen’ muss, der längst die so genannte ‚innere Kündigung’ ausgesprochen hat. Logisch? Im Sinne aller Menschen?

2. Die Aufhebung der Unzumutbarkeitskriterien
Dieser Teil der HARTZ-Gesetzgebung stellt wohl den Aspekt dar, welcher die Menschenwürde in eklatanter und dreistester Weise verletzt. Ohne Unterschied und völlig der Willkür des entsprechenden Sachbearbeiters ausgeliefert, wird dem Menschen ein ganz elementares Selbstbestimmungsrecht genommen, nämlich das der freien Berufswahl.

3. Liberalisierung/Aufhebung der Ladenschlussgesetze
Dieses Beispiel veranschaulicht die Degradierung der menschlichen Arbeitskraft zum rein ökonomischen Faktor sehr deutlich. Er soll möglichst frei verfügbar sein; arbeiten, wenn es ökonomisch erforderlich erscheint. Absurd an dieser Maßnahme ist die Vernebelung des gesunden Menschenverstandes durch die Gier: Man erhofft sich dadurch tatsächlich ernsthaft Umsatzsteigerungen wider des besseren Wissens, dass der Anteil des Einkommens, welches die Konsumenten hierfür aufwänden können, in keiner Weise von den Öffnungszeiten der Läden bestimmt wird. Es muss eigentlich mehr dahinter stehen, womit wir wieder bei der Disziplinierung der Arbeitskräfte wären und natürlich auch bei Bestrebungen größerer Anbieter, die kleineren schlicht zu vernichten, weil letztere nicht in dem Maße davon profitieren wie die großen. Es reicht offenbar nicht aus, dass bereits tausendfach kleinere ökonomische Einheiten aus dem Wettbewerb gedrängt wurden. Führt man diesen Gedanken weiter, mündet diese Art der Konzentration in einem Monopol, einer Allmachtstellung eines einzigen Anbieters – der Traum und das Ziel jeglichen Anbieters innerhalb des globalen Wettbewerbs.

4. Die Bestimmung des Bewusstseins durch die Warengesellschaft
Werbung, hinter welcher sich nichts anderes verbirgt als die Weckung, Bedienung und Förderung rein materieller Werte, verhält sich gegenüber der Entwicklung und Pflege ideeller Werte diametral. Als ideelle Werte kommen beispielsweise ‚Solidarität’, ‚Empathie’, ‚Altruismus’ oder ‚Bescheidenheit’ die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Wertschätzung steht, oder auch etwa ‚Maß’ in Betracht. All diese ideellen Werte behindern das rein ökonomisch definierte Bewusstsein und das entsprechende Denken. Dass sich der Mensch innerhalb dieses Prozesses selbst etwas vormacht, sich selbst betrügt, merkt er freilich nur höchst selten. Er verkauft sich an ein System, das ihn mittel- und langfristig im wahrsten Sinne zersetzt, ihn zum rücksichtslosen Zombie erzieht. Das Heimtückische daran ist, dass dieser Prozess ganz langsam vonstatten geht, was er auch muss, denn anderenfalls wäre er sofort erkennbar und als Menschen verachtend offenkundig. Nirgends wird dies so deutlich als bei der herrschenden Arbeitsphilosophie – der Kreis schließt sich. Diese Arbeitsphilosophie ließe sich also wahrscheinlich nur über eine breite Bewussteinsveränderung überwinden, was gleichzeitig so völlig logisch wie auch schwierig erscheint.

Carsten Krug, geboren 1957, ist seit 2002 passives Mitglied in der damaligen PDS, heute Linkspartei und aktiver Befürworter der Fusion mit der WASG. Er ist von Beruf Sportredakteur und gelernter Versicherungskaufmann. Er ist bereits seit langem Mitglied bei ver.di.