Mittwoch, 30. November 2011

Geschichte zweier Spiele, Teil 1/2: Call of Duty Modern Warfare 3

Von Stefan Sasse

Call of Duty Modern Warfare 3 box art.pngIn den letzten Wochen sind zwei große Titel fest etablierter Reihen erscheinen: Call of Duty Modern Warfare 3 und Assassin's Creed Revelations. Modern Warfare 3 ist der mittlerweile achte Teil der Call-of-Duty-Reihe, während ACR der vierte Teil der Assassin's-Creed-Reihe ist. Nach dem Durchspielen beider Einzelspieler-Kampagnen war ich mehr als überrascht, wie fundamental entgegengesetzt die Geschichten sind, die in diesen Spielen erzählt werden. Beide vermitteln ein bestimmtes Wertesystem, kommentieren politische und gesellschaftliche Probleme der heutigen Zeit. Im Folgenden möchte ich zeigen, wie sie das tun und warum Modern Warfare nicht nur äußerst fragwürdig, sondern geradezu gefährlich ist, während die Assassin's-Creed-Spiele dem Spieler zutiefst wertvolle Fragen stellen und ihm etwas mitteilen, das von Bedeutung ist. Im Fokus steht dabei ausdrücklich die Geschichte selbst, die diese Spiele erzählen. Es geht nicht um Mechaniken, nicht um den Mehrspielermodus, nicht um die Grafik. In all diesen Bereichen sind beide Spiele gut, und trotz der sehr  unterschiedlichen Erzählqualität können beide exzellent unterhalten. Dies soll überhaupt nicht in Abrede gestellt werden. Nach dieser Vorrede zur Sache. 

Dienstag, 29. November 2011

Das Demokratieproblem der Linken

Von Stefan Sasse

Ich habe in der Vergangenheit öfter festgestellt, dass Linke vor allem deswegen für Volksabstimmungen sind, weil sie denken ihre eigenen Ziele damit durchsetzen zu können. Man zitiert dann gerne Zahlen wie fast 80% der Deutschen, die einen Mindestlohn wollen oder 90%, die den Rückzug aus Afghanistan wünschen. Stets ignoriert wurden satte Mehrheiten für Forderungen wie die Wiedereinführung der Todesstrafe (gerne auch nur für Sexualstraftäter), härtere Gesetze gegen Migranten oder Minarettverbote. Die Abstimmung um Stuttgart21 legt schonungslos offen, wo Demokratiedefizite in Deutschland liegen. Dass beispielsweise die Interessen des Großen Geldes über wesentlich mehr Durchsetzungskraft verfügen als die derjenigen, die über dieses Geld nicht verfügen war auch im Falle Stuttgart21 offenkundig, obgleich es sich noch in Grenzen hielt, vergleicht man es etwa mit der hyperaggressiven Lobbyarbeit von Steuersenkern in den USA (siehe Zeit). Etwas überraschender für manche mag sein, dass es auch ein krasses Demokratiedefizit auf der Linken offenbart hat, besonders was das Akzeptieren der Niederlage angeht. Anzeichen dafür gab es bereits im Vorfeld. Hermann Zoller, der für die NachDenkSeiten mehrmals über Stuttgart21 schrieb, beklagte im Vorfeld exzessiv die Wahlwerbung der Gegenseite. Seine Vorwürfe waren dabei völlig abstrus, bezogen sie sich doch praktisch ausschließlich darauf, dass die Gegenseite überhaupt Werbung machte. Was in einem demokratischen Prozess völlig normal sein sollte, wurde mit praktisch religiösem Eifer verfolgt. 

Montag, 28. November 2011

Wunder ausgeblieben, Trend bestätigt

Von Stefan Sasse

Das Referendum gegen Stuttgart21 ist gescheitert. Wegen des hohen Quroms war das ohnehin absehbar; Ministerpräsident Kretschmann sprach von einem "Wunder", dem ein Erfolg gleichkäme. Das finale Ergebnis aber lässt keine Fragen offen: nur 41,2% stimmten für den Ausstieg aus S21, 58,8% dagegen. Tanja Gönner, die Fraktionsvorsitzende der CDU Baden-Württemberg und als ehemalige Verkehrsministerin schwer involviert, freut sich natürlich wie Bolle über das Ergebnis und erklärt, dass man Recht gehabt habe: eine schweigende Mehrheit war immer schon für das Projekt, die Protestierenden eine wenn auch lautstarke Minderheit. Das Ergebnis gibt ihr Recht. Tatsächlich war die Frage um S21 offensichtlich eine Minderheitenposition. Abgestimmt haben zudem nur knapp 50% der Wahlberechtigten, was allerdings im Vergleich mit anderen Volksentscheiden inner- und außerhalb Baden-Württembergs eher im normalen Bereich liegt, so sehr man das auch bedauern mag. Bleibt die Frage, wie die Zahlen zu interpretieren sind. Fefe jedenfalls versteht die Schwaben nicht:
In der Volksabstimmung haben bloß 41,2% dafür gestimmt, S-21 abzubrechen. Wie jetzt? Er wählen sie den Mappus weg und einen Grünen hin und dann wählenwstimmen sie ab, dass der Grüne den Bahnhof bauen muss?! Sind die alle ein bisschen schizophren? 
Keinesfalls. Eigentlich ist dieses Ergebnis sogar eine gute Nachricht. Denn tatsächlich haben die Baden-Württemberger die CDU abgewählt, daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Und während Tanja Gönner sich in der Bestätigung ihrer These der schweigenden Mehrheit für S21 sonnt, ist die viel schwerwiegendere Implikation dieses Wahlergebnisses offensichtlich noch bei niemandem angekommen. 

Donnerstag, 24. November 2011

Das Vermächtnis der Angela Merkel

Von Stefan Sasse

Es ist schwer vorstellbar, dass Angela Merkel sich mit der gleichen Hingabe der Vermächtnispflege widmet, mit der etwa Schröder und Kohl das getan haben (der eine als Kanzler der Agenda-Reform und des Friedens, der andere als Kanzler der Einheit und Europas). Wenn irgendein Histroriker später schreibt, "sie hat ihren Job gemacht" würde sie sich diesen Satz wohl rahmen lassen. Nur, was auch immer Merkel sich als ihr Vermächtnis vorgestellt hat, und ganz egal wie lange sie noch Kanzlerin bleiben wird, der Umgang mit der großen Finanz- und Eurokrise wird zumindest einen wesentlichen Teil dessen ausmachen, an das man sich später erinnern wird, wenn die Rede auf ihre Kanzlerschaft kommt. Und das vermutlich nicht in positivem Sinne. Denn was Merkel bisher bereits in schier atemberaubenden Tempo gelungen ist ist nicht weniger als eine Vollbremsung im Prozess der europäischen Integration und eine Umkehrung der Tendenz, die uns den europäischen Frieden für über 50 Jahre bewahrt hat. Angela Merkel - und die schwarz-gelbe Regierung, das sollte man nicht vergessen - sind europafeindlicher und zerstörerischer gegenüber diesem Projekt, als es die LINKE je hätte werden können, wenn sie eine komplette Umstrukturierung der EU fordert. 

Leiden ist christlich

Von Stefan Sasse

Du, Rick Santorum, bist offiziell ekelhaft. Ernsthaft. Richtig. Widerlich.



Suffering is a part of live? Sagte der Mann, dessen reiche Eltern ihn ihr Leben lang haben "entitled" fühlen lassen.

Mittwoch, 23. November 2011

Guttenbergs Rückkehr

Von Stefan Sasse

Die ganze Berichterstattung und Spekulation über einen Comebackversuch Guttenbergs ist Teil eines Spiels. Es ist das Lieblingsspiel der Journalisten und der meisten ihrer Leser: wird Promi XY den Regeln gemäß agieren oder nicht? Bricht er aus? Wenn ja wo? Man kann dieses Spiel im Fußball beachten, wenn über neue Trainer spekuliert wird. Man kann es in der Filmbranche sehen, wenn ständig neckisch irgendwelche Regisseure oder Schauspieler nicht ausgeschlossen werden. Und man sieht es in der Politik, wenn irgendwelche Leute nicht kandidieren wollen ("Ich bin kein Präsidentschaftskandidat"). Solcherlei Spiele halten die Schlagzeilen voll, man kann bekannte Gesichter hinsetzen und hat Spaß dabei, weil jeder versteht worum es geht. Ähnlich leichte Berichterstattung über den Europäischen Rettungsschirm? Undenkbar. Ich halte es für ausgemachte Sache, dass Guttenberg ein Comeback starten will, oder dass Peer Steinbrück Kanzlerkandidat werden will. Das Zieren gehört nur zum Spiel. Da Guttenberg sich schon zu seiner kurzen aktiven Zeit als wahrer Meister der öffentlichen Inszenierung gezeigt hat ist es natürlich besonders ergiebig, sein Spiel zu beobachten. 

Dienstag, 22. November 2011

Sprachmassaker bei Hahne

Von Stefan Sasse

Peter Hahnes Talkshow hat gegenüber dem ganzen Rest der unsäglichen Bande einen entscheidenden Vorteil: öfter mal sitzen da nur zwei mit dem Moderator zusammen, was immerhin so etwas wie eine Diskussion ermöglichen könnte. Da hört das Positive aber auch schon auf. Nicht nur, dass Hahne genausowenig wie seine Kollegen darauf verzichten kann, jeden Gesprächsfluss mit Einspielfilmchen abzuwürgen, derer es absolut nicht bedarf. Er ist auch ein eitler Gockel, der sich selbst mit vollem Recht als privilegierten Gesprächsteilnehmer begreift. Das führt dann dazu, dass man zwar eine halbe Stunde irgendwie ein Thema beackert. Aber immer, wenn gerade jemand so etwas wie ein Argument auspacken könnte, das tatsächlich so etwas wie eine Diskussion in Gang brächte, mischt sich Hahne ein, um eine billige Anekdote einzubringen, die zwar Zustimmung des Zuschauers und ein gequältes Lächeln bei den Gästen hervorruft, aber jeden Versuch einer thematischen Auseinandersetzung beendet. Aktuelles Beispiel gefällig? "Was machen wir aus unserer Sprache?" lautet der Titel, und zu Beginn kündigt Hahne groß an, dass zwei Personen, die nie zuvor am selben Tisch saßen zusammengebracht wurden: Sascha Lobo und Bastian Sick. Auf der einen Seite das Aushängeschild von "das Internet", auf der anderen Seite die Heilsfigur der Sprachschützer und Grammatiknazis. Tatsächlich hätte das eine interessante Diskussion werden können, wenn da nur der Moderator nicht wäre. 

Montag, 21. November 2011

Bedürfnis nach einem Dritten Weg?

Von Stefan Sasse

In meinen Berichten von der Piratenpartei schrieb ich letzthin, dass es den Piraten gelingen könnte, einen dritten Weg aufzuzeigen, der aus den derzeit verhärteten Fronten aus der Krise weisen könnte. Diese Formulierung war zugegebenermaßen etwas unüberlegt, ist doch der "Dritte Weg" mit der Neoliberalisierung der Sozialdemokratien Europas, in besonderer Weise aber Labour und der SPD, verknüpft. Davon soll hier aber keine Rede sein. In der Rückschau, spätestens, ist klar geworden dass dieser "dritte Weg" niemals einer war. Von einer Verknüpfung von Kapitalismus und Sozialismus, was der selbst gestellte Anspruch irgendwie war, ist effektiv nichts geblieben als ein sozialstaatlich verbrämter Reformkurs nach dem neoliberalen Glaubensbuch, mitsamt seinen Kürzungen, Anreizen, Streichungen und Förderungen. Das aktuelle Problem der Politik, das direkt mit ihrer eigenen Unbeliebtheit korreliert, scheint aber genau das Fehlen eines Dritten Weges zu sein. Weder die so genannten "Bürgerlichen" um CDU und FDP noch die so genannten "Linken" um SPD, Grüne oder LINKE scheinen eine überzeugende Antwort, eine Art gesellschaftlicher Vision zu haben. Das ist merkwürdig, denn eigentlich sollte in einer globalen Kapitalismuskrise doch eigentlich die LINKE gerade solche Antworten haben. Eine Antwort fand ich jüngst im Spiegel 45/2011 in einem Porträt Sahra Wagenknechts, in dem der Autor schrieb, dass die Menschen zwar die zerstörerischen Ziele der LINKEn teilten - also die Entmachtung von Banken, die Regulierung der Wirtschaft, stärkere Besteuerung der Reichen usw. - aber nicht das, was sie konstruktiv erreichen wollte, also eine Art gemäßigten Sozialismus. Und ich glaube, genau da liegt der Hase im Pfeffer. 

Heute Show zum Verfassungsschutz

Von Stefan Sasse

Freitag, 18. November 2011

Der umstrittene Bundeswehr-Clip

Von Stefan Sasse



Ich find ihn ja vor allem hochgradig albern. Aber hier hauptsächlich zur Dokumentation, da die Regierung ihn ja sofort wieder gelöscht hat.

Warum Liberale das zweite Ammendment lieben sollten

Übersetzt aus dem Englischen von Stefan Sasse

Liberale lieben die Verfassung. 

Fragen Sie irgendjemanden auf der Straße. Sie werden Ihnen sagen, dass die American Civil Liberties Union (ACLU) eine liberale Organisation ist. Während der dunklen Tage der Bush-Regierung hat sich die Mitgliederschaft verdoppelt, weil so viele Amerikaner zunehmende Beschränkungen ihrer Freiheiten fürchteten. Wenn Sie Liberale nach ihren fünf schwerwiegendsten Beschwerden über die Bush-Regierung fragen würden, kämen unweigerlich Varianten der Worte "zerfetzen" und "Verfassung" im selben Satz vor. Sie würden außerdem "vierter Verfassungszusatz" und "Rechtsstaatsprinzip" sagen. Vielleicht würden sie auch über "Zone der Redefreiheit" oder "habeas corpus" reden. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie, vermutlich in Kombination mit mehreren von der FCC verbotenen Adjektiven, die früheren Generalstaatsanwälte John Ashcroft und Alberto Gonzales nennen. Und während Liberale sicherlich nicht für Gesetzlosigkeit eintreten und die Notwendigkeit bestimmter Einschränkungen anerkennen, so ist es doch weithin akzeptiert, dass Liberale dafür eintreten unsere Freiheiten großzügig zu interpretieren und beständig zu erweitern und die Weisheit und Notwendigkeit hinter allen Einschränkungen beständig hinterfragen. Liberale können juristische Präzedenzfälle zitieren, Nachrichtensendungen und erschöpfende Studien. Und, praktisch ohne Einschränkung, daraus die Notwendigkeit abzuleiten, die Bürgerrechte zu respektieren und nicht einzuschränken. Bis auf eines: das Recht Waffen zu erwerben und zu tragen. 

Donnerstag, 17. November 2011

Ein Abend unter Piraten, Teil 3: Nachklapp

Von Stefan Sasse

Von Martin Eitzenberger, Vorsitzender der Piratenpartei Stuttgart:
Daten
Die Fälle der U-Bahn-Schläger sind ein gutes Beispiel. Die Täter wurden nämlich nicht anhand der Videoaufzeichnungen identifiziert, sondern aufgrund der darauf folgenden schnellen Reaktion der Polizei. Auf den Videos konnte man die Täter nichtmal zweifelsfrei identifizieren. Aus philosophischer Sicht sollten wir uns die Frage stellen: Wollen wir, dass sich jemand "richtig" verhält, weil er keine Wahl hat, oder wollen wir, dass sich Menschen aus eigenem Antrieb heraus "richtig" verhalten? ... Typisches Erziehungsbeispiel: Wer zu hause zu gut behütet ist (unter der allumfassenden Kontrolle seiner Eltern steht), der hat später im Leben eher Schwierigkeiten mit eigenverantwortlichem Handeln, als jemand, der die Chance erhält, die Dinge selbst richtig zu machen, mit dem Risiko eben Fehler zu begehen - und aus diesen Fehlern zu lernen. Die andere philosophische Frage ist: Wollen wir uns hier ein wenig gefühlte Sicherheit auf kosten der Freiheit erkaufen? Da keule ich ganz gerne: Totalitäre Regime treffen auch viel zügiger politische Entscheidungen, allerdings auf Kosten der Freiheit. Dieses Bewusstsein fehlt im Bezug auf moderne Technologien noch bei den meisten Menschen, da diese noch relativ neu sind und großflächiger Missbrauch v.a. noch außerhalb des Wahrnehmungshorizontes der Menschen stattfindet (etwa in China). Natürlich könnte die Polizei mehr leisten, wenn sie etwa jederzeit anlasslos und ohne weiteres die Wohnung von jedem insgeheim durchsuchen könnte, man denke etwa an Drogendelikte. Hier hat man allerdings bereits historische Erfahrungen. Unsere Sorge ist es, dass uns diese Lernkurve bei modernen Technologien erst noch bevor steht, wenn wir nicht frühzeitig deren Einsatz zum Eingriff in die Privatsphäre der Menschen zumindest angemessen regulieren.

Mittwoch, 16. November 2011

Ein Abend unter Piraten, Teil 2: Let's talk specifics

Von Stefan Sasse

Sören-Frederic Fischer
Nachdem quasi der offizielle Teil des Stammtischabends bei den Piraten Stuttgart abgeschlossen war, hatte ich die Gelegenheit ein längeres Gespräch mit Sören, dem stellvertretenden Kreisverbandsvorsitzenden und Landtagskandidat 2011 zu führen. Unser Gespräch hangelte sich an einigen Themenblöcken entlang. Ich will im Folgenden meine Fragen an Sören und seine Antworten beschreiben und jeweils eine Analyse nachschieben. Die Antworten auf die Themen stellen dabei keine offizielle Stellungnahme der Piratenpartei dar, sondern sind als Privatmeinungen eines Piratenfunktionärs zu sehen - die sich, der Natur der Sache entsprechend, mit der Partei weitgehend decken, wo Beschlüsse von deren Basis bereits gefasst wurden. Genug der Vorrede; in medias res. 

Dienstag, 15. November 2011

Ein Abend unter Piraten, Teil 1: Basisdemokratie@work

Von Stefan Sasse

Am Montagabend war ich Gast auf dem zweiwöchentlichen Stammtisch der Piratenpartei Stuttgart. Ich wollte mir endlich einmal persönlich ansehen, wie Transparenz und Basisdemokratie sich in der Praxis ausnehmen und die Piraten zu bestimmten Themen befragen, die in der öffentlichen Debatte meiner Meinung nach deutlich zu kurz kommen. Im ersten Teil der Erzählung dieses Abends will ich den organisatorischen Teil schildern. Ich hoffe, ihr gebt mir ein bisschen Bonuspunkte dafür, dass ich in dem Artikel auf dämliche Piratenmetaphern verzichte. Kein Schiff ahoi, Entern, Klarmachen oder Kapern. Ich tauge wohl nicht zum Spiegel-Redakteur. - Aber ich schweife ab. Der Piratenstammtisch ist offen für alle, ob sie nun Mitglieder sind oder nicht. Man kann einfach vorbeigehen und, was wohl ein einzigartiges Experiment ist, mitreden und mitabstimmen, auch wenn man nicht Mitglied ist. Zu Beginn ihrer Stammtische arbeiten die Stuttgarter Piraten immer ihre organisatorischen Fragen ab. Dieses Mal war das in Form von sieben Tagesordnungspunkten organisiert und wurde, straff moderiert von Versammlungsleiter Dave, in knapp einer Stunde abgehandelt. Für Nicht-Piraten - und davon war eine ganze Menge anwesend - war das relativ ermüdend. Die Piraten selbst legten allerdings Wert darauf, dass dies der Preis der Transparenz sei. Ihre Versammlungen finden gleichsam unter freiem Himmel statt (oder, in diesem Fall, in einer Pizzeria) und kennen keine abgeschlossenen Vorstandsbschlüsse. Das Unbequeme gehört mit zur Basisdemokratie, dieser Einsicht verschließt man sich nicht, man umarmt sie eher.

Montag, 14. November 2011

Die CDU-"Einigung" zum Mindestlohn

Von Stefan Sasse

Die CDU hat sich nun auf eine Version des Mindestlohns geeinigt, die so weichgespült wie eben möglich ist. Nach Aussagen praktisch aller Beteiligter ist das die Wunschvariante Merkels. Das passt wie die Faust aufs Auge. Nicht nur, dass Merkel den Mininmalkonsens vertreten hat. Auch, dass sie sich damit zu 100% durchsetzen konnte. Was sie von Anfang an wollte ist nun Wirklichkeit: die CDU hat einen Fuß in der Tür eines Themas, das ihr potentiell hätte gefährlich werden können und kann nach beiden Seiten Absicherung betreiben. Gegenüber den Arbeitnehmern kann sie auf die prinzipielle Durchsetzung, gegenüber den Arbeitgebern auf die generelle Wirkungslosigkeit des Mindestlohns verweisen. Das ist genau die Art Cleverness, für die Merkel bekannt ist. Es ist ein Kompromiss zum Machterhalt, fein austariert und tragfähig. Eine Lösung des Problems versucht er erst gar nicht, da kann von der Leyen davon fabulieren wie sie will. Aber das war für Merkel auch nie das Ziel. Diese Kanzlerin ist vor allem eines: Machttaktikerin. Sie versteht sich meisterhaft darauf. Was man ihr beständig als Opportunismus ankreidet, ist für sie eine Tugend. 

Sonntag, 13. November 2011

Triumph des Rechtsstaats?

Von Stefan Sasse

Die Debatte um die Deutung der Geschehnisse, die mit Schirrmacher und Habermas in der FAZ begonnen und von Steingart im Handelsblatt fortgesetzt wurde, geht in die nächste Runde. Ebenfalls in der FAZ, im neu gegründeten Wirtschaftsblog "Fazit", erklärt Rainer Hank, dass Habermas eine völlige Fehleinschätzung hinlege und dass es sich bei dem Abtreten von Regierungen auf Druck der Finanzmärkte nicht um ein postdemokratisches Phänomen, sondern vielmehr um einen Triumph des Rechtsstaats handeln würde. Diese etwas ungewöhnliche Einschätzung erfordert von Hank eine kleine Volte, indem er die Staatsschulden zu normalen Verträgen mit realen Personen, die hinter den Finanzinstitutionen stünden erklärt und auf dem simplen Fakt, dass Staaten niemals zahlungsunfähig, sondern allenfalls zahlungsunwillig sein können (da sie theoretisch unbegrenzt Geld drucken oder Abgaben erhöhen und Ausgaben zurückfahren können), dass die Zurückbezahlung von Staatsschulden schlicht eine sine qua non des Rechtsstaats und daher eine Austeritätspolitik gegen die "wildgewordene Mehrheitsdemokratie" angeraten sei. Das ist zumindest eine fragwürdige Argumentation, und zu ihrem Kern kommen wir auch gleich. Vorher müssen wir uns allerdings mit der Frage beschäftigen, ob tatsächlich Habermas' und nicht vielleicht doch Hanks Demokratieverständnis der Nachfrage bedarf. 

Freitag, 11. November 2011

In Eigener Sache

Von Stefan Sasse

Wegen der Anfrage eines Users musste ich feststellen, dass Blogger irgendwann einmal ungefragt einen Spamfilter für Kommentare eingestellt hat. 50 Kommentare waren da insgesamt drin, von denen immerhon sechs auch tatsächlich Spam waren. Den Rest habe ich jetzt freigeschalten. Es tut mir sehr Leid für alle, deren Kommentare bisher verschluckt wurden. Mir war das selber nicht klar. Wenn ihr dem Problem ab sofort weiter begegnet, schreibt mir einfach eine Mail. Ich werde auch versuchen, künftig immer wieder selbst zu checken dass so etwas nicht mehr passiert. Ich hoffe, niemand lässt sich davon das Kommentieren vermiesen.

Social Networks und Online-Betriebsplattformen: die nächste Systemrelevanz

Von Stefan Sasse

Immer wieder bekommen wir von einschlägiger, weil gängigerweise uninformierter, Stelle zu hören, dass die sozialen Netzwerke unser Leben verändern. Das Internet hat bereits jetzt gewaltige Auswirkungen auf das Freizeit- und Sozialverhalten und Jugendlichen, eine Zäsur, die wohl allenfalls mit dem Aufkommen des Fernsehens vergleichbar ist - wenn überhaupt. Das Internet und seine Plattformen haben aber nicht nur unser Sozialverhalten bedeutend geändert und Lebensabläufe variiert; auch das Konsumverhalten hat sich geändert. Musik kann inzwischen statt auf teuren, einschränkenden Tonscheiben im teuren, einschränkenden iTunes-Shop erstanden werden, und Videospiele werden über allerlei Plattformen wie Steam oder Origin gekauft, während Amazon sich gerade anschickt, den Büchermarkt des 21. Jahrunderts zu dominieren. Diese Entwicklungen verlaufen alle im Schatten von Facebook, das die Aufmerksamkeit und Lernkapazität der meisten Zeitgenossen hinreichend fesselt. Der Aufstieg dieser Systeme allerdings schafft einige Probleme, die in der öffentlichen Debatte hinter so fesselnden Fragestellungen wie der Strafbarkeit von Straftatbeständen nach Ankündigung auf Facebook klar zurückstecken müssen. Im Klartext: kommt hier die nächste Systemrelevanz-Krise auf uns zu?

Donnerstag, 10. November 2011

Der Neoliberalismus vor dem "Endsieg"?

Von Jürgen Voß

Superlative – schlechte wie gute – gehen uns in der Alltagssprache oft viel zu leicht und damit auch viel zu häufig über die Lippen. Doch was wir zurzeit auf der politi-schen Bühne erleben, stellt wohl alles, was wie uns noch vor fünf oder sechs Jah-ren an Horrorszenarien vorzustellen gewagt hätten, in den Schatten.

Geschah schon die „Bewältigung“ der ersten Finanzkrise 2007 so, dass wir alle glaubten, wir befänden uns in einem falschen Film, läuft zur Zeit im Rahmen der sog. Eurokrise, ein Schurkenstück ab, wie es wohl in dieser Unverfrorenheit seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht mehr vorgekommen ist. Eine sich wissenschaftlich drapierende Ideologie richtet nun seit dreißig Jahren nur soziales und ökonomisches Unheil an, ruiniert die Gesellschaften ganzer Staaten, provoziert die schlimmste Rezession seit 1929 und vernichtet Millionen Existenzen. Doch damit nicht genug. Die Krise eines Währungsraumes, hervorgerufen durch im Dunkeln agierende Zocker, soll jetzt den entscheidenden Schlag gegen die Reste des Nachkriegswohlfahrtsstaates, entstanden in der Defensivposition des Kapitals gegenüber dem bis zur Elbe vorgedrungenen Kommunismus, ermöglichen: Durch eine rabiate, aller wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Austeritätspolitik, die den Nationen des Eurosüdraums aufgezwungen wird und sie garantiert noch tiefer ins Desaster stürzen lässt (wie das Beispiel Griechenland zeigt), als sie es durch ihre „Neoliberalismus-light“ Politik bislang schon waren.

Mittwoch, 9. November 2011

Was am Ende übrig bleibt

Von Stefan Sasse

Die Finanzkrise ist in der Öffentlichkeit vorbei, ersetzt durch eine Schuldenkrise, in der das alte Narrativ vom dauerschuldigen Staat wieder aufgegriffen wird und Gürtel endlich enger geschnallt werden, damit niemand mehr über irgendwelche Verhältnisse leben kann. Abseits der hektischen Kulissen des Rettungsgeschäfts, das schon fast zur Alltagspolitik geworden ist, machen sich die ersten Intellektuellen Gedanken darüber, was da eigentlich genau passiert ist und welche Schlussfolgerungen überhaupt zu ziehen sind. Angestoßen wurde die Debatte von Frank Schirrmacher, der nach seinem aufsehenserregenden Bekenntnis zum Wahrheitsgehalt der Linken nun erklärte, dass das Primat des Politischen mit dem Primat des Ökonomischen ringe und das Politische dabei zu unterliegen drohe. Jürgen Habermas sprang ihm insofern bei, als dass er die "Würde der Demokratie" in Gefahr sah, wo die Aussicht auf ein Referendum Panik, die halb diktatorische, halb technokratische Übernahme der Regierungsgewalt durch eine "Troika" aber Beruhigung verbreitet. Zuletzt hat Gabor Steingart Stellung zur Debatte bezogen und Schirrmacher wie Habermas direkt angegriffen. Dramatisch warf er ihnen vor, mit der Kugel, die sie zur Verteidigung der Demokratie einluden, in Wahrheit auf die Marktwirtschaft zu zielen. Dieser Gedanke klingt auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich, und es lohnt sich, sich mit ihm zu beschäftigen. 

Dienstag, 8. November 2011

Zwischen Verrat und Triumph

Von Stefan Sasse

In "Zwischen Markenkernen und Zeitgeistern" habe ich die spezifischen Erfolgskriterien einer konservativen Partei und ihrer programmatischen Geschmeidigkeit untersucht. Heute will ich versuchen darzustellen, warum sich linke oder progressive Parteien häufig so schwer tun, etwas gegen diese Erfolgskriterien auszurichten und selbst in den Hochzeiten der linken Volksparteien tendenziell gegenüber den Konservativen im Nachteil waren. Der Unterschied im Verhalten des Elektorats lässt sich plakativ an der Schröder-Ära und ihren Nachwehen erkennen. Am Ende der Großen Koalition besaß die SPD noch 23% der Wählerstimmen. Zu Beginn der Ära Schröder hatte sie noch fast 40% und wurde zum zweiten Mal in ihrer Geschichte stärkste Partei. Es wäre zu einfach, Hartz-IV allein dafür verantwortlich zu machen. Hartz-IV war der Anlass, die Ursache für diesen Zusammenbruch der SPD-Wählerschaft aber ist eine andere. Sie liegt in der spezifischen Mentalität von Wählern der SPD und anderer eher progressiver Parteien, die sich in einigen Punkten fundamental von der der Konservativen unterscheidet. Es handelt sich nicht einmal so sehr um programmatische Fragen; die SPD und die CDU sind sich besonders seit den Kursänderungen der letzten Dekade in ihren Forderungen näher als je zuvor, was wohl auch die große Zahl schwarz-roter Bündnisse erklärt. 

Sonntag, 6. November 2011

Ich weiß nicht was das soll, dass ich so traurig bin, das Märchen von 1914, es geht mir nicht aus dem Sinn

Von Stefan Sasse

Als die europäischen Mächte 1914 in den Ersten Weltkrieg schlittern, teilten ihre Staatenlenker alle ein Gefühl: das hatten sie nicht gewollt. Das durfte nicht sein. Das war furchtbar. Als unvermeidlich sahen es viele trotzdem, und mit düsterem Fatalismus sahen sie dem Kommenden entgegen. Greys Statement "in Europa gehen die Lichter aus, und wir werden sie zu unseren Lebzeiten nicht mehr wieder angehen sehen" gibt diesem Gefühl Ausdruck und sollte sich als allzu wahr erweisen. Heute stehen die Staaten Europas wieder im Frühsommer 1914. Eine Katastrophe wetterleuchtet am Horizont, von ihnen selbst heraufbeschworen, eine unheimliche Dynamik entwickelnd. Ihre eigene Handlungsfähigkeit haben sie fahrlässig bereits Jahre zuvor aus der Hand gegeben. Wie 1914 ist der Druck genau der Gruppe, ihren Plänen und Automatismen zu folgen, die die Krise überhaupt erst heraufbeschworen immens. Wo 1914 das Militär seine starren Pläne nicht ändern wollte und außer dem eigenen Interesse keine Fakten und Situationen anerkannte ist es heute die Hochfinanz, die der Politik die nächsten Züge diktiert. Schritt um Schritt nähert man sich dabei dem kathartischen Zusammenbruch an. Schon jetzt schreit der Boulevard, vorheriger scheinbarer Verbündeter der Staatenlenker damals wie heute, diese Katharsis herbei. Wenn doch der gordische Knoten nur schon durchhauen wäre! Wie lange kann es dauern, bis die Politik, ohnehin nicht mit starkem Willen gesegnet, diesen Wünschen nachgibt? 

Donnerstag, 3. November 2011

Zwischen Markenkernen und Zeítgeistern

Von Stefan Sasse

Die CDU ist nun also für Mindestlöhne. Nein halt, nicht Mindestlöhne, branchenbezogene Lohnuntergrenzen. Oder ist der Begriff doch ein anderer? "Nicht gesetzlich festgelegte", aber doch irgendwie "verbindliche Lohnuntergrenzen in Branchen ohne Tarifvertrag"? Vielleicht doch nur eine genauere Definition dessen, was ein "sittenwidriger Lohn" ist, wie die Losung noch vor Jahresfrist lautete? Unsinn. Die CDU ist für Mindestlöhne. Dass sie nicht die Mindestlöhne fordert, wie sie die LINKE oder die Gewerkschaften gerne sehen würden - geschenkt, das hat auch niemand erwartet. Der Weg ist das Ziel, und in diesem Fall ist er von erheblicher Bedeutung: In den Kommentarspalten aller großen Zeitungen wurde die Frage aufgeworfen, ob die CDU mit ihrem ständigen Aufgeben von Markenkernen nicht irgendwann zu krasse Kehrtwendungen vollziehe. Familienpolitik, Atomausstiegsausstiegausstieg, Euro-Rettung, jetzt der Mindestlohn. Das Leipziger Programm der CDU ist durch die jüngste Wende endgültig beerdigt. 2003 auf dem Höhepunkt der neoliberalen Revolution verabschiedet war es eigentlich schon immer eine Totgeburt. Sein formales Ende mit der Mindestlohnwende ist kein Entkernen der CDU, es ist vielmehr die Rückkehr zu einem solchen. 

Mittwoch, 2. November 2011

Interessenvertretung und Wähler

Von Stefan Sasse

Die aktuellen Rettungsmaßnahmen um den Euro nehmen den Löwenanteil der Aufmerksamkeit über die Aktionen der Regierung in Beschlag. Da geht vieles durch, was nebenbei passiert, und man könnte manchmal fast vergessen, dass es sich um eine schwarz-gelbe Regierung handelt. Zum Glück gibt es noch Monitor; die Redaktion hat in ihrer aktuellen Folge zwei der größten Skandale der jüngsten Zeit herausgestellt. Die FDP war es, die eine Teilprivatisierung des Zahnarztwesens durchsetzt und zugunsten ihrer Ärzteklientel massive Zusatzkosten auf die Versicherten abwälzt, während die CDU dafür verantwortlich ist, über 500 Millionen als riesiges und vor allem unverhofftes Geschenk über die Großindustrie zu kippen und die Kosten auf die Verbraucher abzuwälzen, was sich ab Januar in steigenden Strompreisen niederschlagen wird - für die man dann wohl den Atomausstiegsausstiegsausstieg verantwortlich machen wird. Das wird wohl niemanden überraschen, reden wir hier doch von Schwarz-Gelb. Die Frage ist eigentlich viel mehr, ob diese Art der Klientelpolitik legitim ist oder nicht und wo in der Gleichung der Wähler zu verorten ist. 

Dienstag, 1. November 2011

Kontext Wochenzeitung

Von Stefan Sasse

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass die im April 2011 erfolgte Gründung der unabhängigen Kontext-Wochenzeitung völlig an mir vorbeiging. Das Magazin erscheint einmal wöchentlich (Mittwochs) im Internet und liegt gedruckt der Samstagsausgabe der taz bei. Unbedingt anschauen; die Jungs haben sich besonders im Umfeld von S21 einen Namen gemacht und bieten auch ansonsten eine Fülle interessanter Artikel abseits des Mainstreams.