Samstag, 28. April 2018

Vermischtes 27.04.2018 - Warum Söder nicht Full Metal Jacket schauen sollte und CSU-Wähler Trumps Wirtschaftspolitik mögen

Im Folgenden finden sich einige interessante Artikel über die ich in letzter Zeit gestoßen bin sowie einige Anmerkungen dazu. Zur besseren Bezugnahme in den Kommentaren sind die Artikel durchnummeriert. Der jeweilige Kommentar von mir setzt voraus, dass die verlinkten Artikel gelesen wurden. Ich habe experimentell noch Zitate aus den verlinkten Artikeln eingebaut. Gebt mir Rückmeldung, wie ihr das findet.
1) Tweet von Markus Söder // Söders Staat zeigt seine Muskeln Kann mir noch mal jemand kurz erläutern wie das gleich war mit diesen schrecklichen linken und ihren identity politics, die sie jedem aufzwingen?
Söder scheint diese Analyse zu teilen, denn er reagiert jetzt mit einem Maßnahmenpaket, das die "christliche-abendländische Prägung" symbolisch überhöht, das aber vor allem Geld verteilt und den Staat ausbaut. Massiv ausbaut. Sichtbar ausbaut. Überall im Land. Es ist das maximale Kontrastprogramm zu Deregulierung, Bürokratieabbau und Zurückhaltung eines Nationalstaates, der fragt, ob er angesichts des Klimawandels, der Globalisierung und der Digitalisierung überhaupt noch handlungsfähig ist. Söder sagt: Bayern ist es auf jeden Fall! So selbstbewusst hat der Staat lange nicht mehr eigene Steuerungsfähigkeit behauptet. In dieser Hinsicht ist Söder: radikal. Wenn sein Plan aufgeht, könnte es das Selbstverständnis der Parteien und des Staates dauerhaft verändern.

Der verlinkte Artikel von Jonas Schaible ist eine ergänzend sehr gut gelungene Analyse von Söders politischem Programm, zu der kaum etwas zu ergänzen ist. Ich schaue ambivalent darauf. Wenn das klappt, dürfte es den internen Merkel-Kritikern Auftrieb geben und helfen, die Union wieder ein Stück nach rechts zu schieben und die Flanke zur AfD zu decken. Wenn es aber nicht klappt könnte es auf der anderen Seite einfach nur das Overton-Fenster nach rechts schieben, was der AfD hilft und allen anderen schadet. Wir werden im Oktober sehen, welche Variante es wird.
2) The Party of Ike
Eisenhower’s story has something to offer the beleaguered moderate conservatives of America. He was not particularly ideological, though he had core convictions; but his was a life that sets an example worthy of emulation and reflection. He was no Lincoln, but for American conservatives in the years to come he may be more appealing than Reagan, embodying as he did qualities of prudence, diligence, and broad-mindedness that are the antithesis of politics in the age of Trump.
In letzter Zeit erscheinen immer mehr Porträts der Präsidentschaft Eisenhowers. Da die Präsidentschaft von Bush 41 in der heutigen GOP als Häresie totgeschwiegen wird, bleibt auch keine andere halbwegs unbelastete republikanische Identitätsfigur übrig, an die die wenigen verbliebenen moderaten Republicans ihre Hoffnungen hängen können. Ich würde dem oben verlinkten Porträt noch vier Ergänzungen zugeben. Erstens ignoriert die Aufstellung völlig das wohl konsequensenreichste Debakel der Eisenhower-Jahre, den Putsch gegen Mossadegh 1953, der im Iran die diktatorische Herrschaft des Schahs installierte und das Land auf den Kurs brachte, der 1979 in der islamistischen Revolution mündete. Zweitens ist Eisenhowers Entscheidung, massive Bundesmittel in das Interstate-Highway-System zu pumpen deutlich zu wenig hervorgehoben. Die von ihm begonnenen Bauten wurden erst 1993 (!) abgeschlossen, und seither ist das Interstate-System nicht mehr erweitert worden (und verrottet dank der ideologischen Totalblockade der heutigen GOP zusehends). Aber die modernen USA sind ohne dieses System kaum denkbar. Drittens ist die Argumentation des Artikels, er sei, was Rassefragen angeht, ein typischer Vertreter seiner Zeit gewesen, ein ganz schöner Euphemismus. Eisenhower gehörte zu den Army-Offizieren, die aktiv eine De-Segregierung der Streitkräfte verhinderten, was durchaus ein größerer Fleck auf der Weste ist. Und viertens ließ sich Eisenhower auf eine Doktrin ein, die einen massiven Vergeltungsschlag mit Nuklearwaffen vorsah, die sich als völlig unbrauchbar herausstellte und die US-Außenpolitik extrem unflexibel machte. Ansonsten lässt sich wohl nur sagen, dass Eisenhowers Konservatismus' mit dem heutigen praktisch nichts mehr gemein hat. Die Verbindung zwischen ihm und Bill Clinton oder Barack Obama ist deutlicher als mit Mitt Romney oder Donald Trump. Ob er daher als Vorbild für eine Erneuerung der GOP taugt wage ich ehrlich gesagt zu bezweifeln. Franklin D. Roosevelt ist schließlich auch nicht gerade ein Modell, dem die Democrats heute nacheifern sollten.
3) After Toronto attack, why isn't violence against women considered a red flag?

A man cold-cocks the guy in the cube next to him, and it's clearly assault. A man cold-cocks his wife, and welllll, there's two sides to every story, and marriage gets messy, and maybe she's lying, because women, amiright, or maybe she provoked him — a whole litany of excuses place violence toward women in some not-quite-as-serious category.

Ein weiterer Terroranschlag, ein weiterer Täter mit einem Hintergrund von Gewalt gegen Frauen. Wie wir landauf, landab debattieren können inwieweit ein islamischer Hintergrund Terrortaten wahrscheinlicher macht und die offensichtliche (und stärkere, weil religionsüberspannende) Korrelation zwischen einer Geschichte häuslicher Gewalt und Bereitschaft zu anderen Gewalttaten ignorieren können, ist mir völlig schleierhaft.
4) Where countries are cinderboxes, Facebook is a match
Time and time again, communal hatred overruns the Newsfeed - the primary portal for news and information for many users - unchecked as local media are displayed by Facebook and governments find themselves with little leverage over the company. Some users, energized by hate-speech and misonformation, plan real-world attacks.
Die New York Times hat einen (grausig) faszinierenden Hintergrundartikel zu einer blutigen Mordtat in Sri Lanka, wo buddhistische Mönche ermordet werden. Man kann über diese Strudel an Fake News, Filterblasenalgorithmen und mangelnder Inhaltskontrolle nur noch fassungslos den Kopf schütteln. Meine große Hoffnung ist ja, dass Kevin Drum Recht damit hat, dass wir gerade die Kinderkrankheiten von sozialen Netzwerken, KI und dem ganzen anderen Rest erleben und sich das in den nächsten 10 bis 20 Jahren einfach löst. Aber aktuell ist die ganze Vernetzung wirklich zu gleichen Teilen Fluch und Segen. Zeigt einem auch mal wieder wie fehlgeleitet die utopischen Hoffnungen immer sind, die von neuer Technologie befeuert werden.
5) The war against the press
Donald Trump is both the apotheosis of this history and its accelerant. He has advanced the proposition dramatically. From undue influence — that was Agnew’s claim — to something closer to treason: “enemy of the people.” Instead of criticizing The Media for unfair treatment, as Agnew did, Trump whips up hatred for it. Some of his most demagogic moments have been attacks on the press, often by singling out reporters and camera crews for abuse during rallies held in an atmosphere of menace. Nixon seethed about the press in private. Trump seethes in public, a very different act. But his transformation of right wing media complaint goes beyond these lurid performances.
Digby beschreibt in seinem Blogeintrag die Prozesse, die in den USA systematisch die freie Presse untergraben. In geringerem Maße lassen sich diese Mechanismen auch auf Deutschland übertragen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen - weil im letzten Vermischten die Diskussion wieder aufkam - dass dies ein praktisch ausschließlich von rechts laufender Prozess ist. Wer das bezweifelt, sehe in diese Quinnipac-Umfrage: auf die Frage, ob die Medien eher ein Teil der Demokratie oder ein Volksfeind seien, sagten atemberaubende 51% aller befragten Republicans, die Medien seien ein Volksfeind, während nur 37% der Meinung waren, sie seien ein wichtiger Teil der Demokratie. Bei den Democrats, auf der anderen Seite, waren 97% (!) der Meinung, es sei ein elementarer Teil der Demokratie. Die GOP ist, ich sag es immer wieder, schlichtweg keine demokratische Partei mehr und versucht aktiv, die demokratischen Institutionen zu zerstören. Wer aus Bothsiderism oder einfach nur ideologisch motiviertem Vorurteil meint, auch auf die Democrats einschlagen zu müssen und auf diese Art und Weise den Demokratiefeinden Rückendeckung zu geben (wenn es jeder macht ist es irrelevant), macht sich mit schuldig. Es ist so einfach.
6) It's a disgrace not more Republicans are putting country over party
For me, supporting Clinton wasn’t a close call: She was qualified and centrist, and her ethical issues, while real, faded into insignificance compared to Trump’s own. For those reasons, I had expected that many high-profile Republicans would campaign for Clinton. But it didn’t happen. Why? Part of it undoubtedly was Clinton aversion and fatigue. But a lot had to do with the demonization of the Democrats and the tribal loyalty that have long been central to Republican identity — just as demonization of Republicans and a mirror-image tribal loyalty have been the case for Democrats.
Passend dazu haben wir diesen Artikel von Max Boot. Boot ist einer der profiliertesten Neokonservativen und trommelte unter George W. Bush wie kaum ein anderer für den War on Terror, den Patriot Act und den Irakkrieg und sieht auch heute noch den größten Fehler der US-Außenpolitik, nicht mehr Soldaten in diese Länder geschickt zu haben. Ich kann also nicht gerade behaupten, sonderlich viel Sympathie für Boots politische Positionen zu haben, besonders da er auf dem restlichen Feld der Innenpolitik ein ziemlich generischer Republican ist. Boot unterstützte aber auch den Iran-Deal - war also kein so karikaturenhafter Falke wie etwa Trumps neuer Sicherheitsberater John Bolton, der Militärschläge aus Prinzip fordert und jeglichen Krieg führen will - und war im Wahlkampf 2015/16 einer der profiliertesten Never-Trumpers. Noch mehr zu seinen Gunsten muss man werten, dass er davon immer noch nicht abgerückt ist. Würden mehr Republicans tatsächlich ihre Prinzipien leben wie Max Boot (oder Tom Nichols, der als konservativer Denker schwer zu empfehlen ist) wäre uns dieses Desaster erspart geblieben. Stattdessen arbeiten die republikanischen Quislings aktiv an der Zerstörung der amerikanischen Demokratie.
7) People voted for Trump because they were anxious, not poor // Did status anxiety power Trump to victory? Let's look
In a new article in the Proceedings of the National Academy of Sciences, she added her conclusion to the growing body of evidence that the 2016 election was not about economic hardship. “Instead,” she writes, “it was about dominant groups that felt threatened by change and a candidate who took advantage of that trend.” I think you can see the problem: changes in SDO had only a tiny and barely significant effect on the vote for Trump, which suggests that it wasn’t all that important.
Ein Musterbeispiel dafür, wie man "eindeutige" Zahlen haben und sich dann herzhaft über diese streiten kann, bieten die beiden oben verlinkten Artikel. Während der Atlantic die Bedetung der Angst hervorhebt, die Trumps Wähler (und wie so oft gilt das auch für Le Pen, Orban, Weidel, ...) vor so ziemlich allem an der modernen Welt von Globalisierung über Einwanderung zu Emanzipation haben, betont Kevin Drum, der für die Rassismus-Erklärungsansätze in Trumps Sieg nie viel übrig hatte, die Rolle von Trumps Versprechen zur Handelspolitik. Wie viel bei beiden Autoren jeweils confirmation bias ist, bleibt dabei natürlich unklar - in beiden Fällen stützen die jeweils ausgewählten Zahlen ja das vorherrschende Lieblingsnarrativ, ein Problem, das auf viele meiner Artikel hier sicher auch zutrifft.
Ich denke aber in diesem Fall ist der scheinbare Widerspruch deutlich kleiner, als man erst einmal denken mag. Denn Angst vor der Globalisierung ist ja schon seit längerem ein treibender Faktor in großen Bevölkerungsschichten und das Gebiet, auf dem die Ränder links und rechts den größten Überlapp haben. Von allen Versprechungen und Themen aus Trumps Wahlkampf, da bin ich bei Drum, dürfte seine harsche Kritik an den pazifischen und atlantischen Handelsabkommen die wirkmächtigste gewesen sein (und der Handelskrieg, den er gerade entfacht, der beste Beweis für seine Fans, dass er immer noch ihr Mann ist).
Aber: diese Angst ist gleichzeitig verbunden mit anderen Ängsten, das ist es ja, was sie so potent macht. Das Trump'sche Versprechen einer Abschottung des amerikanischen Markts gegenüber dem Ausland ist gleichzeitig ein Versprechen der Aufrechterhaltung der patriarchalischen und rassischen sozialen Ordnung in den USA, ist gleichzeitig ein Versprechen zur Komplexitätsreduxion, ist gleichzeitig ein Versprechen für den Kampf gegen all das "Moderne", was die Wähler stört. Es war ja auch das Thema, das Sanders so gefährlich für Clinton machte.
Dass aber die Rechtspopulisten mit dem Thema so deutlich erfolgreicher sind als die Linkspopulisten - auch in Europa - liegt meiner Meinung nach eben daran, dass sie das Thema so leicht mit den mächtigen Strömen des Antimodernismus, Rassismus und Sexismus verknüpfen können, was der Linken so einfach nicht offen steht. Die kann traditionell zwar versuchen, Klassenkampf zu betreiben - was der Rechten eher schwer fällt -, aber diese Forderungen sind einfach nicht populär genug. Man hat das deutlich in der Finanzkrise gesehen, von der die Linken praktisch nicht profitieren konnten (unter anderem natürlich auch wegen ihres höheren Verantwortungsgefühls). Erinnert sich noch jemand an die Debatte von 2009 über "soziale Unruhen"? Gott war das im Vergleich harmlos. Happy times.

8) Adapting to American Decline

It is becoming harder, though, for America to maintain this global posture. Eventually, it may become impossible, in part because we helped create the conditions that allowed other countries to prosper and grow. There may come a time, not too far in the future, when Americans would be surprised to hear that they are responsible for keeping peace on the Korean Peninsula. Americans should be debating how to manage that transition in a way that avoids destabilizing the rest of the world. Unfortunately, if the current administration’s maneuvers between the two Koreas are any indication, this is the last thing on the minds of policymakers.
Dieser Artikel ist, auch im Hinblick auf die Russland-Debatte, unbedingt zu empfehlen. In den USA erhalten die Denker, die den Supermachtstatus der USA leise beerdigen wollen, immer mehr Oberwasser, vor allem mit Trumps Sieg. Das ist mit Sicherheit einer der besten Effekte seiner Wahl: Trump hat das Diskussionsspektrum für US-Außenpolitik stark erweitert. Wo vor Trump effektiv die Möglichkeiten extremer Kriegstreiberei (Republicans) oder etwas weniger Kriegstreiberei (Democrats) bestanden, ist heute völlig problemlos möglich, darüber zu debattieren die US-Präsenz weltweit zu reduzieren (wenngleich eine Reduzierung des eigentlichen Militäretats immer noch Häresie ist, was ein völliges Oxymoron darstellt).
Wie das genau funktionieren soll, bleibt allerdings unklar. Trumps Versuche, die NATO in eine Schutzgelderpressungsorganisation umzuwandeln, können kaum die Antwort sein. Ich sehe auch nicht, wie auf absehbare Zeit eine multipolare Weltordnung zwischen USA, EU, Russland und China entstehen soll (die de facto die relevanten Player sind). Die EU ist nicht einmal in der Lage, in ihrem eigenen Hinterhof ein Mindestmaß an Einfluss auszuüben, Russland hat kein Interesse an einer Stabilisierung seines eigenen, sondern will ihn aktiv ins Chaos stürzen, die Chinesen arbeiten fleißig an ihrem Projekt eine unangreifbare Regionalmacht in Südostasien zu werden und Einflusszonen in Afrika zu schaffen.
Die EU und die USA sind die einzigen beiden Player, die einen Status bewahren wollen; die anderen wollen ihn aktiv verändern. Das reduziert naturgemäß die Überlappungen für Zusammenarbeit. Die USA können zudem unmöglich auf mittlere Sicht ihre weltweite Präsenz aufrechterhalten; der Artikel oben erklärt die Probleme ziemlich gut. Obama hatte wenigstens einen Plan dafür (der pivot to Asia), aber solange die EU nicht bereit ist, wenigstens ein Mindestmaß der Verantwortung mit zu übernehmen - und das erfordert unbedingt eine stärkere Integration der Außenpolitik, was, vorsichtig gesagt, ein gewagter Vorschlag ist - wird sich dieses Problem kaum lösen lassen.
Das wahrscheinlichste Ergebnis ist daher eine unilaterale Reduktion des US-Engagements im Ausland (allen voran im Mittleren Osten) und die Schaffung von Machtvakuums, die zumindest mittelfristig erst einmal für starke Destabilisierung sorgen. Und die wiederum bringt Flüchtlinge hervor, die dann nach Europa fliehen, und wir haben noch nicht einmal über Flüchtlinge und Destabilisierung durch den rapide voranrschreitenden menschengemachten Klimawandel gesprochen...das außenpolitische Bild der nächsten Jahre, es ist düster.
9) She tried to report on climate change. Sinclair told her to be more "balanced"
In one 2015 instance, the former news director of WSET-TV in Lynchburg, Virginia, Len Stevens, criticized reporter Suri Crowe because she “clearly laid out the argument that human activities cause global warming, but had nothing from the side that questions the science behind such claims and points to more natural causes for such warming.”
Die ungeheuer mächtige Radio- und TV-Kette Sinclair, die in den USA eine praktische Monpolstellung an Regionalsendern hat (und das darf man sich nicht vorstellen wie MDR oder WDR, die werden tatsächlich geschaut), geriet unter anderem durch John Olivers großartigen Beitrag in die Schlagzeilen. In letzter Zeit fielen sie immer wieder negativ mit durch Knebelarbeitsverträge erzwungener pro-Trump-Propaganda auf. Ein weiteres Beispiel hierfür ist oben verlinkt; es handelt sich um aktives Agitieren gegen Klimaschutzpolitik durch effektiv Desinformation. Einmal mehr: es sind nicht die sozialen Medien, sondern die klassischen Medien, die der hauptsächliche Treiber für Blasenbildung und Polarisierung sind.
10) Full Metal Jacket seduced my generation and led us into war
It wasn't just the film world on which Erney's character left an impression. The Gunny's persona saturated military culture, especially that of the Marine Corps. The boys who wanted to serve believed that intimidation and humiliation were essential to the formation of their warrior selfs. And drill instructors were happy to oblige.
Auch so ein Argument, das hier im Blog schon mehrfach bezweifelt wurde: Popkultur und wie Sachverhalte in ihr dargestellt wurde haben eine direkte Auswirkung auf die Gesellschaft, weswegen Debatten über die Repräsentation weiblicher Figuren (siehe auch #Gamergate) oder Ähnliches auch so wichtig sind. Spannend in dem Zusammenhang ist auch, wie oft Werke der Popkultur schlicht falsch verstanden werden und dadurch negativen Einfluss haben. Das obige Beispiel aus Full Metal Jacket ist absolut faszinierend, denn obwohl die Intention des Films ziemlich offensichtlich die eines Antikriegsfilms ist, haben nun bereits schon drei Generationen von Soldaten ausgerechnet den Gunnery Seargant als ihr persönliches Vorbild genommen.
Weitere Beispiele für solche fehl verstandenen Filme, die einen negativen Einfluss haben, wären Robocop, dessen Satire offensichtlich nicht von allen verstanden und stattdessen als Plädoyer für Polizeigewalt und Vigiliantismus gesehen werden, oder Statrship Troopers, dessen Satire selbst der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zu hoch war, die den Film indiziert hat weil sie davon ausging dass die Zuschauer zu doof sind ihn zu verstehen. Gerade dieses falsch verstehen ist ein weiterer Grund dafür zu plädieren, wie ich das jüngst getan habe, die popkulturelle Bildung der Menschen deutlich zu verbessern und ihnen in geschütztem, angeleiteten Raum beizubringen, sie zu analysieren: vulgo, der Schule.
Und da sind wir noch gar nicht bei der Militärpropaganda, die tatsächlich richtig verstanden wird! So viele Kriegsfilme der jüngsten Zeit unterstützen jingoistische Ansichten und verherrlichen das US-Militär und seinen bedingungslosen Einsatz, von American Sniper bis 12 Strong. Und damit sind wir noch gar nicht bei Videospielen, wo es praktisch keine anderen Stories gibt als die von muskelbepackten, zynischen Antihelden, die sämtliche Konflikte über das Vernichten möglichst vieler Gegner lösen und eine Rawrawraw-Mentalität propagieren.
11) Das gespaltene Parlament
So wie die AfD-Abgeordneten vorher nach fast jedem Satz ihrer Fraktionsvorsitzenden klatschten, lachen sie jetzt beinahe nach jedem Satz. In diesem Zusammenhang ist wichtig: Die Stenografen haben Erfahrung und ein feines Gespür - sie differenzieren genau zwischen wohlwollender “Heiterkeit”, die tatsächlich Belustigung ausdrückt, und aggressivem “Lachen”, das sich an oder vielmehr gegen das Gegenüber richtet.
Der obige Artikel ist ein herausragendes Beispiel für den Datenjournalismus, von dem wir in Deutschland unbedingt wesentlich mehr brauchen. Schaubilder und Analysen her, bitte, und weniger orakelnder Unfug! Interessant finde ich, was im Artikel oben mehr so zwischen den Zeilen untergeht: dass die AfD zwar einen raueren Umgangston ins Parlament gebracht hat, der aber durchaus früher schon einmal vorhanden war. Es ist, wie ich immer sage: wenn die Leute "lebhafte Debatten" und "Streit" im Parlament wollen, steht auf der anderen Seite eine stärkere Polarisierung der Gesellschaft und ein generell aggressiverer Umgang, aber das will irgendwie nie jemand sehen. Schlagt mal Zeitungen aus den 1970er Jahren auf, dann seht ihr, wie so was aussieht. In Gesellschaft und Politik gibt es halt nichts, das nur Vorteile und keine Nachteile hat.

Dienstag, 24. April 2018

Vermischtes 24.4.2018

Im Folgenden finden sich einige interessante Artikel über die ich in letzter Zeit gestoßen bin sowie einige Anmerkungen dazu. Zur besseren Bezugnahme in den Kommentaren sind die Artikel durchnummeriert. Der jeweilige Kommentar von mir setzt voraus, dass die verlinkten Artikel gelesen wurden.

1) LSD im Trinkwasser // Emotionale Kriegsführung

Die Salonkolumnisten haben etwas zu Hans-Ulrich Jörges letzter Kolumne, in der dieser frei heraus darüber spekuliert, ob nicht vielleicht die Ukraine den Skripal-Anschlag oder Israel den syrischen Gasangriff als False-Flag-Anschläge konstruiert hätten. Man muss Jörges zugute halten dass er eine wasseridchte Beweislage hat, folgert er doch messerscharf, dass weder Syrien noch Russland angesichts zu erwartender Kritik aus dem Westen ein Interesse daran hätten das zu tun. Potzblitz! Das ist natürlich eine harte Datenlage. Es handelt sich hier um ein weiteres Beispiel dafür, wie die Leitmedien selbst wahrlich genug zur Verbreitung von Fake News und der Radikalisierung des Diskurs' beitragen, ohne die sozialen Medien zu brauchen. Der zweite verlinkte Artikel untersucht diese Art der Argumentation etwas genauer ohne das konkrete Beispiel Jörges.

2) Diese Empörung ist wichtig

Sascha Lobo setzt einen ungeheuer relevanten Akzent zur Debatte um die Empörungsmechanismen in den Sozialen Netzwerken. Nur weil sich die Community leicht empöhrt heißt das nicht, dass Empörung nicht manchmal angebracht ist. Im konkreten Fall geht es um die unsägliche MDR-Talkshow, in der die hier schon öfter kritisierte Normalisierung des rechten Diskurses betrieben und die Frage "Darf man denn noch Neger sagen?" als debattenwürdige Fragestellung in den Raum geworfen und mit Frauke Petry eine Diskussion um Fluch und Segen des Rassismus geführt wird. Was kommt als Nächstes? "War am Holocaust nicht alles schlecht?" Es ist dies einmal mehr ein Beispiel dafür, dass es gerade die etablierten Leitmedien sind, die der Radikalisierung und Polarisierung Vorschub leisten, und dass die Sozialen Medien in diesem Fall eine wertvolle Korrektivfunktion einnehmen können (auch wenn sie in den meisten Fällen nicht gerade das Adjektiv "wertvoll" verdienen).

3) Tweethread von Nate Silver zu Clintons Chancen und Comeys Annahmen

Bekanntlich war einer der wenigen Journalisten, die 2016 ein gutes Verhältnis zum Thema Wahrscheinlichkeiten eines Trump-Siegs hatten, Nate Silver von 538. Auf Twitter legte er noch einmal mit seinem Hauptärgernis gegenüber seinen Kollegen nach: dass diese Clinton als eine sichere Bank betrachteten, was die Umfragen schlicht nicht hergaben, und danach genau diese Umfragen kritisierten. Der erste Teil seiner Kritik ruft bei mir auch immer einen Phantomschmerz hervor, denn ich war ja auch der Überzeugung, dass Clintons Sieg ausgemachte Sache war. Seinen Ärger darüber, dass die Ursachen für diese Fehlannahme in keinster Weise aufgearbeitet wurden, kann ich allerdings nur teilen. Die absolute Weigerung seiner Kollegen, Konsequenzen aus dem Debakel von 2016 zu ziehen, ist atemberaubend - und umfasst auch nicht nur Journalisten. Man kann ein sehr gutes Argument dafür konstruieren, dass ohne diese falsche Sicherheit eines Clintonsiegs sie ziemlich sicher gewonnen hätte, so paradox das klingen mag; das allerdings werde ich einem zukünftigen Artikel noch einmal genauer thematisieren, genauso wie diese Umfragengeschichte.

4) Planet Earth gets a ground game

In einem ausführlichen Hintergrundartikel wird hier beschrieben, wie ein Klimaaktivist versucht, die Abgeordneten der Democrats zu einer höheren Priorisierung des Klimawandels zu bringen beziehungsweise Abgeordnete zu wählen, für die er eine hohe Priorität ist. Kurzgefasst ist die Idee die, die Wahlbeteiligung unter Leuten zu erhöhen, für die Klimawandel eine hohe Priorität ist. Das sind nicht viele Leute, aber die Zahl ist auch nicht null. Die Strategie ist sicherlich der richtige Weg das anzugehen. Die Republicans haben schließlich vorgemacht, wie einzelne Lobbys eine komplette Partei dominieren können, obwohl das jeweilige Thema bei der Wählerschaft eigentlich keine große Rolle spielt - man sehe sich nur die Waffenfrage an.

Was im Artikel allenfalls am Rande vorkommt ist die Frage warum das eigentlich überhaupt so funktioniert, deswegen sei das hier kurz nachgeschoben. Gerade in linken Kreisen liest man oft irgendwelche Umfragen zu einzelnen policy-Fragen, die eine scheinbar überwältigende Mehrheit in der Bevölkerung für eine Position zum Ausdruck bringen, die von den meisten Parteien nicht geteilt wird. Die LINKE etwa machte jahrelang viel daraus, dass je rund 75% der Deutschen den Abzug aus Afghanistan und die Einführung des Mindestlohns unterstützten. Nur, was bei dieser Art Umfragen immer nicht bedacht wird ist die Salienz des jeweiligen Themas, oder einfach gesagt: wie wichtig es den Leuten ist. Ins Blaue hineingefragt sind auch die meisten Leute irgendwie für Klimaschutz, aber geht es dann konkret um das Fahrverbot für Diesel nehmen andere Themen schnell den Fahrersitz ein (Wortwitz!). Was ein Aktivist, gegebenenfalls auch innerhalb der Partei, erreichen muss ist also eine höhere Salienz für das Thema. Und da haben Klimaaktivisten noch viel zu tun.

5) What we get wrong about the racial wealth gap

Diese schöne Studie zeigt die vielen Mythen, die im Zusammenhang mit dem racial wealth gap gerne gelaubt werden. Der racial wealth gap ist die Differenz im Nettovermögen zwischen weißen und schwarzen Haushalten in den USA (eine Messung ähnlich dem gender pay gap, und ähnlich umstritten). Und der ist beachtlich. Eines der größten Probleme im Umgang mit der Lücke ist, dass es immer einige Overachiever gibt, die öffentlichkeitswirksam das Bild verzerren, worauf die Studie auch genauer eingeht. Es gibt die Neigung - auch hier analog zum Gender Pay Gap - die Differenz auf persöhnliche Fehlentscheidungen zu schieben. Das sehen wir ja hier im Blog auch immer wieder ("Müssen die Frauen halt aufhören in den Öffentlichen Dienst zu gehen"). Und die hält sich hartnäckig. Dabei werden systemische Faktoren aber einfach völlig ignoriert.

Ein großer Teil des racial pay gap kommt zudem von der Problematik, dass Wohlstand sich vor allem durch Erben von Immobilien und anderen Vermögenswerten akkumuliert. Der gigantische Vermögensaufbau der weißen Mittelschicht in den Wirtschaftswunderjahren aber ließ die Schwarzen außen vor (keine Bange, ausführlicher Artikel zu DEM Thema ist auf der To-Do-Liste ;)), woran sie bis heute leiden. Am relevantesten aber, es sei erneut gesagt, sind die systemischen Faktoren, und die betreffen auch Minderheiten in Deutschland. So fällt es zum Beispiel gerade Flüchtlingen ungeheur schwer, ein Konto zu eröffnen, weil die systemischen Regeln gegen sie arbeiten. Ohne Zugriff auf diese elementare Infrastruktur aber ist ein Leben über Subsistenzlevel häufig kaum machbar, und ein ähnliches Problem hat die Schwarzen in den USA auch lange Zeit im Würfegriff gehalten.

Die Studie mag daher zwar vor allem relevant für die Situation in den USA sein; grundsätzlich aber lassen sich viele der Problemfaktoren und systemischen Brüche auch auf Deutschland übertragen und sind sicherlich eine Debatte wert (die auch bald ihren eigenen Artikel kriegt).

6) The merging of misoginy and modern medical technology

Es ist ein altbekanntes Thema, dass technische Fortschritte nutzneutral sind - sie können zum Guten wie zum Bösen verwendet werden. Viele Ergebnisse der pränatalen Medizin zeigen ihre dunkle Seiten etwa für bekennende Christen schon seit Jahrzehnten in der einfachen Verfügbarkeit von Abtreibung. Eine düstere Wendung bekommt diese spezifische Anwendung, wenn man in die großen Schwellenländer wie China oder Indien blickt. In diesen Kulturen werden männliche Babies deutlich mehr wertgeschätzt als weibliche, und es besteht eine mehrere Millionen starke Lücke, die sich nur durch die Ermordung weiblicher Embryos erklären lässt. Doch selbst diese düstere Wendung kann noch eine Stufe weiter gedreht werden: der obige Artikel geht nämlich nicht darauf ein, dass diese Vorliebe und die daraus folgende Konsequenz auch historisch verbürgt sind, und zwar wahrlich nicht nur für Asien. Da in früheren Zeiten das Geschlecht des Kindes erst bekannt war, nachdem es geboren wurde, ist die Folge davon leicht zu durchschauen: massenhafter, normalisierter Mord von Baby-Mädchen.

Wir erkennen die beeindruckenden Fähigkeiten früherer Gesellschaften bei der Geburtenkontrolle übrigens bis weit in die Antike zurück; so haben Forscher etwa nachgewiesen, dass in ökonomisch knappen Zeiten deutlich weniger Kinder (und anteilig mehr männliche) "offiziell" geboren werden als in ökonomisch wohlhabenden Zeiten, und die mangelnde heute verfügbare Technik lässt nur den Schluss zu, dass freizügig Kindesmord getrieben wurde. Was im Übrigen eine in den Textquellen durchaus Indizien hervorbringende Annahme ist, denn die schreibenden Autoritätspersonen - im mittelterlichen Europa vor allem der Klerus - mussten schon sehr aktiv wegsehen. Sachverhalte wie dieser werden in den Geschichtsbüchern gerne übergangen, weil sie äußerst unangenehme Tehmen sind. Aber man sollte sich durchaus allen dunklen Seiten der Vergangenheit und der menschlichen Natur stellen, und Misoginie ist eine verbreitete Konstante der menschlichen Geschichte.

7) The political uses of the anti-anti-Confederacy

In einem weiteren Beispiel für die Nutzung toxischer rechter identity-politics beschreibt dieser Artikel, wie republikanische Politiker in den Südstaaten, etwa in Alabama, Gedenktage für die CSA nutzen, um gegen ihre politischen Gegner mobil zu machen. So haben mehrere republikanisch dominierte Staatenparlamente Gestze erlassen, die eine Beseitigung der neo-konföderalistischen Monumente für Kriegsverbrecher und Sklavenhalter unmöglich machen sollen. Die Stadt Mobile in Alabama etwa, die (wie die meisten Großstädte von den Democrats regiert) jüngst einige der widerlichsten dieser Monumente beseitigte, bekam vom Staatenparlament das Budget für ihre 200-Jahr-Feier drastisch gekürzt.

Diese Art der Kriegführung gegen den politischen Gegner ohne Rücksicht auf die Menschen, die auch mit abweichenden Ansichten unter den Amtseid fallen, ist typisch für die polarisierte Stimmung in den USA. Bislang ist diese Art der Kriegführung auch unilateral. Während etwa die massiven Steuerkürzungen und Handelseinschränkungen Trumps mit Laserpräzision darauf zugeschnitten sind, den eigenen Wahlkreisen zu helfen und denen der Democrats zu schaden, zielten die letzten Maßnahmen der Democrats, allen voran Obamacare, auf die Bevölkerung gerade der Staaten, in denen sie nicht gewählt werden - auf Kosten ihrer eigenen Bastionen im reichen Norden.

Davon einmal abgesehen ist es wieder und wieder erschreckend, wie offen in den Südstaaten die CSA verherrlicht und jede Aufarbeitung der Vergangenheit unterdrückt werden. Es ist, als ob Deutschland überall Statuen von Reinhard Heydrich, Heinrich Himmler und Amon Göth aufstellen, Hakenkreuzfahnen über den Landtagen aufziehen und regelmäßige Feste zum Gedenken an das Dritte Reich feiern würde, während man sich darüber wundert, warum um Gottes Willen die Juden es in dem Staat zu nichts bringen. Der Schaden, den diese Partei an ihrem Land anrichtet, ist gigantisch.

8) Tweetthread über die "free speech crisis" an amerikanischen Unis

Eines der Lieblingsargumente, das sich von der moderaten Linken (Jonathan Chait!) bis zur extremen Rechten zieht, ist die Kritik der Proteste an den amerikanischen Unis, wo linke und linksradikale studentische Aktivisten immer wieder Auftritte von Personen aus dem rechten und rechtsradikalen Spektrum behinderten und verhinderten. So nervig diese infantilen Proteste auch sind, sie werden gerne in einem Anfall von Bothsiderism aufgeblasen, um eine Äquidistanz für die Gefährdung der Meinungsfreiheit durch links und rechts herstellen zu können. Nicht ungestört einen Vortrag auf dem Campus halten zu können ist aber bei weitem nicht so problematisch wie ein Staat, der nestimmte Meinungen unterdrückt.

9) Unbezahlte Arbeit - Frauen leisten mehr

Noch immer leisten Frauen, auch bei Vollzeitjobs, deutlich mehr unbezahlte Hausarbeit als Männer. Tatsächlich gibt es nur ein Feld, auf dem Männer mehr Arbeit leisten, und das ist das Reparieren von allerlei Haushaltsgerät und Fortbewegungsmitteln. Da der Kram im Normalfall aber nicht so häufig kaputt geht, bleibt die Ungleichheit weiter vorhanden. Der oben verlinkte Artikel impliziert zudem, dass diese Verteilung ein weiterer Faktor dafür ist, dass Frauen eher in Teilzeitberufe gehen oder in solche, deren Arbeitszeiten deutlich abschätzbar sind - alles Faktoren, die beruflichem Erfolg und Karriere im Weg stehen. Der dafür offensichtlichste Indikator ist, dass in Familien mit Kindern die Männer MEHR arbeiten statt weniger, während die Frauenerwerbstätigkeit mit Kindern deutlich abfällt.

Dieses Problem habe ich hier im Blog schon öfter thematisiert, und es steht auf zwei Beinen. Auf der einen Seite stehen systemische Ursachen - etwa der Mangel an attraktiven Teilzeitmöglichkeiten (wobei hier in letzter Zeit legislativ viel passiert ist und es die Pflicht der Wirtschaft wäre, endlich die entsprechenden Realitäten zu schaffen) - und auf der anderen Seite sehen gesellschaftsmentale Ursachen, etwa die Nonchalance vieler Männer, dieses Problem überhaupt anzuerkennen und es einfach zu einer Vorliebe von Frauen zu erklären, sich auf die Hausarbeit zu konzentrieren, am besten mit irgendeiner verschwurbelten biologistischen Erklärung. An beiden Standbeinen muss gesägt werden, wenn dieses Problem - und um ein solches handelt es sich zweifellos - jemals beseitigt werden soll.

10) 48 Stunden und 18 Minuten - so viel arbeiten Lehrer im Schnitt

Die Arbeitszeit kaum eines Berufsstands ist so umstritten wie die der Lehrer. Da viel dieser Arbeit zuhause erledigt wird und keiner geregelten Aufsicht unterliegt, sind harte Zahlen naturgemäß wesentlich schwieriger zu bekommen als in Bereichen, wo Angestellte ein- und ausstempeln. Die GEW, die in diesem Zusammenhang mit Sicherheit keine neutrale Quelle ist, hat eine Studie erstellt, die auf die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden und 18 Minuten kommt. Diese Zahl ist natürlich wenig aussagekräftig, wenn man versucht, die "typische" Lehrerarbeitswoche zu rekonstruieren. Lehrer arbeiten sehr viel am Wochenende und periodisch sehr wenig (Ferien!), so dass die wöchentliche Arbeitszeit Schwankungen im Bereich von 20, 30 Arbeitsstunden unterworfen ist. Zudem kommt das altbekannte Problem hinzu, dass manche Leute sich den Allerwertesten abarbeiten und 120% geben, während andere nur Dienst nach Vorschrift leisten und auch im Schnitt sicherlich keine 38-Stunden-Woche erreichen. Aber diese Probleme werden sich wahrscheinlich nie komplett beseitigen lassen, und von daher ist der Wert der GEW wenigstens ein grober Anhaltspunkt.

Freitag, 20. April 2018

Vermischtes 20.04.2018

Im Folgenden finden sich einige interessante Artikel über die ich in letzter Zeit gestoßen bin sowie einige Anmerkungen dazu. Zur besseren Bezugnahme in den Kommentaren sind die Artikel durchnummeriert. Der jeweilige Kommentar von mir setzt voraus, dass die verlinkten Artikel gelesen wurden.

1) Twitter-Diskussion über Beleidigungen

Nachdem der Vox-Autor Will Wilkinson sich über einen Tweet lustig machte, der die Bibel zur Antwort auf alle Fragen (nicht nur philosophischer Natur, sondern wirklich aller Fragen) erklärte, entbrannte eine Diskussion darüber, ob es sich dabei um eine unzulässige Polemik gegen Christen handle. Die Diskussion - man muss im Thread ein wenig herumscrollen - involviert unter anderem Wilkinson selbst (der klar progressiv ist), Matthew Yglesias von Vox (dito), Lyman Stone vom Federalist (konservativ), Brendan B. Dougherty von der New York Times (dito) und Damon Linker von der Week (Mitte-Rechts). Sie ist ein faszinierender Mikrokosmos des Grabens zwischen den beiden Seiten. Ygelesias' Beobachtung, dass die Konservativen zwar beständig die progressiven Forderungen nach "safe spaces" lächerlich machen und unter dem Banner ihres political-correctness-Kreuzzugs angreifen, gleichzeitig aber safe spaces für sich selbst fordern, ist right on the nose, wie der Amerikaner sagen würde. Geht es gegen irgendwelche Minderheiten, müssen die es halt hinnehmen - schließlich ist ein bisschen Kritik oder Polemik ja von der Meinungsfreiheit gedeckt. Aber wehe, es geht gegen einen selbst. Dann ist es ein Unding.

2) China made solar panels cheap. Now it's doing the same thing for electrical buses.

David Roberts hat einen ausführlichen und wohl recherchierten Artikel darüber, wie die chinesische Wirtschaftspolitik auf dem Markt für erneuerbare Energien agiert. Das Grundprinzip ist dabei recht simpel: Subventionen dass es kracht. Wirtschaftlichkeit spielt für die chinesische Regierung dabei erst einmal keine Rolle; stattdessen wird ein Produkt gepusht, für das es bisher keinen beziehungsweise einen unterentwickelten Markt gibt. Auf diese Art und Weise wurden die Chinesen Marktführer in Sachen Solartechnik, wo Deutschland früher einmal führend war, und drängen gerade massiv in den Elektrobus-Markt, der bisher in keinem Land besonders weit entwickelt ist.

Die Macht des monopolistischen Technikvorsprungs erhöht dann relativ schnell die Eingangshürden für andere Hersteller (was Daimler, Bosch et al ja gerade bereits beim Elektroantrieb erfahren) und sichert die eigene Stellung ab. Wie mit dieser Herausforderung umzugehen ist bleibt dabei unklar - eine marktwirtschaftliche Demokratie hat gewisse Probleme damit, einfach eine Branche querzusubventionieren, und ist extrem anfällig gegenüber einzelnen scheiternden Unternehmen. Das hat man in den USA an Solyndra gesehen: obwohl der Solarpanelhersteller nur in einem (relativ) geringen Umfang Subventionen der Bundesregierung erhalten hat, wurde er im politischen Meinungsstreit ausgeschlachtet und blockierte Subventionen für andere, erfolgreichere Betriebe.

Das Aufreiben der Förderung Erneuerbarer Energien in Deutschland, das zu deren schleichenden Bedeutungsverlust seit dem Ende von Rot-Grün geführt hat, ist ein Alleinstellungsmerkmal funktionierender Demokratien, in denen Lobbys und andere Interessengruppen auch gegen das explizite Interesse der jeweiligen Regierung Macht ausüben können. In China ist dies auf diese Art nicht vorstellbar, was in diesem Fall zu Vorteilen führt (und zu potenziell katastrophalen Fehlinvestitionen, wenn sich die Führungsspitze täuscht, was mittelfristig unausweichlich ist).

Trotzdem ist es ein gutes Zeichen, dass China sich bewusst darüber ist - anders als etwa die EU oder die USA aktuell - dass der Klimawandel einerseits eine akute Bedrohung ist und aktiv bekämpft werden muss und andererseits auch eine gewaltige Wachstumschance mit vielen Jobs darstellt.

3) Die Methode Spitzer

Ich bin, gelinde gesagt, kein Fan von Martin Spitzer. Ich halte ihn für einen Quacksalber, der auf maximale Polemik setzt um seine eigene Marke zu verkaufen. Er dürfte die Einzelperson in Deutschland sein, die dem Verhältnis unserer Gesellschaft zu den neuen Medien und der Digitalisierung generell am meisten Schaden zugefügt hat. Stöckers Artikel auf SpOn, in dem er Spitzers Methoden ausführlich zerlegt, ist daher hoch willkommen und der Lektüre anempfohlen.

Ich erinnere mich noch, dass ich 2012/2013 seinerzeit im Referendariat eine angeregte Diskussion mit einem älteren (und sehr geschätzten) Kollegen zum Thema hatte. Ich hatte, weil ich ihm kein Unrecht tun wollte, Spitzers Buch "Digitale Demenz" komplett gelesen und kommentiert. Wir sind bei dem Thema nicht zusammengekommen, aber ich empfand Spitzers Argumentation schon damals als sehr wenig überzeugend und seine beständige Nutzung seines Expertenstatus mit der Holzlatte als nur nervig.

4) Ist YouTube der große Radikalisierer weil es zu neutral ist?

Eine neue Studie hat untersucht, mit welchem Mechanismus YouTube zu der allgemeinen Polarisierung beiträgt, die in der entwickelten Welt derzeit zu beobachten ist. Das Ergebnis ist etwas überraschend: Es ist YouTubes (und damit Googles) weltanschauliche Neutralität, die paradoxerweise dafür verantwortlich ist. Der Grund dafür ist eigentlich einleuchtend. In seiner Weigerung, anders als die klassischen Medien (man denke Tagesschau oder die großen Tageszeitungen) übt YouTube keine Gatekeeper-Funktion aus. Das heißt, es steuert nicht, welche Inhalte die Zuschauer zu sehen bekommen (während selbst der tumbste Mitarbeiter der Tagesshow offensichtlichen Bullshit aus den Nachrichten heraushalten kann).

Das heißt aber unintuitiv nicht, dass es keinerlei Auswahlfunktion ausübt; diese wird allerdings den Algorithmen überlassen. Die Konsequenz ist die viel lamentierte Filterblase: Schaue ich mir ein AfD-kritisches Video, schlägt der Algoritmus von YouTube mir weitere AfD-kritische Videos vor und geht, stets kundenorientiert, in die Richtung, die mir den besten und meisten Stoff verspricht - praktisch immer die radikalste und polemischste Version. Ob sich dieses Problem durch cleverere Algoritmen mittelfristig lösen wird weiß ich nicht, ich habe dazu zu wenig Verständnis für Informatik. Mir scheint allerdings nicht machbar, dass YouTube tatsächlich händisch editioriale Funktionen ausübt, und auch nicht sonderlich wünschenswert.

Abseits dieser spannenden Ergebnisse sollte noch einmal hervorgehoben werden, dass die Neuen Medien NICHT die treibende Kraft hinter der Polarisierung sind, auch wenn sie dafür beständig als Kronzeugen herhalten. Sie sind mitverantwortlich und pushen einen großen Teil dieser Entwicklung, aber ohne die aktive Mithilfe der klassischen Medien hätten sie niemals den Einfluss, um die ganze Gesellschaf so zu polarisieren wie wir das gerade beobachten können.

5) The West has shaped the world with rules. Trump is letting China shape it with roads

Die eigentliche Kernthese des Artikels ist sicherlich in ihrer krassen Kontrastierung nicht haltbar. Es ist nicht so, als ob die westliche Außenpolitik vor Trump kohärent liberale Regeln durchgesetzt und auch selbsgt eingehalten hätte. Die grundlegende Trendentwicklung, die hier beschrieben wird, ist aber spannend: denn tatsächlich übte der Westen seinen Einfluss früher über Regelwerke aus, die er zwar zu dehnen und teilweise zu ignorieren oft trüblich wenig Probleme hatte, die aber dennoch liberalen Grundsätzen gehorchten. Beispiele hierfür sind die Vereinten Nationen, sind die WTO, sind die NATO, sind die Entwicklungshilfeministerien der Länder und die vielen assoziierten Hilfsorganisationen.

China macht wenig Geheimnis daraus, dass es wenig auf solche Regelwerke gibt und eher mit puren Investments arbeitet. Konkret bedeutet das, dass chinesische Entwicklungshilfe nicht an die Einhaltung bestimmter Werte (wie die Menschenrechte der UN-Charta, die durchzusetzen es sich eigentlich verpflichtet hat) gekoppelt ist und auch das klassisch liberale Regelwerk ignoriert, konkret: Regeln für ausgeglichene Haushalte und Netto-Exporte, die - zu Recht massiv kritisiert - die westliche Entwicklungshilfe jahrzehntelang dominierten und ausgesprochen unterwältigende Ergebnisse vorzuweisen haben. Die vorläufigen Ergebnisse chinesischer, von ideologischem Ballast befreiter (und unmoralischer) Entwicklungshilfe sehen jedenfals zumindest pointiert deutlich besser aus. Anstatt zu versuchen, den Washington Konsens in Ruanda durchzusetzen, erwarten die Chinesen nur eines: Loyalität. Das bedeutet fortgesetzte Unterdrückung in diesen Ländern und wenig Aussicht auf Liberalisierung, aber die Ergebnisse sind wenigstens teilweise überzeugend. Das stürzt nicht nur das westliche Entwicklungshilfemodell, sondern das gesamte auf Regeln basierende System der internationalen Ordnung, gegen das sich Trump derzeit so öffentlichkeitswirksam wendet, in die Krise.

6) "Keep your politics out of my games!"

Das Geschichtsinstitut der Wiener Universität tut sich bereits seit einigen Jahren damit hervor, Pionierforschung zu betreiben indem es die Implementierung von Geschichte in Videospielen untersucht. Das Institut unterhält einen Blog, auf dem die besten studentischen Abschlussarbeiten veröffentlicht werden (und inzwischen auch andere Beiträge). Der oben verlinkte Beitrag weist völlig zu Recht darauf hin, dass die häufige Kritik aus der #Gamergate-affinen Szene "keep your politics out my games" in Richtung progressiver Kritiker der aktuell verbreiteten Klischees und Stereotypen keinerlei Grundlage hat. Die Spiele sind bereits politisch, nur haben sie aktuell eine Richtung, die sich mit der Gewöhnung ihrer Hauptkundschaft (junge Männer) deckt, was sich vor allem in militärisch-gewaltvollen Narrativen und männlichen, häufig emotionslosen Antihelden niederschlägt - und natürlich in einer Propagierung militärischer und generell gewalttätiger Konfliktlösun.

7) As West fears the rise of autocrats, Hungary shows what's possible

Dieser hervorragend recherchierte Hintergrundartikel der New York Times beschreibt Orbans Mechanismen zur Verwandlung der einst hoffnungsvollen ungarischen Demokratie in ein autoritäres Land, das deutlich mehr mit Russland als mit seinen westlichen Nachbarn zu tun hat. Die Entwicklung der Rechtspopulisten in Osteuropa ist ein grundsätzliches Problem für die EU, auf das diese bisher keine Antwort gefunden hat. Besonders um ungarischen Fall ist dies auffällig, weil die Mitgliedschaft von Fidesz in der EVP eine Dauerheuchelei der CDU/CSU nötig macht. Noch wesentlich tragischer ist die aktuelle Affäre der CSU mit Fidesz, in der es CSU-Granden für nötig halten, Gerhard Schröder nachzuahmen und Orban und seine Spießgesellen für lupenreine Demokraten zu erklären. Der Kotau vor den östlichen Halbdiktatoren ist wahrlich ein großkoalitionäres Projekt, und LINKE und FDP überbieten sich ja derzeit auch im Putin-verstehen. Für europäische Demokraten ist das alles wenig hoffnungsvoll.

8) Antisemitismus als Marketing-Gag

Antisemitismus ist europaweit ein zunehmendes Problem. Die Labour-Party ist seit Corbyns Übernahme permanent wegen Antisemitsmusvorwürfen in den Schlagzeilen, in Deutschland stellt die AfD bekannte Rechtsterroristen und verlangt Listen von jüdischen Personen während junge islamische Migranten die typisch israelfeindliche Spielart aus dem Mittleren Osten mitbringen. In Osteuropa ist der Antisemitismus ebenfalls wieder virulent; rund 20% der Bevölkerung stellen in den Ländern östlich der Elbe offen antisemitische Ansichten zur Schau, von Russland gar nicht zu reden.

Diese Entwicklungen allein sind schon beunruhigend genug, und da kommt aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft auch noch der beständige Versuch, das Verhältnis zu Judentum und Holocaust zu "normalisieren". Die merkwürdigen Blüten, die dies treibt, sind die Irrungen linker "Israelkritik" (wie bei Labour) oder der Vorwurf Jakob Augsteins, mit dem Tragen der Kippa zu "provozieren" - oder eben wie im oben verlinkten Artikel eine Lesung von "Mein Kampf" zu veranstalten und Besuchern mit Hakenkreuzbinde freien Einlass zu gewähren und den anderen das Tragen des Davidsterns zu empfehlen. Habt ihr's euch noch alle?

9) This PSA about Fake News from Obama is not what it appears

Der Regisseur Jordan Peele hat neben dem Drehen von Filmen noch ein anderes Talent: er gibt eine ziemlich gute Obama-Imitation ab. Diese Fähigkeit nutzt er, um in einem Video auf die Gefahren von Fake News aufmerksam zu machen, indem Stimmkünstler wie er einfach prominenten Politikern Worte in den Mund legen. Dies ist in Ländern mit funktionierender Medienlandschaft erst einmal ein überschaubares Problem - selbst wenn FOX News die rechtsradikale Filterblase in den USA mit einem gefälschten Obama-Video schalu macht, würden die anderen US-Sender unabhängig voneinander Gegenbeweise liefern. Aber in Ländern mit einem zunehmend staatlich gesteuerten Mediensektor wie Russland oder Ungarn könnte dies ein ernstes Problem werden, weil die Regierungen dort über die Mittel verfügen, wenn sie wollen solche gefälschten Clips zu pushen und die Realität aus der Berichterstattung zu drücken. Auch in den Filterblasen der extremen Ränder in den sozialen Netzwerken können solche Fälschungen weite Kreise ziehen.

10) How James Comey is allowing history to repeat itself

James Comeys Buch wird gerade in den Medien hoch- und runtergehypt, weil es einige gezielte Indiskretionen und Polemisierungen gegen Trump nutzt (eine ähnliche Mechanik katapultierte ja auch "Fire and Blood" in die Bestsellerlisten, das Ding steht sogar bei meinem örtlichen Rewe...). Im Endeffekt aber bleibt es ein Produkt seines Autors: Comeys Buch ist vor allem über James Comey und strickt dessen Mythos als unbestechlicher Staatsdiener. Dabei gelingt es Comey geschickt, seine eigene alles andere als rühmliche Rolle im Wahlkampf 2016 nachträglich reinzuwaschen, indem er sich als ein aufrechter Kämpfer gegen Trump positioniert, und aus mir unerfindlichen Gründen fressen ihm viele Progressive dieses Narrativ aus der Hand - ich fürchte aus einer falsch verstandenen "Feind meines Feindes"-Einstellung. Wie der oben verlinkte Artikel aber korrekt zeigt, erlaubt man auf diese Art der Geschichte sich zu wiederholen, weil die völlig falschen Schlüsse aus der Affäre gezogen werden.

Dienstag, 17. April 2018

Vermischtes

Im Folgenden finden sich einige interessante Artikel über die ich in letzter Zeit gestoßen bin sowie einige Anmerkungen dazu. Zur besseren Bezugnahme in den Kommentaren sind die Artikel durchnummeriert. Der jeweilige Kommentar von mir setzt voraus, dass die verlinkten Artikel gelesen wurden.

1) Bayern will psychisch Kranke wie Straftäter behandeln

Heribert Prantl echauffiert sich über ein neues bayrisches Gesetz, nach dem psychisch Kranke (etwa Depressive) vorbeugend in eine geschlossene Anstalt genommen werden können und das sie registriert. Das Gesetz entsetzt die Fachwelt, was wenig wunders nimmt, denn nichts hilft schließlich bei psychischen Krankheiten besser als eine gesellschaftliche Ausgrenzung und Kriminalisierung, besonders für die Bereitschaft Betroffener, Hilfe zu suchen. Auf der anderen Seite steht natürlich die Problematik, dass psychisch Kranken bisher wenig geholfen wird und hier dringend Schritte nötig wären. Die Einrichtung eines psychatrischen Notdiensts, die das Gesetz auch beinhaltet und die Prantl ausdrücklich lobt, ist da ein Schritt in die richtige Richtung. Mein Gefühl ist, dass das Thema eine gewisse Hilflosigkeit hervorruft, und dass die bayrische Variante nur die konservative Variante ist, mit dieser Hilflosigkeit umzugehen (Gefährung wird hier immer gern mit Registrierung und Polizei begegnet). Manche geistig Kranken sind mit Sicherheit eine Gefahr für die Gesellschaft, und vorbeugend tätig zu werden kommt der Fürsorgepflicht gegenüber dem Bürger und den Leuten selbst nach. Die bayrische Methode scheint etwas mit der Brechstange zu sein und, wie oben beschrieben, mit einem sehr großen Nachteil der Ausgrenzung und Abschreckung vor freiwilliger Behandlung daherzukommen, aber ein klar besserer Weg fällt mir auch nicht ein, und da haben wir das Thema Kosten noch gar nicht angesprochen...

2) My epiphany about the problem with Apu

Eine Diskussion, die am progressiven Rand der Twittersphäre stattfand, war in letzter Zeit die Frage, ob die Figur des indischen Gemischtwarenhändlers Apu aus den Simpsons ein rassistisches Zerrbild wäre. Der indische progressive Autor Jeet Heer beschreibt im oben verlinkten Artikel, warum er Apu lange nicht als Problem sah und erst durch die Debatte darauf gestoßen wurde. Ich denke, die Diskussion ist ein Mikrokosmos um viele dieser progressiven Themen, die wir ja auch hier im Blog immer wieder diskutiert haben. Es sind Nebenkriegsschauplätze, und auch noch solche, die lange von niemandem als Problem gesehen wurden (siehe auch etwa die Debatte um das Football-Team "Redskins"), aber seither haben sich Maßstäbe verschoben. Als Apu in den 1980er Jahren geschrieben wurde schien er nur ein harmloses Stereotyp, aber 30 Jahre später sieht die Lage eben etwas anders aus. Was hier gefordert ist ist Sensibiltät gegenüber den Befindlichkeiten der jeweils betroffenen Minderheit, aber in der aufgeheizten Debatte, in der die rechten identity-politics-Krieger solche Versuche einer behutsamen Thematisierung gerne sofort mit dem Schlachtruf des Kampfs gegen political correctness torpedieren, ist das leider unwahrscheinlich.

3) Anglizismen in Firmentexten

Mich nerven nur wenige deutsche Lobbyverbände so sehr wie die selbst ernannten "Sprachschützer" und die vielen, vielen Phantomdebatten, die über die angebliche Gefährdung der deutschen Sprache geführt werden. Ich bin daher sehr froh, einen unaufgeregten Artikel gefunden zu haben, der Anglizismen in Firmentexten unvoreingenommen angeht und eine Art Anleitung erstellt, welche Anglizismen einen sinnvollen Platz haben, welche zwar überflüssig aber harmlos sind und auf welche man besser verzichtet.

4) Mit Rechten zu reden hat auch Grenzen // Hetze in Deutschland 4.0

Die beiden oben verlinkten Artikel gehen von unterschiedlichen Seiten her auf das Thema der Verwechslung von Hetze und Debatte ein. Die massive Verwirrung, die dafür sorgt dass das durchaus berechtige Anliegen auch Mitte-Rechts-Positionen einen Raum in der Debatte zu geben damit verwechselt echte Hetze unvoreingenommen zu debattieren, vergiftet derzeit jeglichen Diskurs. Es ist daher gut, die Argumente aus dem DLF-Beitrag (erster Link) zu beachten. Es gibt Grenzen des höflichen Diskurses, und die wurden in letzter Zeit deutlich eingerissen, das Overton-Fenster deutlich nach rechts verschoben. Durch die Annahme jeden Stöckchens, das AfD und Konsorten hinhalten, wird der Rahmen dessen was in höflicher Gesellschaft diskutierwürdig ist, wesentlich zu weit aufgerissen. Man konnte das 2011 schon mit Sarrazin beobachten, als plötzlich ernsthaft darüber gesprochen wurde, in wie weit die Genetik anatolische Bauern vielleicht doch gegenüber dem durchschnittlich gebildeten Mitteleuropäer überlegen mache, und es fehlt heute an klarer Kante, mit der deutlich gesagt wird: und hier ist Schluss, das gehört nicht in eine pluralistische Gesellschaft. Etwas eindrücklicher hat Frank Stauss (zweiter Link) das in seinem Artikel zusammengefasst, unter den man eigentlich nur einen Haken setzen kann.

5) Alle Lehrer auf Social Media?

Der Vordenker digitaler Bildung Bob Blume macht sich auf seinem Blog Gedanken darüber, ob es für alle Lehrer Standard sein sollte, in den sozialen Medien vertreten zu sein. Aktuell machen die Richtlinien der jeweiligen Regierungspräsidien dies sehr schwer, die Kommunikation mit Schülern über Social Media wird häufig sogar kategorisch untersagt. Blume gibt in seinem Artikel viele gute Gründe, dass Lehrer auf Social Media vertreten sein sollten. Es geht ihm dabei gar nicht so sehr um den performativen Aspekt (also aktiv twittern, bloggen oder vloggen) sondern schlichtweg das Bescheid wissen über das, was die Schüler dort machen. Eine grobe Ahnung haben, was auf YouTube so geschaut wird etwa, oder was den Reiz von Snapchat ausmacht, solche Sachen. Dieses Thema ist auch nicht nur für Lehrer relevant; ich stelle selbst immer wieder fest, welche eklatanten Wissenslücken hier bei Eltern bestehen. Wenn die Eltern nicht die geringste Ahnung haben, was ihre Kinder eigentlich im Netz machen (und ich rede nicht von Überwachung jedes Browserverläufchens, sondern vom konzeptionellen Verständnis) können sie auch keinen gesunden, im Konsens gefundenen Umgang mit diesen Medien entwickeln.

6) Alles, was n-TV und die Welt nicht so genau wissen

Anlässlich des Anschlags von Münster hat Übermedien zusammengeschrieben, wie die katastrophale Berichterstattung etwa von n-TV die Zuschauer verunsichert und mit Fake News bombardiert. Das Ergebnis ist erschreckend, aber ich bin mir nicht sicher, was die Konsequenz daraus ist. Jeglicher Versuch, das gesetzlich einzudämmen rennt sofort gegen das Prinzip der Pressefreiheit und bietet im besten Fall zahlreiche legale Fallstricke und Selbstzensur, wesentlich wahrscheinlicher aber gewaltiges Missbrauchspotenzial. Darauf zu hoffen, dass die Sender sich selbst ethische Regeln gegen solche Berichterstattung auferlegen ist auch hoffnungslos. Die Zuschauer WOLLEN so etwas ja sehen, und unsere Medienlandschaft ist einem Zwang des Hier und Jetzt unterworfen, der sich nicht einfach wegwünschen lässt. Wir leben im Zeitalter des 24/7-Newscycle, das ist einfach eine Tatsache. Bislang haben wir uns als Gesellschaft schlichtweg noch nicht daran gewöhnt und keine Mechanismen entwickelt, damit umzugehen.

Ich merke das ja auch immer selbst: wenn irgendein aktuelles Ereignis losbricht, das in meinen Interessensbereich fällt (was ein Anschlag wie in Münster nicht tut), retweete ich auch jede neue Meldung, lese atemlose Berichterstattung und schlussfolgere in Echtzeit auf Basis bestenfalls halbgarer Informationen. Sich da rauszunehmen, durchzuatmen und einfach abzuwarten ist schwierig, während um einen herum die Meldungen explodieren, und die Medien müssen Geld verdienen und irgendwie jede Sendeminute füllen. Das Problem wird uns daher auf absehbare Zeit erhalten bleiben, fürchte ich.

7) In Defense of Smartphones

Zusammen mit albener Sprachkritik (siehe Artikel 3) ist das Rumgenöle, wie sehr Smartphones doch das Sozialverhalten angeblich zersetzen würden und wie sich eine Smartphone-Sucht ausbreite eines der nervigsten Klischees unserer Tage. Keine Diskussion kommt ohne den Verweis aus, dass die Jugend von heute ja süchtig nach den Geräten sei, dass man keine echten Gespräche mehr habe, und so weiter und so fort. Die von Kevin Drum hier verlinkten Studien, die eher darauf hinweisen, dass die Smartphones soziale Kontakte tatsächlich verstärken statt sie ersetzen, sind da ein willkommener Gegenpunkt. Wir müssen definitiv neue soziale Normen für den Umgang mit den Smartphones entwickeln, keine Frage, aber den Kopf in den Sand zu stecken und die Technologie in Bausch und Bogen zu verdammen kann nicht die Lösung sein. Irgendwelche Verbote werden ohnehin, wie immer, scheitern, und ein Verlassen auf Kulturpessismismus übergibt den Bildungsprozess dieser neuen Normen im Endeffekt genau jenen, die dafür am wenigsten geeignet sind: den jugendlichen Rebellen.

8) The C-Section in American Movies // Let's play male protagonist Bingo

Der Einfluss der Popkultur auf das Bewusstsein der Gesellschaft ist ein Thema, über das ich auf meinem Blog The Nerdstream Era und im Podcast Boiled Leather Audio Hour oft genug rede. Das oben verlinkte Beispiel ist dafür sehr instruierend. Wenn in Werken der Popkultur, die von der Bevölkerung ja durchaus kontinuierlich und in großer Menge konsumiert werden, bestimmte Standards gesetzt werden, können sich diese entsprechend in der Mentalität verankern. Die Repräsentation von Frauen und Minderheiten in bestimmten Rollen, die Darstellung bestimmter Sachverhalte und Ähnliches sind daher kein bedeutungsloses Thema, sondern von größter Wichtigkeit, und es lohnt sich darüber zu streiten. Die Konsequenzen, wie die Geschichte oben zeigt, können in höchstem Maß unangenehm sein.

Der zweite verlinkte Artikel geht in dieselbe Richtung: Wir können sehen, welch ungeheure Einfallslosigkeit bei den überwiegend männlichen Protagonisten gerade des Videospiel- und Actiongrenres herrscht. Die Eingrenzung möglicher Männlichkeitsideale auf einige wenige, dazu wenig nachahmenswerte Alternativen ist für Jungs ein ernsthaftes Problem, und eines, das in den Problembereich der toxischen Maskulinität zurückfüttert.

Montag, 16. April 2018

Vermischtes

Im Folgenden finden sich einige interessante Artikel über die ich in letzter Zeit gestoßen bin sowie einige Anmerkungen dazu. Zur besseren Bezugnahme in den Kommentaren sind die Artikel durchnummeriert.

1) Gewaltfreie Erziehung - Die entscheidende Revolution

Es ist immer wieder erstaunlich, wie hartnäckig sich Gewalt gegen Kinder als legitimes Mittel der Erziehung hält. Obwohl es unter Rot-Grün verboten wurde, ist ein Großteil der Bevölkerung immer noch der Ansicht, dass ein paar Hiebe schon nicht schaden. Ignoriert wird dabei die inzwischen beeindruckend breite Palette Forschung, die unisono belegt dass Schläge als Mittel der Erziehung tatsächlich schädlich sind.

Für mich als Vater ist der Verzicht auf Gewalt mit eine der größten Herausforderungen. Wenn man gestresst ist und die Kinder furchtbar aufsässig sind, wird man wütend. Die Versuchung ist immer groß, dieser Wut dann körperlich Ausdruck zu verleihen. Sich dann immer wieder zu sagen, dass Gewalt gegenüber Kindern - auch und gerade scheinbar kühle, zielgerichtete Gewalt wie ein Klaps auf die Finger oder den bewindelten Hintern, die keine Schmerzen verursachen - ein Zeichen der eigenen Hilflosigkeit sind ist nicht einfach. Denn gerade das ist es. Gewalt gegen Kinder ist ein Kontrollverlust der jeweiligen erwachsenen Autoritätsperson, nicht mehr und nicht weniger. Es ist Hieb gewordener Ausdruck einer Hilflosigkeit, sich nicht anderes behelfen zu können. Das zu verstehen ist ein wichtiger erster Schritt, und wir sind leider noch weit davon entfernt.

Immerhin ist durch die juristische Sanktionierung inzwischen eine Art gesellschaftliches Tabu errichtet. Verdreschen ist mittlerweile völlig ausgeschlossen, und zumindest in der Öffentlichkeit reißen die Menschen sich im Allgemeinen zusammen, weil sie wissen, dass es gesellschaftlich sanktioniert wird. Auch das ist übrigens political correctness und zeigt deutlich den Wert dieser Einrichtung. In anderen Ländern wie etwa den USA ist diese Barbarei noch deutlich weiter verbreitet und gesellschaftlich akzeptiert. Hier steht noch viel Arbeit ins Haus.

2) Trump attacks Comey for handing him the presidency

Man muss sich in diesen wirren Zeiten immer wieder klar machen, dass der Feind deines Feindes nicht automatisch dein Freund ist. Gerade für Progressive ist es leicht, in kollektive Amnesie zu verfallen und James Comey als heldenhaften Widerstandskämpfer gegen Trump zu feiern. Man sollte sich allerdings immer klar machen, dass es Comey war, der Trump den Sieg gebracht hat. Dass er danach von den Konsequenzen seiner eigenen Fehlentscheidung hinweggespült wurde, ist eher poetische Gerechtigkeit.

Tatsächlich mehr als beunruhigend ist die aktuelle konzertierte Attacke der Republicans gegen Comey daher vor allem deswegen, weil sie einen gefährlichen autoritären Trend aufzeigt. Mit der gesamten Gewalt des Staates gegen eine unangenehme Privatperson (!) zu agitieren, ist nichts, was in einer Demokratie passieren sollte. Die Republicans attackieren zudem bewusst die Ideen von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung indem sie Trumps Linie fahren, dass das Justizministerium sich gefälligst seinen Wünschen unterzuordnen und die Ermittlungen einzustellen.

3) Immigranten - Bereicherung oder Belastung?

Hannes Stein liefert eine Reihe von Daten über Einwanderer in die USA. Es geht um alle Einwanderer, und die Zahlen sind beeindruckend. Sie sind weniger kriminell, weniger arbeitslos, weniger unverheiratet schwanger, besser gebildet, religiöser und jünger als durchschnittliche Amerikaner. Ich weiß nicht wie die Zahlen hierzulande sind, aber dass das Bild bei weitem nicht die Höllenlandschaft ist, als die sie gerne dargestellt wird, wäre meine starke Vermutung.

4) Unsinnige Unschuldsvermutung

Eines der dümmten Argumente bezüglich russischer Geheimdienstoperationen und Morde in anderen Nationen ist, dass solange es nicht bewiesen wäre man von Russlands Unschuld ausgehen müsse. Das ist völliger Humbug, wie der oben verlinkte Artikel ausreichend darlegt. Es geht zudem mit einer ganzen Reihe pragmatischer Probleme einher, die die Vertreter dieser Ansicht häufig überhaupt nicht bedenken. Da wäre zum einen die Frage der Aufklärung: abseits einer militärischen Besetzung hat man überhaupt nicht die Möglichkeit, Beweise zu sichern, denn Putin wird sicher keine britischen Ermittler in offiziell gar nicht existierende Giftfabriken lassen. Und da wäre zum zweiten die Konsequenz: selbst wenn man "zweifelsfrei" belegen würde, dass russische Agenten die Morde verübt haben (und wann ist je etwas zweifelsfrei belegt?), was wäre die Konsequenz? Russland würde es weiterhin leugnen, die Putin-Versteher würden die Beweise weiterhin anzweifeln, und man wäre genau da wo man jetzt ist. Und zum dritten missachtet diese Argumentationslinie völlig, dass Russland ja nicht gerade ein Unschuldslamm ist, das bisher nie in dieser Richtung tätig wurde. Das Argument ist eine reine Nebelkerze.

5) Die AfD und die Reform des Konservatismus // 300 rechte Helfer

Ich bin der festen Überzeugung, dass die aktuelle Strategie von CSU und FDP, die Wähler der AfD mit einem "Rechtspopulismus light" zu umgarnen der falsche Weg ist. Der erste der beiden obig verlinkten Artikel macht dies auch sehr überzeugend deutlich. In einem Nebensatz wird dabei ein erhellender Vergleich verwendet: haben die Grünen denn nach dem Atomausstieg Merkels ihrer Partei den Rücken gekehrt und angefangen CDU zu wählen? Sicher nicht. Warum sollten AfD-Wähler plötzlich zu CSU oder FDP wechseln, nur weil die jetzt auch Flüchtlinge hassen? Alles was das tut ist das eigene Weltbild zu bestätigen, mehr nicht. Der Parteigänger findet immer Gründe, warum der Wechsel nicht ernst zu nehmen oder nicht ausreichend ist. Man sehe sich als Hauptbeispiel dafür nur die SPD an. Jahrelang haben linke Kommentatoren, mich eingeschlossen, lautstark gefordert, die SPD möge endlich die Forderungen der LINKEn übernehmen, damit sie wieder wählbar werde. Seither hat die SPD ihren Kurs gewechselt. Wir haben den Mindestlohn, wir haben Aufweichungen aller möglichen Hartz-IV-Regularien, wir haben die Mütterrente, wir kriegen jetzt Einschränkungen der Befristungen von Arbeitsverträgen und so weiter. Hat es die Leute überzeugt, zur SPD zurückzukehren? Kein Stück. Das heißt nicht, dass die Politik der SPD falsch war, aber zu glauben dass ein Hinterherrennen und Epigonentum die AfD wieder marginalisieren würde ist irrig.

Man muss sich zudem auch klarmachen, wer beziehungsweise was die AfD ist. Die Partei ist von vorne bis hinten durchsetzt mit Rechtsradikalen, Rechtsextremen und einigen Neonazis. Das heißt nicht, dass die gesamte Partei so wäre, aber offensichtlich hat sie kein Problem mit diesen Rändern und gibt ihnen einen sicheren Hafen mit wohl dotierten Stellen, wie der zweite oben verlinkte Artikel aufzeigt. Auch hier ist der Vergleich mit der LINKEn erhellend, die unter ihrem klassisch-sozialdemokratischen Äußeren auch unappetittlicheren Gesellen von Antifa und kommunistischer Linken Obdach bot und bietet (weswegen sie ja auch vom Verfassungsschutz beobachtet wird, der weiterhin wenig Anlass sieht der AfD eine ähnliche Behandlung zukommen zu lassen).

6) Republicans are trying to use Impeachment to scare their base to the polls

Eine der erfolgreicheren politischen Strategien der Republicans für die Midterms gerade ist es, so viel Aufhebens wie möglich um ein Amtsenthebungsverfahren Trumps (impeachment) zu machen. Zwar wollen die Democrats das überhaupt nicht, und geben die Umfragen eine Mehrheit dafür selbst in den absurd besten Szenarien für die Novemberwahlen nicht her, aber für die GOP macht es Sinn. Denn das Gerede vom impeachment mobilisiert die eigene Basis. Und die rüstet sich für den erwarteten Bürgerkrieg. In Trumplandia steht ein Putsch der Democrats kurz bevor, ungeachtet dessen dass ein impeachment eine Zwei-Drittel-Mehrheit und damit die Hilfe der Republicans benötigen würde. Es ist eine weitere Folge im endlosen Drama republikanischer Lügen und Halbwahrheiten, mit denen sie ein Paralleluniversum schaffen, in dem gewaltige Verschwörungen in der Regierungsmaschinerie kurz davor sind ihnen syrische Flüchtlinge einzuquartieren, die Waffen wegzunehmen, die Steuern zu erhöhen und Weihnachten abzuschaffen.

7) Verwirrung bei Maischberger: Lügt die Kriminalitätsstatistik oder das "Bauchgefühl"?

Stichwort Parallelgesellschaft: Hier in Deutschland sind die Rechten auch immer erfolgreicher darin, eine von der Realität völlig losgekoppelte Paralllelrealität zu schaffen. Wenigstens scheint niemand mehr etwas groß dabei zu finden eine Diskussion darüber zu führen, ob amtliche Kriminalitätsstatistiken oder das eigene Bauchgefühl das korrektere Abbild der Wirklichkeit schaffen. Man möchte Maischberger und ihre Diskutanten am Kragen packen, schütteln und fragen, ob sie eigentlich noch alle beieinander haben, aber gefühlte Wirklichkeiten sind für den neuen rechten Konsens in diesem Land alles, die Realität ist nichts. Gefühlte Wirklichkeiten übernehmen alles andere, und mit gefühlten Wirklichkeiten lässt sich auch leichter Wahlkampf machen. Das ist im Übrigen auch kein Prärogativ der Rechten; auf Seiten meines Teams läuft das ja genauso. Noch so viele Statistiken können erklären, dass die Armut sinkt und die Beschäftigung steigt, die gefühlte Realität ist anders. Oder man denke nur an die Impfverweigerer, die unschuldige Kinder und die ganze Gesellschaft mit völlig irrationalem Blödsinn gefährden. Das Problem ist, wie Tom Nichols das in seinem gleichnamigen Buch ausdrückt, The Death of Expertise, dass man der Empirie und den Experten breitflächig keinen Glauben mehr schenkt.

8) Die Zeit der kleinen Schritte ist vorbei

"In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod", das wusste schon Friedrich Logau. Nirgendwo ist dies so deutlich wie beim Thema Klimawandel, wo auch der oben angesprochene "death of expertise" eines der größten Probleme mit sich bringt. Denn die Zeiträume, in denen der Klimawandel wirkt, sind so groß, dass es sich unseren kurzfristig denkenden Hirnen weitgehend entzieht. Zusätzlich zu den ohnehin wirkenden Mechanismen des Misstrauens und der Apathie kommt hier also der Effekt der Abstraktion hinzu, der es dann Idioten wie Inhoff erlaubt, die Existenz von Schnee als unwiderlegbaren Beweis gegen den wissenschaftlichen Konsens des menschengemachten Klimawandels zu sehen. Auf diesem wichtigsten Zukunftsfeld sind drastische Schritte nötig, aber es geschieht extrem wenig. Stattdessen reden wir von einem steuerfinanzierten Fonds zur Umrüstung der alten Diesel und erklären lauthals, dass Elektrofahrzeuge schon irgendwie doof sind. Man lese den oben verlinkten Artikel für einen dringend benötigen Tritt in den Hintern.

9) History

Das Bild spricht für sich.

Donnerstag, 12. April 2018

Vermischtes

Im Folgenden finden sich einige interessante Artikel über die ich in letzter Zeit gestoßen bin sowie einige Anmerkungen dazu. Zur besseren Bezugnahme in den Kommentaren sind die Artikel durchnummeriert.

1) White Evangelicals are steadily losing followers and political clout

Es gehört zu den Standardweisheiten in jeder Betrachtung der USA, dass das Land deutlich religiöser ist als (West-)Europa. Weniger bekannt ist, dass der in Europa allgemein schon lange festgestellte Trend, dass die Menschen immer weniger religiös werden, auch in den USA zu beobachten ist und dort auch und ganz massiv die radikalen Evangelikalen trifft, deren gewaltiger Einfluss auf die US-Politik immer mehr schrumpft (aber relativ immer noch groß ist, selbstverständlich). Spannend ist dabei, dass nicht die Evangelikalen als Ganzes weniger werden, sondern dass es ein Generationending ist: die sterben schlichtweg aus.

Warum ist das so? Ein wichtiger Grund ist die Homo-Ehe. Junge Menschen, selbst wenn sie sehr religiös sind, stimmen ihr überwiegend zu. Die radikale Feindschaft der alten Evangelikalen gegenüber der rechtlichen Gleichstellung sorgte dafür, dass sich eine ganze Generation überwiegend von der Bewegung abwendete. Ebenfalls spannend ist, dass die Abnahme der Evangelikalen als Anteil an der US-Bevölkerung besonders mit Beginn der Obama-Ära einen Schlag einstecken musste. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, wer an der jeweiligen Regierung ist: Progressive Vorbilder in höchsten Stellen können die Mentalitätseinstellung einer Gesellschaft entscheidend beeinflussen, und umgekehrt.

Weitere interessante statistische Teile aus dem Artikel sind der Zusammenhang von Diversität in einem Bundesstaat mit der Rigidität der Evangelikalen - wo je weniger diversifiziert die religiöse Zusammensetzung des Staates ist die Evangelikalen umso radikaler auftreten - und der Zusammenhang von Religionszugehörigkeit und Parteizugehörigkeit. Bei letzterem kann man deutlich sehen, dass die "klassisch weißen" Religionen zwar deutlich mehr Republicans als Democrats umfassen, aber viel weniger als man annehmen könnte. Die harten Parteigänger sind eine Minderheit, und sollten sie die Mehrheit verlieren - etwa über ein Thema wie die Homo-Ehe - kann der ganze Laden sehr schnell sehr stark schrumpfen.

2) The Conservatives are wrong - Having more people in employment doesn't reduce poverty

Der Telegraph, ein linken Umtrieben eher unverdächtiges Blatt, erklärt dass obwohl in Großbritannien so viele Menschen wie nie zuvor in Beschäftigung sind die Armutszahlen sich verschlimmert haben. Für Konservative und Wirtschaftsliberale mag das überraschend kommen, aber nur weil jemand arbeitet heißt das nicht, dass er automatisch nicht arm ist. Die Situation, wie der Telegraph erklärt, ist im UK deswegen deutlich schlimmer als etwa hier in Deutschland (In den Kommentaren wurde letzthin überzeugend dargestellt, dass nicht alle Hartz-IV-Empfänger die Armutsdefinition erfüllen), weil die konservative Regierung unter Theresa May massiv die Sozialausgaben zusammengestrichen hat, und zwar vor allem in dem Bereich der Niedriglöhnern zugute kommt. Darunter sind etwa der soziale Wohnungsbau (die Miet- und Immobilienpreise sind im UK noch höher als bei uns) und Hilfen zum Lebensmitteleinkauf. Das führt dazu, dass Niedriglöhner im UK deutlich gefährdeter sind, ihren Lebensunterhalt trotz Vollzeitarbeit nicht bestreiten zu können. Dieser Bestand zeigt die Wichtigkeit, die ein vernünftiges soziales Netz hat, und man kann nur froh sein, dass die CDU/CSU und FDP beide (derzeit) nicht daran arbeiten, ähnliche "Reformen" wie Theresa May durchzuführen. Vermutlich spielt hier auch mit hinein, dass die britischen Conservatives sich von den anderen christlichen Volksparteien des Kontinents abheben und wie so oft eher auf die andere Seite des Atlantiks als des Kanals schauen.

3) Sandra Bauer - gern. Meryem Öztürk - Nö.

Der Spiegel berichtet über die Ergebnisse einer Studie, in der mit einer absichtlich "deutsch" gemachten Biographie (also hier geboren, normale Bildungsbiographie, fließende Sprache) mit der exakt selben Person massive Unterschiede in der Einladung zu Bewerbungsgesprächen bestehen. Von 18% Einladungen für Sandra Bauer geht es auf 13% Einladungen für Meryem Öztürk (gleiches Bild, gleiche Bewerbung, nur anderer Name). Fügt man ein liberales Kopftuch hinzu (das die Haare nicht komplett bedeckt) sackt die Quote auf 4% ab; nicht getestet wurde eine konservatives Kopftuch, wobei die Forscher annehmen, dass es dann noch schlimmer wäre. Das ist ein Problem, und die Lösung kann nicht darin bestehen ein Kopftuchverbot durchzusetzen.

Ein anderer interessanter Fund, den die Forscher gemacht haben, ist dass die Diskriminierung nicht nur anhand der Namens- und Kopftuchlinie verläuft, sondern auch entlang von Berufsgrenzen. Und das ist der wirklich beunruhigende Befund hier. Die fiktive Meryem Öztürk, ob mit Kopftuch oder ohne, erhielt umso mehr Einladungen (relativ zu Sandra Bauer), je weniger Kompetenzen ein Job verlangte, und umgekehrt. Die Differenz zwischen Bauer und Öztürk wurde umso größer, je besser bezahlt und angesehener ein Beruf ist, was auf eine Doppel-Diskriminierung von Muslimen hinausläuft, über die hierzulande dringend gesprochen werden muss.

4) On the Tube, I saw the father I never met - and was happy to find I had nothing to say to him

Stephen Bush beschreibt im New Statesmen sehr eindrucksvoll sein Verhältnis zu seinem Vater, den er nie kennenlernte weil der seine Mutter in frühen Jahren sitzen ließ. Besonders interessant für eine hier im Blog oft geführte Diskussion aber ist eine Nebenbeobachtung Bushs: dass seine eigene Biographie als schwarzes Kind in Großbritannien, das einen Aufstieg durch die Bildungsinstitutionen hinlegte und heute ein erfolgreicher Journalist ist (Bushs Artikel sind generell empfehlenswert, seine Analysen der britischen Politik und speziell der Conservatives und Labour sind exzellent) nur durch die Regierung von New Labour möglich war, die für Kinder wie ihn diverse Förderprogramme auflegte (die natürlich seit der konservativen Machtübernahme alle abgeschafft wurden). Das erinnert an die große sozialdemokratische Bildungsexpansion der 1960er und 1970er Jahre, die das Fundament für die heutige breite deutsche Mittelschicht legten. Es ist einfach wichtig, an der Regierung zu sein, wenn man für Menschen was erreichen will. Müntefering hatte Recht: Opposition ist Mist.

5) The Senate tries to figure out Facebook

Das Beeindruckende an diesem Artikel ist weniger der Inhalt (wobei die Befragung Zuckerbergs tatsächlich eine wahnwitzige Zurschaustellung von Inkompetenz, Ignoranz und Faulheit war), sondern die Überschrift. Trotz der riesigen parteipolitischen Polarisierung werden "The Senate", "The House" und "Congress" in den USA immer noch fast immer als institutionelle Blöcke gesehen, was deren Beliebtheitsraten im einstelligen Bereich mit erklären dürfte. Die Semantik hat da eben doch einen gewissen Einfluss.

6) No, it's not spending that's the problem

Kevin Drum verweist darauf, dass die langfristigen Defizite der USA nicht von den Sozialstaatsausgaben kommen - die bleiben sehr stabil und könnten, wenn man angesichts Kostenersparnissen durch technische Fortschritte im Gesundheitswesen optimistisch ist, sogar sinken - sondern von den riesigen Steuersenkungen. Die CBO-Annahmen sehen eine Steigerung des Defizits um 1% durch Sozialausgaben, aber um 9% wegen wegbrechender Steuereinnahmen. Es ist ziemlich offensichtlich, was hier passiert, und treibt einen in den Wahnsinn dass es in der medialen Diskussion immer unter den Tisch gekehrt wird.

7) Oh yes, let's talk about self-awareness in Syria // American interventionism in the Middle East in the past 4 decades has been a disaster

Es dürften sich nur wenige Deutsche finden, die viele gute Worte für amerikanischen Interventionismus im Mittleren Osten haben. Eine der großen Hoffnungen vieler Trump etwas wohlgesonnener Beobachter war ja, dass der sich ostentativ gegen den Interventionismus wandte ("Bush lied, people died"), während Hillary Clinton eher als Falke galt. Es war schon 2016 absehbar, dass bei Trump viel leeres Gerede dabei war und er sein Machismo-geschwängertes Dominanzverhalten jederzeit über isolationistische Grundtendenzen stellen würde, aber so oder so ist es höchste Zeit, dass die USA ihre Interventionen in diesem Bereich der Welt beenden. Die Bilanz ist, wie Drum richtig feststellt, ein einziges Desaster.

8) The worse a state does on improving health, the better it is for Trump // How has your state done on reducing the probability of death?

Einer der vielen Momente, in denen man nur den Kopf schütteln kann: je schlechter es einem Bundesstaat geht, desto eher wählt er Trump. Die Korrelation ist beinahe perfekt. Wenn man krank ist und arm und keinen Zugang zu einer Krankenversicherung hat, wird Republican gewählt. Das ist wie sich über sozialen Kahlschlag beschweren und FDP wählen. Warum?! Die Artikel bieten eine ziemlich plausible Erklärung: da in diesen US-Bundesstaaten der Staat völlig kaputt ist und nicht funktioniert (und wir reden hier wirklich von radikalem Kaputtmachen, da ist die FDP linksradikal dagegen), vertrauen die Leute nicht darauf, dass der Staat irgendwas gebacken kriegt - und wählen die Partei die verspricht, den Staat weiter zu zerstören. Damit schießen sie sich natürlich massiv selbst in den Fuß, aber packt man noch die üblichen republikanischen identity politics oben drauf ist relativ klar, warum die Democrats da so wenig Fortschritte machen.

9) Russland in einem Tweet

In einem faszinierenden Ausschnitt zeigt dieser Artikel der Salonkolumnisten die Realität einer Post-Truth-Gesellschaft auf, wo kommunistische Politiker ihre Treue zum Vaterland dadurch beweisen, dass sie vor Lenins Grab Ostern feiern. Nichts an dem Bild macht Sinn, aber in Russlands völlig zerstörter postfaktischer Gesellschaft spielen Sinn und Unsinn schon lange keine Rolle mehr, wie der Artikel eindrücklich belegt. Die Mechanismen, derer sich Putin (und vor ihm die Sowjets) seit Jahren bedient, werden gut dargestellt und kommen hierzulande ebenfalls immer mehr auf.

Dienstag, 10. April 2018

Vermischtes

Ich habe schon länger keinen Artikel dieser kleinen Reihe mehr produziert, und bin in letzter Zeit über einige interessante Artikel gestolpert, die ich zwar für kommentierwürdig halte, die aber keinen eigenen Artikel reichen. Und ich bin gar kein Fan von ultrakurzen Blogposts, deswegen dieser Sammelpost hier. Wie immer bei den eher experimentellen Formaten hier ist Feedback neben der üblichen sachbezogenen Diskussion erwünscht. Zur einfacheren Bezugnahme in den Kommentaren sind die Abschnitte durchnummeriert. Now, without further ado, let's dive in.

1) Want affordable housing? Just build more of it!

Nicht nur in Deutschland ist die stetige Verteuerung und Knappheit von Wohnraum in Ballungsgebieten ein riesiges Problem. Besonders in den Städten der US-Westküste - San Francisco und Los Angeles etwa - hat der Mangel an Wohnraum die Preise inzwischen in Dimensionen getrieben, die nicht einmal mit den Gehältern des Silicon Valley bezahlt werden können. Ein wichtiger Grund für diese Knappheit ist eine absurde Überregulierung von Neubauten, ein Problem, das ebenfalls in weiten Teilen der entwickelten Welt zu finden ist (über das ich auch schon geschrieben habe). Das kommt daher, dass die Alteingesessenen, die bereits über eigenes Wohneigentum verfügen, dessen Wert zu steigern gedenken. Je komplexer und aufwändiger die Regeln für Neubauten gestaltet werden können, desto eher wird dieses Ziel erreicht. Dieseits wie jenseits des Atlantiks etwa werden mehr als zweistöckige Häuser massiv behindert, aber es gibt kaum etwas das mit Platz so ineffizient arbeitet wie einzelstehende Familienhäuser. Für die Innenstädte sind diese sowieso keine Option. Was den Bau größerer Wohneinheiten in den Innenstädten verhindert sind häufig die Vorschriften für Parkplätze, die zur Verfügung stehen müssen und für die natürlich kein Platz ist.

Daher fordern Experten bereits seit längerem eine deutliche Deregulierung der Bauvorschriften (zoning laws). Dazu gehört unter anderem, großen Wohneinheiten einfach keine Parkplätze zur Verfügung zu stellen und sie stattdessen direkt an großen Hubs für den Öffentlichen Nahverkehr zu bauen, was natürlich voraussetzt, dass es einen gut funktionierenden öffentlichen Nahverkehr gibt. So werden aber zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: die Zahl der Autos wird reduziert und damit die Luftqualität und Lärmbelastung deutlich verringert und gleichzeitig ein deutlicher Anstieg an bezahlbaren Wohneinheiten bewirkt. Der oben verlinkte Artikel von Noah Smith stellt dem katastrophalen Zustand San Franciscos das Ausbauprojekt Tokyos gegenüber, das genau nach diesen Prinzipien sehr erfolgreich war und Tokyo zu einer der bezahlbarsten Großstädte der Welt gemacht hat. Ein weiterer relevanter Punkt ist natürlich, dass der Staat selbst den Bau subventionierter Wohneinheiten vorantreiben kann (sozialer Wohnungsbau), wenn er denn nur wöllte. Aber das ist aktuell keine politische Priorität.

2) Kushner: We struck deal with Sinclair for straighter coverage

Die Sinclair Group erlangte einen größeren Bekanntheitsgrad, nachdem John Oliver in seiner Show "Last Week Tonight" vor einigen Monaten ihre Reichweite und Praktiken vorstellte. Das rechtsradikale Sendernetzwerk, das zahlreiche Regionalsender betreibt, zwingt seine Angestellten dazu, wörtliche Statements der Unternehmensleitung vorzutragen und hält sie mit Knebelverträgen unter Kontrolle (so etwa müssen Sinclair-Journalisten wenn sie ihren Job kündigen oder gekündigt werden bis zu 40.000$ Strafe zahlen!). Kürzlich sprangen auch die Leitmedien auf den Zug auf; CNN etwa schnitt ein Video zusammen, das die Nachrichtensprecher zahlreicher Sinclair-Sender zeigte, die ein wortgleiches Statement gegen "Fake News" (was in der Orwell'schen Sprachwelt der Rechten echte Fake News bedeutet) verurteilten. Ähnliche Statements wurden in Unterstützung sowohl des Kandidaten als auch des Präsidenten Trump forciert.

Nun hat, wie im oben verlinkten Artikel beschrieben, Jared Kushner, der Schwiegersohn Trumps, zugegeben, dass das Trump-Wahlkampfteam einen Deal mit Sinclair hatte, der ihnen positive Berichterstattung garantierte und etwa "Interviews" mit Trump uneditiert direkt sendete. Angesichts des Marktanteils Sinclairs besonders in den ländlichen Gegenden ist das keine Kleinigkeit. Sinclair fügt sich damit genau wie FOX "News" in die Reihe von TV-Sendern ein, die effektiv staatliche Propagandasender der Republicans sind und die RT oder der Prawda in nichts nachstehen. Diese Entwicklung ist äußerst besorgniserregend und kommt mit Verzögerung auch in Deutschland an. RT Deutsch etwa könnte, größere Erfolge oder gar eine Regierungsbeteiligung der AfD vorausgesetzt, problemlos eine ähnliche Rolle einnehmen. Die Rechten in den USA jedenfalls sind immer totalitärerer organisiert und kapseln sich völlig von einer objektiven Realität ab. Es ist völlig unvorstellbar, eine ähnliche Zusammenarbeit und Blasenbildung zwischen den Democrats und MSNBC zu haben.

3) Maybe politicians don't really represent anybody

Vor einiger Zeit kommentierte Kevin Drum bereits eine politikwissenschaftlichen Studie, die ergab, dass die Abgeordneten des Kongresses mehrheitlich die Positionen der oberen zehn Prozent teilten und damit kein Abbild der US-Bevölkerung darstellten, was erst einmal wenig überraschend ist, bedenkt man den Anteil an Millionären im Kongress. Spannend ist, dass in den letzten zwei Wahlzyklen eine merkliche Verschiebung stattfand: die Democrats sind im Schnitt deutlich "mittelschichtiger" geworden und in ihren Ansichten weitgehend repräsentativ für diese Wählerschicht (während die untere Mittelschicht und die Unterschicht selbst keinerlei Repräsentation erfahren).

Im oben verlinkten Artikel geht Drum allerdings noch einen Schritt weiter und stellt basierend auf neuen politikwissenschaftlichen Studien die These auf, dass die Politiker selbst eigentlich überhaupt keine real existierende Bevölkerungsschicht repräsentieren, sondern vielmehr die Bevölkerung ihre Ansichten von den Politikern selbst bezieht. Diese neue Denklinie tauchte in den letzten Monaten in mehreren Studien auf und erfährt immer mehr Beachtung (und Folgestudien und Peer-Reviews). Wenn sich diese Tendenz erhärtet - und dafür spricht vieles - muss die allgemeine Idee über das Funktionieren von Demokratie völlig auf den Kopf gestellt werden. Ich denke nicht, dass es ganz so weit kommt - noch immer reagieren Politiker auch sensibel auf Änderungen im Elektorat selbst - aber tatsächlich wird die Rolle von Politikern als Trendsetter gesellschaftlicher Änderungsprozesse weithin deutlich unterschätzt. Das ist etwas, auf das man definitiv ein Auge behalten sollte.

4) What is patriotism in the Age of Trump?

Einer der nervigsten Topoi in der Nachlese der Präsidentschaftswahl 2016 (und in geringerem Maße auch der Bundestagswahl 2017) ist die Idee, dass einer der ausschlaggebenden Faktoren zur Wahl Trumps die Arroganz der Progressiven war, die auf die Trump-Wähler herabblicken und sie als tumbe Rassisten sehen. Nervig nicht, weil nichts an der Idee dran ist, sondern weil es nur in eine Richtung geht. Denn die Einseitigkeit der gesamten Kommentatorenlandschaft in dieser Beziehung ist atemberaubend. Während jede leise Kritik an rassistischen und sexistischen Wählern und Politikern sofort als schwere Beleidigung verurteilt wird, die man so keinesfalls machen dürfe, weil man nie, nie, nie die Wähler der Rechtsextremen einfach über einen Kamm scheren kann, passiert das Gegenteil ständig.

Im oben verlinkten Artikel werden gleich zwei aktuelle Beispiele aufgezeigt: Ronna McDaniel, die Parteichefin der Republicans, tweetete etwa dass alle (!) Democrats Trump mehr hassen würden als sie Amerika liebten, während der führende Evangelikale Franklin Graham erklärte, dass alle (!) Progressiven gottlose Atheisten sei, die versuchten, die natürliche Ordnung der Dinge zu zerstören. Erst vor wenigen Tagen erklärte der NRA-Aktivist und Rechtsaußen Ted Nugent, der Stammgast auf GOP-Fundraisern ist und öffentlichkeitswirksam das Weiße Haus besuchte, dass jeder Amerikaner eine Waffe bereit halten sollte, da "Democrats, RINO, Hollywood and the media, basically half of America" nichts anderes als "rabid coyotes" seien, die man erschießen müsse, sobald man sie sehe.

Der Doppelstandard hier ist atemberaubend. Als Hillary Clinton erklärte, dass die Hälfte der Trump-Wähler ein "basket of deplorables" seien, wird das bis heute als Beweis für eine ungeheure, unverzeihliche und generell schlimme Verallgemeinerung und Villifizierung dargestellt. Wenn Republicans die Hälfte des Landes (!) als gottlose Atheisten abstempeln, die man komplett erschießen müsse, sind das, in den Worten CNNs, "harsh words". Man stelle sich einmal den Aufschrei vor, Obama hätte einen Linksradikalen ins Weiße Haus eingeladen, der danach alle Republicans als Verräter erklärt und ihre Ermordung gefordert hätte. Das ist völlig unvorstellbar. Bei den Rechten nimmt man das einfach hin. Es ist eine einseitige Radikalisierung und Normalisierung, die in der gesamten westlichen Welt zu beobachten ist und zwar in den USA deutlich weiter fortgeschritten ist als hier, aber wie man etwa an dem aktuellen Rechtsrutsch von CSU und FDP sehen kann ebenso herüberschwappt.

5) Martin Luther King Jr. wasn't always a beloved figure

Zuletzt hat Kevin Drum eine spannende Statistik: In den 1960er Jahren war Martin Luther King Jr. eine völlige Hassfigur, die selbst unter Progressiven kaum über 50% Beliebtheit kam. Heutzutage ist er eine geliebte Person; selbst Republicans werten ihre Zustimmung zu ihm praktisch nicht unter 70% (Progressive knacken regelmäßig 90%). Was man hier sehen kann ist dass es immer leichter ist eine Person zu mögen, wenn diese lange tot und in einer bereinigt-neutralisierten, harmlosen Variante verehrt werden kann. So wird Kings harsche Kritik an den sozialen Zuständen in den USA heute praktisch völlig zugunsten des Narrativs vom Kämpfer für das Wahlrecht verdrängt, so dass selbst Republicans behaupten können, ihn zu mögen und in seiner Tradition zu stehen. Dieser Mechanismus ist mit praktisch jeder historischen Figur zu beobachten, weswegen es auch so wichtig ist, dass der Geschichtsunterricht an der Schule kritisches Hinterfragen historischer Narrative und Mythen lehrt.

6) A road to right-wing authoritarian government

Im Makro-Blog (oben verlinkt) wird aufgezeigt, wie die republikanische Steuerpolitik direkt den Prozess der ständigen Radikalisierung nach rechts befeuert. Die Kurzversion ist: Die Republicans fahren eine extrem unpopuläre ökonomische Plattform, die, wenn sie Wählern bewusst wäre, ihre sichere Niederlage zur Folge hätte. Als Ausgleich verlassen sie sich in zunehmenderen Maße auf identity politics und undemokratische Machenschaften, was ein inhärent instabiler Zustand ist. Entweder vollzieht die Gesellschaft irgendwann die Konsequenz der Unpopularität des Wahlprogramms (was zuverlässig dann passiert, wenn die Partei an die Macht kommt und es umsetzt, weil es dann nicht mehr ignoriert werden kann) und wählt die Rechten wieder ab, oder aber diese nutzen die gewonnene Macht und zementieren sie durch de-facto Abschaffung der Demokratie. Das können wir etwa aktuell in Ungarn beobachten.

7) "Frivole Sex-Spiele an Schule": Wie BILD sich an sexuellem Missbrauch aufgeilt

Die Heuchelei der Konservativen in Bezug auf Sex ist ja wechselseitig erheiternd wie ärgerlich, aber selten ist sie so offensichtlich wie bei der BILD, die sich gerne als Verteidiger bürgerlicher Werte inszeniert und dabei eine Blut-und-Titten-Politik fährt. Der BILDBlog hat eine Zusammenstellung von Schlagzeilen erstellt, die in ihrem schieren Umfang beeindruckend ist. In allen Fällen geht es um eine Lehrerin, die Sex mit einem minderjährigen Schüler hatte (meist in den USA). Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Einerseits handelt es sich offensichtlich um einen Fetisch, und zwar um einen Fetisch, der angesichts der Auflagengesteuertheit der BILD von ihrer Leserschaft geteilt wird. Der Konservative liebt halt seinen Sex-Skandal in allen schmutzigen Details. Andererseits besteht ein krasses Gender-Ungleichgewicht, denn umgekehrte Fälle werden wesentlich seltener und dann deutlich verurteilend berichtet. Die BILD normalisiert so sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Frauen und stellt ihn als etwas Erregendes dar.