Donnerstag, 12. April 2018

Vermischtes

Im Folgenden finden sich einige interessante Artikel über die ich in letzter Zeit gestoßen bin sowie einige Anmerkungen dazu. Zur besseren Bezugnahme in den Kommentaren sind die Artikel durchnummeriert.

1) White Evangelicals are steadily losing followers and political clout

Es gehört zu den Standardweisheiten in jeder Betrachtung der USA, dass das Land deutlich religiöser ist als (West-)Europa. Weniger bekannt ist, dass der in Europa allgemein schon lange festgestellte Trend, dass die Menschen immer weniger religiös werden, auch in den USA zu beobachten ist und dort auch und ganz massiv die radikalen Evangelikalen trifft, deren gewaltiger Einfluss auf die US-Politik immer mehr schrumpft (aber relativ immer noch groß ist, selbstverständlich). Spannend ist dabei, dass nicht die Evangelikalen als Ganzes weniger werden, sondern dass es ein Generationending ist: die sterben schlichtweg aus.

Warum ist das so? Ein wichtiger Grund ist die Homo-Ehe. Junge Menschen, selbst wenn sie sehr religiös sind, stimmen ihr überwiegend zu. Die radikale Feindschaft der alten Evangelikalen gegenüber der rechtlichen Gleichstellung sorgte dafür, dass sich eine ganze Generation überwiegend von der Bewegung abwendete. Ebenfalls spannend ist, dass die Abnahme der Evangelikalen als Anteil an der US-Bevölkerung besonders mit Beginn der Obama-Ära einen Schlag einstecken musste. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, wer an der jeweiligen Regierung ist: Progressive Vorbilder in höchsten Stellen können die Mentalitätseinstellung einer Gesellschaft entscheidend beeinflussen, und umgekehrt.

Weitere interessante statistische Teile aus dem Artikel sind der Zusammenhang von Diversität in einem Bundesstaat mit der Rigidität der Evangelikalen - wo je weniger diversifiziert die religiöse Zusammensetzung des Staates ist die Evangelikalen umso radikaler auftreten - und der Zusammenhang von Religionszugehörigkeit und Parteizugehörigkeit. Bei letzterem kann man deutlich sehen, dass die "klassisch weißen" Religionen zwar deutlich mehr Republicans als Democrats umfassen, aber viel weniger als man annehmen könnte. Die harten Parteigänger sind eine Minderheit, und sollten sie die Mehrheit verlieren - etwa über ein Thema wie die Homo-Ehe - kann der ganze Laden sehr schnell sehr stark schrumpfen.

2) The Conservatives are wrong - Having more people in employment doesn't reduce poverty

Der Telegraph, ein linken Umtrieben eher unverdächtiges Blatt, erklärt dass obwohl in Großbritannien so viele Menschen wie nie zuvor in Beschäftigung sind die Armutszahlen sich verschlimmert haben. Für Konservative und Wirtschaftsliberale mag das überraschend kommen, aber nur weil jemand arbeitet heißt das nicht, dass er automatisch nicht arm ist. Die Situation, wie der Telegraph erklärt, ist im UK deswegen deutlich schlimmer als etwa hier in Deutschland (In den Kommentaren wurde letzthin überzeugend dargestellt, dass nicht alle Hartz-IV-Empfänger die Armutsdefinition erfüllen), weil die konservative Regierung unter Theresa May massiv die Sozialausgaben zusammengestrichen hat, und zwar vor allem in dem Bereich der Niedriglöhnern zugute kommt. Darunter sind etwa der soziale Wohnungsbau (die Miet- und Immobilienpreise sind im UK noch höher als bei uns) und Hilfen zum Lebensmitteleinkauf. Das führt dazu, dass Niedriglöhner im UK deutlich gefährdeter sind, ihren Lebensunterhalt trotz Vollzeitarbeit nicht bestreiten zu können. Dieser Bestand zeigt die Wichtigkeit, die ein vernünftiges soziales Netz hat, und man kann nur froh sein, dass die CDU/CSU und FDP beide (derzeit) nicht daran arbeiten, ähnliche "Reformen" wie Theresa May durchzuführen. Vermutlich spielt hier auch mit hinein, dass die britischen Conservatives sich von den anderen christlichen Volksparteien des Kontinents abheben und wie so oft eher auf die andere Seite des Atlantiks als des Kanals schauen.

3) Sandra Bauer - gern. Meryem Öztürk - Nö.

Der Spiegel berichtet über die Ergebnisse einer Studie, in der mit einer absichtlich "deutsch" gemachten Biographie (also hier geboren, normale Bildungsbiographie, fließende Sprache) mit der exakt selben Person massive Unterschiede in der Einladung zu Bewerbungsgesprächen bestehen. Von 18% Einladungen für Sandra Bauer geht es auf 13% Einladungen für Meryem Öztürk (gleiches Bild, gleiche Bewerbung, nur anderer Name). Fügt man ein liberales Kopftuch hinzu (das die Haare nicht komplett bedeckt) sackt die Quote auf 4% ab; nicht getestet wurde eine konservatives Kopftuch, wobei die Forscher annehmen, dass es dann noch schlimmer wäre. Das ist ein Problem, und die Lösung kann nicht darin bestehen ein Kopftuchverbot durchzusetzen.

Ein anderer interessanter Fund, den die Forscher gemacht haben, ist dass die Diskriminierung nicht nur anhand der Namens- und Kopftuchlinie verläuft, sondern auch entlang von Berufsgrenzen. Und das ist der wirklich beunruhigende Befund hier. Die fiktive Meryem Öztürk, ob mit Kopftuch oder ohne, erhielt umso mehr Einladungen (relativ zu Sandra Bauer), je weniger Kompetenzen ein Job verlangte, und umgekehrt. Die Differenz zwischen Bauer und Öztürk wurde umso größer, je besser bezahlt und angesehener ein Beruf ist, was auf eine Doppel-Diskriminierung von Muslimen hinausläuft, über die hierzulande dringend gesprochen werden muss.

4) On the Tube, I saw the father I never met - and was happy to find I had nothing to say to him

Stephen Bush beschreibt im New Statesmen sehr eindrucksvoll sein Verhältnis zu seinem Vater, den er nie kennenlernte weil der seine Mutter in frühen Jahren sitzen ließ. Besonders interessant für eine hier im Blog oft geführte Diskussion aber ist eine Nebenbeobachtung Bushs: dass seine eigene Biographie als schwarzes Kind in Großbritannien, das einen Aufstieg durch die Bildungsinstitutionen hinlegte und heute ein erfolgreicher Journalist ist (Bushs Artikel sind generell empfehlenswert, seine Analysen der britischen Politik und speziell der Conservatives und Labour sind exzellent) nur durch die Regierung von New Labour möglich war, die für Kinder wie ihn diverse Förderprogramme auflegte (die natürlich seit der konservativen Machtübernahme alle abgeschafft wurden). Das erinnert an die große sozialdemokratische Bildungsexpansion der 1960er und 1970er Jahre, die das Fundament für die heutige breite deutsche Mittelschicht legten. Es ist einfach wichtig, an der Regierung zu sein, wenn man für Menschen was erreichen will. Müntefering hatte Recht: Opposition ist Mist.

5) The Senate tries to figure out Facebook

Das Beeindruckende an diesem Artikel ist weniger der Inhalt (wobei die Befragung Zuckerbergs tatsächlich eine wahnwitzige Zurschaustellung von Inkompetenz, Ignoranz und Faulheit war), sondern die Überschrift. Trotz der riesigen parteipolitischen Polarisierung werden "The Senate", "The House" und "Congress" in den USA immer noch fast immer als institutionelle Blöcke gesehen, was deren Beliebtheitsraten im einstelligen Bereich mit erklären dürfte. Die Semantik hat da eben doch einen gewissen Einfluss.

6) No, it's not spending that's the problem

Kevin Drum verweist darauf, dass die langfristigen Defizite der USA nicht von den Sozialstaatsausgaben kommen - die bleiben sehr stabil und könnten, wenn man angesichts Kostenersparnissen durch technische Fortschritte im Gesundheitswesen optimistisch ist, sogar sinken - sondern von den riesigen Steuersenkungen. Die CBO-Annahmen sehen eine Steigerung des Defizits um 1% durch Sozialausgaben, aber um 9% wegen wegbrechender Steuereinnahmen. Es ist ziemlich offensichtlich, was hier passiert, und treibt einen in den Wahnsinn dass es in der medialen Diskussion immer unter den Tisch gekehrt wird.

7) Oh yes, let's talk about self-awareness in Syria // American interventionism in the Middle East in the past 4 decades has been a disaster

Es dürften sich nur wenige Deutsche finden, die viele gute Worte für amerikanischen Interventionismus im Mittleren Osten haben. Eine der großen Hoffnungen vieler Trump etwas wohlgesonnener Beobachter war ja, dass der sich ostentativ gegen den Interventionismus wandte ("Bush lied, people died"), während Hillary Clinton eher als Falke galt. Es war schon 2016 absehbar, dass bei Trump viel leeres Gerede dabei war und er sein Machismo-geschwängertes Dominanzverhalten jederzeit über isolationistische Grundtendenzen stellen würde, aber so oder so ist es höchste Zeit, dass die USA ihre Interventionen in diesem Bereich der Welt beenden. Die Bilanz ist, wie Drum richtig feststellt, ein einziges Desaster.

8) The worse a state does on improving health, the better it is for Trump // How has your state done on reducing the probability of death?

Einer der vielen Momente, in denen man nur den Kopf schütteln kann: je schlechter es einem Bundesstaat geht, desto eher wählt er Trump. Die Korrelation ist beinahe perfekt. Wenn man krank ist und arm und keinen Zugang zu einer Krankenversicherung hat, wird Republican gewählt. Das ist wie sich über sozialen Kahlschlag beschweren und FDP wählen. Warum?! Die Artikel bieten eine ziemlich plausible Erklärung: da in diesen US-Bundesstaaten der Staat völlig kaputt ist und nicht funktioniert (und wir reden hier wirklich von radikalem Kaputtmachen, da ist die FDP linksradikal dagegen), vertrauen die Leute nicht darauf, dass der Staat irgendwas gebacken kriegt - und wählen die Partei die verspricht, den Staat weiter zu zerstören. Damit schießen sie sich natürlich massiv selbst in den Fuß, aber packt man noch die üblichen republikanischen identity politics oben drauf ist relativ klar, warum die Democrats da so wenig Fortschritte machen.

9) Russland in einem Tweet

In einem faszinierenden Ausschnitt zeigt dieser Artikel der Salonkolumnisten die Realität einer Post-Truth-Gesellschaft auf, wo kommunistische Politiker ihre Treue zum Vaterland dadurch beweisen, dass sie vor Lenins Grab Ostern feiern. Nichts an dem Bild macht Sinn, aber in Russlands völlig zerstörter postfaktischer Gesellschaft spielen Sinn und Unsinn schon lange keine Rolle mehr, wie der Artikel eindrücklich belegt. Die Mechanismen, derer sich Putin (und vor ihm die Sowjets) seit Jahren bedient, werden gut dargestellt und kommen hierzulande ebenfalls immer mehr auf.

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