Samstag, 31. Dezember 2011

Der Prophezeitungs-Post

Von Stefan Sasse

Holt das Blei raus und schmelzt es ein, es ist Sylvester! Horoskope und Voraussagen haben Hochkonjunktur, und auf dem Herdentrieb etwa hat das ja schon lange Tradition. Ich hab vor Urzeiten auch schon Prophezeiungen abgegeben, also warum nicht auch heute? Wie immer sind die Leser eingeladen, in den Kommentaren eigene Voraussagen abzugeben; ich werde die dann in den Post hier direkt am Ende eineditieren. In einem Jahr lachen wir dann alle herzlich drüber. Also dann, los geht's. 

Freitag, 30. Dezember 2011

Lahme Enten und zweite Amtszeiten

Von Stefan Sasse

Neben dem beinahe schon penetranten Hochschreiben des nächsten "Nicht-Romney"-Kandidaten der Republikaner ("X hat wirklich eine Chance in Iowa. Wirklich!") hält sich vor allem ein Narrativ unter den politischen Kommentatoren in den USA: dass ein Wahlsieg Obamas mit einem Verlust der Senatsmehrheit für die Demokraten einhergehen würde und deswegen ein albtraumhaftes "split government" entstünde, das ihn endgültig zu der lahmen Ente machen würde, zu der zweite Amtszeiten praktisch automatisch würden. Auch wäre sein Wahlsieg sicherlich ein schmaler, was ihm keinen klaren Wählerauftrag geben würde, mit dessen Legitimation im Rücken er große Reformprojekte durchbringen könnte. Ich halte dieses Narrativ für ausgemachten Schwachsinn. Zwar ist es richtig, dass viele präsidiale zweite Amtszeiten nicht die Kraft und Wirkung der ersten Amtszeit entfalten konnten. Das aber ist häufig genug ein Wahrnehmungsproblem der Zeitgenossen; es nimmt wenig wunders, dass Präsidenten mit starken zweiten Amtszeiten eher in der weiter entfernteren Vergangenheit gefunden werden als im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Tatsächlich gibt es wenig was dafür spricht, dass eine zweite Amtszeit Obama unter einem republikanischen Kongress wesentlich schwächer als die erste werden würde. 

Donnerstag, 29. Dezember 2011

Wenn die Wahrheit zu Tage kommt….

Von Jürgen Voß

Die Rente mit 67. Ein Dauerthema, ein Kernprojekt der Agenda 2010, mit Klauen und Zähnen als richtig, „wegweisend“ für alle anderen europäischen Staaten, als „Segen“, so die FAZ noch vor wenigen Tagen, von unseren Politkern und den in allen neoliberalen Grundfragen gleichschalteten Medien seit Jahren propagiert, gelobt und mit hoch manipulativen Statistiken sowie mit atemberaubenden Demografieprognosen immer wieder „untermauert“, kommt in diesen Tagen wieder hoch, leider – oder je nach Sichtweise auch Gott sei Dank – weil mit der kruden Wahrheit konfrontiert.

Und die sieht ganz anders aus, als uns Müntefering, FAZ, SZ & Co seit Jahren erzählen. Nichts war es mit den Älteren, die am Arbeitsmarkt eine immer größere Wertschätzung erfahren, genau das Gegenteil ist der Fall: Die Frührente ist der Normalzustand. In sie geht jeder zweite Neurentner (SZ vom 28.12.), und dies sicherlich nicht freiwillig, sondern als Resultat seines ruinierten Gesundheitszustandes oder direkt aus der Arbeitslosigkeit, nicht selten auch aus der Kombination beider Gründe. Hohe Abschläge sind die Folge. Die von der SZ genannten durchschnittlichen Absolutverluste von 113 Euro pro Monat sind es ja nicht alleine. Es fehlen ja noch die nicht mehr erreichten Rentenansprüche der fehlenden Jahre, pro Jahr für Durchschnittsverdiener sind dies rund 28 Euro im Monat. Sie müssten an sich noch hinzuaddiert werden.

Dienstag, 27. Dezember 2011

Paralleluniversen

Von Stefan Sasse

DGB-Chef Sommer hat eine Steuererhöhung für extrem gut Verdienende auf 49% und die Wiedereinführung der Vermögensteuer vorgeschlagen. Die Reaktionen fielen erwartbar harsch aus; von der FDP kam die Nachfrage, "in welchem Universum" Sommer lebe. Nun, die Frage stellt sich tatsächlich, aber mehr für FDP-Generalsekretär Döring, von dem das Zitat stammt. Er hat prinzipiell Recht, wenn er darauf verweist, dass die Steuereinnahmen des Staates so hoch wie nie zuvor sind. Auch das darin mitschwingende Vorurteil, dass der Staat nicht einfach Geld einsammeln sollte, nur weil er es kann, hat eine gewisse Berechtigung. Tatsächlich ist ein Moloch, der nach allen Ecken und Enden finanzierend die Keule schwingt kaum begehrenswert. Das Universum, in dem Döring lebt, ist aber nicht das, in dem gerade die Vermögenden, die er zu beschützen wünscht, in den letzten Jahren und Jahrzehnten exorbitante Vermögenssteigerungen auf die Kosten der Allgemeinheit erwirtschaftet haben. Alle Kürzungen, die der Staat in dieser Zeit vorgenommen hat, trafen die Armen stets härter als die Reichen und brachten ihnen deutlich weniger. Sie profitierten nicht von der Senkung des Spitzensteuersatzes um elf Prozentpunkte durch die Schröder-Regierung, aber sie litten unter der Anhebung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte, mit der das gegenfinanziert wurde, und sie werden unter der Anhebung des Rentenalters mehr leiden. Dörings Frage nach dem Wohnort Sommers impliziert deswegen nur die halbe Wahrheit. 

Samstag, 24. Dezember 2011

Fröhliche Weihnachten!

Von Stefan Sasse

Die Feiertage beginnen, das Jahr neigt sich langsam seinem Ende zu. Ich danke allen Lesern und wünsche euch erholsame Feiertage. Voraussichtlich werde ich nichts Neues posten und auch die Tage nach Weihnachten noch stark eingespannt sein, weswegen der Blogbetrieb hier ein wenig ruhen wird. Schaut so lange einfach bei den Kollegen von der Blogroll rein. Spätestens am 30.12. werde ich aber wieder da sein. Bis dann, und viel Spaß!

PS: Ich werde wohl auf Twitter weiter hin und wieder was schreiben; siehe auch die Box rechts. 

PPS: Die Herkunft von Santa Claus:


Freitag, 23. Dezember 2011

Konsequent zu Ende gedacht: True Blood

Von Stefan Sasse

File:True Blood 2008 logo.svgViele Fantasie-Welten aus Buch, Comic, Film und Videospiel erschaffen neue Welten oder ändern die bestehende soweit ab, dass sie zu einer Art Parallelwelt wird. Diese Welten werden, wie das Star-Wars-Universum, oftmals als Storyvehikel geschaffen; sie sind dazu da, dass sich die Geschichte in ihnen Bahn brechen kann. Nur wenige Welten werden, wie Mittelerde, darüber hinaus stärker ausgebaut. In einer neuen Artikelserie "Konsequent zu Ende gedacht" will ich untersuchen, in wie weit solche Welten überhaupt halbwegs funktionstüchtig sind und wie das Leben in ihnen aussehen würde, wenn der große, klimatische Kampf vorbei ist. Wie wird Mittelerde aussehen, nachdem Sauron besiegt wurde? Wie lebt es sich auf Coruscant, wenn gerade keine Klonkriege oder Rebellion herrschen? Wie interagiert eine Figur wie Batman wirklich mit ihrer Umwelt? Nur selten werden in Fantasiewelten solche Fragen beantwortet (exemplarisch geschieht dies in "Watchmen"). Dabei können sie uns den Blick auf unsere eigene Welt öffnen. Im dritten Teil dieser Serie befassen wir uns mit True Blood.

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Kurz kommentiert

Von Stefan Sasse

In der FTD sowie auf SpOn wird zum Gegenangriff auf die Vulgärmonetaristen der Bundesbank geblasen. Während Fabian Fritzsche in der FTD den Mythos zurückweist, dass von der Zentralbank initiiertes Geldmengenwachstum automatisch die Inflation steigere oder dass dieses Wachstum überhaupt besonders groß ausfalle, kommentiert Wolfgang Münchau auf SpOn, dass die Bundesbanker (als pars pro toto für alle Orthodoxen) keine echten Monetaristen seien, da nicht nur die Kontrolle der Inflation, sondern auch die stabile Geldmenge zu ihren Aufgaben gehörten und diese eben manchmal durch Verringerung der Zinsen zu erreichen sei. Das ist besonders interessant, weil er darauf verweist, dass die herrschende Orthodoxie mehr oder weniger eine ideologische Reflexreaktion ist, da die Sozialisierung der Akteure in den 1970er und 1980er Jahren stattfand, als man sich mit aller Kraft von der vorherrschenden keynesianischen Lehre zu lösen versuchte. Letztlich reagieren die Leute völlig über und sind ideologisch völlig verhärtet. Für uns kommt das wenig überraschend, denn Albrecht Müller etwa predigt das schon seit Jahren, aber es ist doch gut, dass ein relativ anerkannter Experte das breitenwirksam auch auf SpOn verkündet.

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Probleme begrifflicher Klarfassung am Beispiel der realsozialistischen Diktaturen

Von Stefan Sasse

Feierlichkeiten zum 40jährigen Jahrestag der DDR-Gründung
Ein immer wiederkehrendes Problem, mit dem man als Historiker zu tun hat, ist die Verwendung von Begrifflichkeiten. Wenn man einen bestimmten Begriff verwendet, was exakt ist damit gemeint? Benutzt man eine eigene Interpretation, stützt man sich auf einen breiteren Konsens, und gibt es vielleicht Gruppen, die den Begriff völlig anders nutzen? Nur ein Beispiel: wer sind die "Nazis"? Sind es alle Mitglieder der NSDAP? Handelt es sich nur um die oberste Führungsriege? Oder sind es alle Personen, die irgendwie mit den Verbrechen des Regimes verknüpft sind, unabhängig von der eigentlichen Parteimitgliedschaft? Die Verwendung ist fließend. Dieses Problem ist besonders virulent, wo es um die Betrachtung der ostdeutschen beziehungsweise sowjetischen Geschichte geht, denn viele der Begrifflichkeiten sind höchst aktuellen politischen Kämpfen unterworfen und dienen häufig dazu, den politischen Gegner gleich mit zu diskreditieren. Ich will deswegen versuchen, dieses Thema ein wenig ausführlicher anzugehen. 

Weiter geht's auf dem Geschichtsblog.

Dienstag, 20. Dezember 2011

Die Euro-Krise als Glaubensfrage

Von Stefan Sasse

Ein Leser machte mich letzthin auf die Bogenberger Erklärung einiger Ökonomen aufmerksam, in der diese ihre Sicht der Euro-Krise und der daraus für sie resultierenden Handlungsnotwendigkeiten aufzeigten. Wir wollen an dieser Stelle gar nicht ins Detail gehen - wen die Argumentation interessiert, der kann sich gerne das verlinkte .pdf runterladen und sie durchlesen, interessant ist sie allemal. Was mir viel mehr auffällt ist, dass die Euro-Krise letztlich eine einzige Glaubensfrage geworden ist. Es gibt Zahlen von Haushalten, Schuldenquoten, Inflationsraten und Zinsen, und wenn man all diese Zahlen nimmt und sie analysiert kommt man zu Schlussfolgerungen über die Ursachen der Krise und kann daraus Handlungsanweisungen entwickeln. Genau das tun die meisten Beobachter und Akteure ja auch permanent, und sie kommen dabei zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Die einen wollen die Notenbanken als "lender of last ressort", die anderen erachten darin den Untergang des Abendlandes. Die einen wollen einen Austeritätsplan "fiskalischer Verantwortung" für alle, die anderen wollen Abgaben erhöhen und notfalls mit Konjunkturprogrammen die Wirtschaft stützen. Für die einen ist der Euro schon tot, weil Maastricht nicht hart genug war, für die anderen ist er tot, weil die Ideen von Maastricht von vornherein Unfug waren. Alle arbeiten mit demselben Zahlenmaterial, und alle behaupten die ökonomische Wahrheit auf ihrer Seite zu haben. 

Montag, 19. Dezember 2011

"A more perfect union" - Vorbild USA?

Von Stefan Sasse

In der LA Times vergleicht Bruce Ackerman die Philadelphia Convention von 1787 (siehe hier im Geschichtsblog) mit der derzeitigen EU-Krise und Großbritannien mit dem damals ähnlich renitenten Rhode Island. Wenn wir seine Prämisse akzeptieren - dass das, was wir gerade erleben, sehr wohl die Geburt der Vereinigten Staaten von Europa sein könnte und dass die Weigerung der Briten effektiv ihre Exklusion zur Folge haben könnte - dann könnten wir das Beispiel gleich auf die Spitze treiben. Einmal angenommen, es würde tatsächlich eine Föderation europäischer Staaten gegründet, an deren Spitze dann eine echte, gewählte, europäische Regierung steht - warum modellieren wir diese nicht nach dem erfolgreichen Abbild der Politikstruktur der USA? Die einzelnen Mitgliedsstaaten behalten relativ umfrangreiche Rechte zurück (wesentlich mehr als etwa die Bundesländer), besitzen weiterhin ihre lokalen politischen Strukturen und Prozesse, die auch nach völlig unterschiedlichen Regeln funktionieren, während es eine Art darübergestülpte Europa-Ebene gibt, eine ganz neue Bundesregierung. Deren exekutive, legislative und judikative Form könnte dabei der der USA entsprechen. Wie würde das dann aussehen? 

Sonntag, 18. Dezember 2011

Zweifelhafter Spaß mit Statistik

Von Stefan Sasse

Es gibt eine Kategorie von Artikeln in den Medien, deren Inhalte völlig belanglos sind und die eigentlich nur dem Amüsement dienen. Fun Facts. Ein Bundestagsabgeordneter, dessen Büro dementiert hat, dass man eine Eingabe zu umfallenden Reissäcken in China gemacht hat, beispielsweise. Der Spiegel hat gerade so eine Meldung im Angebot, die der zuständige Redakteur wohl mit völlig abgeschaltetem Hirn geschrieben hat:
Plenarsitzungen im Deutschen Bundestag sind keine Spaßveranstaltungen. Dass es unter der Kuppel des Reichstags aber durchaus lustiger zugeht, als die bisweilen heruntergezogenen Mundwinkel der Bundeskanzlerin vermuten lassen, beweist nun eine Auswertung der Plenarprotokolle aus der vergangenen Legislaturperiode. Die Betreiber der Homepage bundestagger.de haben die Textdokumente auf das Stichwort "Heiterkeit" hin untersucht.

Das unscheinbare Wörtchen taucht überall dort auf, wo der Mensch am Rednerpult Gelächter im Plenum hervorrufen konnte. Am häufigsten gelang das zwischen 2005 und 2009 den Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion mit 1316 "Heiterkeit"-Vermerken, gefolgt von der SPD mit 1104 Heiterkeitserfolgen. 
Der Artikel listet weiterhin einige Spitzenreiter auf, etwa Bundestagspräsident Lammert oder Peer Steinbrück. Was für ein atemberaubender Unsinn diese Liste ist zeigt sich, wenn man kurz über folgende Dinge nachdenkt: 

Samstag, 17. Dezember 2011

Den Worten ein Gewissen


Eine Rezension von Roberto De Lapuentes Buch “Auf die faule Haut”

Unbequem! Das ist der erste Gedanke, der dem Leser wohl unwillkürlich in den Sinn kommt, wenn er De Lapuentes Buch erstmalig zur Hand nimmt. So erging es jedenfalls dem Rezensenten, der das Büchlein (es sind ja nur 157 Seiten) zwei Mal – mit einem halben Jahr Abstand – gelesen hat. Und mit “unbequem” ist beileibe nicht nur gemeint, daß die darin enthaltenen Texte dies nun für bestimmte Gruppen dieser Gesellschaft wären. Wer nur das darin zu erkennen vermag, hat weit gefehlt, beschäftigt sich der Autor doch mit unserer ganzen Gesellschaft und ihrer Sprache – also auch mit uns, den Lesern.

In 19 “Skizzen und Essays” (so der Untertitel) setzt sich De Lapuente mit so unterschiedlichen Themen wie Entfremdung und Geworfenheit, den Problemen eines Migrantensohns, dem Antagonismus in der deutschen Kultur oder auch dem Konsumismus als dem “wahren Sieger” der konkurrierenden Systeme Kapitalismus und Kommunismus auseinander. Den eigentlichen Mittel- wie Höhepunkt des Buches bildet ein über 40 Seiten langes Essay zum Thema Sprache, das sich zwischen allgemeiner Linguistik, Sprachphilosophie und Sprachkritik bewegt. Dabei kritisiert der Autor auch deutlich  zunehmende Verschleierung oder Beschönigung von Tatsachen und Sachzusammenhängen durch Worthülsen und inhaltsleere ‘Neoliberal Speech’. Eine von ihm erwünschte Präzision des Ausdrucks, wie sie in früheren Zeiten noch möglich und üblich war, ist einer Art Orwellschem “Neusprech” gewichen, das ein differenziertes und kritisches Betrachten gesellschaftlicher Zustände kaum noch gestattet.

Freitag, 16. Dezember 2011

Konsequent zu Ende gedacht: Game of Thrones

Von Stefan Sasse

Viele Fantasie-Welten aus Buch, Comic, Film und Videospiel erschaffen neue Welten oder ändern die bestehende soweit ab, dass sie zu einer Art Parallelwelt wird. Diese Welten werden, wie das Star-Wars-Universum, oftmals als Storyvehikel geschaffen; sie sind dazu da, dass sich die Geschichte in ihnen Bahn brechen kann. Nur wenige Welten werden, wie Mittelerde, darüber hinaus stärker ausgebaut. In einer neuen Artikelserie "Konsequent zu Ende gedacht" will ich untersuchen, in wie weit solche Welten überhaupt halbwegs funktionstüchtig sind und wie das Leben in ihnen aussehen würde, wenn der große, klimatische Kampf vorbei ist. Wie wird Mittelerde aussehen, nachdem Sauron besiegt wurde? Wie lebt es sich auf Coruscant, wenn gerade keine Klonkriege oder Rebellion herrschen? Wie interagiert eine Figur wie Batman wirklich mit ihrer Umwelt? Nur selten werden in Fantasiewelten solche Fragen beantwortet (exemplarisch geschieht dies in "Watchmen"). Dabei können sie uns den Blick auf unsere eigene Welt öffnen. Im zweiten Teil dieser Serie befassen wir uns mit Game of Thrones.

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Irrlicht SPD

Von Stefan Sasse

Manchmal fragt man sich, was eigentlich die SPD-Führung reitet. 2009 gingen sie mit der Aussage in den Wahlkampf, die von der überwältigenden Mehrheit der Wähler ungebliebte Große Koalition unter Führung Angela Merkels fortsetzen zu wollen. Eine Koalition, mind you, die so unbeliebt war dass die von Westerwelle (!) geführte FDP ihr bestes Bundestagswahlergebnis aller Zeiten erreichte und die LINKE eine zweistellige Stimmenrate erhielt. Seit Schwarz-Gelb an der Macht ist profiliert sich die SPD hauptsächlich damit, dass sie die Koalition von rechts kritisiert - sie spare nicht hart genug, sie sanktioniere nicht hart genug und überhaupt sei "ökonomische Kompetenz" nur bei der SPD zu finden. Das ist, mit Verlaub, schlichtweg Unsinn. Nicht, dass die CDU und FDP tatsächlich über die ihnen so penetrant zugeschriebene "Wirtschafts- und Fiskalkompetenz" verfügten. Der Versuch der SPD, ihnen auf diesem Feld Konkurrenz zu machen aber ist schlicht selbstmörderisch. Seit 2003 versucht die SPD sich nun schon als bessere Partei der "Mitte" als die CDU zu profilieren. Sie hat in dieser Zeit rund 30% ihrer Wähler eingebüßt. Diese Wähler sind nicht zur CDU und FDP abgewandert, sondern zum Großteil zu Nichtwählern, LINKEn und Grünen. Das heißt, zu den Frustrierten und zu den Parteien, die einen Wandel versprechen. Die Attitüde der SPD in allen Landtags- und Bundestagswahlkämpfen, keine Partei des Wandels, sondern eigentlich die besseren Konservativen zu sein ist absurd. Es führt zu der absurden Situation, dass die SPD selbst den zarten Gehversuchen der CDU auf dem Feld progressiver Politik hinterherhechelt. 

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Running for President without Running for President

Von Stefan Sasse

In "Politik als Geschäft" hatte ich jüngst beschrieben, dass einige der republikanischen Präsidentschaftskandidaten - vor allem Michelle Bachmann und Hermann Cain - ein handfestes wirtschaftliches Interesse an der Teilnahme an der republikanischen Präsidentschaftsbewerbung haben, indem sie es Sarah Palin nachmachen und als Tea-Party-Ikone hochbezahlte Auftritte absolvieren wollen (Palin verdiente seit 2008 rund 12 Millionen Dollar auf diese Weise). Doch auch andere Kandidaten berwerben sich, oftmals mehrfach, trotz bereits von vornherein feststehender Chancenlosigkeit um die Kandidatur, und sie tun das auch bei den Demokraten und auch bei den Republikanern, ohne dabei gleich solche monetären Motive zu haben. Warum aber gehen Kandidaten wie Jon Huntsman, Rick Santorum oder John Edwards überhaupt den enormen Aufwand für eine Kandidatur ein, in der sie keine Chance besitzen? Welche Motive haben sie? Wer das deutsche System gewohnt ist, in dem die Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten für gewöhnlich hinter den Kulissen ausgekungelt werden, dürfte sich über dieses Element mehr als einmal gewundert haben. Letztlich gibt es drei Motive: persönliche, politische und ideologische. 

Dienstag, 13. Dezember 2011

Die Funktionsweise der amerikanischen Vorwahlen

Von Stefan Sasse

Die Vorwahlen der republikanischen Präsidentschafts-Bewerber kommen auch in Deutschland mehr und mehr in die Nachrichten, von Rick Perrys legendären "oops" zu Hermann Cains Libyen-Aussetzer und Mitt Romneys "Hand drauf, 10.000 Dollar". Die Funktionsweise dieser Vorwahlen, ihre spezifischen Regeln und Zwänge, sind deutschen Zuschauern dagegen nur eingeschränkt bekannt. In diesem Beitrag soll deswegen kurz dargestellt werden, wie die Vorwahlen funktionieren und welche Bedeutung ihnen beikommt. - Die Vorwahlen werden seit den späten 1960er Jahren abgehalten, da die Ernennung Hubert Humphreys zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten vielen Leuten so übel aufstieß, dass es in Chicago zu Krawallen kam. Die Demokratische Partei führte daraufhin flächendeckende Vorwahlen ein, und die Republikanische folgte auf dem Fuße. Diese Reform steht in der Tradition einer stärkeren Demomkratisierung amerikanischer Wahlprozesse. In dem Land wird vom Hundefänger bis zum Generalstaatsanswalt eine große Bandbreite öffentlicher Ämter gewählt, was für eine ganz andere Verantwortlichkeit gegenüber dem Volk führt  - zumindest im theoretischen Anspruch. Auch die politischen Positionen wurden mehr und mehr der Volkswahl überlassen; die letzte große solche Reform war die Direktwahl der Abgeordneten des Senats 1913. 

Montag, 12. Dezember 2011

Malign neglect

Von Stefan Sasse

In der letzten Zeit geraten die miesen Arbeitsbedingungen besonders in der Dienstleistungsbranche wieder erneut in den Fokus, nachdem fast zwei Jahre lang solcherlei Themen praktisch keine Rolle gespielt haben. Der Fokus liegt auf den Internetversandhäusern und den mit ihnen verbundenen Subunternehmen. Amazon etwa fiel negativ auf, als sie Arbeitslose als Saisonkräfte einstellen und ihnen vorher ein zweiwöchiges "Praktikum" als Anlernzeit unbezahlt aufzwingen. In "45 Minuten" sendet der NDR einen Bericht über die Praxis bei DHL, wo - wie fast überall - Subunternehmen eingesetzt werden, die mit katastrophalen Arbeitsbedingungen operieren. Der Journalist ließ sich in bester Wallraff-Manier undercover einstellen und berichtete von seinen Erlebnissen. Gegen Amazon brach bereits ein kleiner Aufstand los: so stellten mehrere Blogs, etwa die NachDenkSeiten, der Spiegelfechter, der Binsenbrenner oder Klaus Baum die Zusammenarbeit mit Amazon ein und riefen zum Boykott auf: 
Auch die NachDenkSeiten stellen ihre Zusammenarbeit mit Amazon mit sofortiger Wirkung ein und wir hoffen, dass dieses Beispiel Schule macht. Vor allem im Vorweihnachtsgeschäft sollte Amazon schmerzlich am eigenen Leibe erfahren, dass es auch wirtschaftlich von Nachteil sein kann, wenn sich man durch Gesetzeslücken auf unsoziale Art und Weise Vorteile verschaffen will.
Das ist löblich, kostet es die beteiligten Blogs doch ihren Anteil an der Werbekostenerstattung. Nur enthält gerade die NDS-Begründung einen fundamentalen Fehler. Amazon und die DHL-Subunternehmer (und zahllose weitere Unternehmen) nutzen keine Gesetzeslücken aus. Dass sie gerade in den Fokus geraten sind ist letztlich zufällige Willkür. 

Sonntag, 11. Dezember 2011

Meinung eines Russen zu den aktuellen Vorgängen um die Wahl

Von Stefan Sasse

Vom Email-Kontakt mit einem russischen Bekannten über die aktuellen Vorgänge:
Putin is less popular then he was, that is sure. But still, it is a question of perspective. I personally don't know people who respect him, but I live in Moscow, most of my friends are educated middle-class, and in Russia that makes me a minority of sorts. Our country, aside from several big cities, is a poor one, and very hostile toward foreigners, as a rule, so Putin is still regarded by many as a "kind king", who takes a firm stand against "hostile surroundings", meaning Europe, USA, Asia and even part of our own counrty. The truth is, we are a house divided in many ways, and our political life is a farce. Before the elections many people were going to vote for any party but the ruling one, as lesser evil. Those "lesser evil" include communists, farcical nationalists and such-like. So most of those who protest these days were swindled not of having the party of their choice in parliament, but of the possibility to tell to the ruling party: "We are sick of you!" And we are sick of them, that's for sure. And - yes, Putin is still way more popular then the ruling party. They are universally called "Party of swindlers and thieves", while his portraits are still used to enforce the positions of some local candidates. (Not very legal, by the way).
And the worst part is, while people are fed up with the guys on the top and want them gone, the most popular rhetorics is nationalistic. People from Ciscaucasia and Central Asia (we have a lot of gastarbeiters here as well, though the term is uncorrect, of course - and some of them are Russian citizens, just looking different nad talking with an accent) are regarded as a treat, tales are spread that they commmit multiple rapes, they sell drugs, they can never rise to the level of the "white people", the colloquial name for them is "beasts"... When I think that those are the grandsons of people who fought nazism - and they are still immensly pround of that... To sad for words, as I said earlier. Of course, not all Russian people are like that, far from it. And the worst part is, the hate that is directed towards people with accents should be aimed at the government instead.
Well, you really got me started ))). I'm just a bit depressed about today and this whole week, and I certainly was not going to complain. There are still a lot of wonderful people here, and I hope they'll prevail someday.

Freitag, 9. Dezember 2011

Integration und Assimilation

Von Stefan Sasse

Wenn die öffentliche Debatte um die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund an etwas leidet, dann an der völligen Unschärfe der Begriffe. Unter "Integration" lässt sich praktisch alles fassen. So kann man unter diesem Stichwort verlangen, dass "die Türken" nur noch Essen kochen, das nicht fremd riecht, dass keine Kleidung getragen wird, die sie als fremd erkennen lässt, und dass sie Deutsch so sprechen, dass man mit geschlossenen Augen keinen Unterschied feststellen kann. Ein Bekenntnis zu "unseren Werten" ist obligatorisch, ohne dass klar wäre, welche Werte das sein sollen, berufen sich doch gerade Konservative gerne auf ein "christliches Menschenbild", dessen Übernahme Muslimen wie Juden leichte Probleme bereiten sollte. Ich will deswegen versuchen, eine neue Definition vorzulegen und diese ab sofort hier im Blog auch zu verwenden und so etwas klarer zu sagen, von was eigentlich die Rede ist. Zu diesem Zweck baue ich ein Begriffspaar von Integration und Assimilation auf. Wichtig ist festzuhalten, dass keiner der beiden Begriffe eine Wertung enthalten soll. Beide sind valide Ziele. Man muss sich nur vorher klarmachen, von was man spricht und welche Bedeutung damit einhergeht.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Konsequent zu Ende gedacht: Star Wars

Von Stefan Sasse

Viele Fantasie-Welten aus Buch, Comic, Film und Videospiel erschaffen neue Welten oder ändern die bestehende soweit ab, dass sie zu einer Art Parallelwelt wird. Diese Welten werden, wie das Star-Wars-Universum, oftmals als Storyvehikel geschaffen; sie sind dazu da, dass sich die Geschichte in ihnen Bahn brechen kann. Nur wenige Welten werden, wie Mittelerde, darüber hinaus stärker ausgebaut. In einer neuen Artikelserie "Konsequent zu Ende gedacht" will ich untersuchen, in wie weit solche Welten überhaupt halbwegs funktionstüchtig sind und wie das Leben in ihnen aussehen würde, wenn der große, klimatische Kampf vorbei ist. Wie wird Mittelerde aussehen, nachdem Sauron besiegt wurde? Wie lebt es sich auf Coruscant, wenn gerade keine Klonkriege oder Rebellion herrschen? Wie interagiert eine Figur wie Batman wirklich mit ihrer Umwelt? Nur selten werden in Fantasiewelten solche Fragen beantwortet (exemplarisch geschieht dies in "Watchmen"). Dabei können sie uns den Blick auf unsere eigene Welt öffnen. Im ersten Teil dieser Serie befassen wir uns mit Star Wars.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Rede Obamas zur Wirtschaft

Von Stefan Sasse

Change is...overdue?

Von Stefan Sasse

Wenn es im beginnenden Präsidentschaftswahlkampf der USA zwei konstante Topics gibt, die beständig abgerufen werden, dann die Unvermeidlichkeit einer Kandidatur Mitt Romneys und die verbreitete Enttäuschung über Obama. Die Sache mit Romney ist relativ klar: er ist der einzige Nicht-Tea-Party-Kandidat außer Jon Huntsman, der über eine gewisse Wählbarkeit auch in der Mitte verfügt und nicht nur dazu geeignet ist, die rechte Basis der Republikaner zu mobilisieren. Im Gegensatz zu Huntsman hat er aber Netzwerke, Geld und Einfluss. Sofern es nicht Newt Gingrich als letztem Tea-Party-Darling, der sich noch nicht selbst zerlegt hat gelingt bis weit in die Vorwahlen hinein seine Frontrunner-Position zu halten, ist eine Kandidatur Romney sehr wahrscheinlich. Daran ändern auch konstante Spekulationen über die Chancen des radikallibertären Ron Paul nichts. Davon abgesehen aber ist die Debatte über Obama eigentlich interessanter. Der Beginn seines Wahlkampfs nämlich wird bislang von den Eskapaden seiner mannigfaltigen Herausforderer deutlich überschattet, nimmt jedoch langsam Kontur an. Er reagiert vor allem auf die für ihn doppelt nachteilige Einschätzung seiner Präsidentschaft. Die einen nämlich, seine Gegner auf dem Rechten, stilisieren ihn zum Anti-Christen, zum sozialistischen Maulwurf im Weißen Haus, während die demokratische Basis vollkommen enttäuscht ist und ihn für einen verkappten Zentristen hält, dessen "change" sich als eine Packung heißer Luft entpuppte. Beides ist schwer möglich, und da jeder Einschätzung ein Körnchen Wahrheit zugrundeliegt dürfte die Wahrheit irgendwo leicht links der Mitte zu finden sein. Und wenn man genauer hinschaut ist es auch tatsächlich so. 

Zitat des Tages

Von Stefan Sasse
Der Wandel in der Haltung wird besonders deutlich, wenn man sich vorstellt, wie Showpolitiker Guttenberg anstelle von Andreas Baum, diesem Titanen der Nichtinszenierung, reagiert hätte. Zunächst hätte er verächtlich auf die sachliche Korrektheit verwiesen: Schließlich seien auch 60.000 Millionen rein technisch gesehen "viele Millionen". Sodann hätte er in tadelndem Ton dem Moderator unfaire Parteilichkeit vorgeworfen und eine unpräzise Fragestellung, auf die er, Guttenberg, ja nur unpräzise habe reagieren können. Wie in seiner Familie seit 300 Generationen üblich, sei er zur Präzision erzogen worden, aber um diese zu liefern, müsse er sie auch von seinem Gegenüber verlangen können. Ganz zum Schluss wäre er voll des Eigenlobs über seine Kritikfähigkeit gewesen - weil er dann doch eine gewisse Ungenauigkeit zugegeben hätte, die allerdings eindeutig auf die große Arbeitsbelastung zurückzuführen sei.
- Sascha Lobo

Dienstag, 6. Dezember 2011

Die Außenpolitik der Bonner Republik

Von Stefan Sasse

Konrad Adenauer
Als die Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 gegründet wurde, war sie ein Produkt des verlorenen Krieges. Drei Siegerstaaten hatten ihre Besatzungszonen vereinigt und die darin lebenden Deutschen in eine eingeschränkte Souveränität entlassen. Dass in einer solchen Situation nur wenig außenpolitischer Spielraum bestand, wo doch letztlich jeder Schritt noch genehmigungspflichtig war, versteht sich von selbst. Trotzdem gelang es der deutschen Außenpolitik, innerhalb nur weniger Jahre bemerkenswerte Freiräume zu schaffen und diese gezielt zu füllen. Die starke Prägung innenpolitischer Verhältnisse durch die außenpolitischen - Stichwort Westbindung - rechtfertigt auch eine engere Beschäftigung mit dem Gegenstand, die im folgenden vorgenommen werden soll. Die Außenpolitik der BRD lässt sich dabei in drei große Phasen unterteilen: die Westbindung unter CDU-geführten Regierungen und Außenämtern, die Ostpolitik unter SPD und FDP und schließlich der Kurswechsel des vereinigten Deutschland in der Berliner Republik, der noch lange nicht abgeschlossen ist und deswegen allenfalls grob skizziert werden kann. Beginnen wir mit der Ausgangssituation.

Weiter geht's auf dem Geschichtsblog.

Montag, 5. Dezember 2011

Schmidts Rede auf dem SPD-Parteitag

Von Stefan Sasse

Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal in Verlegenheit kommen würde, Helmut Schmidt vollen Herzens zuzustimmen. Aber seine Rede auf dem SPD-Parteitag ist tatsächlich gewaltig. Man kann von ihm halten was man will, aber er kann in jedem Fall noch Gedanken fassen, gegen die ein Steinmeier (noch mehr) wie ein Chorknabe wirkt. Schmidt beginnt dabei langsam (man merkt es auch bei der Reaktion des Publikums) indem er den Delegierten erst einmal eine Geschichtsstunde zur europäischen Einigung hält. Betrachtet man seine dezidiert nationalstaatliche Sicht, wird das Alter und die Sozialisation Schmidts wieder offenkundig. Nichts desto trotz hat er mit seiner Analyse von Deutschlands Position und vor allem der Ängste seiner Nachbarn vollständig recht, und es ist bezeichnend, dass ausgerechnet die CDU das vollständig vergessen hat und sich von der SPD an ihre europäische Verpflichtung erinnern lassen muss. Unbedingt anhören, es lohnt sich. 

Nachtrag: Jan Fleischhauer bezieht Gegenposition


Der starke Staat

Von Stefan Sasse

Die herrschende Krise scheint den Staat in praktisch allen relevanten Nationen vollständig aus der politischen Arena verdrängt zu haben. Ob Merkel in Deutschland die "marktkonforme Demokratie" fordert, der griechische Premier irgendwo zwischen Cannes und Canossa aus dem Amt gedrängt oder ob Berlusconi durch Druck "der Finanzmärkte" seinen Posten räumen muss - der überwältigende Eindruck ist eine Dominanz von Mächten, die außerhalb der staatlichen Sphäre liegen, eine überragende Schwächung der staatlichen Macht zugunsten anderer Konstrukte und Interessen. Konsequenterweise fordern Linke in ganz Europa eine Stärkung des Staates und sein entschlossenes Eingreifen. Dem liegt aber eine Fehlperzeption zu Grunde: der Staat ist überhaupt nicht schwach. Er ist stärker als je zuvor. Der Blick auf diesen Sachverhalt wird durch das einseitige Muster, nach dem die Linken für mehr und die Rechten beziehungsweise Neoliberalen für weniger Staat seien, verdeckt. Das mag auf den ersten Blick merkwürdig klingen. Tatsächlich aber ist es so, dass der Staat in der herrschenden Krise nicht Opfer, sondern Täter ist. 

Samstag, 3. Dezember 2011

Augstein und Blome

Von Stefan Sasse

Falls ihr es noch nicht kennt: jede Woche kommt auf Phoenix "Augstein und Blome", wo Augstein (Freitag) und Blome (BILD) miteinander diskutieren. Sehr sehenswert jedes Mal!

Freitag, 2. Dezember 2011

Paul Krugman bei Authors@Google

Von Stefan Sasse

Politik als Geschäft - Die republikanischen Präsidentschaftskandidaten

Von Stefan Sasse

Hermann Cain
Nur wenige Politiker müssen derzeit so viel Hähme und Spott ertragen wie die Kandidaten der Republikaner auf das höchste Staatsamt der USA. Der eine befürchtet, dass China nukleare Waffen entwickeln könnte (erster erfolgreicher Test 1964), die andere will die iranische Botschaft schließen (seit 1980 geschlossen), der dritte erinnert sich nicht daran, welche Ministerien er eigentlich schließen will (wissen wir bis heute nicht). Wer sich fragt, warum diese Parade der Peinlichkeiten überhaupt in den Wahlkampf eingestiegen ist, wo sie doch so offensichtlich ungeeignet sind, der hat schlicht nicht verstanden, wie der Präsidentschaftswahlkampf im Allgemeinen und der aktuelle im Speziellen funktionieren. Zuerst allgemein: schon immer bewarben sich im Vorwahlkampf auch Kandidaten, die objektiv wegen Außenseiterpositionen oder mangelnden Netzwerken keine Chance hatten. Das könnte sein, weil sie etwa (für Amerikaner) linke oder rechte Positionen vertreten oder weil sie zu unbekannt und zu wenig im Establishment verankert sind. Für solche Personen geht es im Vorwahlkampf überhaupt nicht darum, ernsthaft zu gewinnen. Ihr Ziel ist entweder der Aufbau von Beziehungsnetzen und einem Bekanntheitsgrad, oder aber - häufiger - Agenda-Setting. Ein sehr liberaler Demokrat beispielsweise wird das gesamte Bewerberfeld der Demokraten nach links ziehen, weil die anderen ein Interesse haben müssen, seine Wähler nach seinem unvermeidlichen Ausscheiden auf sich selbst zu verankern. Andersherum ziehen Kandidaten wie Michelle Bachmann das republikanische Bewerberfeld nach rechts. Auf diese Art und Weise werden die Positionen eines zukünftigen Präsidenten stark mit beeinflusst. 

Donnerstag, 1. Dezember 2011

Geschichte zweier Spiele, Teil 2/2: Assassin's Creed Revelations

Von Stefan Sasse

Assassins Creed Revelations Cover.jpgNachdem wir uns im ersten Teil des Artikels angesehen haben, wie in einem auf Blockbuster-Kino getrimmten Actionspiel äußerst fragwürdige Werte vermittelt werden können und werden, soll nun ein positives Beispiel folgen. "Assassin's Creed Revelations" ist der vierte Teil der Assasssin's-Creed-Reihe (diverse Minispiele und Gameboy-Ableger nicht mitgerechnet). Der Spieler steuert ein Mitglied der geheimen Vereinigung der Assassinen aus der 3rd-Person-Perspective, die Nicht-Videospielern vor allem aus Tomb Raider geläufig sein dürfte: die meiste Zeit schaut man von hinten auf die Spielfigur. Der Fokus liegt bei Spielen dieser Art häufig mehr auf dem Klettern und Bewegen als auf dem reinen Gefecht, aber das ist mehr eine Tendenz als eine Regel (wie Titel wie "Space Marine" oder "Gears of War" bestätigen). Nachdem diese Eingangsfragen geklärt wären wollen wir uns nun direkt in medias res begeben. Was lässt Assassin's Creed dort wesentlich besser dastehen, wo Modern Warfare ein äußerst flaues Gefühl in der Magengrube zurücklässt? Immerhin spielt man hier einen Meuchelmörder. Um das zu verstehen, muss erneut die Geschichte bekannt sein. 

Mittwoch, 30. November 2011

Geschichte zweier Spiele, Teil 1/2: Call of Duty Modern Warfare 3

Von Stefan Sasse

Call of Duty Modern Warfare 3 box art.pngIn den letzten Wochen sind zwei große Titel fest etablierter Reihen erscheinen: Call of Duty Modern Warfare 3 und Assassin's Creed Revelations. Modern Warfare 3 ist der mittlerweile achte Teil der Call-of-Duty-Reihe, während ACR der vierte Teil der Assassin's-Creed-Reihe ist. Nach dem Durchspielen beider Einzelspieler-Kampagnen war ich mehr als überrascht, wie fundamental entgegengesetzt die Geschichten sind, die in diesen Spielen erzählt werden. Beide vermitteln ein bestimmtes Wertesystem, kommentieren politische und gesellschaftliche Probleme der heutigen Zeit. Im Folgenden möchte ich zeigen, wie sie das tun und warum Modern Warfare nicht nur äußerst fragwürdig, sondern geradezu gefährlich ist, während die Assassin's-Creed-Spiele dem Spieler zutiefst wertvolle Fragen stellen und ihm etwas mitteilen, das von Bedeutung ist. Im Fokus steht dabei ausdrücklich die Geschichte selbst, die diese Spiele erzählen. Es geht nicht um Mechaniken, nicht um den Mehrspielermodus, nicht um die Grafik. In all diesen Bereichen sind beide Spiele gut, und trotz der sehr  unterschiedlichen Erzählqualität können beide exzellent unterhalten. Dies soll überhaupt nicht in Abrede gestellt werden. Nach dieser Vorrede zur Sache. 

Dienstag, 29. November 2011

Das Demokratieproblem der Linken

Von Stefan Sasse

Ich habe in der Vergangenheit öfter festgestellt, dass Linke vor allem deswegen für Volksabstimmungen sind, weil sie denken ihre eigenen Ziele damit durchsetzen zu können. Man zitiert dann gerne Zahlen wie fast 80% der Deutschen, die einen Mindestlohn wollen oder 90%, die den Rückzug aus Afghanistan wünschen. Stets ignoriert wurden satte Mehrheiten für Forderungen wie die Wiedereinführung der Todesstrafe (gerne auch nur für Sexualstraftäter), härtere Gesetze gegen Migranten oder Minarettverbote. Die Abstimmung um Stuttgart21 legt schonungslos offen, wo Demokratiedefizite in Deutschland liegen. Dass beispielsweise die Interessen des Großen Geldes über wesentlich mehr Durchsetzungskraft verfügen als die derjenigen, die über dieses Geld nicht verfügen war auch im Falle Stuttgart21 offenkundig, obgleich es sich noch in Grenzen hielt, vergleicht man es etwa mit der hyperaggressiven Lobbyarbeit von Steuersenkern in den USA (siehe Zeit). Etwas überraschender für manche mag sein, dass es auch ein krasses Demokratiedefizit auf der Linken offenbart hat, besonders was das Akzeptieren der Niederlage angeht. Anzeichen dafür gab es bereits im Vorfeld. Hermann Zoller, der für die NachDenkSeiten mehrmals über Stuttgart21 schrieb, beklagte im Vorfeld exzessiv die Wahlwerbung der Gegenseite. Seine Vorwürfe waren dabei völlig abstrus, bezogen sie sich doch praktisch ausschließlich darauf, dass die Gegenseite überhaupt Werbung machte. Was in einem demokratischen Prozess völlig normal sein sollte, wurde mit praktisch religiösem Eifer verfolgt. 

Montag, 28. November 2011

Wunder ausgeblieben, Trend bestätigt

Von Stefan Sasse

Das Referendum gegen Stuttgart21 ist gescheitert. Wegen des hohen Quroms war das ohnehin absehbar; Ministerpräsident Kretschmann sprach von einem "Wunder", dem ein Erfolg gleichkäme. Das finale Ergebnis aber lässt keine Fragen offen: nur 41,2% stimmten für den Ausstieg aus S21, 58,8% dagegen. Tanja Gönner, die Fraktionsvorsitzende der CDU Baden-Württemberg und als ehemalige Verkehrsministerin schwer involviert, freut sich natürlich wie Bolle über das Ergebnis und erklärt, dass man Recht gehabt habe: eine schweigende Mehrheit war immer schon für das Projekt, die Protestierenden eine wenn auch lautstarke Minderheit. Das Ergebnis gibt ihr Recht. Tatsächlich war die Frage um S21 offensichtlich eine Minderheitenposition. Abgestimmt haben zudem nur knapp 50% der Wahlberechtigten, was allerdings im Vergleich mit anderen Volksentscheiden inner- und außerhalb Baden-Württembergs eher im normalen Bereich liegt, so sehr man das auch bedauern mag. Bleibt die Frage, wie die Zahlen zu interpretieren sind. Fefe jedenfalls versteht die Schwaben nicht:
In der Volksabstimmung haben bloß 41,2% dafür gestimmt, S-21 abzubrechen. Wie jetzt? Er wählen sie den Mappus weg und einen Grünen hin und dann wählenwstimmen sie ab, dass der Grüne den Bahnhof bauen muss?! Sind die alle ein bisschen schizophren? 
Keinesfalls. Eigentlich ist dieses Ergebnis sogar eine gute Nachricht. Denn tatsächlich haben die Baden-Württemberger die CDU abgewählt, daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Und während Tanja Gönner sich in der Bestätigung ihrer These der schweigenden Mehrheit für S21 sonnt, ist die viel schwerwiegendere Implikation dieses Wahlergebnisses offensichtlich noch bei niemandem angekommen. 

Donnerstag, 24. November 2011

Das Vermächtnis der Angela Merkel

Von Stefan Sasse

Es ist schwer vorstellbar, dass Angela Merkel sich mit der gleichen Hingabe der Vermächtnispflege widmet, mit der etwa Schröder und Kohl das getan haben (der eine als Kanzler der Agenda-Reform und des Friedens, der andere als Kanzler der Einheit und Europas). Wenn irgendein Histroriker später schreibt, "sie hat ihren Job gemacht" würde sie sich diesen Satz wohl rahmen lassen. Nur, was auch immer Merkel sich als ihr Vermächtnis vorgestellt hat, und ganz egal wie lange sie noch Kanzlerin bleiben wird, der Umgang mit der großen Finanz- und Eurokrise wird zumindest einen wesentlichen Teil dessen ausmachen, an das man sich später erinnern wird, wenn die Rede auf ihre Kanzlerschaft kommt. Und das vermutlich nicht in positivem Sinne. Denn was Merkel bisher bereits in schier atemberaubenden Tempo gelungen ist ist nicht weniger als eine Vollbremsung im Prozess der europäischen Integration und eine Umkehrung der Tendenz, die uns den europäischen Frieden für über 50 Jahre bewahrt hat. Angela Merkel - und die schwarz-gelbe Regierung, das sollte man nicht vergessen - sind europafeindlicher und zerstörerischer gegenüber diesem Projekt, als es die LINKE je hätte werden können, wenn sie eine komplette Umstrukturierung der EU fordert. 

Leiden ist christlich

Von Stefan Sasse

Du, Rick Santorum, bist offiziell ekelhaft. Ernsthaft. Richtig. Widerlich.



Suffering is a part of live? Sagte der Mann, dessen reiche Eltern ihn ihr Leben lang haben "entitled" fühlen lassen.

Mittwoch, 23. November 2011

Guttenbergs Rückkehr

Von Stefan Sasse

Die ganze Berichterstattung und Spekulation über einen Comebackversuch Guttenbergs ist Teil eines Spiels. Es ist das Lieblingsspiel der Journalisten und der meisten ihrer Leser: wird Promi XY den Regeln gemäß agieren oder nicht? Bricht er aus? Wenn ja wo? Man kann dieses Spiel im Fußball beachten, wenn über neue Trainer spekuliert wird. Man kann es in der Filmbranche sehen, wenn ständig neckisch irgendwelche Regisseure oder Schauspieler nicht ausgeschlossen werden. Und man sieht es in der Politik, wenn irgendwelche Leute nicht kandidieren wollen ("Ich bin kein Präsidentschaftskandidat"). Solcherlei Spiele halten die Schlagzeilen voll, man kann bekannte Gesichter hinsetzen und hat Spaß dabei, weil jeder versteht worum es geht. Ähnlich leichte Berichterstattung über den Europäischen Rettungsschirm? Undenkbar. Ich halte es für ausgemachte Sache, dass Guttenberg ein Comeback starten will, oder dass Peer Steinbrück Kanzlerkandidat werden will. Das Zieren gehört nur zum Spiel. Da Guttenberg sich schon zu seiner kurzen aktiven Zeit als wahrer Meister der öffentlichen Inszenierung gezeigt hat ist es natürlich besonders ergiebig, sein Spiel zu beobachten. 

Dienstag, 22. November 2011

Sprachmassaker bei Hahne

Von Stefan Sasse

Peter Hahnes Talkshow hat gegenüber dem ganzen Rest der unsäglichen Bande einen entscheidenden Vorteil: öfter mal sitzen da nur zwei mit dem Moderator zusammen, was immerhin so etwas wie eine Diskussion ermöglichen könnte. Da hört das Positive aber auch schon auf. Nicht nur, dass Hahne genausowenig wie seine Kollegen darauf verzichten kann, jeden Gesprächsfluss mit Einspielfilmchen abzuwürgen, derer es absolut nicht bedarf. Er ist auch ein eitler Gockel, der sich selbst mit vollem Recht als privilegierten Gesprächsteilnehmer begreift. Das führt dann dazu, dass man zwar eine halbe Stunde irgendwie ein Thema beackert. Aber immer, wenn gerade jemand so etwas wie ein Argument auspacken könnte, das tatsächlich so etwas wie eine Diskussion in Gang brächte, mischt sich Hahne ein, um eine billige Anekdote einzubringen, die zwar Zustimmung des Zuschauers und ein gequältes Lächeln bei den Gästen hervorruft, aber jeden Versuch einer thematischen Auseinandersetzung beendet. Aktuelles Beispiel gefällig? "Was machen wir aus unserer Sprache?" lautet der Titel, und zu Beginn kündigt Hahne groß an, dass zwei Personen, die nie zuvor am selben Tisch saßen zusammengebracht wurden: Sascha Lobo und Bastian Sick. Auf der einen Seite das Aushängeschild von "das Internet", auf der anderen Seite die Heilsfigur der Sprachschützer und Grammatiknazis. Tatsächlich hätte das eine interessante Diskussion werden können, wenn da nur der Moderator nicht wäre. 

Montag, 21. November 2011

Bedürfnis nach einem Dritten Weg?

Von Stefan Sasse

In meinen Berichten von der Piratenpartei schrieb ich letzthin, dass es den Piraten gelingen könnte, einen dritten Weg aufzuzeigen, der aus den derzeit verhärteten Fronten aus der Krise weisen könnte. Diese Formulierung war zugegebenermaßen etwas unüberlegt, ist doch der "Dritte Weg" mit der Neoliberalisierung der Sozialdemokratien Europas, in besonderer Weise aber Labour und der SPD, verknüpft. Davon soll hier aber keine Rede sein. In der Rückschau, spätestens, ist klar geworden dass dieser "dritte Weg" niemals einer war. Von einer Verknüpfung von Kapitalismus und Sozialismus, was der selbst gestellte Anspruch irgendwie war, ist effektiv nichts geblieben als ein sozialstaatlich verbrämter Reformkurs nach dem neoliberalen Glaubensbuch, mitsamt seinen Kürzungen, Anreizen, Streichungen und Förderungen. Das aktuelle Problem der Politik, das direkt mit ihrer eigenen Unbeliebtheit korreliert, scheint aber genau das Fehlen eines Dritten Weges zu sein. Weder die so genannten "Bürgerlichen" um CDU und FDP noch die so genannten "Linken" um SPD, Grüne oder LINKE scheinen eine überzeugende Antwort, eine Art gesellschaftlicher Vision zu haben. Das ist merkwürdig, denn eigentlich sollte in einer globalen Kapitalismuskrise doch eigentlich die LINKE gerade solche Antworten haben. Eine Antwort fand ich jüngst im Spiegel 45/2011 in einem Porträt Sahra Wagenknechts, in dem der Autor schrieb, dass die Menschen zwar die zerstörerischen Ziele der LINKEn teilten - also die Entmachtung von Banken, die Regulierung der Wirtschaft, stärkere Besteuerung der Reichen usw. - aber nicht das, was sie konstruktiv erreichen wollte, also eine Art gemäßigten Sozialismus. Und ich glaube, genau da liegt der Hase im Pfeffer. 

Heute Show zum Verfassungsschutz

Von Stefan Sasse

Freitag, 18. November 2011

Der umstrittene Bundeswehr-Clip

Von Stefan Sasse



Ich find ihn ja vor allem hochgradig albern. Aber hier hauptsächlich zur Dokumentation, da die Regierung ihn ja sofort wieder gelöscht hat.

Warum Liberale das zweite Ammendment lieben sollten

Übersetzt aus dem Englischen von Stefan Sasse

Liberale lieben die Verfassung. 

Fragen Sie irgendjemanden auf der Straße. Sie werden Ihnen sagen, dass die American Civil Liberties Union (ACLU) eine liberale Organisation ist. Während der dunklen Tage der Bush-Regierung hat sich die Mitgliederschaft verdoppelt, weil so viele Amerikaner zunehmende Beschränkungen ihrer Freiheiten fürchteten. Wenn Sie Liberale nach ihren fünf schwerwiegendsten Beschwerden über die Bush-Regierung fragen würden, kämen unweigerlich Varianten der Worte "zerfetzen" und "Verfassung" im selben Satz vor. Sie würden außerdem "vierter Verfassungszusatz" und "Rechtsstaatsprinzip" sagen. Vielleicht würden sie auch über "Zone der Redefreiheit" oder "habeas corpus" reden. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie, vermutlich in Kombination mit mehreren von der FCC verbotenen Adjektiven, die früheren Generalstaatsanwälte John Ashcroft und Alberto Gonzales nennen. Und während Liberale sicherlich nicht für Gesetzlosigkeit eintreten und die Notwendigkeit bestimmter Einschränkungen anerkennen, so ist es doch weithin akzeptiert, dass Liberale dafür eintreten unsere Freiheiten großzügig zu interpretieren und beständig zu erweitern und die Weisheit und Notwendigkeit hinter allen Einschränkungen beständig hinterfragen. Liberale können juristische Präzedenzfälle zitieren, Nachrichtensendungen und erschöpfende Studien. Und, praktisch ohne Einschränkung, daraus die Notwendigkeit abzuleiten, die Bürgerrechte zu respektieren und nicht einzuschränken. Bis auf eines: das Recht Waffen zu erwerben und zu tragen. 

Donnerstag, 17. November 2011

Ein Abend unter Piraten, Teil 3: Nachklapp

Von Stefan Sasse

Von Martin Eitzenberger, Vorsitzender der Piratenpartei Stuttgart:
Daten
Die Fälle der U-Bahn-Schläger sind ein gutes Beispiel. Die Täter wurden nämlich nicht anhand der Videoaufzeichnungen identifiziert, sondern aufgrund der darauf folgenden schnellen Reaktion der Polizei. Auf den Videos konnte man die Täter nichtmal zweifelsfrei identifizieren. Aus philosophischer Sicht sollten wir uns die Frage stellen: Wollen wir, dass sich jemand "richtig" verhält, weil er keine Wahl hat, oder wollen wir, dass sich Menschen aus eigenem Antrieb heraus "richtig" verhalten? ... Typisches Erziehungsbeispiel: Wer zu hause zu gut behütet ist (unter der allumfassenden Kontrolle seiner Eltern steht), der hat später im Leben eher Schwierigkeiten mit eigenverantwortlichem Handeln, als jemand, der die Chance erhält, die Dinge selbst richtig zu machen, mit dem Risiko eben Fehler zu begehen - und aus diesen Fehlern zu lernen. Die andere philosophische Frage ist: Wollen wir uns hier ein wenig gefühlte Sicherheit auf kosten der Freiheit erkaufen? Da keule ich ganz gerne: Totalitäre Regime treffen auch viel zügiger politische Entscheidungen, allerdings auf Kosten der Freiheit. Dieses Bewusstsein fehlt im Bezug auf moderne Technologien noch bei den meisten Menschen, da diese noch relativ neu sind und großflächiger Missbrauch v.a. noch außerhalb des Wahrnehmungshorizontes der Menschen stattfindet (etwa in China). Natürlich könnte die Polizei mehr leisten, wenn sie etwa jederzeit anlasslos und ohne weiteres die Wohnung von jedem insgeheim durchsuchen könnte, man denke etwa an Drogendelikte. Hier hat man allerdings bereits historische Erfahrungen. Unsere Sorge ist es, dass uns diese Lernkurve bei modernen Technologien erst noch bevor steht, wenn wir nicht frühzeitig deren Einsatz zum Eingriff in die Privatsphäre der Menschen zumindest angemessen regulieren.

Mittwoch, 16. November 2011

Ein Abend unter Piraten, Teil 2: Let's talk specifics

Von Stefan Sasse

Sören-Frederic Fischer
Nachdem quasi der offizielle Teil des Stammtischabends bei den Piraten Stuttgart abgeschlossen war, hatte ich die Gelegenheit ein längeres Gespräch mit Sören, dem stellvertretenden Kreisverbandsvorsitzenden und Landtagskandidat 2011 zu führen. Unser Gespräch hangelte sich an einigen Themenblöcken entlang. Ich will im Folgenden meine Fragen an Sören und seine Antworten beschreiben und jeweils eine Analyse nachschieben. Die Antworten auf die Themen stellen dabei keine offizielle Stellungnahme der Piratenpartei dar, sondern sind als Privatmeinungen eines Piratenfunktionärs zu sehen - die sich, der Natur der Sache entsprechend, mit der Partei weitgehend decken, wo Beschlüsse von deren Basis bereits gefasst wurden. Genug der Vorrede; in medias res. 

Dienstag, 15. November 2011

Ein Abend unter Piraten, Teil 1: Basisdemokratie@work

Von Stefan Sasse

Am Montagabend war ich Gast auf dem zweiwöchentlichen Stammtisch der Piratenpartei Stuttgart. Ich wollte mir endlich einmal persönlich ansehen, wie Transparenz und Basisdemokratie sich in der Praxis ausnehmen und die Piraten zu bestimmten Themen befragen, die in der öffentlichen Debatte meiner Meinung nach deutlich zu kurz kommen. Im ersten Teil der Erzählung dieses Abends will ich den organisatorischen Teil schildern. Ich hoffe, ihr gebt mir ein bisschen Bonuspunkte dafür, dass ich in dem Artikel auf dämliche Piratenmetaphern verzichte. Kein Schiff ahoi, Entern, Klarmachen oder Kapern. Ich tauge wohl nicht zum Spiegel-Redakteur. - Aber ich schweife ab. Der Piratenstammtisch ist offen für alle, ob sie nun Mitglieder sind oder nicht. Man kann einfach vorbeigehen und, was wohl ein einzigartiges Experiment ist, mitreden und mitabstimmen, auch wenn man nicht Mitglied ist. Zu Beginn ihrer Stammtische arbeiten die Stuttgarter Piraten immer ihre organisatorischen Fragen ab. Dieses Mal war das in Form von sieben Tagesordnungspunkten organisiert und wurde, straff moderiert von Versammlungsleiter Dave, in knapp einer Stunde abgehandelt. Für Nicht-Piraten - und davon war eine ganze Menge anwesend - war das relativ ermüdend. Die Piraten selbst legten allerdings Wert darauf, dass dies der Preis der Transparenz sei. Ihre Versammlungen finden gleichsam unter freiem Himmel statt (oder, in diesem Fall, in einer Pizzeria) und kennen keine abgeschlossenen Vorstandsbschlüsse. Das Unbequeme gehört mit zur Basisdemokratie, dieser Einsicht verschließt man sich nicht, man umarmt sie eher.

Montag, 14. November 2011

Die CDU-"Einigung" zum Mindestlohn

Von Stefan Sasse

Die CDU hat sich nun auf eine Version des Mindestlohns geeinigt, die so weichgespült wie eben möglich ist. Nach Aussagen praktisch aller Beteiligter ist das die Wunschvariante Merkels. Das passt wie die Faust aufs Auge. Nicht nur, dass Merkel den Mininmalkonsens vertreten hat. Auch, dass sie sich damit zu 100% durchsetzen konnte. Was sie von Anfang an wollte ist nun Wirklichkeit: die CDU hat einen Fuß in der Tür eines Themas, das ihr potentiell hätte gefährlich werden können und kann nach beiden Seiten Absicherung betreiben. Gegenüber den Arbeitnehmern kann sie auf die prinzipielle Durchsetzung, gegenüber den Arbeitgebern auf die generelle Wirkungslosigkeit des Mindestlohns verweisen. Das ist genau die Art Cleverness, für die Merkel bekannt ist. Es ist ein Kompromiss zum Machterhalt, fein austariert und tragfähig. Eine Lösung des Problems versucht er erst gar nicht, da kann von der Leyen davon fabulieren wie sie will. Aber das war für Merkel auch nie das Ziel. Diese Kanzlerin ist vor allem eines: Machttaktikerin. Sie versteht sich meisterhaft darauf. Was man ihr beständig als Opportunismus ankreidet, ist für sie eine Tugend. 

Sonntag, 13. November 2011

Triumph des Rechtsstaats?

Von Stefan Sasse

Die Debatte um die Deutung der Geschehnisse, die mit Schirrmacher und Habermas in der FAZ begonnen und von Steingart im Handelsblatt fortgesetzt wurde, geht in die nächste Runde. Ebenfalls in der FAZ, im neu gegründeten Wirtschaftsblog "Fazit", erklärt Rainer Hank, dass Habermas eine völlige Fehleinschätzung hinlege und dass es sich bei dem Abtreten von Regierungen auf Druck der Finanzmärkte nicht um ein postdemokratisches Phänomen, sondern vielmehr um einen Triumph des Rechtsstaats handeln würde. Diese etwas ungewöhnliche Einschätzung erfordert von Hank eine kleine Volte, indem er die Staatsschulden zu normalen Verträgen mit realen Personen, die hinter den Finanzinstitutionen stünden erklärt und auf dem simplen Fakt, dass Staaten niemals zahlungsunfähig, sondern allenfalls zahlungsunwillig sein können (da sie theoretisch unbegrenzt Geld drucken oder Abgaben erhöhen und Ausgaben zurückfahren können), dass die Zurückbezahlung von Staatsschulden schlicht eine sine qua non des Rechtsstaats und daher eine Austeritätspolitik gegen die "wildgewordene Mehrheitsdemokratie" angeraten sei. Das ist zumindest eine fragwürdige Argumentation, und zu ihrem Kern kommen wir auch gleich. Vorher müssen wir uns allerdings mit der Frage beschäftigen, ob tatsächlich Habermas' und nicht vielleicht doch Hanks Demokratieverständnis der Nachfrage bedarf. 

Freitag, 11. November 2011

In Eigener Sache

Von Stefan Sasse

Wegen der Anfrage eines Users musste ich feststellen, dass Blogger irgendwann einmal ungefragt einen Spamfilter für Kommentare eingestellt hat. 50 Kommentare waren da insgesamt drin, von denen immerhon sechs auch tatsächlich Spam waren. Den Rest habe ich jetzt freigeschalten. Es tut mir sehr Leid für alle, deren Kommentare bisher verschluckt wurden. Mir war das selber nicht klar. Wenn ihr dem Problem ab sofort weiter begegnet, schreibt mir einfach eine Mail. Ich werde auch versuchen, künftig immer wieder selbst zu checken dass so etwas nicht mehr passiert. Ich hoffe, niemand lässt sich davon das Kommentieren vermiesen.

Social Networks und Online-Betriebsplattformen: die nächste Systemrelevanz

Von Stefan Sasse

Immer wieder bekommen wir von einschlägiger, weil gängigerweise uninformierter, Stelle zu hören, dass die sozialen Netzwerke unser Leben verändern. Das Internet hat bereits jetzt gewaltige Auswirkungen auf das Freizeit- und Sozialverhalten und Jugendlichen, eine Zäsur, die wohl allenfalls mit dem Aufkommen des Fernsehens vergleichbar ist - wenn überhaupt. Das Internet und seine Plattformen haben aber nicht nur unser Sozialverhalten bedeutend geändert und Lebensabläufe variiert; auch das Konsumverhalten hat sich geändert. Musik kann inzwischen statt auf teuren, einschränkenden Tonscheiben im teuren, einschränkenden iTunes-Shop erstanden werden, und Videospiele werden über allerlei Plattformen wie Steam oder Origin gekauft, während Amazon sich gerade anschickt, den Büchermarkt des 21. Jahrunderts zu dominieren. Diese Entwicklungen verlaufen alle im Schatten von Facebook, das die Aufmerksamkeit und Lernkapazität der meisten Zeitgenossen hinreichend fesselt. Der Aufstieg dieser Systeme allerdings schafft einige Probleme, die in der öffentlichen Debatte hinter so fesselnden Fragestellungen wie der Strafbarkeit von Straftatbeständen nach Ankündigung auf Facebook klar zurückstecken müssen. Im Klartext: kommt hier die nächste Systemrelevanz-Krise auf uns zu?

Donnerstag, 10. November 2011

Der Neoliberalismus vor dem "Endsieg"?

Von Jürgen Voß

Superlative – schlechte wie gute – gehen uns in der Alltagssprache oft viel zu leicht und damit auch viel zu häufig über die Lippen. Doch was wir zurzeit auf der politi-schen Bühne erleben, stellt wohl alles, was wie uns noch vor fünf oder sechs Jah-ren an Horrorszenarien vorzustellen gewagt hätten, in den Schatten.

Geschah schon die „Bewältigung“ der ersten Finanzkrise 2007 so, dass wir alle glaubten, wir befänden uns in einem falschen Film, läuft zur Zeit im Rahmen der sog. Eurokrise, ein Schurkenstück ab, wie es wohl in dieser Unverfrorenheit seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht mehr vorgekommen ist. Eine sich wissenschaftlich drapierende Ideologie richtet nun seit dreißig Jahren nur soziales und ökonomisches Unheil an, ruiniert die Gesellschaften ganzer Staaten, provoziert die schlimmste Rezession seit 1929 und vernichtet Millionen Existenzen. Doch damit nicht genug. Die Krise eines Währungsraumes, hervorgerufen durch im Dunkeln agierende Zocker, soll jetzt den entscheidenden Schlag gegen die Reste des Nachkriegswohlfahrtsstaates, entstanden in der Defensivposition des Kapitals gegenüber dem bis zur Elbe vorgedrungenen Kommunismus, ermöglichen: Durch eine rabiate, aller wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Austeritätspolitik, die den Nationen des Eurosüdraums aufgezwungen wird und sie garantiert noch tiefer ins Desaster stürzen lässt (wie das Beispiel Griechenland zeigt), als sie es durch ihre „Neoliberalismus-light“ Politik bislang schon waren.

Mittwoch, 9. November 2011

Was am Ende übrig bleibt

Von Stefan Sasse

Die Finanzkrise ist in der Öffentlichkeit vorbei, ersetzt durch eine Schuldenkrise, in der das alte Narrativ vom dauerschuldigen Staat wieder aufgegriffen wird und Gürtel endlich enger geschnallt werden, damit niemand mehr über irgendwelche Verhältnisse leben kann. Abseits der hektischen Kulissen des Rettungsgeschäfts, das schon fast zur Alltagspolitik geworden ist, machen sich die ersten Intellektuellen Gedanken darüber, was da eigentlich genau passiert ist und welche Schlussfolgerungen überhaupt zu ziehen sind. Angestoßen wurde die Debatte von Frank Schirrmacher, der nach seinem aufsehenserregenden Bekenntnis zum Wahrheitsgehalt der Linken nun erklärte, dass das Primat des Politischen mit dem Primat des Ökonomischen ringe und das Politische dabei zu unterliegen drohe. Jürgen Habermas sprang ihm insofern bei, als dass er die "Würde der Demokratie" in Gefahr sah, wo die Aussicht auf ein Referendum Panik, die halb diktatorische, halb technokratische Übernahme der Regierungsgewalt durch eine "Troika" aber Beruhigung verbreitet. Zuletzt hat Gabor Steingart Stellung zur Debatte bezogen und Schirrmacher wie Habermas direkt angegriffen. Dramatisch warf er ihnen vor, mit der Kugel, die sie zur Verteidigung der Demokratie einluden, in Wahrheit auf die Marktwirtschaft zu zielen. Dieser Gedanke klingt auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich, und es lohnt sich, sich mit ihm zu beschäftigen. 

Dienstag, 8. November 2011

Zwischen Verrat und Triumph

Von Stefan Sasse

In "Zwischen Markenkernen und Zeitgeistern" habe ich die spezifischen Erfolgskriterien einer konservativen Partei und ihrer programmatischen Geschmeidigkeit untersucht. Heute will ich versuchen darzustellen, warum sich linke oder progressive Parteien häufig so schwer tun, etwas gegen diese Erfolgskriterien auszurichten und selbst in den Hochzeiten der linken Volksparteien tendenziell gegenüber den Konservativen im Nachteil waren. Der Unterschied im Verhalten des Elektorats lässt sich plakativ an der Schröder-Ära und ihren Nachwehen erkennen. Am Ende der Großen Koalition besaß die SPD noch 23% der Wählerstimmen. Zu Beginn der Ära Schröder hatte sie noch fast 40% und wurde zum zweiten Mal in ihrer Geschichte stärkste Partei. Es wäre zu einfach, Hartz-IV allein dafür verantwortlich zu machen. Hartz-IV war der Anlass, die Ursache für diesen Zusammenbruch der SPD-Wählerschaft aber ist eine andere. Sie liegt in der spezifischen Mentalität von Wählern der SPD und anderer eher progressiver Parteien, die sich in einigen Punkten fundamental von der der Konservativen unterscheidet. Es handelt sich nicht einmal so sehr um programmatische Fragen; die SPD und die CDU sind sich besonders seit den Kursänderungen der letzten Dekade in ihren Forderungen näher als je zuvor, was wohl auch die große Zahl schwarz-roter Bündnisse erklärt. 

Sonntag, 6. November 2011

Ich weiß nicht was das soll, dass ich so traurig bin, das Märchen von 1914, es geht mir nicht aus dem Sinn

Von Stefan Sasse

Als die europäischen Mächte 1914 in den Ersten Weltkrieg schlittern, teilten ihre Staatenlenker alle ein Gefühl: das hatten sie nicht gewollt. Das durfte nicht sein. Das war furchtbar. Als unvermeidlich sahen es viele trotzdem, und mit düsterem Fatalismus sahen sie dem Kommenden entgegen. Greys Statement "in Europa gehen die Lichter aus, und wir werden sie zu unseren Lebzeiten nicht mehr wieder angehen sehen" gibt diesem Gefühl Ausdruck und sollte sich als allzu wahr erweisen. Heute stehen die Staaten Europas wieder im Frühsommer 1914. Eine Katastrophe wetterleuchtet am Horizont, von ihnen selbst heraufbeschworen, eine unheimliche Dynamik entwickelnd. Ihre eigene Handlungsfähigkeit haben sie fahrlässig bereits Jahre zuvor aus der Hand gegeben. Wie 1914 ist der Druck genau der Gruppe, ihren Plänen und Automatismen zu folgen, die die Krise überhaupt erst heraufbeschworen immens. Wo 1914 das Militär seine starren Pläne nicht ändern wollte und außer dem eigenen Interesse keine Fakten und Situationen anerkannte ist es heute die Hochfinanz, die der Politik die nächsten Züge diktiert. Schritt um Schritt nähert man sich dabei dem kathartischen Zusammenbruch an. Schon jetzt schreit der Boulevard, vorheriger scheinbarer Verbündeter der Staatenlenker damals wie heute, diese Katharsis herbei. Wenn doch der gordische Knoten nur schon durchhauen wäre! Wie lange kann es dauern, bis die Politik, ohnehin nicht mit starkem Willen gesegnet, diesen Wünschen nachgibt? 

Donnerstag, 3. November 2011

Zwischen Markenkernen und Zeítgeistern

Von Stefan Sasse

Die CDU ist nun also für Mindestlöhne. Nein halt, nicht Mindestlöhne, branchenbezogene Lohnuntergrenzen. Oder ist der Begriff doch ein anderer? "Nicht gesetzlich festgelegte", aber doch irgendwie "verbindliche Lohnuntergrenzen in Branchen ohne Tarifvertrag"? Vielleicht doch nur eine genauere Definition dessen, was ein "sittenwidriger Lohn" ist, wie die Losung noch vor Jahresfrist lautete? Unsinn. Die CDU ist für Mindestlöhne. Dass sie nicht die Mindestlöhne fordert, wie sie die LINKE oder die Gewerkschaften gerne sehen würden - geschenkt, das hat auch niemand erwartet. Der Weg ist das Ziel, und in diesem Fall ist er von erheblicher Bedeutung: In den Kommentarspalten aller großen Zeitungen wurde die Frage aufgeworfen, ob die CDU mit ihrem ständigen Aufgeben von Markenkernen nicht irgendwann zu krasse Kehrtwendungen vollziehe. Familienpolitik, Atomausstiegsausstiegausstieg, Euro-Rettung, jetzt der Mindestlohn. Das Leipziger Programm der CDU ist durch die jüngste Wende endgültig beerdigt. 2003 auf dem Höhepunkt der neoliberalen Revolution verabschiedet war es eigentlich schon immer eine Totgeburt. Sein formales Ende mit der Mindestlohnwende ist kein Entkernen der CDU, es ist vielmehr die Rückkehr zu einem solchen. 

Mittwoch, 2. November 2011

Interessenvertretung und Wähler

Von Stefan Sasse

Die aktuellen Rettungsmaßnahmen um den Euro nehmen den Löwenanteil der Aufmerksamkeit über die Aktionen der Regierung in Beschlag. Da geht vieles durch, was nebenbei passiert, und man könnte manchmal fast vergessen, dass es sich um eine schwarz-gelbe Regierung handelt. Zum Glück gibt es noch Monitor; die Redaktion hat in ihrer aktuellen Folge zwei der größten Skandale der jüngsten Zeit herausgestellt. Die FDP war es, die eine Teilprivatisierung des Zahnarztwesens durchsetzt und zugunsten ihrer Ärzteklientel massive Zusatzkosten auf die Versicherten abwälzt, während die CDU dafür verantwortlich ist, über 500 Millionen als riesiges und vor allem unverhofftes Geschenk über die Großindustrie zu kippen und die Kosten auf die Verbraucher abzuwälzen, was sich ab Januar in steigenden Strompreisen niederschlagen wird - für die man dann wohl den Atomausstiegsausstiegsausstieg verantwortlich machen wird. Das wird wohl niemanden überraschen, reden wir hier doch von Schwarz-Gelb. Die Frage ist eigentlich viel mehr, ob diese Art der Klientelpolitik legitim ist oder nicht und wo in der Gleichung der Wähler zu verorten ist. 

Dienstag, 1. November 2011

Kontext Wochenzeitung

Von Stefan Sasse

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass die im April 2011 erfolgte Gründung der unabhängigen Kontext-Wochenzeitung völlig an mir vorbeiging. Das Magazin erscheint einmal wöchentlich (Mittwochs) im Internet und liegt gedruckt der Samstagsausgabe der taz bei. Unbedingt anschauen; die Jungs haben sich besonders im Umfeld von S21 einen Namen gemacht und bieten auch ansonsten eine Fülle interessanter Artikel abseits des Mainstreams.

Montag, 31. Oktober 2011

Lastenausgleich für Staatsfinanzen?

Von Stefan Sasse

In der Zeit schlägt Harald Spehl vor, die Staatsverschuldung durch einen neuen Lastenausgleich abzubauen. Die Idee ist von geradezu simpler Eleganz und könnte potenziell geeignet sein, das Problem tatsächlich nachhaltig zu lösen. Zur Erinnerung: der historische Lastenausgleich war das Mittel der BRD, die materiellen Folgen des Zweiten Weltkriegs möglichst gerecht unter der Bevölkerung zu verteilen und auf diese Weise Ausgebombte und Ostflüchtlinge gleichermaßen in die Gesellschaft zu integrieren. Heute ist er fast vergessen, aber er stellte eine Mammutleistung der Umverteilung dar. Zeitgenossen bezweifelten vielfach seine Wirksamkeit und Erfolgschancen, aber im Großen und Ganzen war der Erfolg geradezu gigantisch. Innerhalb kaum einer Generation gelang es, Millionen von Habenichtsen zu integrieren, indem alle diejenigen, die über Vermögen verfügten einen moderaten Satz über mehrere Jahrzehnte (bis in die 1970er Jahre hinein) in einen Fonds einzahlten, aus dem wiederum die Auszahlungsberechtigten alimentiert wurden. Ernsthaften Widerstand seitens der Betroffenen gab es kaum, denn die Zahlungen waren moderat und ließen sich quasi aus den Gewinnen der Verfügungsmasse bestreiten, und die objektive Notwendigkeit war ebenso gegeben. 

Sonntag, 30. Oktober 2011

Merkel lässt Mindestlohn prüfen

Von Stefan Sasse

Ich hatte 2010 prophezeit, dass Schwarz-Gelb innerhalb ihrer Legislaturperiode mit dem Abzug aus Afghanistan und der Einführung des Mindestlohns zwei genuin linke Themen umsetzen würden, einerseits aus einer "Nixon goes to China"-Logik heraus, andererseits auch um dem Gegner das Wahlkampfthema zu nehmen und die Umsetzung zu eigenen Konditionen durchzuführen. Zwar ist Guttenberg mittlerweile weg, aber er war trotzdem derjenige der einen Abzugstermin in die Debatte einführte (auch wenn das mittlerweile wieder untergegangen ist). Und nun kündigt Merkel an, die Einführung des Mindestlohns prüfen zu lassen. Sie geht dabei wie üblich ziemlich clever vor. Zum Einen hat sie Vertreter beider Parteiflügel beauftragt, jeweils ein Konzept zu entwickeln, und zum anderen will sie keinen "politischen" Mindestlohn, sondern eine Festsetzung durch ein "Komittee von Tarifpartnern", was auch immer das heißen soll. Da der Koalitionsvertrag die Einführung von Mindestlöhnen ausschließt, ist dieser Schritt vermutlich der cleverste. 

Freitag, 28. Oktober 2011

Falsches Schachbrett?

Von Stefan Sasse

Derzeit gibt es im Netz viel Hähme über das Titelbild von "Zug um Zug", auf dem Steinbrück und Schmidt auf einem falsch aufgestellten Schachbrett spielen. Höhö, falsch inszeniert. Wahnsinn. Als ob es bei dem Komplex nicht wichtigere Dinge gäbe. Glaubt etwa jemand ernsthaft, das wäre ein Schnappschuss? Klar ist das inszeniert.

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Der Gedanke der Frauenemanzipation in der Geschichte

Von Stefan Sasse

Suffragettenmarsch in New York, 1912
Die Gleichberechtigung der Frau ist ein Thema, das heute wie sonst nur das fließende Wasser und die Elektrizität dazu dient, die Moderne von der Zeit davor zu trennen. Im populären Narrativ waren die Frauen jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende durch den Mann unterdrückt und errangen ihren Platz in der Welt erst im späten 19. und im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Die Sichtweise der heutigen Zeit als einer erleuchteten und der Vergangenheit als einer düsteren, zurückgebliebenen aber ist anachronistisch und wenig aussagekräftig. Tatsächlich ist die Gleichberechtigung der Frau ein modernes Thema, aber vor allem deshalb, weil sie erst seit kurzer Zeit überhaupt eine Rolle spielt. Ich will im Folgenden versuchen, diesen Gedanken etwas näher auszuführen. Es soll keineswegs versucht werden, Erfolge oder Zielsetzungen der Feminismus-Bewegung zu relativieren (meine zeitgenössischen Gedanken dazu finden sich hier), sondern einen Erklärungsversuch für einige Paradoxien des bestehenden, oben skizzierten Narrativs zu finden und die Emanzipationsbewegung in einen allgemeineren historischen Kontext zu rücken. 

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Dienstag, 25. Oktober 2011

Vom Nutzen der okkupierten occupy-Bewegung

Von Stefan Sasse

Viele Redakteure und Blogger stellen derzeit fest, dass die occupy-Bewegung in Deutschland eigentlich nur Freunde und keine Gegner hat. Von Angela Merkel bis Sahra Wagenknecht erklären sich alle Politiker solidarisch, die meisten Zeitungen berichten wohlwollend und praktisch niemand stimmt Joachim Gauck in dessen unsäglich alberner Einschätzung zu. Bei vielen Beobachtern breitet sich Unbehagen darüber aus, dass etwa Merkel im Brustton der Überzeugung erklärt, die Ziele der Bewegung zu teilen und ihnen gleichsam zuzuarbeiten. Stellvertretend für diese Sicht könnte ein Zeit-Artikel stehen, der dieses Paradox noch einmal zusammenfasst. Selbst die NPD hat an ihre Mitglieder mittlerweile die Losung ausgegeben, occupy "zu okkupieren" - ein wahrlich tiefsinniges Wortspiel, zumindest für die NPD. Ist das aber tatsächlich ein solches Problem, wie viele behaupten?

Freitag, 21. Oktober 2011

Verselbstständigte Debatte

Von Stefan Sasse

Im Rahmen des Programms zum nachhaltigen Wirtschaften und dem Absenken der Staatsschulden hat sich die bürgerlich-solide Koalition jetzt darauf geeinigt, um die sechs Milliarden zum Abmildern der Kalten Progression nutzen und 1,2 Milliarden zum Aufbau des so genannten "Betreuungsgeldes" ausgeben zu wollen. Diese staatlichen Ausgabenprogramme werden dann, gleichsam dem Formelbuch eines finanzpolitischen Zauberlehrlings entnommen, ihren Teil dazu leisten einen selbsttragenden Aufschwung zu entwickeln. Oder so ähnlich. Der Vorteil an der Absurdität dieser Programme, über die Schwarz-Gelb gerade debattiert ist, dass die Regierung selbst sich keinerlei Illusionen hingibt. Wirtschaftsminister Rösler weißt den Gedanken, der große Wurf der FDP-Steuersenkungen liege endlich vor weit von sich und spricht lediglich vom Einstieg in den Ausstieg aus der Kalten Progression. Und noch bevor Sigmar Gabriel ein Mikrofon finden konnte um zu verkünden, dass die SPD das Ganze selbstverständlich im Bundesrat stoppen werde, hat ihm Horst Seehofer den Job bereits abgenommen, nicht ohne noch einmal auf das Betreuungsgeld als Ausgleich für das Elterngeld zu pochen - eine Posse sondersgleichen. Beides ist klarer Ausdruck der Verselbstständigung politischer Debatten, die - walle, walle, manche Strecke - ihren Zauberlehrlingen längst entlaufen sind. 

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Quotenfrau?

Von Stefan Sasse

In der CSU ärgern sich einige Leute. Eine Quereinsteigerin, die zuvor in der Partei völlig unbekannt war - Manuela Kiechle - wurde in den Parteivorstand gewählt. Verloren hat eine andere Kandidatin, die die Ochsentour hinter sich hatte. Die SZ mutmaßt in ihrem Artikel, dass zwei Gründe ausschlaggebend sein könnten: einerseits hat Kiechle einen prominenten Vater, Ignaz Kiechle. Der war Landwirtschaftsminister unter Kohl. Und außerdem muss die CSU die Frauenquote erfüllen. Und damit tritt auch schon ein, was ich immer sage: ob Frau Kiechle nun kompetent ist oder nicht spielt überhaupt keine Rolle. Sie hat sofort den Ruch als Quotenfrau weg. Der prominente Papa hilft auch nicht, klar. Aber schon allein dass die Quote sofort angeführt wird zeigt, welch negativen Auswirkungen sie auf Erfolge von Frauen haben kann. Ach ja, die CSU begründet die Wahl mit der großartigen Wirtschaftskompetenz, die Kiechle habe. "Wirtschaftskompetenz" heißt natürlich nicht, dass sie irgendwie wirtschaftspolitisch qualifiziert und profiliert wäre. Es heißt, dass sie in der Privatwirtschaft unterwegs war, ohne bankrott zu gehen. Hatte man das nicht von Guttenberg auch behauptet? Aber solche Fragen treten vor Herkunft und Geschlecht bereits völlig in den Hintergrund.

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Ein Problem von Liquid Democracy

Von Stefan Sasse

In der Telepolis argumentiert Jörg Friedrich für die Einführung von Liquid Democracy auf Bundesebene. Der Charme der Idee sei hierbei, dass nicht einmal das Grundgesetz geändert werden müsste - man würde nur die Gewaltenteilung ernster nehmen und die Regierung quasi auf eine ausführende Funktion von vom Parlament beschlossenen Gesetzen machen. Im Parlament selbst würden die Abgeordneten "fließende" Mehrheiten bilden und sich entweder selbst zu einem Thema fortbilden oder ihre Stimme einem vertrauenswürdigen Mitabgeordneten, der sich auskennt, überlassen. Dadurch würde, so Friedrich, wesentlich mehr Bürgernähe entstehen und es könnte eine größere Vielfalt an Parteien einziehen (vorausgesetzt man kippte die 5%-Hürde). Die Idee hat tatsächlich großen Charme, könnten Abgeordnete doch tatsächlich wesentlich freier entscheiden und würde das Parlament wieder mehr zu einem Ort der politischen Debattenkultur, wo um Lösungen gerungen und Prozess wie Ergebnis dem Wähler zu einer transparenten Prüfung vorgelegt werden. Allein, das Ganze hat auch Nachteile, die bei Friedrich nicht vorkommen. 

Dienstag, 18. Oktober 2011

Lob an Schröder

Von Stefan Sasse

Kristina Schröder (Foto von Laurence Chaperon, CC-BY-SA 3.0)
Dass das schwarz-gelbe Kabinett nicht gerade unter die größten politischen Gruppierungen aller Zeiten fallen wird ist wahrhaftig Konsens. Die Riege der Minister ist voll von Fehlbesetzungen und Inkompetenz. Man ärgert sich so oft darüber, dass man vergisst, dass es auch positive Beispiele gibt. Ich gestehe: ich bin Schröder-Fan. Die Familienministerin macht ihren Job meines Erachtens nach im Großen und Ganzen sehr gut. Damit gerechnet hätte ich nicht, als sie nach der Ämterrochade mit Jung und von der Leyen unverhofft als hessisches Quotenhäschen einrückte. Ihre Doktorarbeit zeigte das Bild einer Privilegierten, und ihre bisherigen politischen Erfahrungen waren innenpolitischer Natur, als "Extremismusexpertin", wo sie hauptsächlich durch haltlose Gleichsetzungen von rechts- und linksextremistischen Umtrieben aufgefallen war. Nachdem von der Leyen mit ihrem Kinderporno-Thema und der Stoppschild-Debatte bereits das Familienministerium als innenpolitischen Profilierungshebel missbraucht hatte, schien damals mit Schröder der nächste Schritt des konservativen Rollbacks anzustehen. Ich habe mich geirrt und ihr Unrecht getan. 

Montag, 17. Oktober 2011

Die Politik und die Banken

Von Stefan Sasse

Die fortschreitende "occupy"-Bewegung zwingt die Politik derzeit dazu, Farbe zu bekennen. Anti-Banken Rhetorik ist entsprechend gerade wieder hoch im Kurs, wie bereits 2008/09. Die Vermutung, dass sie ähnlich folgenlos bleiben wird wie damals liegt nicht fern. Die Muster, in denen die Kommunikation gerade abläuft, sind sattsam bekannt. Die Protestbewegung habe keine Ziele, heißt es beispielsweise mantraartig. Warum sich diese abwegige Behauptung so hartnäckig hält ist nicht schwer zu verstehen: sie verschafft ein leicht erzähltes Narrativ. Wird diese Prämisse akzeptiert, ist es leicht, die Protestbewegung als Symptom eines Missstands zu sehen und sich nicht näher mit ihr zu beschäftigen. Es spart Zeit, und in vielen Fällen läuft es den Intentionen derjenigen, die das Narrativ nutzen, auch entgegen. Dazu kommt ein tiefes Misstrauen gegen Bewegungen, die "das System" angreifen. Dieser Angriff freilich ist derzeit mehr eingebildet als real vorhanden, richtet sich der Protest doch hauptsächlich gegen die Missstände des Finanzsektors und weniger bis gar nicht gegen "den Kapitalismus" oder "die Banken".