Sonntag, 6. November 2011

Ich weiß nicht was das soll, dass ich so traurig bin, das Märchen von 1914, es geht mir nicht aus dem Sinn

Von Stefan Sasse

Als die europäischen Mächte 1914 in den Ersten Weltkrieg schlittern, teilten ihre Staatenlenker alle ein Gefühl: das hatten sie nicht gewollt. Das durfte nicht sein. Das war furchtbar. Als unvermeidlich sahen es viele trotzdem, und mit düsterem Fatalismus sahen sie dem Kommenden entgegen. Greys Statement "in Europa gehen die Lichter aus, und wir werden sie zu unseren Lebzeiten nicht mehr wieder angehen sehen" gibt diesem Gefühl Ausdruck und sollte sich als allzu wahr erweisen. Heute stehen die Staaten Europas wieder im Frühsommer 1914. Eine Katastrophe wetterleuchtet am Horizont, von ihnen selbst heraufbeschworen, eine unheimliche Dynamik entwickelnd. Ihre eigene Handlungsfähigkeit haben sie fahrlässig bereits Jahre zuvor aus der Hand gegeben. Wie 1914 ist der Druck genau der Gruppe, ihren Plänen und Automatismen zu folgen, die die Krise überhaupt erst heraufbeschworen immens. Wo 1914 das Militär seine starren Pläne nicht ändern wollte und außer dem eigenen Interesse keine Fakten und Situationen anerkannte ist es heute die Hochfinanz, die der Politik die nächsten Züge diktiert. Schritt um Schritt nähert man sich dabei dem kathartischen Zusammenbruch an. Schon jetzt schreit der Boulevard, vorheriger scheinbarer Verbündeter der Staatenlenker damals wie heute, diese Katharsis herbei. Wenn doch der gordische Knoten nur schon durchhauen wäre! Wie lange kann es dauern, bis die Politik, ohnehin nicht mit starkem Willen gesegnet, diesen Wünschen nachgibt? 

Im Sommer 1914 war es nur eine Frage von sich zu allzu kurzen Wochen dehnenden Tagen. Das Ergebnis ist sattsam bekannt; vollkommen unberührt von jedem Verantwortungsgefühl für das große Ganze oder jeder Rücksicht auf andere Wege schickte sich das Militär an, seiner Vorstellung von Wirklichkeit Raum zu verschaffen und drängte alle anderen Realitäten beiseite. Heute verschafft sich einzig und allein der entfesselte Finanzkapitalismus noch Raum. Die erste Totalkapitulation haben wir dieses Wochenende erlebt. Der griechische Premier hielt dem Druck nicht mehr stand, versuchte noch in einer letzten Trotzgeste, das Heft des Handelns dem Volk zuzuwerfen, bevor ein Brutus aus seiner eigenen Partei ihm doch noch in die Parade fuhr. Griechenland taumelt ins Chaos, und der Boulevard spuckt Gift und Galle und feiert die deutsche Kanonenbootpolitik, als wagte man den Panthersprung nach Agadir. Was geschehen wird, weiß niemand. 
Es wird wohl kein Weltkrieg werden. Es wird keinen Einmarsch in Athen geben, oder ein Ultimatum. Aber der Primat des Politischen liegt in den letzten Zügen waidwund darnieder. Der November 2011 könnte einen Scheidepunkt in der Geschichte der Europäischen Union darstellen, eine endgültige Abkehr von all dem, was man seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sich schmerzhaft angeeignet zu haben glaubte. War nicht die europäische Freundschaft, das Band demokratischer Nationen untereinander, die sine qua non des Friedens und des Wohlstands, den man seit 1945 erreicht hatte? All das zählt nicht mehr. Die Brigaden Deutschlands zählen heute in Euro, nicht in Kolonnen in Feldgrau. Trotzdem ersaufen die Deutschen geradezu in ihrer Begeisterung für die neue Stärke. Richtig nutzen können sie sie nicht, aber kaum mehr gehen vor lauter Kraft. Der amerikanische Präsident hat in den letzten Wochen mehrfach eindringlich gewarnt, dass Europa sich auf einem Irrweg befindet. Aber welche Rolle spielt schon das Weiße Haus? Welche Rolle spielt Brüssel? Der neue Nabel der Welt ist in Berlin gefunden worden, wohl gleich neben einer Niederlassung der HRE. Wenn Merkel erst begriffen hat, welche Chance in Griechenland fahren gelassen wurde, könnte es bereits zu spät sein - so wie es bereits einmal zu spät war, damals im Sommer.

16 Kommentare:

  1. genau so habe ich es 2008 schon vorher gesagt:
    die deutsche politik bereitet durch ihr unent-wegtes lavieren den weg in den totalitarismus, so dass bei einer der nächsten wahlen vor lauter wut eine partei ein mandat erhält, die lediglich als ausdruck der wut des wählers herhalten mußte. und bis vor einer weile dachte ich noch, der charismatische demagoge fehlt noch, und so bald er auftaucht wird "es" sich entwickeln und alle stehen dumm rum, runzeln die stirn usn fragen sich, wie konnte das passieren? Es passiert gerade schon! Diesmal nicht ein charismatischer Demagoge, diesmal ist es eine hochintelligente Physikerin, mit tränensäcken unter den augen und einem dicken arsch, einer vorstellung von mode, die einer landpomeranze ähnlicher ist, als jeder regierungsscheffin eines ärmlichen staates. Sie hat damit begonnen, die EU zu zerschlagen! Warum, ob aus hegemonialinteressen der deutschen wirtschaft oder um dem US-Imperium einen gefährlcihen konkurenten aus dem weg zu schaffen, die historiker werden sich darüber den kopf zerbrechen. Die europäische Union jedenfalls ist seit Frau M. Regierungscheffin ind D ist, Vergangenheit.

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  2. nur eine rechtschreibfrage: katharsis als substantiv ---- kathartisch als adjektiv ????

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  3. @Stephan: Von einem Weg in den Totalitarismus will ich nicht gesprochen haben; das ist dann doch was anderes...und Merkels Modestil zu beleidigen ist vielleicht ein bisschen billig, oder? Auch Verschwörungstheorien braucht es gar nicht. Letztlich liegt der Fall auch anders klar auf dem Tisch.

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  4. Ich muss sagen, spätestens seit letzter Woche hab ich auch dieses Gefühl drohenden Unheils, mir kommt allerdings eher das Zitat "die Geister die ich rief" in den Sinn.

    Ich les momentan die alten Haffnersachen mal wieder und bei "von Bismarck zu Hitler" hat er ja kurz nach der Wiedervereinigung noch eine Nachbetrachtung geschrieben, in der er auch anmerkt, dass Deutschland nun plötzlich wieder diese "ungünstige" Größe hat. Als ich das vor einigen Jahren gelesen hab, kam mir das noch wie Schwarzmalerei vor, aber jetzt hab ich das Gefühl, als wäre es quasi soweit.
    Deutschland ist wieder zu einer Großmacht aufgestiegen, kann damit aber nicht so wirklich umgehen. Ich meine, theorethisch könnte man diese neue Position ja durchaus zum Guten nutzen oder sich zumindest zurückhalten und kompromissbereit sein, aber stattdessen entwickelt sich so ein merkwürdiger Starrsinn, dass jetzt unbedingt die deutsche Position durchgeboxt werden muss, egal wie wenig gebräuchlich sie gerade ist.

    Und ich glaube hier liegt auch wirklich das Problem bei Merkel, die zwar "pragmatisch" auf Sicht fährt und die Euros nach links und rechts rechnet, aber - meiner Meinung nach - nicht den Blick für die Bedeutung der europäischen Einigung hat, bei der es nicht nur ums Geldverdienen und den Markt geht sondern vor allem darum, dass man mit der Einigung endlich das gegenseitige Abschlachten beenden konnte.
    Klar, du schreibst, es wird wohl keinen weiteren Weltkrieg geben, aber ich finde es schon erschreckend genug, wie innerhalb von wenigen Jahren bzw Monaten diese nationale Großmannssucht wieder kommen konnte und diese Vorurteile von faulen Griechen, denen es Merkel jetzt aber mal zeigen muss.
    Ich meine, wo soll das denn bitte enden? Die letzte Woche hatte doch schon etwas von einem Putsch und ganz nebenbei wird Institutionen wie dem IWF, der nun wirklich gar keine demokratische Legitimation mehr hat, die Kontrolle über italienische Sparprogramme aufgedrückt. Mich würde es gar nicht mehr wundern, wenns morgen hieße, der IWF übernimmt jetzt sämtliche Koordination der EU und die Nationalparlamente dürfen deren Vorschläge abnicken.

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  5. Mir kam der Gedanke zu diesem Artikel mit voller Wucht, als jemand mir gestern begeistert von einem Artikel im lokalen Käsblatt erzählte, in dem Merkels ach so pragmatische und zurückhaltende deutsche Interessenpolitik gelobt wird. Und Haffner lese ich quasi permanent, der Mann ist brillant.

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  6. Krieg ist gar nicht unbedingt nötig, um diese Interessen durchzusetzen. Denn betrachten wir einmal, welche Interessen hinter einem (militärischen) Krieg stehen, so erkennen wir, dass es ökonomische sind. Verkauf von Rüstungsgütern, Bodenschätze, Erschließung neuer Märkte, Zugang zu billigen Arbeitskräften und und und. An allem Ende steht immer der Profit.

    Oder warum wurden und werden denn einige Diktaturen fleißig hofiert, während man andere Diktaturen (und auch so manches demokratische Staatsgebilde) unbarmherzig bekämpft? Mit den Einen kann man fleißig Geld verdienen, weil sie Rüstungsgüter kaufen, ihr Öl exportieren, ausländische Firmen im Inland zulassen, die Anderen sind nicht dazu bereit. Und deshalb werden diese bekämpft.

    Was wir jetzt schon miterleben, ist Krieg. Es ist Krieg mit ökonomischen Mitteln. Und deshalb benötigt man heutzutage nicht unbedingt einen militärischen Krieg. Scheindemokratisch, da (zumindest in Kerneuropa) auf militärischen Krieg verzichtend, wird der ökonomische Krieg geführt. Mit demselben Ziel: mehr Geld, mehr Macht, mehr Profit.

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  7. @linker Lutz

    Ach, es soll um die Umverteilung von den armen zu den reichen Länder gehen? Echt? Seit wann darf hier jeder linke Depp kommentieren?

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  8. @ Marc:

    Tut mir leid. Ich habe keine Ahnung, wo Du die Grundlage für diese Behauptung in meiner Aussage sehen willst.

    P.S. Kleiner Tipp am Rande. Wer zu persönlichen Beleidigungen greift, demaskiert sich damit selbst. Du darfst also ruhig damit weiter machen. Erwarte aber bitte keine Antwort von mir darauf.

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  9. Hier dürfen sowohl linke wie auch rechte Deppen kommentieren, und sogar Leute die glauben die Entscheidung darüber treffen zu können wer davon wer ist.

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  10. Was sagst du denn zu dem heutigen Fleischhauer-Artikel, Stefan?
    www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,796218,00.html

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  11. Bitte bitte: nicht noch hinweisen und gar verlinken auf Artikel dieses rechten Typen da im Spiegel.
    - Jeeves

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  12. Jeeves, genau - immer schön abgeschottet in der eigenen kleinen Welt bleiben ;)
    Nicht dass dort mehr Realität hineindringt als für das eigene Weltbild abträglich ist!

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  13. oh bitte, fleischhauer als vertreter einer realistischen weltsicht? willst du uns auf den arm nehmen? DIESER typ?

    das einzige was mir dazu einfällt:
    http://media.tumblr.com/tumblr_lr62sfOoY81qdlkgg.gif

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  14. @marc :Seit wann darf hier jeder linke Depp kommentieren...
    Genau so sehe ich das auch. Man sieht es ja. Die Linken seit 20 Jahren an der Regierung und reiten uns alle rein. Hätten wir mal CDUCSUSDFDP gewählt, dann würde es besser laufen. Die würden an das Volk denken und nicht wie die Linken unser aller Steuergelder zum Fenster rauswerfen, unsere Löhne senken, unsere Schulen immer mehr verfallen lassen, das Volk in die Armut treiben, die Zocker immer reicher machen....
    Bloss weg mit den Linken - die sind unser Untergang und das Volksblatt BILD(STÜRMER) wüsste nicht mehr worüber es hetzen sollte.

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  15. Im Übrigen finde ich dass Fleischauer zumindest in seiner Einleitung klar Recht hat.

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