Der Wandel der etablierten Parteien in den letzten Jahren ist in seiner schärfsten Form anhand der Partei Bündnis90/DIE GRÜNEN nachvollziehbar. Entstanden in den späten 1970er Jahren aus diversen Protestbewegungen, besonders der Friedens- und Umweltbewegung, konstituierten sie sich 1980 als Partei und wurden auch gleich in den Bundestag gewählt, wo sie die seit über 30 Jahren bestehende Ordnung des Dreiparteiensystems erschütterten. Mit ihrer Fundamentalopposition und ihrer Weigerung zu jeglicher Koalition boten sie damals Steilvorlagen sowohl für die Etablierten, die Koalitionsverweigerungen im gleichen Atemzug wie die Grünen selbst aussprachen ebenso wie für basisdemokratische Gruppen, die in dem Rotationsprinzip und ähnlichen Regelungen der Grünen ebenso wie an ihrer Attitüde eine wahr gewordene Utopie sahen und das grüne Projekt begeistert unterstützten.
Seither ist viel passiert. Die ostdeutsche Initiative Bündnis 90 fusionierte mit den Grünen und sorgte für einen neuen Wählerschub. Spätestens seit klar wurde, dass die FDP als Koalitionspartner für die SPD auf längere Zeit gestorben war, wurden die Grünen Stück für Stück attraktiver – und vergaßen die Grünen viele ihrer Utopien. Basisdemokratie, Rotationsprinzip – all das fiel dem Berliner Alltag zum Opfer. Einige Positionen hingegen waren ob ihres Symbolwerts unveräußerlich, wie der Atomausstieg, die Benzinpreiserhöhung und der Friede. Zumindest, bis die Grünen an die Regierung kamen.
Von da an war ein rapider Wandel zu beobachten. Die selbst ernannten Realos um Joschka Fischer gewannen die Oberhand, Idealisten wie Jürgen Trittin wurden in der eigenen Regierung niedergemacht und öffentlich diskriminiert. Mit dem beginnenden Kosovo-Konflikt, nahtlos von der CDU-FDP-Koalition übernommen wurde dies zum ersten Mal offenkundig und rief auch entsprechende Proteste hervor (man erinnere sich nur an die Farbbeutelattacke auf Joschka Fischer). Weitere Preisgaben dieser Art blieben beinahe gespenstisch ruhig, ohne Aufschrei an der Basis, die das Patriarchat Fischers akzeptiert hatte, der sich derweil in seinen Beliebtheitswerten sonnte. Klammheimlich vollzogen die Grünen eine radikale Kertwende von der oppositionellen Spontiprotestpartei zur Partei der Neuen Bürgerlichen und begannen dabei ungeniert, im Gehege der anderen zu wildern. Niemand musste sich mehr schämen, grün zu wählen, ob er nun Wirtschaftsboss, Student oder Arbeitnehmer war – politisch korrekter als die Grünen konnte niemand mehr sein.
Dieser rapide Ansehensverlust hat den Wahlergebnissen der Grünen nicht geschadet, im Gegenteil. Die Wahlergebnisse sind so gut wie lange nicht mehr, und das konstant. Noch immer profitieren die Grünen von dem „anderen“ Flair, das ihre Partei umgibt. Und, natürlich, von der Großen Koalition, die die Volksparteien noch rapider an Ansehen verlieren lässt als ohnedem. Auf eine wirkliche Begeisterung für die Grüne Politik ist das kaum zurückzuführen, besonders, da diese ungefähr so grün ist wie der Neckar blau. Was aber zeichnet die Grünen denn derzeit noch aus?
Da wäre zum einen die „Gleichstellungspolitik“. Kaum jemand hat sie sich so auf die Fahnen geschrieben wie die Grünen, auch wenn alle anderen Parteien zumindest Lippenbekenntnisse dazu abgeben und die Linkspartei in der Frage stilistischer Grausamkeiten hier in nichts nachsteht. Von geschmacklosen, sexistischen Wahlplakaten bis hin zu einem „Frauenstatut“, das, ersetzte man jedes „Frau“ im Text durch „Weißer“ und jedes „Mann“ durch „Schwarzer“ einen Aufschrei provozieren dürfte, der sich gewaschen hat bieten die Grünen das ganze abschreckende Repertoire einer Bewegung, die sich von einem gut gemeinten und notwendigen Ansatz hin zu einer politischen Waffe und Postenbeschaffungsmaßnahme par excellence gemausert hat.
Da wäre der Atomausstieg. Der wird ungefähr so konsequent betrieben wie die Friedenspolitik. Rhetorisch gesehen ist er absolut unverhandelbar, aber solange der attraktive Partner (der gerne auch ganz in schwarz daherkommen darf) wenigstens ein Lippenbekenntnis ablegt und ansonsten alles dagegen tut, werden die Grünen schon nicht meckern. Dabei wäre es wichtig, auf diesem offensichtlichen Erfolg aufzubauen.
Da wäre der Umweltschutz. Von jeher ein urgrünes Thema, ist er in der Regierungsbeteiligung und dem ersten Jahr Opposition quasi vollkommen in der Versenkung verschwunden. Auf dem Parteitag wurde mit Verve erklärt, dass einzig und allein die Grünen die Kompetenz für Umweltschutz besäßen (quasi der Alleinvertretungsanspruch der Grünen), besonders da die SPD derzeit auffallend in diesem Segment wildert. Herausgekommen ist wenig - wieder ein Sieg der "Realos".
Da wäre die Friedenspolitik. An kaum einem Politikbereich lässt sich der Verfall der Grünen so aktiv abzeichnen wie hier. Kosovo, Afghanistan, Libanon, Kosovo und Tschad markieren Punkte in einer Entwicklung, die ihre ganze Traurigkeit in ihrer Konsequenz offenbart. Denn die Grünen haben nicht einfach „nur Realpolitik betrieben“ und waren „pragmatisch“, sondern sie haben auch in ihrer Oppositionszeit aktiv jeden Kriegseinsatz Deutschlands befürwortet und preschten bisweilen sogar vor alle anderen Parteien wenn es darum ging, deutsche Waffen und deutsches Geld in aller Welt mitmorden zu lassen voraus.
Das Verschwinden der Radikalität zeigte sich auch in der Debatte über die ach so dunkle Vergangenheit Joschka Fischers. Trotz des Medienfeuerwerks, das die Opposition zu entfachen wusste lockte sie kaum einen Hund hinter dem Ofen hervor. Die Visa-Affäre? Kalter Kaffee. Die Grünen sind längst im Establishment angekommen, von allen Schichten wählbar – da gehören Skandale eben dazu.
Daraus resultiert auch der qualvolle Selbstfindungsprozess, der gerade abläuft. Die Basis revoltiert. Retrospektivische Sentimentalitäten wie die Wahl der „grünen Pippi Langstrumpf“ oder der verzweifelte Versuch, an die alte Radikalität anzuknüpfen und die erkämpfte Breitenwirkung gleichzeitig zu behalten zeigen deutlich, dass die Grünen gerade im Kreis rennen – gleichsam einem immer schneller werdenden Karussell, in dem sich jeder berufen fühlt die Richtung anzugeben.
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