Ein Gastbeitrag von Porphyrios
1992 hatte der amerikanische Politikwissenschafter Francis Fukuyama die These vom "Ende der Geschichte" geäußert. Darin ging es darum, dass nach dem Kollaps der staatssozialistischen Welt und damit dem Ende des vermeintlichen Systemkonflikts die Interessenswidersprüche der bestehenden Staaten so weit in Einklang gebracht würden, dass es keine weiteren einschneidenden politischen Ereignisse oder sozialen Revolutionen mehr geben könne. Diese Vorstellung ging in gewisser Weise auf hegelsches Gedankengut zurück, demzufolge Widersprüche letztendlich zur vollkommenen Gesellschaft führen. Diese Gesellschaft sah Fukuyama im globalisierten Kapitalismus des ausklingenden 20. Jahrhunderts. Nun stellt man sich die Frage: Kann das überhaupt sein? Ist der Kapitalismus eine Ordnung für die Ewigkeit? Weshalb ich diese Fragen ganz klar verneine, werde ich im Folgenden zu erläutern versuchen.
Konstitutives Element kapitalistischer Produktionsverhältnisse ist die Konkurrenz. zwischen Privateigentümern (oder eben Nichteigentümern) auf den verschiedenen Märkten wie Arbeitsmarkt, Rohstoffmarkt, Produktmarkt usw. Jeder Versuch, der Logik der Konkurrenz zu entfliehen, muss zwangsläufig zur Verschlechterung der eigenen Lage führen. Eine Firma, die nicht konkurrenzfähig ist, ist auch nicht mehr in der Lage, mit den Preisen der Konkurrenz mitzuhalten und fällt durch das Gitter der sozialen Auslese. Bei monopolistisch organisierten Produktionszweigen ist das der Sache nach nicht anders, weil auch hier das alles bestimmende Moment darin besteht, den Monopolstatus aufrecht zu erhalten. Was heißt es also, konkurrenzfähig zu sein? Die Antwort ist einfach: Indem man mehr Einnahmen als Ausgaben hat, also Mehrwert schafft. Das wiederum lässt sich nur erreichen, wennman in der Lage ist, Waren billiger zu produzieren und zu transportieren, als man sie verkaufen kann und gleichzeitig die durch mögliche Überproduktion entstandenen Unkosten zu begleichen vermag. Wie aber bleibt man konkurrenzfähig oder anders gefragt wie schafft man es, mindestens so billig zu produzieren und mindestens so teuer verkaufen zu können wie die Konkurrenz? Prinzipiell durch die kombinierte Anwendung mehrerer grundsätzlich verschiedener Vorgehensweisen. Produktionskosten lassen sich zum Einen einsparen, indem überflüssige Arbeitskraft auf die Straße gesetzt und ihrem Schicksal überlassen wird. Weiterhin greift man zu Methoden, mit denen die Produktionspotenz eines einzelnen Produzenten erhöht werden kann, indem man ihm etwa mit Kündigung droht oder ihn, wie es in Entwicklungsländern üblich ist, durch Züchtigung dazu zwingt. Diese Methoden erreichen aber schnell das Limit des Machbaren, weil ihnen durch die Arbeitsfähigkeit eines Menschen natürliche Grenzen gesetzt sind. Die mit Abstand wichtigste, weil prinzipiell unbegrenzte Möglichkeit ist daher die technologische Steigerung der Produktivität. Und so lässt sich erklären, dass der technisch-ökonomische Standard von Gesellschaften beständig steigt und getrieben von den Zwängen der Konkurrenz in irrationalem Wahn seinem eigenen Schwanz hinterherjagt. Es müssen immer neue Wege gefunden werden, schneller, billiger, mehr zu produzieren, um den Chinesen, den Japanern, den Amerikanern das ökonomische Wasser abzugraben. Die Steigerung der Produktivität führt nun per Definition dazu, dass für die Produktion einer einzelnen Ware immer weniger Arbeitszeit benötigt wird. Das heißt, dass es in der kapitalistischen Produktion zur ehernen Gesetzmäßigkeit wird, dass der Bedarf des Kapitals an Arbeitskräften stetig sinkt. Was aber muss ein verantwortungsbewusster Unternehmer tun, der nicht die Konkurrenzfähigkeit seiner Firma aufs Spiel setzen will? Er muss selbstverständlich alle überflüssigen Arbeiter abstoßen, denn diese ohne jeden Nutzen durchzufüttern, kann er sich nicht leisten.Steigende Produktivität führt also zwangsläufig zu höherer Arbeitslosigkeit. Nun könnte man auf die Idee kommen, doch einfach die Produktion allgemein expandieren zu lassen. Aber diese Idee stellt sich schnell als Denkfehler heraus. Durch den sinkenden Bedarf an Arbeitskraft ist nämlich auch die Kaufkraft rückläufig - "Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen" (bzw kann nichts kaufen). So hat Stalin es in seiner Verfassung von 1936 festgeschrieben. Es muss also weniger produziert werden, weil der Bedarf sinkt. Der Kreis der Selbstdestruktion hat sich gewissermaßen geschlossen, indem sinkender Bedarf an Waren und sinkender Bedarf an Arbeitskraft zusammenwirken, sich gegenseitig beeinflussen und so exponentiell fortpflanzen. Es gibt nur einen möglichen Ausgang: Die völlige Trennung der Gesellschaft in Kapitaleigner, deren Kapital fortan keins mehr ist, und Besitzlose. Der Kapitalismus hat sich an seiner eigenen Logik gebrochen.Dieses Zukunftsszenario lässt einen nicht nur frösteln, weil es schon lange angefangen hat, Wirklichkeit zu werden - Am grausamsten daran ist, dass die eiskalte Logik der Konkurrenzwirtschaft gar kein anderes Ende haben kann! Produktivkräfte müssen zwangsläufig in Destruktivkräfte umschlagen, weil sie sich auch durch einen Haufen staatlicher Regulierungen letztlich nicht dem Funktionsprinzip der kapitalistischen Gesellschaft entziehen können. Interessant ist es darüber hinaus, dass demnach endgültig klar sein dürfte, dass das oberste Ziel nicht die Produktion von Waren zur Bedürfnisbefriedigung sein kann sondern dass der ganze Globus blind dem automatischen Subjekt (dem konkurrenzbedingten Zwang zu immer erneuter Kapitalinvestition), ob nun in der Form der technologischen Forschung oder dem stetigen Neukauf von Rohstoffen und Arbeitskraft folgt. Diese vernunftlose Mechanik des Kapitalismus beschreibt Karl Marx im "Kapital" (Band 3 Fünfter Abschnitt, S. 404 - 412) wie folgt:
"Das Kapital erscheint als mysteriöse und selbstschöpferische Quelle des Zinses, seiner eignen Vermehrung. Das Ding (Geld, Ware, Wert) ist nun als bloßes Ding schon Kapital, und das Kapital erscheint als bloßes Ding; das Resultat des gesamten Reproduktionsprozesses erscheint als eine, einem Ding von selbst zukommende Eigenschaft; es hängt ab von dem Besitzer des Geldes, d.h. der Ware in ihrer stets austauschbaren Form, ob er es als Geld verausgaben oder als Kapital vermieten will. Im zinstragenden Kapital ist daher dieser automatische Fetisch rein herausgearbeitet, der sich selbst verwertende Wert, Geld heckendes Geld, und trägt es in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr."
Den Verwertungsmühlen des Eigentums kann also niemand entrinnen, selbst der Kapitalismus wird ihnen zwangsläufig irgendwann zum Opfer fallen. Schon heute werden täglich Berge von Butter, Tomaten, Mais und sonstigen Lebensmitteln verbrannt, während ebenfalls täglich 100 000 Menschen an den Folgen von Hunger sterben und permanent 800 000 000 Menschen hungern. Es gibt also sehr wohl ein milliardenfaches Bedürfnis aber aufgrund der Besitzlosigkeit von ebenfalls Milliarden Menschen keinen Bedarf!. Abgesehen von der aus humanitärer Sicht Unfassbarkeit dieser Zustände ist das vor allem deshalb so schlimm, weil eins sicher ist: Die Hungernden werden mehr werden und die produzierten Waren werden weniger werden. Der Kapitalismus geht drauf, aber er nimmt uns alle vorher noch mit. Die einzige Möglichkeit, dieser Gewissheit zu entrinnen, besteht logischerweise in der Aufhebung der Konkurrenz, des automatischen Subjekts und des Eigentums - also in der Aufhebung des Kapitalismus überhaupt. Eine postkapitalistische Ordnung kann also nur darauf beruhen, dass sich alle Menschen in einer von Klassenschranken emanzipierten Gesellschaft ihre Bedürfnisse überlegen, sich zusammen setzen und auf der Basis vernünftiger Entscheidungen planen, wie die benötigten Güter mit möglichst wenig und gerecht verteiltem Arbeitsaufwand produziert werden können. Die Idee von einer Gesellschaft der Freien und Gleichen stellt damit nicht mehr nur noch einen Ästhetizismus und Romantizismus dar sondern eine Überlebensnotwendigkeit des Menschengeschlechts.
Porphyrios, geboren 1987, studiert Geschichte und Philosophie an der Universität Tübingen. Er schreibt im Politikforum unter dem Nick Porphyrios und möchte gerne anonym bleiben.
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