Weiter geht es hier.Meistens steigen sie nicht mal aus. Sie bremsen, mustern mit kalten Blicken in der Morgendämmerung die Wartenden am Straßenrand. Und wenn ihnen gefällt, was sie sehen, lassen sie langsam die Fensterscheibe runter und beginnen grußlos die Preisverhandlungen.
Ein Tag, 50 Euro, bar auf die Hand, sagt der Fahrer im blauen Golf: "Nur für echte Kerle", fügt er hinzu. 50 Euro sind viel Geld. Torsten Berne, 47, hebt die Hand und nickt. Und die sechs anderen Männer neben ihm auch. Einer ruft in gebrochenem Deutsch noch dazwischen "50 Euro für zwei Mann". Aber der Golf-Fahrer entscheidet sich für Berne. Vielleicht, weil sich so starke Oberarme unter dem löchrigen Blaumann abzeichnen. Vielleicht, weil er Deutsch spricht.
Bei Berne weicht die Spannung aus dem Körper. Ein Lächeln liegt kurz auf dem unrasierten Gesicht. Dann steigt er in den Golf. Er weiß nicht, ob sich hinter der Zeitangabe "ein Tag" am Ende 8 oder 16 Stunden verbergen. Er weiß nicht, welche Arbeit auf ihn zukommt. Er weiß nur: Der Tag ist gerettet.
Der arbeitslose Informatiker Berne gehört auf dem freien Markt zu den Discount-Anbietern der Ware Arbeitskraft. Als illegaler Tagelöhner wartet er am sogenannten Arbeiterstrich auf einem Parkplatz vor dem Treptower Park im Südosten Berlins und hofft ab fünf Uhr morgens auf Aufträge: für einen Tag, eine Woche, einen Monat - oft wartet er auch vergebens. Er arbeitet auf eigenes Risiko, voll flexibel, voll mobil, vielseitig einsetzbar und extrem günstig - egal in welcher Branche. Ein Traum für jeden Arbeitgeber, ein Musterschüler der modernen Arbeitswelt: willig und billig.
Szenen wie die in Treptow erinnern an Schwarzweißfotos aus den dreißiger Jahren, die zum Symbol für eine Gesellschaft wurden, in der die Arbeitslosigkeit dramatisch stieg und die Demokratie in ähnlichem Tempo an Zustimmung verlor. An jeder Straßenecke standen damals in Berlin hungrige Tagelöhner. "Ich suche Arbeit jeder Art", stand auf ihren Schildern.
Es ist erschreckend, was in diesem Land möglich ist. Es ist widerwärtig, abstoßend und ekelerregend. Während in Berlin Politiker im Anzug von Investivlohn schwafeln und Müntefering der Unterschicht die Existenz abzuerkennen versucht, während er feindselig über die geschliffenen Brillengläser die wahrscheinlich längst als minderwertiges Ungeziefer abgeurteilten Arbeitslosen taxiert, während Manager in Nadelstreifen in blitzblanken Etagen in Luxusbüros mit Federstrichen (bzw. Tastendrucken) die Existenz tausender Menschen vernichten und von einer gleichgeschalteten Presse dafür bejubelt werden, sinken die Menschen immer weiter ab, wird das Mensch-Sein immer mehr auf die reine Existenz reduziert. Es ist kaum mehr zu beschreiben, welche abstoßend-widerwärtigen Prozesse unter dem fadenscheinig dünn gewordenen Deckmantel ablaufen, den Politik, Wirtschaft und Medien Tag für Tag über das Elend zu breiten versuchen, das sie anrichten.
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