Donnerstag, 5. April 2007

Gedanken zum Grundeinkommen

Es ist schon ein seltsames Ding, diese Vollbeschäftigung. Einerseits ist ihre Erhaltung bzw. das Erreichen das erklärte Ziel der Politik, andererseits ist ihre permanente Abschaffung das immanente Ziel der Freien Marktwirtschaft. Und das ist nicht einmal negativ.
Denn wenn man an das 19. Jahrhundert zurückdenkt, war es damals hip, die Abschaffung der Arbeit zugunsten der Maschinisierung vorauszusagen und diese Vision mit ungeahntem Wohlstand und einem goldenen Zeitalter zu verbinden. Besondere Vorreiter dieser Idee waren damals die Sozialdemokraten. –

Die Welt hat sich seitdem gewandelt. Erwerbsarbeit gilt heute als Maßstab aller Dinge, wer keinem Erwerb nachgeht, ist ein Pariah und aus der Gesellschaft ausgeschlossen, wird drangsaliert, sanktioniert und stigmatisiert. Gesetzlich legitimiert und intendiert ist das durch Hartz-IV. Man will "Anreize schaffen" Beschäftigung anzunehmen, wo überhaupt keine Beschäftigung vorhanden ist. Letzteres ist eigentlich gut so.

Die Zahl der Jobs im sogenannten Niedriglohnsektor, also der unqualifizierten Jobs, sinkt beständig. Übrig bleiben anspruchsvolle, hochqualifizierte Aufgaben. Diese Entwicklung besteht seit Jahrzehnten und ist unumkehrbar. Soziale Politik schreibt sich stets auf die Fahnen, eben dies zu vollbringen. Das ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Man hat die alten Utopien vergessen und begraben, obwohl sie so aktuell wie nie sind.
Die Loslösung des Menschen von der Erwerbsarbeit wäre eine neue Stufe der gesellschaftlichen Evolution. Der immerwährende Drang, für den Lebenserhalt Arbeiten ausführen zu müssen, die den Körper zugrunde richten (und damit eigentlich der Intention der Arbeit zuwiderlaufen) und, im Zeitalter moderner Technik, in der das immer weniger nötig ist, den Ausführenden anöden, ist eigentlich ein Anachronismus. Die Automatisierung schreitet immer rascher voran, immer mehr Arbeitsvorgänge können von Maschinen und Computern erledigt werden. Das ist ein Glücksfall, denn es macht den Menschen unabhängig von schwerer Arbeit.

In der Theorie. In der Praxis ist der Jobverlust gleichbedeutend mit Existenzangst, Existenzproblemen und Selbstzweifeln, die durch Ressentiments, aktive Politik und aktives Verhalten genährt werden. Die Erwerbsarbeit ist der gesellschaftliche Dreh- und Angelpunkt, wer ihr nicht nachgeht, gilt als Schmarotzer, als Pariah. Dabei ist diese Vorstellung falsch. Es wäre nötig, den Arbeitsbegriff zu erweitern, weg von der reinen Erwerbsarbeit. Ehrenamtliches Engagement, beispielsweise. Auch die Unterhaltung dieses Blogs ist Arbeit, wenn auch keine Erwerbsarbeit. Sie geschieht freiwillig, und genau das unterscheidet sie im Regelfall von der Erwerbsarbeit, zumindest der der Niedrigqualifizierten. Es schlummert ein gewaltiges Potenzial, das sich nicht nutzbar gemacht wird.

Die bereits vor langer Zeit entworfene Gegentheorie ist das bedingungslose Grundeinkommen, auch Bürgergeld genannt. Eine bestimmte Summe soll dabei jedem Bürger zustehen, vollkommen bedingungslos. Jeder erhält sie. Man muss nicht arbeiten, man kann. Entweder zur persönlichen Bereicherung oder um sich etwas dazuzuverdienen. Die Utopie sähe so aus, dass viele kleine Teilzeitstellen entstehen, mit denen sich das Grundeinkommen aufbessern lässt und die Arbeit als solche einen ungeahnten Boom erlebt: es stünde massenhaft Zeit zur Verfügung für Vereinsarbeit und ehrenamtliches Engagement, und es bestünde kein finanzieller Druck mehr, der von einem Engagement abhält.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Gesellschaft verroht zunehmend, Hektik bestimmt den Alltag, der Druck steigt, und mit ihm die Angst. Und das, obwohl die Wirtschaft so produktiv ist wie nie zuvor, der technische Stand ebenso und die wenigsten Arbeiten noch wirklich körperlich anstrengend ist. Theoretisch wäre ein Großteil dieser Probleme mit dem BGE zu lösen. Theoretisch.

Ein Hauptkritikpunkt, der von seinen Gegnern auch immer an vorderster Stelle genannt wird ist die Finanzierbarkeit. Die jährlichen Kosten für den Staat würden sich auf mindestens 220 Milliarden Euro belaufen, wahrscheinlicher aber sind Zahlen, die die Billion deutlich überschreiten. Ein großer Teil dieser Summe kann durch den Wegfall der gesamten Sozialsysteme mitsamt ihrer wuchernden Bürokratie erwirtschaftet werden. Aber gleichzeitig fällt mit der Einkommenssteuer eine große Einnahmequelle weg, um nur die direktesten Effekte zu nennen. Es wird schnell klar: ein BGE erforderte eine Gesamtrekonstruktion des Staates, ein vollkommen neues Verständnis von Staat, Arbeit, Erwerb und Wirtschaft, ja, eine neue Gesellschaft.

Vorerst bleibt das BGE also in jedem Fall Utopie. Doch das ist nicht das einzig Bedrohliche. Neuerdings haben Wirtschaft und Politik das BGE ebenfalls für sich entdeckt, und das kann nichts Gutes bedeuten. Besonders Götz Werner ist dabei in die Schlagzeilen geraten. Sein Modell geht von 800 Euro BGE aus, von dem 200 Euro für allfällige Versicherungen einbehalten würden. Dadurch würden die Zuwendungen unter Hartz-IV-Niveau senken; kaum die richtige Ausgangsbasis für eine Restrukturierung des Sozialstaats. Wirklich problematisch jedoch wird sein Vorschlag, wenn man die Finanzierung für die Unternehmen ansieht: diesen soll bis zur Höhe des Grundeinkommens die Lohnzahlung substituiert werden. Das bedeutet, dass die Unternehmen das BGE kostenlos hinzubekommen – für jeden einzelnen Mitarbeiter.

Diese Vereinnahmung des BGE durch die neoliberalen Wirtschaftspropheten lässt von dem Grundgedanken nichts mehr übrig: anstatt der Alternative zur Erwerbsarbeit wird der Druck noch weiter erhöht und unter einem dürftigen Deckmantel eine weitere drastische Kürzung der Sozialleistungen und ein radikaler Abbau der staatlichen Interventionsmöglichkeiten betrieben, getoppt noch durch die vollkommen einseitige Verpflichtung der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern, die dadurch Milliarden ohne Gegenleistung in die Kassen gespült bekommen würden. Diese Vereinnahmung des BGE droht derzeit, die Idee als solche zu diskreditieren.

Der gangbarste Weg besteht wohl aus vielen kleinen Schritten. Zum einen bedarf es dringend eines gesetzlichen Mindestlohns für alle Branchen von mindestens acht, besser aber zehn und mehr Euro, der regelmäßig an gestiegene (oder gegebenenfalls gesunkene) Lebenshaltungskosten angepasst werden muss. Gleichzeitig kann man über ein BGE für Bedürftige nachdenken, sprich Menschen, die keiner regelmäßigen und Unterhaltssichernden Erwerbsarbeit nachgehen. In dieses Spektrum würden deutlich mehr Gruppen fallen als bisher, vor allem Hausfrauen und Studenten. Durch die Bedingungslosigkeit würden die völlig sinnlosen und volkswirtschaftlich schädlichen ABMs im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung wegfallen und so den Empfängern des BGE auf kleiner Basis ermöglichen, sich selbst zu verwirklichen und in ehrenamtlichem Engagement aufzugehen. Hier ist zumindest anfangs auch eine Politik (reeller) Anreize denkbar.

So oder so bietet das BGE viele Möglichkeiten. Wenn es allerdings zu einem verkappten Sozialleistungskürzungs- und Profitsteigerungsinstrument verkommen sollte, sind alle hehren Utopien begraben, und die Abwärtsspirale und der Gang in dieser werden unvermindert fortgesetzt. Das kann nicht im Sinne der Menschen sein.

2 Kommentare:

  1. Apropos Marktwirtschaft, gibt bei mir einen neuen und interessanten Beitrag zur INSM: http://www.perspektive2010.de/blog/2007/04/05/die-insm-hat-das-eine-oder-andere-problem/

    Gruß

    Alex

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  2. lesen sie doch mal andre gorz. http://de.wikipedia.org/wiki/Andr%C3%A9_Gorz
    vor allem das buch "wege ins paradies" stellt da ideen vor.
    wir leben schon im paradies, wir wissen es nur noch nicht.

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