Jeder muss von seiner Arbeit leben können" und "Anständige Arbeit muss auch anständig bezahlt werden": Das sind Sätze, die jeder nachvollziehen kann. Die Feststellung, dass gesetzliche Mindestlöhne Arbeitsplätze gefährden, ist aber ebenfalls richtig. Wenn ein Frisörmeister zwei Angestellte zu einem Stundenlohn von 3,50 Euro beschäftigt und ein Mindestlohn von 7,50 Euro eingeführt wird, wie von den Gewerkschaften gefordert, dann muss entweder der Haarschnitt doppelt so viel kosten wie heute oder eine(r) der Angestellten verliert seinen Job und ist arbeitslos.Die hier aufgebaute Kausalkette ist ein schlechter Witz. Wenn der Frisörmeister einfach eben mal sein Personal halbiert, kann er die Kunden doch gar nicht mehr bedienen - als Folge wird seine Klitsche schrumpfen und schließlich untergehen, so dass die Kosten die des Mehrlohns definitiv übersteigen werden. Davon abgesehen sind 3,50€ die Stunde grob sittenwidrig.
Es klingt gut, einen relativ hohen Mindestlohn für jeden zu fordern. Aber man muss wissen, welche Konsequenzen das hat. Unternehmen haben Alternativen. Sie können im billigeren Ausland produzieren oder Maschinen statt Menschen einsetzen.Mit welcher technischen Innovation der Frisörmeister seine Angestellten ersetzen will, verschweigt Röttgen leider.
Arbeitnehmer, insbesondere die gering qualifizierten, haben im Zweifel keine Alternative - außer der Arbeitslosigkeit. Löhne sind Preise und werden für Arbeit bezahlt. Sie haben einen Markt wie andere Güter auch, und es gelten im Grundsatz die Regeln von Angebot und Nachfrage. Das klingt zunächst hartherzig, aber es beschreibt die Realität.Im Prinzip hat Freund Norbert Recht, nur: die Regeln von Angebot und Nachfrage sind hier stark simplifiziert. Denn es gibt andere Faktoren außer einem Überangebot an Arbeitskräften. Überangebote bei anderen Waren sinken nicht zwangsläufig im Preis, was oftmals mit starken Interessensverbänden und Preisabsprachen durch Kartelle im Hintergrund zu tun hat, sowie mit der Tatsache, dass häufig gigantische Konzerne dahinterstecken, die einen entsprechenden Druck vereinigen. Spätestens seit der Schröder'schen (Selbst-)Entmachtung der Gewerkschaften aber besitzen die Arbeitnehmer überhaupt keine Interessensvertretung mehr, die überhaupt Löhne aushandeln könnte. Die Regeln des Markts sind aber nicht "Friss oder stirb!", sondern eigentlich, dass für ein angemessenes Produkt auch ein angemessener Preis bezahlt wird. Dumping gehört definitiv nicht in den Freien Markt und würde bei normalen Produkten früher oder später zum Konkurs führen, was beweist, dass der Arbeitsmarkt nur sehr beschränkt ein "Markt" in diesem Sinne ist.
Der Verweis auf Großbritannien liefert auch kein Argument für Mindestlöhne. Der Arbeitsmarkt dort brummt, und die Arbeitgeber müssen Löhne deutlich über dem Mindestlohn anbieten, um überhaupt Arbeitskräfte zu gewinnen. Außerdem gibt es geringere soziale Leistungen und damit niedrigere Lohnnebenkosten. Die Situation ist nicht auf Deutschland übertragbar, wo wir - zum Glück - hohe soziale Standards haben und - leider - noch gut vier Millionen Arbeitslose.Was nicht passt, wird passend gemacht. Die deutsche Industrie brummt seit Jahren wie verrückt, ohne dass irgendjemand der Ruf nach Mindestlöhnen eingefallen wäre, und auch in Großbritannien gibt es viele Arbeitslose. Davon abgesehen haben die niedrigen Lohnnebenkosten (die im Übrigen kaum Effekt auf die Arbeitsmarktentwicklung haben) in Großbritannien unter anderem zu lebensgefährlichem öffentlichem Nahverkehr, lebensgefährlichem Gesundheitswesen und stark gesunkener Lebensqualität geführt, die auch in einem drastischen Absinken der durchschnittlichen Lebenserwartung ihren Niederschlag fand. Alles in allem also ein saudummer Vergleich.
Verantwortliche Politik darf die Realität nicht ignorieren und den Betroffenen nicht suggerieren, sie würden durch Mindestlöhne an Wohlstand gewinnen, obwohl sie in Wahrheit Gefahr laufen, ihre Arbeitsplätze zu verlieren.Eigentlich ist es müßig, diesen Tintenschwärze gewordenen Unsinn zu kommentieren. Aber gut. Verantwortliche Politik bedeutet vor allem auch, dass die Arbeiter für ihre Arbeit angemessen bezahlt werden und sich mit einer Vollzeitstelle ernähren können, was derzeit nicht immer gegeben ist. Davon abgesehen ist die hergestellte Kausalkette zwischen Mindestlohn und Arbeitsplatzverlust bestenfalls zweifelhaft, aber eigentlich grundfalsch.
Der Staat sollte grundsätzlich keine Lohnpolitik betreiben. Das ist aus guten Gründen Sache der Gewerkschaften und der Arbeitgeber. Würde die Politik sich hier einmischen, wäre die Lohnfindung sehr schnell von parteitaktischen und wahlkampforientierten Interessen überlagert.Genau, deswegen gibt es ja auch diesen Artikel hier. Herrjeh, für wie blöd hält Röttgen seine Leser eigentlich? Nur weil das parteipolitische Interesse in diesem Fall ein Ende der Diskussion ist heißt das nicht, das keines bestünde.
In Deutschland gilt außerdem die Vertragsfreiheit. Ein Mindestlohn würde es verbieten, unterhalb dieser Grenze Verträge abzuschließen, selbst wenn sie von beiden Seiten gewollt wären und beiden Seiten Vorteile brächten.Ebenfalls falsch. Sittenwidrige Löhne sind verboten, gleichfalls gibt es eine ganze Reihe weiterer (meist vernünftiger) Einschränkungen der Vertragsfreiheit. Derartige Simplifizierungen ersticken jede Diskussion im Keim. Davon einmal abgesehen ist kaum vorstellbar, dass beide Seiten ernsthaft Interesse an einem Lohn unter 7,50€ (immer noch viel zu niedrig im Übrigen) haben könnten. Allenfalls eine von beiden.
Vor allem aber sind Löhne Ansporn, etwas zu leisten und auch mehr zu leisten als andere. Ein Mindestlohn könnte den Ansporn zu weiterer Qualifikation und Anstrengung beseitigen. Er ist daher gerade kein Gebot der Fairness. Gegenüber vielen Menschen im Osten Deutschlands wäre er auch in anderer Hinsicht ausgesprochen unfair; das niedrigere Lohnniveau ist dort ein wichtiger Wettbewerbsvorteil, ohne den die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern noch höher wäre.Bollocks. Von der Leistung des Arbeiters hängt in den seltensten Fällen der Lohn ab. Das zeigt die Managerklasse immer wieder deutlich, die trotz groteskem Versagen Spitzenlöhne bekommt. Aber zurück zum Thema.
Gesetzliche Mindestlöhne bedeuten also in Wahrheit mehr Risiko als Nutzen, und sie stehen in Widerspruch zu anerkannten Werten und Normen unserer Gesellschaft.Ein Kernsatz des Artikels. Der trockene Kommentar der NachDenkSeiten dazu: "Die Bezahlung von sittenwidrigen Hungerlöhnen, die nicht zum Überleben ausreichen, scheint für ihn aber unseren „anerkannten Werten und Normen der Gesellschaft“ zu entsprechen."
Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Niemand, der gegen gesetzliche Mindestlöhne ist, ist für geringe Bezahlung. Es ist im Gegenteil wünschenswert, dass jeder wenigstens 7,50 Euro die Stunde erhielte. Diese Löhne dürfen aber nicht staatlich verordnet sein, sondern müssen am Markt verdient werden. Der Wert von Freiheit, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung ist auch in der Lohnpolitik höher zu bewerten als eine vorgegaukelte Sicherheit, die der Realität nicht standhält und außerdem der Parteipolitik ein Mittel an die Hand gibt, sich aus eigennützigen Motiven in das Wirtschaftsgeschehen einzumischen.Ich stelle mir Röttgen gerade mit verklärtem Blick vor, wie er die Götze Freie Marktwirtschaft anbetet. Ich habe bereits weiter oben erklärt, warum das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes in diesem Fall grotesker Unfug ist.
Eine Absage an Mindestlöhne heißt auch nicht, dass die Betroffenen in Armut leben müssen. Wer ein Einkommen aus gering bezahlter Arbeit hat, das für ihn und seine Familie zum Leben nicht ausreicht, erhält ergänzende staatliche Unterstützung. Das ist auch für die Zukunft der richtige Weg. Im Übrigen verfügt Deutschland über eine Vielzahl von Arbeitnehmerschutzgesetzen, die Gewerkschaften sind erheblich stärker als in Großbritannien, und jeder kann vor unabhängigen Gerichten seine Rechte einklagen. Von einer Situation der Ausbeutung sind wir also weit entfernt.Noch mal zum Mitschreiben: der Staat hält sich aus der Lohnpolitik, wo Freiheit über alles gestellt wird - die negative Freiheit -, völlig heraus - aber er bezahlt einfach mal drauf, wenn die Löhne einfach nur noch ausbeuterisch sind? Das ist dann etwa keine Intervention des Staates, oder wie? Doch, natürlich. Aber sie dient den Unternehmen, während die andere den Menschen dient. Kein Zweifel, welche Präferenz ein CDU-Abgeordneter hier verfolgt.
Eine politische Entscheidung, die die Wirklichkeit und ihre Komplexität ignoriert, ist keine Basis für eine Politik mit moralischem Anspruch. Eine Politik, die gesetzliche Mindestlöhne fordert und damit die Arbeitslosigkeit derer in Kauf nimmt, für die sie zu sprechen vorgibt, handelt nicht im Interesse der Menschen, sondern hat offenbar nur das eigene Parteiinteresse im Auge. Wir tun gut daran, die Politik auch weiterhin aus der Lohnfindung herauszuhalten.Der Schlusssatz muss nicht weiter kommentiert werden, alles nennenswerte wurde bereits weiter oben gesagt.
Auffällig ist insgesamt, wie sehr sich Röttgen zur Hure der Wirtschaft macht, die hier versucht, Interessen durchzusetzen, die sie in grundfalschem Quartalsdenken als ihre eigenen definiert hat. Mindestlöhne sind nicht nur im Interesse der Arbeitnehmer; sie sind auch im Interesse der Wirtschaft selbst. Wer 3,50€ die Stunde verdient, wird sich keinen Haarschnitt mehr leisten können. Wer 3,50€ die Stunde verdient, kauft keine Autos, keine Fernseher, keine Luxusartikel. Der kauft bei Aldi, das billigste was eben geht, weil er gar keine andere Wahl hat. Wie die Wirtschaft damit jemals wieder auf die Beine kommen soll, ist vollkommen schleierhaft, aber es passt ins Bild, dass Prof. Sinn sich für Konsumverzicht ausspricht und Röttgen damit nach dem Mund redet (oder umgekehrt, wobei das wegen des unverhohlenen Lobbyismus' für die Industrie eh irrelevant ist). Den miserable Zustand unserer Eliten macht Röttgen in seinem Artikel unfreiwillig deutlich. Das Fass zum Überlaufen bringt, dass die gleichen Leute, die hier erwiesenermaßen falsche, ideologisch verbrämte Thesen zu vermarkten suchen kompetenten Leuten wie Lafontaine Ideologie und Inkompetenz vorwerfen.
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