Was haben die beiden Begriffe in der Überschrift miteinander gemeinsam? Nicht viel oder auf den ersten Blick überhaupt nichts – möchte der geneigte Leser meinen. Wie so oft, lohnt sich jedoch ein Blick über des Offensichtliche, das sich auf dem schönen Teller einer gesundheitsbewussten Politik befindet, über den Rand hinaus; doch der Reihe nach:
Ein Volk, innerhalb dessen der ideelle Wert der Solidarität nicht nur eine Floskel ist, sondern auch gelebt wird, ist gefährlich. Wie bitte? "Wie kann etwas derart ethisch Wertvolles und Erstrebenswertes denn gefährlich sein?“, wird sich der geneigte Leser verwundert die Augen reiben. Der kritische Denker erkennt sogleich die sich sofort anschließende Frage: „Für wen gefährlich?“ Sicherlich nicht für diejenigen, welche von gelebter Solidarität profitieren, also für die allermeisten hier lebenden Menschen - das kann wohl ausgeschlossen werden. Für wen aber dann? Nun, holen wir etwas aus: Eine Solidargemeinschaft impliziert ja auch immer einen Gegenpol, nämlich diejenigen, welche dieser Gemeinschaft nicht angehören, die ihr eigenes Süppchen kochen wollen, möglichst noch in einer Weise, dass es nicht bemerkt wird. Dass der einfach gestrickte, aber deshalb keinesfalls zwingend dumme Mensch dann sofort an Eliten, an ohnehin bereits Privilegierte und an Minderheiten, die sich oft noch nicht einmal mehr die Mühe machen, ihre Rolle zu verschleiern, denkt, kommt nicht von ungefähr; Stichwort: „Politikverdrossenheit“.
Wer kann schon berechnen, wozu ein strukturell gefestigtes Volk in der Lage ist? In jedem Falle ist es eher dazu in der Lage, aufzubegehren (in welcher Form auch immer) im Vergleich zu einem individualisierten Volk. Wenn man sich aber sein Volk schon nicht selbst wählen kann, müssen andere Wege gefunden werden, den Status quo zu sichern oder besser noch, ihn noch weiter zu verfestigen. Wir erkennen also, dass es kaum im Interesse von Politikern, die sich auf Grund der hier herrschenden Auslegung des Begriffs der „Demokratie“, die ja immerhin Verfassungsrang besitzt, sein kann, wenn sich das Volk ausgerechnet auf den Wert der Solidarität besinnt. Man sieht ja, wohin dieses Prinzip allein bei den Gewerkschaften führen kann... .
Wie wirke ich nun diesen Entwicklungen entgegen? Das ist einfacher und offensichtlicher, als es zunächst erscheinen mag: Ich atomisiere die Gesellschaft! Individualität ist zu fördern, das kommt auch noch gut an. Dass damit auch Rücksichtslosigkeit und Konflikte bedient werden, muss ja nicht unbedingt Erwähnung finden. Blicken wir ein wenig zurück: Hat es eigentlich jemals zuvor derart zahlreiche gesellschaftliche Gruppen gegeben, die sich in dieser Weise polarisiert gegenüber stehen? Den ganz großen Brocken bilden dabei die so genannten Beschäftigten und die Nichtbeschäftigten, im Volksmund auch „Arbeitslose“ genannt. Das demografische Phänomen kam wie gerufen, Junge und Alte gegenüber zu stellen (da ist er wieder, der Versuch, den Wert der Solidarität in Frage zu stellen). Die steigenden Kosten im Gesundheitswesen bilden einen willkommenen Nährboden dafür, doch einmal nachzufragen, was eigentlich die Kranken noch für einen Nutzen bieten. Diese Gruppen sind anschaulich, sie sind in der Vorstellung leicht zu fassen. Man kann dieses gegenseitige Ausspielen einzelner Bevölkerungsgruppen noch weitaus subtiler angehen, wie wir sogleich sehen werden:
Der Bogen zur seltsamen Spezies des Rauchers ist gespannt. Der Raucher schädigt nicht nur sich selbst, sondern auch die Solidargemeinschaft, er verhält sich deshalb asozial! Die Gemeinschaft soll nach außen hin natürlich gestärkt werden; was tatsächlich beabsichtigt ist, muss ja niemanden interessieren. Aber das ist noch nicht anschaulich genug: Der rücksichtslose Raucher begeht Körperverletzung am Passivraucher! Er ist ein Krimineller, der bei Zuwiderhandlungen empfindlich bestraft werden muss! Jawoll, das haben zahlreiche Studien eindeutig bewiesen!
„Die Studien seien nicht seriös, weil einige genannte überhaupt nicht durchgeführt wurden?“
- „Einerlei – das merkt schon keiner.“
„Von den Krebsfällen waren ohnehin sehr viele bereits im hohen Alter, so dass gar kein ursächlicher Zusammenhang bestehen muss zwischen dem Zigarettenkonsum und dem Krebstod?“
- „Wer wird es denn so genau nehmen?“
„Die Vorschriften über die Atemluftqualität in öffentlichen geschlossenen Räumen sind bereits derart streng, dass sie selbst ohne Zigarettenqualm kaum eingehalten, geschweige denn überwacht werden können!“
- „Das interessiert in diesem Zusammenhang doch nun wirklich nicht!“
„Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt kontinuierlich und stellt die Rentenkassen vor schier unlösbare Probleme, aber die armen Passivraucher werden um Jahre ihrer Lebenserwartung beraubt – wie geht das zusammen?“
- „Meine Güte, ihr findet aber auch immer ein Haar in der Suppe!“
Nein – wir müssen uns profilieren, der Nichtraucherschutz muss her und außerdem befiehlt uns das Brüssel! Und da wir keine halben Sachen machen, muss der Nichtrauchschutz mit allen Mitteln umgesetzt werden! Keine Kompromisse! Wie bitte, wir zerstören damit eine Jahrhunderte gewachsene Genusskultur? Egal – wir ziehen das jetzt rigoros durch! Und wenn einzelne Landesfürsten sich quer stellen, werden sie eben diszipliniert, das machen wir sonst ja auch immer so. Und hier ist es natürlich ganz besonders wichtig! Wen stört es schon, dass ein Abitur aus Bayern mehr wert ist als eines aus Hamburg, aber Im Nichtraucherschutz darf es keinesfalls Unterschiede geben! Der Föderalismus ist gut, wenn er den Zielen unseres Landes dient, anderenfalls ist er zu ignorieren oder gar bekämpfen!
Ein Szenario aus einem Science-Fiction-Roman? Keineswegs, sondern die politische Realität der letzten Monate. Es war für einschlägige Brandstifter schon immer sehr Besorgnis erregend, wie gut sich Raucher und Nichtraucher vertragen haben. Und wenn die Passivraucher partout nicht begreifen wollen, wie sie sich mit ihrer Toleranz gegenüber Rauchern selbst schädigen, muss das halt geändert werden! Unsere tollen in Auftrag gegebenen und teuren Studien haben nichts bewirkt, also müssen wir andere Geschütze auffahren. Es war schließlich schon immer unsere Maxime, die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. Mit dem demografischen Phänomen werden wir das ebenfalls so machen – die Menschen sollen wollen, was sie sollen!
Ein ganz naiver Mensch, welcher tatsächlich noch an edle Motiven der Politiker geglaubt hatte, besuchte ‚seinen’ Abgeordneten und fragte ihn etwas schüchtern, insgeheim aber hoffend und zuversichtlich, eine geradezu genial einfache Lösung gefunden zu haben. Er trug seine Idee vor und betonte, dass er sie auch nicht zum Patent anmelden wolle:
„Man kann dieses Problem doch ganz einfach lösen: Der Passivraucher wird geschützt, das Kulturgut wird weitgehend geschont, die Menschen nur soweit bevormundet, wie es wirklich nötig ist und alle sind zufrieden!“
Der Abgeordnete, zu dem dieser Mensch sprach, ahnte was kommen würde, aber er sagte nur:
„Erzählen Sie, ich bin gespannt, wo der Haken ist!“
Der besonnene und weise, aber eben sehr naive Mensch sagte daraufhin:
„In allen öffentlichen Räumen, denen sich die Betroffenen nicht entziehen können, wie beispielsweise Krankenhäuser, Schulen oder Behörden, wird das Rauchen verboten und meinetwegen die Einhaltung auch überwacht. An Orten, in denen sich die Menschen allerdings freiwillig aufhalten, wie beispielsweise in Restaurants und Kneipen, wird es dem Betreiber freigestellt, ob er das Rauchen gestattet oder nicht, er muss es nur deutlich deklarieren, so dass niemand getäuscht wird. Ebenso bleibt es in Zügen bei getrennten Raucher- und Nichtraucherabteilen. Unter freiem Himmel wird das Rauchen generell erlaubt. Dann könnte jeder selbst entscheiden, wie er sich verhalten möchte!“
Der Abgeordnete schluckte einen Moment, da er aber selbst Raucher ist und das Verbot in der absoluten Form insgeheim ablehnt, was er freilich niemals äußern darf, wenn er seine politische Karriere nicht gefährdet sehen will, konnte diesem inneren Druck kurze Zeit nicht mehr Stand halten, schaute, ob mögliche Zeugen in der Nähe waren, zog den weisen Mann dann bei Seite und flüsterte ihm hinter vorgehaltener Hand zu:
„Das geht doch nicht, denn dann würden wir die Menschen doch nicht mehr polarisieren! Das gehört aber zu einem unserer obersten Gebote... . Raucher und Nichtraucher sollen sich spinnefeind werden! Schauen Sie doch einmal in diese einschlägigen Diskussionsforen im Web: Das Gesetz ist noch nicht einmal verabschiedet und der Ton wird schon jetzt spürbar rauer. So soll es sein! Wir selbst nehmen uns im Budestagsgebäude deshalb ja auch von dieser Regelung aus!“
Der weise Mensch schritt von dannen und beschloss, niemals mehr wählen zu gehen, niemals mehr weise zu sein, sondern ebenfalls rücksichtslos zu werden. Die Politik hat also gerade wieder einen weiteren Menschen für ihre Ideologie sensibilisiert und vielleicht sogar schon abschließend missioniert. In der Folgewoche berichtete der Abgeordnete seinem Fraktionsvorsitzenden von dem Gespräch, worauf dieser ihm anerkennend auf die Schulter klopfte und ihm prophezeite: „Sie werden noch einmal ein ganz Großer!“
Caschny.
"Divide et impera" in der postindustriellen Gesellschaft... Das der Westen eine dekadente Phase durchlebt, weil keine wirklichen Antworten auf drängende Probleme gegeben werden, ist ja nichts Neues. Aber es ist eine Sache geschichtstheoretische Vergleiche anzustellen und eine andere, diesen Mist Tag für Tag zu erleben, wo doch soviel anderes möglich wäre. Vielleicht haben wir ja prozentual auch bald so viele Knackis wie die USA. Wohl bekomms.
AntwortenLöschenSo ist es.
AntwortenLöschenMänner gegen Frauen, Kinderlose gegen Eltern, Diesel- gegen Benzin- gegen Fahrradfahrer, Raucher gegen Nichtraucher, Christen gegen Moslems etc.pp.
Ich kann nicht verstehen, wieso das so wenigen Menschen auffällt.