Samstag, 8. Oktober 2016

Die Achziger haben angerufen und wollen ihren Kandidaten zurück

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass die ersten öffentlichen Spekulationen über eine Präsidentschaftskandidatur Donald Trumps auf das Jahr 1987 datieren. Damals war er auf einem ersten Höhepunkt seines PR-Erfolgs (während sich sein Immobilienimperium bereits rasant der Pleite näherte), sein Bestseller "The Art of the Deal" stand überall in den Läden. Trump verkörperte einen Teil des Appeals der Reagan-Era, den maskulinen Erfolg, den poppigen Megalomanen. Was Schwarzenegger für's Actionkino war war Trump für's Business. Es überrascht daher kaum, dass er sich in den Neunzigern, die diesem speziellen Unfug sehr ironisch gegenüberstanden, nur mit genau der Selbstbloßstellung in Howard Sterns Radioshow über Wasser halten konnte, die ihm nun so sehr schadet ("Are you for the Iraq War?" "Yeah...I guess...."). Es waren die zynischen 2000er Jahre, in denen er in The Apprentice wieder hochkam. 2016 stellt er sich an die Spitze einer Bewegung, die überhaupt nicht mehr weiß, wo eigentlich ihr Amerika geblieben ist. Auch Trump weiß es nicht, dabei ist die Antwort eigentlich gar nicht so schwer. Dieses Amerika ist an der Schwelle zu 1990 zurückgeblieben, und das Jahr 2016 hat keine Verwendung mehr dafür.

Viele Journalisten haben versucht, jene Periode zu finden, auf die sich Trumps Slogan von "Make America Great again" ostentativ bezieht. Wann waren die USA denn great, greater jedenfalls als heute? Verschiedene Antworten wurden präsentiert: die Achziger, die Fünfiziger, die Zeit des amerikanischen Exzeptionalismus in der Gilded Age, irgendwas, Trump weiß es selbst nicht so genau. Sieht man ihn und seinen Wahlkampf, seine Aussagen, Slogans und Unterstützer an, dann fällt die Verortung aber leicht: es sind die 1980er. Alle Übel, die Trump bekämpfen will, stammen aus den 1990ern, von NAFTA bis zur political correctness. Sein Wahlkampf ist ein einziges Nostalgie-Vehikel. Man kann das an vielen Stellen sehen, an seiner Rhetorik, an seinen Stellvertretern, an seinem Programm, an seinem Marketing, an seinen Skandalen. Alles schreit Achziger. Und das ist nichts besonders Positives, obwohl die Republicans in den letzten zwei Dekaden nichts haben unversucht lassen, einen Heiligenkult um Ronald Reagan aufzubauen. Der Kult hat mit der historischen Person mittlerweile nichts mehr gemein. Wie ich mit meinem Kollegen Sean T. Collins in unserem Podcast zur 80er-Retro-Show "Stranger Things" diskutiert habe, verbinden aber beileibe nicht alle mit der Kultur und den Werten der Achziger nur Positives, weshalb die Epoche in der Erinnerung auch gerne durch den Weichspüler gezogen wird.

Trump aber holt genau die Aspekte hervor, an die sich nur wenige Leute gerne erinnern: die Dominanz der jocks über die nerds, den offenen Sexismus, die Blasphemie des Erfolgs. Kulturell sind die 2010er Jahre geprägt von der Dominanz der Nerds: vom Superheldenkino über Wikileaks zur Piratenpartei und den Wahlkampforganisationen Obamas und Clintons über die Präsidentschaft des ultimativen Nerd-Kandidaten Obama selbst haben sie die Macht übernommen - und dabei mit #gamergate auch bereits ihre schmutzige Seite der Medialle zur Genüge präsentiert. Man sieht dies schön an den Reaktionen auf all die Sexismus-Vorwürfe, die er sich bislang eingefangen hat.

So erklärte er seine Beleidigungen jüngst als reines "Entertaintment", das gar nichts mit seiner Privatperson zu tun habe, als ob das irgendwie besser wäre. Die Achziger sind dafür schon ein bisschen zu lange vorbei. Dasselbe gilt für die von Clinton gestellte Alicia-Machado-Falle, in der Trump die Vorwürfe an die ehemalige Miss-Universe-Gewinnerin, sie sei zu fett geworden (weil sie 15kg auf Normalmaß zugelegt hatte) einfach wiederholte, als müsse jedem sofort ersichtlich sein, dass ein übergewichtiger Siebzigjähriger die Berechtigung habe, solche Urteile in aller Öffentlichkeit zu treffen. Es gilt für seine Kommentare, ob eine Frau eine "10" sei, die nicht nur in sich selbst ungeheur sexistisch sind sondern in ihrer Präferenz für lange, schlanke Beine und riesige Brüste auch noch die ästhetischen Vorlieben der Achziger wiederkäuen. Und es gilt natürlich für seine völlige Unfähigkeit zu erkennen, dass sich die Maßstäbe für sexuelle Belästigung massiv geändert haben. Ob seine Anwälte verkünden, dass in der Ehe "rechtlich gar keine Vergewaltigung möglich" sei (doch, ist sie, nur in den Achzigern halt noch nicht) oder ob Trump nicht erkennen kann, dass seine auf Band festgehaltenen Kommentare von 2005 darüber, dass sein Celebrity-Status es ihm erlaube, Frauen gegen ihren Willen zu küssen oder in den Schritt zu greifen, nicht einfach nur "Umkleideraumgeschwätz" (locker-room banter) ist, sondern effektiv das Geständnis einer Straftat.

Trumps Verharren in den Achzigern hat sich von Beginn an gezeigt, etwa in seiner Verachtung für die modernen Methoden eines datenbasierten Wahlkampfs. Auch sein Rückgriff auf eine unförmige, knallig rote Schildmütze, die in die öffentlichen Auftritte integrierte Ankunft im eigenen Privatjet oder das vergoldete Interior seines Neo-Versailles-Apartments im Trump-Tower signalisieren deutlich den mentalen Aufenthaltsort des Kandidaten. Ebenfalls ein deutliches Zeichen hierfür ist Trumps unerklärliche Überzeugung, dass Bill Clintons wohlbekannte Affären der Kandidatur seiner Frau schaden würden. Die republikanische Partei hat sich mit dieser Fehleinschätzung bereits 1998 (!) eine blutige Nase geholt, als Clintons Zustimmungswerte inmitten der Lewinsky-Affäre nicht etwa fielen, sondern stiegen, und die Democrats bei den Midterm-Elections zulegten - eine außerordentliche Seltenheit, dass die "in-house party" bei diesen Wahlen gewinnt. Trump aber kann diese Lektion der ihm kulturell bereits fremden Neunziger nicht verarbeiten. Nur so ist zu erklären, dass er glaubt, seine von der Washington Post publizierten Kommentare über das Küssen und Begrapschen von Frauen seien dadurch wegzuerklären, dass Bill Clinton auch solche Sachen sagte.

Es gibt aber auch einen wesentlich handfesteren, empirisch bestätigbaren Grund für die mangelnde Attraktivität von Trumps Botschaft: die Demographie. Die Achziger, wo Trump seine geistige Heimat unterhält, wurden von großen Teilen der Wählerschaft überhaupt nicht erlebt. Trump, der seine größten Erfolge in dieser Periode feierte, ist mittlerweile siebzig. Die Leute, die kulturell in den Achzigern aufgewachsen sind - also wer in den 1970ern geboren wurde - sind Mitte Dreißig oder noch älter, und viele verbinden nicht ihre besten Erinnerungen mit dieser Dekade, sondern mit den ökonomisch wesentlich ergiebigeren Clinton-Jahren der Neunziger. Jede empirische Untersuchung zeigt, dass Trump erst bei über 50jährigen Wählern Mehrheiten einfährt. Wähler unter Dreißig lehnen ihn zu über 70% ab. Addiert man dazu Trumps notorische Probleme mit Schwarzen, Latinos und Frauen zeigt sich schnell, dass es schlicht nicht genug wütende, alte, weiße Männer gibt um ihm zur Präsidentschaft zu verhelfen. Und das ist wahrlich ein Segen.

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