Donnerstag, 29. Juni 2017

Schuld sind immer die anderen

Als Donald Trump die Wahl in den USA gewann, wurden viele Schuldige ausgemacht. Da war Hillary Clinton, die Wahlkampffehler begangen haben sollte. Da waren die Medien, die Trump zu viel unkritischen Raum einräumten. Da waren die Democrats, deren Programm angeblich zu abgehoben sei, die zu weit weg sind von den "echten" Amerikanern draußen in den ländlichen Gebieten (da hab ich schon ein paar Takte dazu gesagt).

Als Großbritannien in einer Volksabstimmung den Brexit beschloss, wurde darüber gejammert, wie schlecht der Remain-Wahlkampf war. Dass Jeremy Corbyn nicht wirklich in der EU bleiben wollte. Dass die Brexit-Befürworter gelogen hatten, dass sich die Balken biegen. Dass die Presse das noch anheizte.

Als in Frankreich Marie Le Pen nur einen Fußbreit vom Elysse-Palast entfernt schien, wurde bejammert wie abgehoben die Parteien seien. Dass sie die Sorgen und Nöte der Menschen nicht ernst nähmen. Dass Le Pen lügt und Falschaussagen verbreitet. Das Spiel lässt sich für jede Wahl wiederholen, wo Rechtspopulisten gegen den Rest der Welt standen. Fällt jemandem auf, wer in dieser Liste grundsätzlich niemals beschuldigt wird?

Es ist der Wähler. 70.000 Menschen in drei Staaten des Mittleren Westens reichten, um Trump zum Präsidenten zu machen. 52% stimmten für den Brexit. 34% haben im zweiten Wahlgang für Le Pen gestimmt. Alle Analysen nehmen diese Menschen beständig in Schutz.

Wie kann man es wagen, Leuten mit Südstaatenflaggen im Pickup und großzügigem Gebrauch des N-Worts als Rassisten zu verunglimpfen? Da muss man rausfinden, was die umtreibt, und muss ihnen Angebote machen und auf gar keinen Fall im Wahlkampf sagen, dass Rassismus nicht ok ist, denn damit würde man sie beleidigen.

Wie hätten 52% der Briten sich auch "richtig" entscheiden sollen, wenn Boris Johnson, Nigel Farage und die Yellow Press ihnen die Hucke volllügen? Sie haben den Brexit auf falschen Annahmen beschlossen. Auf keinen Fall waren uninformierte Ressentiments gegen Ausländer beteiligt.

Auf keinen Fall darf man die Franzosen, die eine Proto-Faschistin zur Präsidentin machen würden, für diese Überzeugung verantwortlich machen. Stattdessen muss man Verständnis zeigen. Den Leuten geht's nicht gut, da ist es ganz normal, wenn sie Ausländer hassen und die Demokratie abschaffen wollen.

Ich kann diese Scheiße nicht mehr hören. Schuld sind immer die anderen, aber nie die Wähler. Der Souverän einer Demokratie ist im öffentlichen Diskurs immer merkwürdig nebulös, hat keine Autonomie und keine, nun ja, Souveränität. Stets wird so getan, als ob Wähler für die Folgen ihrer Entscheidungen nicht verantwortlich seien. Das sind dann immer die Medien, die Politiker, die Lobbyisten. Aber nie, nie, nie diejenigen, die ihr Kreuz gesetzt haben.

Das ist eine Infantilisierung der Wähler. Eine Demokratie ohne Wähler kann es nicht geben, und wer glaubt, die Gründe für die Wahlentscheidung grundsätzlich immer bei irgendwelcher Beeinflussung von außen suchen zu müssen, ist schief gewickelt. Der Wähler in der Demokratie hat nicht nur Rechte, er hat auch Pflichten. Der Wahlakt ist kein institutionalisiertes Ablassen von Ressentiments, kein Kanal für undefinierten Protest, kein bloßes Mittel der Kommunikation mit den Repräsentanten.

Die Wahl dient dazu, die Regierung und das Parlament, das die Gesamtheit der Deutschen in den nächsten vier Jahren in der Welt und zuhause repräsentieren soll, zu bestimmen. Die Wahl über den Austritt aus der Europäischen Union ist keine Gelegenheit zu zeigen, dass man keine Ausländer mag, sondern eine tiefgreifende, monumentale Entscheidung in der Geschichte des Landes. Als Präsidenten der USA den ungeeignetsten und gefährlichsten Clown aller Zeiten zu wählen, nur weil man gerne Frauen Schlampen und Schwarze Nigger nennen möchte, ist kein Zeichen eines irgendwie übersehenen versteckten Volkswillens, sondern von demokratischer Unreife.

Irgendwo ist der Unterschied zwischen Meinungsäußerung - auf Demonstrationen, in Blogposts, Einträgen in sozialen Netzwerken, wütenden Leserbriefen, Redenschwingend auf der Straße oder im Schreiben von Petitionen und Abgeordnetenpost - und der Wahl der Richtung, in die das komplette Land in den nächsten Jahren gehen soll, völlig verloren gegangen. Das ist ein weltweites Phänomen, und es ist problematisch.

Wir müssen damit beginnen, den Wähler auch wieder zur Verantwortung zu ziehen - und die Politik dazu zu zwingen, die andere Seite dieser Verantwortung zu stellen, indem sie Alternativen im demokratischen Rahmen benennt, statt dieses Feld dem Abschaum von Rechts zu überlassen. Wähler müssen sich darüber klar werden, dass sie mit einer Stimme bei der Wahl einen Repräsentanten wählen, der für die nächsten vier oder fünf Jahre für sie Entscheidungen trifft, und dass es da vielleicht nicht schlecht wäre, wenn derjenige auch rudimentäre Qualifikation dafür vorweisen kann. Und Politiker müssen in diesem System dazu gebracht werden, ihre Entscheidung deutlicher und verständlich zu erklären, so dass es Verantwortliche gibt - für das Gute wie für das Schlechte. Der Gesundheit der Demokratie würde das nur guttun.

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