Sonntag, 11. März 2018

Die klassischen Medien, nicht die Sozialen Medien, sind das Problem bei der Polarisierung

Wenn es ein Narrativ gibt, das in allen Zeitungen von links bis rechts, liberal bis konservativ, hoch und runter gebetet wird, dann dass soziale Medien wie Twitter und Facebook die Wähler polarisieren und über Fake News aktive Desinformation betreiben. Besonders in der Debatte über die Faktoren, die zur Wahl Donald Trumps geführt haben, dürfen die Filterblase, Facebook und Twitter nicht fehlen, und in geringerem Maß werden sie auch gerne zur Begründung für Jeremy Corbyn und die AfD herangezogen. Das Problem dabei ist nicht, dass nichts Wahres daran wäre. Das Problem ist, dass über diese Diskussion die Hauptschuldigen völlig beiseite gelassen werden.

Zuerst zu dem Teil, der wahr ist am beliebten "die sozialen Medien sind ganz, ganz schrecklich"-Narrativ. Soziale Medien geben allerlei Arten von unangenehmen Personen ein Forum, das sie anderweitig nicht hätten. Fake News verbreiten sich potenziell blitzartig in einem riesigen Leserkreis. Abgeschottete Filterblasen ermöglichen es, sich von anderen Meinungen komplett zu isolieren. All das ist unzweifelhaft richtig. Besonders im Zusammenhang mit Interferenzen von außen - Stichwort russische Einflussnahme auf Wahlkämpfe - sind die sozialen Medien ein fruchtbares Feld.

Einige Elemente der aktuell brennenden Krankheit in der politischen Kultur jedoch haben ihren Ursprung nicht in den sozialen Medien, sondern in den klassischen Medien - Print und TV. Hier nämlich wurde viel vom aktuellen Radikalismus, Rassismus und Anti-Intellektualismus salonfähig, lange bevor russische Trollfarmen begannen, die Schlammecken der Sozialen Netzwerke zu kultivieren. Ein wichtiges Element ist hier die Konsensausrichtung.

In Retrospektive ist der Wandel in der Darstellungsweise der traditionellen Medien beachtlich. Von einer Verachtung der Unterschicht und einer Vergötterung der Eliten während der Agenda-Ära, in der alles gut war was vom Pöbel abgelehnt wurde und immer noch drastischere, noch einschneidendere Reformen gefordert wurden und in denen es als Güteausweis galt, wenn die Wähler etwas verabscheuten, sind wir heute dabei angelangt, dass jeder Widerspruch gegen Ressentiments, und seien sie noch so aus den Urtiefen der Volksseele hervorgerrülpst, als elistische Verachtung der heiligen und simplen Volksseele gilt. Das allein ist bemerkenswert.

Ich sehe den Scheitelpunkt dieser Entwicklung in der völlig außer Rand und Band gelangenden Debatte um Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab". Das Buch bot eine großartige Folie. Einerseits konnte man sich von der früheren, mittlerweile irgendwie peinlichen Begeisterung für Sarrazin lossagen. Es war noch ok gewesen, als er nur Arbeitslose beschimpft hatte; nun, da er sich außerhalb des bürgerlichen Kontexts stellte (und doch gleichzeitig mittenhinein), in all seiner Ungelenklichkeit, und Sigmar Gabriel bereits damals seine völlige Unfähigkeit bewies, mit dem sich auftuenden Problemkomplex fertig zu werden, konnte man orakeln, dass Sarrazin zwar schon irgendwie konkret richtige Punkte berührte, aber irgendwie unantastbar war, und den Erfolg des Buchs bei genau den Volksschichten, die sich vorher noch von ihm und dem von ihm verkörperten Teil der SPD abegstoßen hatten, als Beleg herhalten.

Von da an war "Islamkritik", wie man die rassistischen Ressentiments von an beschönigend zu nennen pflegte, aus dem Diskurs der Presse nicht mehr wegzudenken. Gerade in den Schmuddelecken des Internets, etwa bei Politically Incorrect, begann sich eine Gruppe zu entwickeln, die das Wort von der "Lügenpresse" zwar noch nicht im Munde führte, aber darauf hinauslief. Der Fokus allerdings lag erst einmal auf den "Pleite-Griechen", wo sich praktisch der gesamte deutsche Blätterwald den Diskurs von der ungeniert ins nationalistische Horn blasenden BILD diktieren ließ und den ersten Höhflug der neuen AfD befeuerte.

Am faszinierendsten allerdings war die 360-Grad-Wendung in der Flüchtlingspolitik. Nachdem man das Thema jahrelang ignoriert hatte, wurde der plötzliche Bruch 2015 überwiegend ekstatisch gefeiert. Die BILD setzte sich an die Spitze der Bewegung, feierte sich und die Deutschen in der moralischen Reinheit des Augenblicks und zelebrierte die Willkommenskultur. Kaum ein halbes Jahr später fand niemand etwas dabei, eine 180-Grad-Wendung zu vollziehen und wieder am Ausgangspunkt anzukommen. Diese Entwicklung wurde in einem Großteil der Medien durchgemacht.

Spannend ist dabei, wie sehr die jeweiligen Medien von der sich ändernden öffentlichen Meinung mitgerissen wurden. Als die Willkommenskultur die Mode der Stunde war, überschlug man sich fast vor Begeisterung, und als mit den Übergriffen vom Kölner Hauptbahnhof der große Kater einkehrte setzte man sich auch hier an die Spitze der Bewegung. Problemfrei konnte man so abgeklärt und pragmatisch wirken und trotzdem im wohligen Licht der moralisch richtigen Seite baden.

Dieses Phänomen, den Kuchen sowohl behalten als auch essen zu wollen, kann man immer wieder beobachten. Schließlich war es auch kein erkenntlicher Widerspruch, immer noch härtere Sanktionen im Hartz-System zu fordern und tränenrührende Berichte über die neue Armut daneben zu stellen. Es ist Ausdruck eines Konsensverhaltens, eines Rudeljournalismus, der diese Berichterstattung antreibt.

Ich möchte an dieser Stelle etwas weiter zurückgehen. Als die NachDenkSeiten anno 2004 ihre Mission begannen, eine "Gegenöffentlichkeit" aufzubauen, war das alles andere als abwegig (genausowenig, so steht zu befürchten, wie späteren rechten Unternehmungen in diese Richtung). Zwar wurden abweichende Meinungen, entsprechenden hyperbolischen Statements der Beteiligten zum Trotz, nicht etwa unterdrückt. Ob Spiegel oder BILD, Zeit oder Focus, FAZ oder FR, abweichende Stimmen erhielten auch ihren kleinen Raum und wurden durchaus auch diskutiert. Es war mehr das Gesamtframing, das Fundament, das stark an einem Konsens ausgerichtet war - erst die Notwendigkeit unbedingt harter Reformpolitik, dann das kollektive Einschlagen auf Griechenland, dann der schnelle Wechsel zu Willkommenskultur und "Islamkritik". Der herrschende Konsens bestimmt alle normale Berichterstattung und schafft ein Set allseits akzeptierter Grundannahmen, von dem abzuweichen sehr schwierig ist.

Diesen Konsens darf man sich nicht als mediale Erfindung vorstellen, die dem unschuldigen Volk von oben aufgedrückt wird, vielleicht gar in konzertierter Aktion mit Mächten hinter den Kulissen. Das ist der Verschwörungsunsinn, der in den Fiebersümpfen am politischen Rand gedeiht und mittlerweile durch die Wahlerfolge der Populisten auch im satisfaktionsfähigen Milieu angekommen ist. Stattdessen ist es ein Ausrichten am jeweils herrschenden Grundkonsens in der Bevölkerung, was auch den abrupten Wechsel von der Willkommenskultur zur uniformen Verurteilung Merkels erklärt: die Leute haben ja denselben Wechsel mitgemacht, auch wenn es in der Rückschau immer jeder besser gewusst haben will, mit Ausnahme der bösen Moralisten mit dem erhobenen Zeigefinger, versteht sich.

Für die Minderheit derer, die außerhalb des Konsens' stehen, ist das jedoch ein Problem. Sie finden in den klassischen Medien dann zwar vereinzelt Artikel, die gegen den Strom schwimmen, werden aber vom Gesamtframing abgestoßen. Sie konsumieren solche konträren Artikel dann in den "Hinweisen des Tages" als Artefakte, "wo der Zensor geschlafen hat", und verlassen such auch sonst auf die Gegenöffentlichkeit. Die berüchtigten Filterblasen sind daher keine isolierte Erscheinung des Internets. Sie entstanden auch als Reaktion auf die Konsenssoße in den Medien, mit der man mal mitschwamm, die man meist aber angewidert verdammte.

Diese Furcht der Medien, eine eigene Meinung zu haben, ist ein ernsthaftes Problem. Ihr zugrunde liegt eine falsche Zurückhaltung. Es herrscht der Irrglaube vor, Medien müssten unparteilich sein und objektiv. Das ist aber so unmöglich wie schädlich. Ich hoffe oben dargstellt zu haben, warum die Objektivität ohnehin nicht gegeben ist - hier wurde einfach nur die Übernahme eines Konsens-Framing betrieben. Auf der anderen Seite stellen sich die Journalisten damit aber bewusst jenseits (partei-)politischer Kämpfe. Dies führt dazu, dass eben diese parteipolitischen Auseinandersetzungen aus einer häufig genug abwertenden Distanz beschrieben werden und die Teilnahme an ihnen als etwas Anstößiges erscheint. Das aber delegitimiert den demokratischen Prozess.

Diese Entwicklung ist daher schon allein aus demokratiehygienischen Gründen problematisch. Ein guter Teil der grassierenden Ablehnung "des Establishments" kommt aus dieser schleichenden Delegitimierung. Dabei ist es merkwürdigerweise auch völlig irrelevant, ob die Parteien sich wie in Deutschland stark aneinander annähern und inhaltlich häufig kaum mehr unterscheidbar sind oder ob sie sich wie in den USA voneinander entfernen und polarisieren. In beiden Fällen weigern sich die Journalisten, Stellung zu beziehen und bleiben außen vor.

Das beliebteste Mittel hierfür ist etwas, das in den USA "both-siderism" genannt wird. Gemeint ist hierbei dreierlei: Zum Einen wird beiden Seiten in einer kontroversen Debatte derselbe Raum zugestanden, ganz egal, wie sinnvoll oder begründet das ist, etwa beim Thema globale Erwärmung. Zum Zweiten wird so getan, als ob prinzipiell beide Seiten äquivalent seien, also etwa die Skandale Trumps und Clintons im Wahlkampf 2016. Zum Dritten glauben Journalisten, die adäquate Reaktion sei grundsätzlich die Mitte zwischen beiden Positionen.

Dies ist bereits im politischen Vakuum, in dem beide Seiten keinerlei Wechselwirkung zueinander oder Berührung miteinander haben problematisch, weil es jede Position, die eine Partei (oder eine NGO) einnimmt grundsätzlich als falsch betrachtet (da es immer eine Gegenreaktion gibt und die Medien sich dann in der "richtigen" Mitte positionieren). Aber das ist ja bei weitem nicht alles. Denn Politik findet nicht im Vakuum statt.

Tatsächlich haben Radikale und Extremisten vor allem auf der Rechten erkannt, dass sie diese Mechanismen zu ihrem Vorteil nutzen können. Barack Obamas gesamte Präsidentschaft ist ein hervorragendes Beispiel dieser Strategie: Obama verfolgte vor allem in seinen ersten Regierungsjahren einen äußerst moderaten Kurs, übernahm beispielsweise als Grundlage für seine Gesundheitsreform einen Vorschlag, den die Republicans noch im Wahlkampf 2008 (!) selbst befürwortet hatten, in dem Irrglauben, es mit einer rationalen Medien-Öffentlichkeit und loyalen Opposition zu tun zu haben, die einen Kompromiss ermöglichte. Tatsächlich verweigerten die Republicans jeden Dialog. Anstatt diese Totalverweigerung als solche zu benennen, weigerten sich die Medien, Stellung zu beziehen und wanderten in die Mitte der beiden Positionen. Wenn aber eine Seite bei 40 startet und die andere sich auf 100 festlegt, ist die Mitte nicht 50, sondern 70 - ein klarer Gewinn für die Republicans.

Ähnliche Mechanismen sehen wir auch in Deutschland, wo die AfD oder Pegida das Overton-Fenster deutlich nach rechts verschieben konnten, indem sie vorher völlig absurde Positionen in den öffentlichen Diskurs einbrachten und dadurch sowohl Journalisten als auch sich als objektiv-rational gerierende Politiker zu einem deutlichen Rechtsruck zwangen, nur um weiterhin eine Mittelposition einnehmen zu können.

Diese Mechanismen werden durch die sozialen Befangenheiten der Medienmacher selbst weiter verstärkt. Noch immer sind alle journalistischen Spielarten von weißen, heteronormativ geprägten Männern mittleren Alters geprägt. Hieraus resultiert eine instinktive Ablehnung von Themen, die mit dem eigenen Erfahrungsschatz nichts zu tun haben und die dann gerne als "identity politics" in Bausch und Bogen delegitimiert werden, ein Prozess, der von manchen Kommentatoren dieses Blogs ja auch beobachtet werden kann. Auf der anderen Seite besteht ein schier endloser Vorrat an Mitgefühl für die Wähler Trumps, der AfD etc., deren Anliegen ja keinesfalls rassistisch sein können, da dies ja auch die eigenen Neigungen in ein zwielichtiges Licht rücken würde - ich habe diesen Faktor beschrieben.

Ein großer Teil der Radikalisierung nach rechts in den letzten zwei, drei Jahren und der damit einhergehende Legitimationsverlust sowohl der Parteipolitik als auch der Leitmedien selbst ist daher von diesen selbst mitverantwortet. Die sozialen Medien füllen eine Lücke, die hier entstanden ist, und ebnen das Spielfeld ein. Wo Leitmedien nicht mehr als solche anerkannt werden, kann RT Deutsch schnell als seriöse "alternative" Quelle herhalten. Die Überzeugung von Trumps Pressesprechern, man lüge nicht, sondern nenne "alternative Fakten", ist vor dem Hintergrund, dass die Medien in den USA diese "alternativen Fakten" als eine von zwei möglichen Realitäten darstellen, anstatt sie als die Lügen zu benennen, die sie sind, nur Ausdruck der Ausnutzung von Mechanismen, mit denen sich die Medien selbst ins Abseits gestellt und der Radikalisierung Vorschub geleistet haben.

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