Montag, 25. Juni 2018

Bei den Midterms gibt es nur ein Thema: Trump

Die Democrats sind in den USA auf eine Art in der gleichen Position wie die SPD in Deutschland: ob Freund oder Feind, links oder rechts, offen oder geschlossen, jeder fühlt sich bemüßigt, der Partei Ratschläge zu geben, was sie tun müsse. Ganz besonders beliebt ist der "über was die Democrats angesichts der Wahlen reden müssen". Kritiker vom linken Bernie-Flügel wissen, dass nur das Thematisieren sozialer Ungleichheit, die Forderung nach höheren Steuern für Reiche und eine allgemeine Krankenversicherung den Weg zu elektoralen Höhenflügen ebnen. Aktivisten schwören darauf, den Kontrast auf den Feldern der Umwelt- und Einwanderungspolitik durch entsprechend weitreichende Forderungen zu betonen. Moderate Anhänger der Partei erklären die Bedeutung von Trumps Korruptionsskandalen. Russlandfalken wollen Putins Rolle in Trumps Wahlsieg ins Zentrum rücken. Von Trump abgestoßene Konservative hätten gerne, dass die Democrats sich zu den Republicans der 1950er Jahre entwickeln. Und generell alle Very Serious People im Beltway wissen, dass keinesfalls, unter keinen Umständen!, die Partei durch progressive Forderungen unzufriedene Rechte zurück in Trumps Arme treiben darf. Einer der häufigsten Ratschläge den ich höre ist es, nicht über Trump zu reden, sondern stattdessen über die eigenen Themen. Ich möchte an der Stelle das schmutzige kleine Geheimnis verraten, das alle diese Leute entweder kennen oder bewusst nicht zur Kenntnis nehmen wollen: Was die Democrats im Wahlkampf sagen, ist völlig irrelevant. In den Midterms gibt es exakt ein Thema, und nur ein Thema: Trump. Und nichts, was die Democrats tun, kann daran etwas ändern.

Auf den ersten Blick macht der Ratschlag, sich nicht zu sehr auf Trump zu versteifen, Sinn. Jede Kritik an Trumps Positionen, wie sinnig sie auch immer ist, sorgt automatisch dafür, dass seine Anhänger sich hinter ihm versammeln. Es ist dabei auch völlig egal, um was es sich handelt und ob Trump am Tag zuvor noch eine völlig entgegengesetzte Meinung vertreten hat. Die republikanischen Kernwähler befinden sich in einer hermetisch versiegelten Blase, in der Kritik an ihrem Präsidenten nicht vorkommt. Was auch immer Trump tut wird in den staatlichen Propagandakanälen - vor allem FOX News, Breitbart und National Review - bejubelt. Dieser Empörungsmaschinerie mehr Futter zu geben scheint daher widersinnig. Zudem bleibt stets die Frage nach der Mitte zwischen den Parteien (nicht verwechseln mit gesellschaftlicher Mitte), also die Unentschlossenen, die Trump 2016 den Wahlsieg gaben, als sie sich auf den letzten Metern überwältigend für ihn entschieden. Werden sie, die sie sich in den letzten anderthalb Jahren enttäuscht bis angewidert von ihm abgewandt haben, nicht zurück in seine Arme getrieben, wenn die Democrats nun anfangen, die culture wars gegen ihn zu führen?

Grundsätzlich: ja. Die Democrats profitieren nur eingeschränkt davon, sozialprogressive Themen zu vertreten. Zwar ist die Bevölkerung bei all diesen Themen - Homoehe, Diskriminierungsverbote, etc. - mehrheitlich auf ihrer Seite. Aber jedes Mal, wenn Trump wieder MS-13-Mitglieder als "Tiere" beschimpft, Sarah Huckabee Sanders der Minderheitsführerin der Democrats im Repräsentantenhaus Nancy Pelosi vorwirft aktiv mit Gewalttätern zusammenzuarbeiten, konservative Kolumnisten fordern abtreibende Frauen aufzuhängen, republikanische Senatoren öffentlich darüber philosophieren ob Homosexuelle wirklich staatsbürgerliche Grundrechte genießen oder Stephen Miller verkündet, wie "schön" er die Bilder von weinenden, ihren Müttern entrissenen Kindern an der Grenze fände, findet eine Konsolidierung der "Deplorables" statt und sie scharen sich um ihren Präsidenten. Grundsätzlich ist das kein Problem, weil diese Leute keine Mehrheit haben. Grundsätzlich.

Für die Democrats ist das trotzdem nicht sonderlich gut. Es ist ja nicht so, als wöllte die Partei ständig diese Themen kultureller Identität neu verhandeln. Fragt man Abgeordnete oder registrierte Parteimitglieder, sind diesen Themen wie die Steuerpolitik und, über allem stehend, eine Reform des Krankenversicherungswesens am Wichtigsten. Die meisten der Partei gewogenen Kommentatoren in den Leitmedien hätten gerne eine Rückkehr zu dem unaufgeregten, moderaten, kompetent-pragmatischen Politikstil, der Barack Obamas Regierungszeit auszeichnete (den die im Aufwind befindlichen linkeren Aktivisten der Partei ablehnen, aber das ist ein anderes Thema). Sie wollen nicht über Trump reden, weil sie auf diesem Feld ohnehin keine relevante Stimme sind. Die Opposition redet immer schlecht über die Regierung.

Man muss sich dazu klar machen, wie Politiker eigentlich mit ihren Wählern kommunizieren. Ein Politiker kommuniziert üblicherweise über die Medien, anders erreicht er nicht genügend Menschen. Das kann über Interviews passieren, wird aber üblicherweise die Form eines Berichts oder eines Kommentars annehmen. Jeder kennt diese Schlagzeilen: "[Name] fordert [knackige Forderung]", "Opposition kritisiert [Names] Pläne", "Warum [Names Forderung] [gut/schlecht] ist", und so weiter. Je mehr darüber berichtet wird, desto präsenter ist die jeweilige Forderung, oder doch zumindest der jeweilige Politiker. Nancy Pelosi kann den lieben langen Tag über Krankenversicherungen und Ungleichheit reden, wenn darüber nicht berichtet wird ist das so, als ob im Wald ein Baum umfällt. Natürlich können Politiker auch selbst Reden vor Publikum halten oder in Fußgängerzonen gehen, aber auch hier gilt: berichtet niemand darüber ist es irrelevant, denn zu diesen Veranstaltungen gehen ohnehin nur die Fans. Hätten die Medien nie über Trumps Veranstaltungen berichtet, wären sie völlig bedeutungslos geblieben (oder Obamas, gilt für alle).

Normalerweise ist das kein echtes Thema. Der Präsident wird immer mehr Aufmerksamkeit bekommen als ein disparates Feld von Kongressabgeordneten, aber üblicherweise werden irgendwelche Themen debattiert, gibt es die gelegentliche Schlagzeile über Forderungen der Opposition, die dann von der Regierung abgelehnt werden und, vor allem, das umgekehrte Phänomen. Aber die Regierung hat keine Forderungen, die man diskutieren könnte. Es gibt keine "Migrationspolitik" Trumps. Es gibt niedere Instinkte, die in improvisierten Maßnahmen Niederschlag finden, aber konkrete policies herauszufiltern ist wie Marmelade an die Wand nageln. Woher sollte so was auch kommen? Das Weiße Haus hat selbst keine Idee, was es am nächsten Tag tun wird.

Stattdessen passiert dasselbe wie im Wahlkampf 2016 auch: Trump dominiert alle Nachrichten. Der Mann hat das einzigartige Talent, sämtlichen Sauerstoff aus dem Raum zu ziehen, in dem er sich aufhält. Er lässt anderen Themen keinen Raum. Seit Mai 2016 sind alle Nachrichten Trump-Nachrichten. Die Berichte sind mehrheitlich negativ, aber das fiecht Trump nicht an. Any PR is good PR. Die Midterm Elections dieses Jahr werden die entscheidende Frage beantworten, ob diese Strategie tatsächlich funktionert oder nicht. Gute Argumente gibt es für beide Möglichkeiten. Trump mobilisiert unbestreitbar seine eigene Basis permanent und verlässlicher als jeder moderne Präsident vor ihm. Das ist das eine. Er bringt aber auch eine Mehrheit des Landes zuverlässiger gegen sich auf als jeder andere moderne Präsident vor ihm. Das ist das andere. Die entscheidende Stellschraube ist die Wahlbeteiligung. Wenn Trumps begeisterte Anhänger in größeren Zahlen zur Wahl gehen als diejenigen, die ihn nur nicht gut finden, reicht das aus.

Neben Trump ist genau Platz für ein Thema: einen beliebigen Skandal, der NICHT von den Republicans ausgeht. Das ist der Fluch des Bothsiderismus. Die Medien wollen unbedingt den Eindruck vermeiden, parteiisch zu sein, und die Very Serious People müssen zur Aufrechterhaltung ihrer Very Serious People-ness ebenfalls grundsätzlich die andere Seite mit kritisieren, sonst sind sie nicht in dem Club, dessen Mitgliedschaft im Beltway alles ist. Diese Dynamik sorgt dafür, dass selbst wenn sich alle Democrats den Mund zunähen und auf ihre Hände sitzen, irgendein der progressiven Seite angelastetes Skandälchen als gleich wichtig mit Trumps Machenschaften diskutiert werden wird¹.

Und genau das ist das Problem der Democrats: Um die eigenen Anhänger zu begeistern, wäre es toll, wenn ihre Themen hoch und runter debattiert werden. Denn ob die Wähler der Partei aus reiner Ablehnung Trumps zuverlässig genug zur Wahlurne schreiten werden, besonders die junge Basis, ist unklar. Die Zahlen, die von den Umfrage- und Forschungsinstituten erhoben werden, sind ambivalent. Zwar weist ein großer Teil darauf hin, dass dieses Jahr eine "blue wave" die überdehnten Republicans treffen könnte. Aber diese Zahlen werden durch diverse andere Faktoren relativiert, so dass das ehrliche Fazit aktuell lauten muss: nobody knows. Vielleicht wiederholen die Democrats den Erfolg der Republicans von 2010. Der Tea Party reichte auch die Fundamentalopposition zum ersten schwarzen Präsidenten und der Hass auf das, wofür Obamacare stand - also rein ablehnende Faktoren. Vielleicht reicht es aber auch nicht.

Nur können sich die Democrats auf den Kopf stellen: egal über was sie reden, die Wahl entscheidet sich an diesen Faktoren, und nicht am Für und Wider der allgemeinen Krankenversicherung. Enthusiastische Politikbeobachter treiben solche Aussagen in den Wahnsinn (mich eingeschlossen), aber im Endeffekt ist es so banal: ob die Democrats die Wahl gewinnen oder nicht, liegt weitgehend außerhalb ihrer Kontrolle. Das ist keine schöne Story, und für die Anhänger der Partei ist es nicht sonderlich motivierend. Aber es leider wahr.

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¹Aktuelles Fallbeispiel: Dass die Trump-Regierung unsägliches Leid über Einwandererfamilien bringt und Kinder in Käfige sperrt, nur um ihre rassistische Basis zu befriedigen, hat zurecht zu harscher Kritik geführt. Im Gegenzug kritisieren die Leitartikler von Washington Post, New York Times und wie sie alle heißen auf Seite 1 den "Verlust an Umgangsformen", weil ein Restaurant Trumps Pressesprecherin nicht bedienen wollte. Eine Verbindung zu den Democrats gibt es nicht einmal, aber in der verzweifelten Suche danach, den Guten auch etwas anzuhängen, wird wirklich alles genommen, was irgendwie geht. Und das noch bei der gleichen Partei, die letztinstanzlich mit allen Mitteln für das Recht einer Bäckerei kämpft, ein schwules Ehepaar nicht bedienen zu müssen.

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