Wenn man in diesen unruhigen Tagen einen Blick ins Jahr 2008 zurückwirft (lang, lang ist's her), in dem Obama noch der Präsidentschaftskandidat der Democrats war und gegen McCain und seine Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin ankämpfte, dann kann man dem kometenhaften Aufstieg und Fall Palins eine wichtige Lehre darüber entnehmen, was Medien nicht tun - und zu welchen Problemen es führt. Die Rede ist, natürlich, von der viel zitierten Rolle als "vierter Gewalt", der Kontrollfunktion gegenüber der Politik.
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Die gerne genährte Illusion, dass die Medien einen solcherart geheiligten Auftrag hätten und diesem nachkommen würden, gehört zu den Standardlegenden politischer Folklore in allen westlichen Demokratien. Medien allerdings sind keine Verfassungsorgane; sie sind in privatwirtschaftliche Unternehmen und irgendwelchen Interessen verpflichtet (das gilt selbst für die Parlamentszeitung "Das Parlament"). Das sollte man immer im Hinterkopf behalten, egal welche idealistischen Sprüche geschwungen werden - die Enttäuschung ist sonst stets dieselbe wie die über den Fraktionszwang. - Aber zurück zu Palin.
Als sie von McCain 2008 als "running mate" bestimmt wurde, war dies vor allem der verzweifelte Versuch, Obamas Momentum zu nehmen, indem eine ungewöhnliche, spektakuläre Wahl getroffen wurde. Das war sie auch, und die Strategie ging anfangs voll auf: einen Tag nach Obamas großer acceptance speech auf der Democratic Convention vernichtete sie die komplette Berichterstattung über den Heilsbringer Obama und lenkte die Aufmerksamkeit komplett auf die Republikaner, die plötzlich interessant erschienen. McCain zog in den Umfragen mit Obama gleich auf und überflügelte ihn teilweise sogar.
Der Fall kam schnell: der nachlässige Rechercheprozess im McCain-Team hatte dazu geführt, dass man auf Routinefragen der Journalisten zu Palins Biographie (Palin war außerhalb Alaskas völlig unbekannt) keinerlei Antworten hatte, was einiges Misstrauen weckte. Diese erste Gefahr konnte jedoch durch die üblichen Vernebelungstaktiken abgewehrt werden.
Das erste Warnsignal darüber, dass Palin vielleicht nicht wirklich qualifiziert sein könnte, später einmal Präsidentin zu sein, war das erste große Interview, mit Charles Gibson von ABC News. Gibson führte es routinemäßig durch, und bei einigen komplexeren Fragen (besonders wirtschafts- und außenpolitischer Natur) zeigte sich eine reichlich simple Weltsicht Palins, die in ihrem berühmten Patzer voll durchbrach, in dem sie erklärte, von Alaska aus könne man Russland sehen, was sie zu einer außenpolitischen Expertin mache. Diese Aussage wurde häufig zitiert und ins Lächerliche gezogen, doch abgesehen davon hatte Palin das Interview respektabel hinter sich gebracht.
Die Katastrophe kam nur wenig später in einem Interview mit Katie Couric von CBS News, die deutlich pointierter als Gibson nachfragte und die Schwächen Palins schonungslos offenlegte - sie las nicht eine einzige große Zeitung, konnte keine benennen, wusste nichts über die beginnende Wirtschaftskrise oder irgendwelche außenpolitischen Fakten. Die Fragen Courics wurden vom McCain-Team als "fair" eingestuft.
Danach erlitt Palin ihren berühmten Nervenzusammenbruch, aus dem sie effektiv erst wieder herausgeholt wurde, indem das McCain-Team ihr eine neue Strategie verordnete: anstatt zu versuchen, die Themen zu verstehen und sie ihr in Eilseminaren beizubringen, sollte sie lediglich vorgefertigte Antworten auswändig lernen und mit jeweils vier aggressiven und defensiven Phrasen auf vertrautes Territorium zurücklenken, um so die von Gwen Ifill moderierte Debatte gegen Obamas Vizepräsidentschaftskandidaten Joe Biden zu bestehen (dessen Namen sie sich nicht merken konnte und ihn deswegen einfach "Joe" nannte). Die Debatte war ein voller Erfolg, und Palin konnte problemlos bis zum Wahlabend durchsegeln.
Was sagen uns diese drei Episoden? Sowohl Gibson als auch die Debatte gingen für Palin nur aus einem Grund glimpflich aus: weil niemand nachfragte. Die Fragen Gibsons und Ifills waren reine Stichwortgeber. Das McCain-Team bereitete Palin auf eine Reihe von Fragen vor, die mit aller Wahrscheinlichkeit gefragt werden würden (und es auch wurden) und für die es keine nennenswerten follow-ups gab. Einzig und allein dieser Ansatz, der wohl als Business as usual gesehen werden muss, erlaubte es Palin, die Fragen zu überleben, ohne sich wie bei Couric komplett zu demontieren - und Couric war nicht gerade auf einen Fangschuss aus, sondern führte nur ein normales Interview, was die McCain-Kampagne ja auch zugab!
Dabei handelt es sich keinesfalls um ein US-spezifisches Problem. Die deutschen Medien demonstrieren im Wahlkampf gerade auch wieder, dass die Kandidaten problemlos mit Bullshit-Bingo durchkommen.
Bild: Bob Weinstein / WikiCommons
Ein interessanter Artikel und ein schöner Blog!
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