Samstag, 16. November 2013

Wollen wir Eunuchenpolitiker?

Nachdem für eine Weile Ruhe war - Wulffs Rücktritt fand im Frühjahr 2012 statt - hat der nun beginnende Wulff-Prozess das ganze Drama erneut ins Scheinwerferlicht gerückt, was natürlich durch die miese Nachrichtenlage unterstützt wird. Es gibt kaum etwas zu berichten, also warum nicht den Wulff-Prozess anschauen? Die Aufmerksamkeit, die sich darauf richtet, ist ein Glücksfall. Wulff hatte, anstatt für eine Ablass-Zahlung von 20.000 Euro eine Einstellung des Verfahrens zu erwirken, auf einem Prozess bestanden, um seine Unschuld zu beweisen. Ich interpretiere das als als Zeichen seiner Zuversicht, dieses Ziel auch zu erreichen, und ich wünsche es ihm von ganzem Herzen.

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Um noch einmal zu rekapitulieren, weshalb Wulff überhaupt vor Gericht steht: Im Herbst 2011 war bekannt geworden, dass er seitens einiger politischer Bekanntschaften Vergünstigungen angenommen hatte (vom mittlerweile berüchtigten Bobbycar bis hin zu einem Hotel-Upgrade und der Bereitstellung von Strandkörben im Urlaub. Nachdem die deutsche Justiz ihre gesamte Macht aufgewandt hatte, um diese Vorwürfe zu ergründen, ist strafrechtlich eventuell verwertbar ein Betrag von rund 750 Euro geblieben, den Wulff in Form von Vergünstigungen wie die erwähnten Hotelupgrades im Urlaub erhalten haben soll. Die Gegenleistung, die er laut der Staatsanwaltschaft dafür erbracht hat: einen Brief an Siemens zu schreiben, mit der Bitte um Sponsoring für den Film "John Raabe", den sein Freund produziert hatte. Für Wulff, dessen Prozess nun, fast zwei Jahre später, startet, waren die Vorwürfe verheerend, noch mehr allerdings wohl sein Umgang mit ihnen. In einer geradezu krassen Verkennung dessen, was nach den Regeln der Mediendemokratie geschehen musste, versuchte er, Teile geheimzuhalten und sogar den BILD-Chef Diekmann auf dessen Voicemail zu bedrohen. Sein Untergang als Bundespräsident war damit praktisch besiegelt. In seinem verzweifelten Abwehrkampf bis zum endgültigen Rücktritt besiegelte Wulff sein Image als "peinlich" noch weiter. Spott und Hähme verfolgten ihn in einem einzigartigen journalistischen Rudeltrieb, der überraschenderweise in den Meinungsumfragen kaum Widerhall fand. Selbst kurz vor seinem Rücktritt war die Bevölkerung noch um die 50%-Marke gespalten, was in keinem Verhältnis zu der Präsenz der medialen Verurteilung stand. Der Grund hierfür ist noch immer unklar, meist wird allerdings - wohl nicht zu Unrecht - ein tiefes Misstrauen zu den Medien und ihren Meinungs-Mechanismen genannt. Was auch immer der Grund war, für Wulff war seine Karriere zu Ende. Er trat vom Bundespräsidentenamt zurück, verlor auf einen Schlag fast alle seine Freunde und Bekannten und kurz darauf auch seine Ehefrau, die sich zudem noch in ihren Memoiren von ihm distanzierte. An seine Stelle trat Joachim Gauck, der Darling der Medien und der wohl größte strategische Fehler, den Sigmar Gabriel sich je leistete, die Bundestagswahl 2013 eingeschlossen. Wulff als Bundespräsident ist dabei, entgegen der Wahrnehmung in den Medien, als Bundespräsident ein Verlust. Er war in seiner Amtszeit keinesfalls der "peinliche" Kandidat, der er durch den unbeholfenen Umgang mit der Krise erst wurde. Ihm gelang es im Gegensatz zu seinem Vorgänger Horst Köhler und bislang auch zu seinem Nachfolger Gauck, in seiner kurzen Amtszeit einen bedeutenden eigenen Akzent zu setzen. Mit seinem offenen Bekenntnis, dass "der Islam zu Deutschland gehört", tat er mehr für die Sache der Integrationspolitik als alle seine Parteifreunde zusammen. Noch heute ist Wulff der Darling der politisch organisierten Migrantenlobby, woran auch der Skandal nichts ändern konnte. Als Konservativer und Verkörperung des biederen, bürgerlichen Deutschen hätte er eine elementare Brückenfunktion einnehmen und die CDU vielleicht endlich mit der Idee einer echten Integrationspolitik versöhnen können, so wie Gustav Heinemann einst das Bündnis zwischen SPD und FDP zementierte. Allein, die Chance ist vertan. Der Prozess selbst, dem Wulff sich nun stellen muss, trägt alle Merkmale einer Farce. Nicht nur ist der Gegenstand, wegen dem man ihn offiziell der Korruption brandmarken will, geradezu lächerlich gering. Es ist auch äußerst fragwürdig, ob man überhaupt von Korruption sprechen will, selbst wenn sich die Vorwürfe voll erhärten sollten. Menschen tun einander Gefallen, das war schon immer so. Kein Beruf dieser Welt mit einem klein bisschen Fertigkeitstiefe funktioniert ohne Beziehungen. Selbst wenn man nur irgendwo in einem Bürojob arbeitet, als kleines Rädchen im Getriebe - die anderen Rädchen arbeiten besser mit einem zusammen oder geben sich vielleicht sogar Sonderkonditionen, wenn man sich kennt. Wer jemals in irgendeinem Job gearbeitet hat, bei dem man in Kontakt zu anderen Firmen gestanden hat, kennt das. Warum sollte es in der Politik anders sein? Man muss sich einmal vergegenwärtigen, worum es hier geht. Wulff war im Urlaub, wo sein Unternehmerkumpel (der vielleicht ein echter Freund ist oder auch nicht, das bleibt für Außenstehende wohl ewig unklar) ihm ein kleines Standesupgrade spendiert hat. Im Gegenzug (oder nicht, das will die Staatsanwaltschaft beweisen) nutzt Wulff seinen Status und schreibt einen Bittbrief für seinen Kumpel. Er hat ja noch nicht mal Steuergelder veruntreut! Alles, was er gemacht hat, war das Privileg zu nutzen, dass ihm seine Stellung gegeben hat. Wohlwollend könnte man ihm Wirtschaftsförderung für die niedersächsische Filmindustrie unterstellen. Solche Interpretationen sind im Übrigen bei weitem die Regeln in solchen Fällen, oder wie anders ist zu erklären, dass Roland Kochs Dienstanweisungen an seine Steuerfahnder, bei einheimischen Firmen nicht genau hinzusehen, immer noch keine vergleichbare Medienaufmerksamkeit gefunden hat? Wer von Politikern verlangt, dass sie solche Kontakte, wie Wulff sie offensichtlich hatte, nicht pflegen und gelegentlich für kleine Gefallen in beide Richtungen nutzen, der macht sie effektiv zu Eunuchen. Jeder Mensch tut Leuten, die er kennt und mit denen er gut zurecht kommt kleine Gefallen. Dass diese Gefallen relativ zur Bedeutung der eigenen Position immer größer werden, liegt in der Natur der Sache. Der Sachbearbeiter gibt dem Kumpel aus der anderen Firma vielleicht einen Tag mehr Zahlungsaufschub als üblich. Wulff schreibt einen Bittbrief (oder, wahrscheinlicher, unterzeichnet das fertige Exemplar). In welcher Größenordnung liegen wohl Gefallen von Milliardären? Wer das wissen will muss sich an David Graeber halten; er hat das Phänomen in seinem Buch "Schulden" als "Kommunismus der Reichen" beschrieben. Wulff hat einen Gefallen getan, den er tun konnte, weil er Ministerpräsident war. Der Schaden für das Volk Niedersachsens dürfte sich in ernsten Grenzen halten. Nur Eunuchen können sich jeglicher sozialer Verhältnisse entziehen. Die Frage ist, ob wir das wollen. Denn Eunuchen verlieren auch jeglichen Kontakt zu der Gesellschaft, aus der man sie entfernt hat.

8 Kommentare:

  1. ....die Politiker sind eh Eunuchen...oder hast du schon mal einen gesehen, der Eier in der Hose hatte?

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  2. Hmmm ... also ich finde das offenbart doch ein merkwuerdiges Demokratieverstaendnis. Die Reichen sollen sich also mit kleinen Gefallen ihre Politiker kaufen duerfen? Und der Politiker, der seine reichen Kumpels nicht mit Gefallen belohnt, ist ein Eunuch?

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    1. Er hat keinen Politiker gekauft. Wulff hat nen Bittbrief geschrieben, der offensichtlich nicht mal großen Erfolg hatte.

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    2. Ob der Bittbrief Erfolg hatte oder nicht ist voellig belanglos fuer die Frage der Kaeuflichkeit. Das selbe gilt fuer die Frage, ob Wulff ansonsten ein guter Praesident war/gewesen waere.

      Die einzige Frage, die zaehlt, ist die, ob Wulff den Brief auch dann geschrieben haette, wenn er nicht staendig von seinen reichen Kumpels hier und da eingeladen worden waere. Ob es sein eigenes Herzensanliegen war diesen Brief zu schreiben oder ob die Vorteile, die ihm gewaehrt wurden nachgeholfen haben. Wenn letzteres der Fall ist, dann ist der Brief gekauft worden. Und Wulff ist dann folglich kaeuflich.

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    3. Genau gegen die Kausalität wehre ich mich. Es gibt Unterschiede zwischen "käuflich" und "Gefallen tun". Ein käuflicher Politiker wäre einer, dessen Politik prinzipiell käuflich ist - und das war Wulffs nachweislich nicht. Was er gemacht hat, war seinem Kumpel einen Gefallen zu erweisen, nachdem er selber Gefallen bekommen hat. In beiden Fällen ist der Effekt lächerlich gering und, vor allem, führt zu keinem Schaden für das Land. Das wäre etwas anderes, wenn es etwa um Bestechung bei einer Ausschreibung ginge oder so etwas - da würde ich Wulff auch nicht verteidigen. Aber bei dem hier? Das ist lachhaft.

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    4. Ok, dann sind wir unterschiedlicher Meinung. "Kaeuflich sein" und "Gefallen tun" ist fuer mich exakt das gleiche. Korruption funktioniert in der realen Welt nicht wie im Mafia-Film. Da kommt keiner mit dem Geldkoffer, stellt Forderungen auf und der Bestochene verspricht diese Forderungen zu erfuellen. Es ist eher ein informelles Geben und Nehmen. Jeder weiss schon, wie er dem anderen einen Gefallen tun kann. Da muss noch nicht mal drueber gesprochen werden. Und "Gefallen" muessen auch nicht immer was mit Geld zu tun haben. Einen biederen Langweiler wie Wulff in die Glitzerwelt der High Society einfuehren, kostet den "Bestecher" keinen Cent, bedeutet aber fuer den Bestochenen moeglicherweise erheblich mehr als es 10.000 Euro jemals getan haetten. Wer weiss, ob sich seine geschiedene Frau beispielsweise jemals fuer Wulff interessiert haette, ohne diese "Gefallen". Alles auf den geringen Geldwert zu reduzieren, um den es insgesamt geht, greift aus meiner Sicht zu kurz.

      Und dass durch den Brief "kein Schaden entstanden waere", ist auch nicht so klar. Moeglicherweise waere fuer Siemens ein Schaden entstanden. Und selbst wenn nicht. Nachdem die ganze Sache publik wurde, wurde der Name Siemens (schon wieder) mit Korruption in Verbindung gebracht. Das war sicher keine Werbung fuer das Unternehmen. So einen Imageschaden zu beziffern ist im Einzelfall nicht ganz einfach. Aber anzunehmen, es sei grundsaetzlich nie ein Schaden entstanden, ist eher gewagt ...

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    5. Wie gesagt: mir ist das alles klar, und bei größeren Summen wäre ich voll deiner Meinung.

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    6. Es ist nicht eine Frage der Summe.Es geht darum,.das er das was er bsw,bei.Glogowski, kritisiert und ihm vorgeworfen hat ,selbst getan hat, und sich ungerecht behandelt fühlt,wenn das jetrzt Konsequenzen für ihn hat.
      Und was die Summe angeht:würde das ein normaler Beamte oder Angestellter in Ausübung seines Amtes annehmen,wäre das minimum ein Kündigungsgrund,würde in der Regel aber auch strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen,aber Wulf soll leer ausgehen,weil es ja so wenig ist?gehts noch?

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