Montag, 13. Juli 2015

Treuhand Athen im Spiegelsaal

Die Troika ist wieder da. Sie heißt zwar immer noch "die Institutionen", was Wolfgang Schäuble vermutlich wurmt. Es scheint dass wenn es nach Mr. Isch Over geht, Alexis Tsipras persönlich in einem Eisenbahnwaggon die Rück-Umbenennung unterzeichnen müsste. Tatsächlich ist die Liste, die die Euro-Finanzminister nun auf 14 Seiten zusammengefasst haben, ein einziger Diktat für die griechische Regierung, der vor allem die komplette Unterwerfung zelebriert. Und ich will hier gar nicht wieder das große Fass von Demokratie und Solidarität aufmachen. Griechenland ist de facto bankrott und befindet sich gerade in der Abwicklung. Zu glauben, dass man in so einer Situation - die Währungsunion und ihre geteilte Souveränität einmal ganz außen vor gelassen - noch die volle Autonomie über die eigenen Angelegenheiten hat wäre hochgradig illusionär. Nur muss sich die Eurogruppe fragen lassen, wie aus der Konkursmasse Griechenland mit den aktuellen Forderungen noch irgendetwas herausgeholt werden soll.

So etwa sind die Folgen der geforderten Mehrwertsteuererhöhung ziemlich absehbar: nicht nur belastet die regressive Steuer gerade die Bevölkerungsgruppen, die ohnehin bereits am schwersten getroffen sind, sie torpediert auch noch einen der letzten funktionierenden griechischen Wirtschaftszweige, den Tourismus. Ebensowenig ist erkennbar, warum ausgerechnet eine Stärkung des Finanzsektors in Griechenland nachhaltiges Wachstum ermöglichen sollte. Nach Lage der Dinge könnte dies nur ein ausländischer, aufgepropfter Finanzsektor sein, denn griechisches Kapital gibt es praktisch keines mehr. Fragt sich nur, in was dieser Finanzsektor investieren sollte - aber da findet sich im Papier ja gleich die nächste Lösung. Und hier offenbart sich auch die Natur dieses Teils des Forderungskatalogs: absurde 50 Milliarden Euro soll Griechenland durch Privatisierungen von Staatseigentum erlösen. Erreicht werden soll dies, indem die zu privatisierenden Güter in eine Treuhand überführt werden, die dann - unter Troika-Aufsicht - die Privatisierungen durchführt.

Das ist geradezu lächerlich. Ausgerechnet Wolfgang Schäuble, der schon ein direkt Verantwortlicher des Treuhand-Desasters nach der deutschen Einheit war, will dasselbe gescheiterte Modell Griechenland aufdrücken. Damals wie heute profitierte vor allem der Finanzsektor - der ja die technische Umsetzung der Privatisierungen vornimmt und dabei eine goldene Nase verdient - und diejenigen, die das Zeug zu Ramschpreisen kaufen konnten. Und niemand kann ernsthaft behaupten, dass es etwas anderes als Ramschpreise geben würde. Der Zeitrahmen für die Umsetzung dieser Maßnahmen ist so lächerlich klein, dass auch nur eine halbwegs ordentliche Bewertung der Assets unmöglich ist, geschweige denn eine vorherige Sanierung oder sonstige Maßnahmen, um das alles ordentlich abzuwickeln.

Stattdessen ist der Ablauf bereits schmerzhaft deutlich sichtbar: die europäischen Finanzinstitute und Investoren werden die Troika-Regeln zum größten Ausverkauf seit Jahren nutzen und, ohne dass die Griechen auch nur das geringste Mitspracherecht hätten, alle Kronjuwelen zu Spottpreisen aufkaufen. Der unverkäufliche Rest wird dann von einer korrupten Treuhand zugrunde gerichtet und untergehen. Der einzige Lichtblick für die Griechen ist, dass nach Durchführung dieses Programms wirklich jede Region Griechenlands sich auf Jahrzehnte hinaus für die EU-Förderung wirtschaftlich schwacher Regionen qualifizieren wird. Dieses Papier sagt nichts anderes als dass die Jagdsaison eröffnet ist, und Glücksritter wie Guy Verhofstadt, die privat mit Firmen engagiert sind die diese Privatisierungen organisieren und öffentlich über das Europaparlament genau diese von Griechenland erzwingen sind nur die sichtbarsten Exponenten einer Reihe neuer Krisengewinnler. Viele davon dürften personal-identisch mit denen sein, deren griechische Staatsanleihen zwischen 2010 und 2014 von der Troika risikofrei, aber mit voller Rendite auf Kosten des Steuerzahlers abgelöst wurden.

Dass vor diesem Hintergrund die harschen Kontrollen der Troika wieder eingeführt werden, verwundert kaum. Erneut muss jeder für die Programme relevante Gesetzesentwurf, bevor das griechische Parlament darüber abstimmen darf, von der Troika abgesegnet werden muss. Syrizas gefeierter Rauswurf der Troika vor einigen Monaten wendet sich nun gegen sie, denn offensichtlich kam die Rettung ja ohne sie nicht; stattdessen folgten die Krisengipfel immer schneller auf härter aufeinander. Dass das natürlich in einem solchen Zeitrahmen unter diesen Bedingungen mit einer unerfahrenen Partei kaum anders zu erwarten ist - geschenkt, das interessiert niemanden mehr. Syriza hat hoch gepokert und zumindest auf diesem Feld klar verloren, denn die Bilanz sieht verheerend aus. Griechenland hat die Kontrolle über sein eigenes Schicksal endgültig verloren.

Ein Passus der betont, dass die Umsetzung all dieser Maßnahmen die Bedingung für die Aufnahme von Verhandlungen ist und keineswegs Prognosen für deren Abschluss zulässt ist da nur noch eine weitere Demütigung. Die nächste Eskalationsstufe wäre der Einmarsch und die direkte Übernahme der griechischen Verwaltung. Auch muss Griechenland nach dem Willen der Eurogruppe einen Paragraphen 231 akzeptieren: die vom IWF festgestellte Nicht-Tragfähigkeit der griechischen Schulden wird "den gelockerten Maßnahmen der letzten 12 Monate" zugeschrieben. Unterschreiben die Griechen dieses Papier, so akzeptieren sie gleichzeitig die Alleinschuld an der desolaten wirtschaftlichen Lage. Dass gerade Deutschland die Demütigung Griechenlands zusätzlich zur Durchsetzung seiner Interessenpolitik in die Verträge packen will zeugt von einer eigenen Geschichtsvergessenheit, die nur noch widerwärtig ist.

Die Aufmerksamkeit wendet sich daher bereits auf die Sieger. Einige arbeiten unverhohlen am Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone, allen voran Wolfgang Schäuble und die nordeuropäischen Staaten. Andere sträuben sich dagegen, wie etwa Italien oder Frankreich, aber keiner von ihnen wird ernsthaft seine Interessen für Griechenland riskieren. Ihnen geht es vor allem um die Zukunft innerhalb der Eurozone, das heißt um das künftige Mächtegleichgewicht. Und in diesem haben einige Staaten mit und einige ohne Griechenland einen Vorteil, und entsprechend gestaltet sich auch die Konfliktlinie innerhalb der Eurogruppe. Dies erkennt man an den Passagen der Eurogruppenforderungen, die in eckigen Klammern gehalten sind, denn über sie gab es keine Einigung. So findet sich etwa die Möglichkeit, bei Versagen der obigen Maßnahmen die Rückzahlung der Schulden zu strecken - effektiv also ein Schuldenschnitt auf Zeit - als Forderung Italiens und Frankreichs direkt neben Schäubles Plan, Griechenland "auf Zeit" aus der Eurozone zu stoßen, ebenfalls mit "möglicher" Restrukturierung der Schulden.

Die Wahl, vor die die Eurogruppe Griechenland, das gerade einmal zwei Tage Zeit hat, um die zentralen Forderungen im Parlament zu verabschieden, damit stellt, ist durchaus vergleichbar mit der, vor der Deutschland vor knapp 100 Jahren selbst stand: einen demütigen, offensichtlich nicht tragfähigen und für die Erhohlung einer schwer getroffenen Wirtschaft schädlichen Vertrag unterschreiben - oder eben nicht. Die Frage wäre nur, was dann passiert. Eine Rückkehr zur Drachme wäre mit Sicherheit nicht ansatzweise so einfach und logisch positiv für Griechenland, wie einige Euro-Gegner das durch die rosarote Brille darstellen. Auch ein Default birgt unkalkulierbare Risiken. Hätte Griechenland einen Krieg verloren, stünde ihm eine ganz andere Option offen: nicht unterzeichnen und die Sieger die Verantwortung übernehmen lassen. So weit würde aber nicht einmal Schäuble gehen. Er braucht die Griechen als Vollstrecker der eigenen Politik. So oder so grenzte es an ein Wunder, wenn Griechenland sich unter diesen Aussichten nicht von Europa abwendet und sich den dunklen Impulsen eines einfachen, übersichtlichen Nationalismus mit seinen klaren Feindbildern hingibt. Deutschland hat es unter günstigeren Bedingungen getan.

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