Dienstag, 19. Januar 2016

Und bist du nicht willig, so gebrauch ich Integration

Ich möchte damit beginnen, Stefan Pietsch für seinen letzten Artikel zu danken. Ich kann sein Zögern verstehen, denn wie er richtig sagt - talk is cheap. Trotzdem denke ich, dass wir so oder so Vorschläge einbringen müssen, gewählt oder nicht. Die Experten und Politiker können immer noch Stellung beziehen. Ich möchte daher sowohl seine Vorschläge diskutieren als auch neue in die Debatte einbringen.

Stefan hat natürlich Recht wenn er sagt, dass es unter der Schwelle des Schießbefehls noch andere Möglichkeiten gibt, die Grenze zu sichern. Und das kann man natürlich auch alles machen. Nur ist das rückwirkend für die Flüchtlingskrise 2015 irrelevant, denn unser damaliger Grenzschutz war effektiv das Dublin-II-Abkommen: wir mussten unsere Grenzen nicht mit einigen wenigen, von Wärmebildkameras überwachten Grenzpunkten sichern, weil wie mitten in Europa nicht damit rechneten, dass sie mehr als eine Formalität wären. Das hat sich nun offensichtlich geändert, und man kann das im Blick auf neue Flüchtlingsströme entsprechend ändern - nur wäre es vermessen damit zu rechnen, dass die Illegalitätsfrage als Fundament der Integrationsdebatte eine hohe Priorität einnehmen kann. Menschen, die aus dem syrischen Bürgerkrieg oder vor Boko Haram geflohen sind, haben nichts mehr zu verlieren. Aufenthaltsgenehmigungen und Ähnliches sind für sie irrelevant. Eine Rückkehr in die aktuell herrschenden Verhältnisse ist schlichtweg ausgeschlossen. So wichtig es auch ist, hier Rechtssicherheit herzustellen, so darf dies nicht als Ersatzhandlung zu viel Aufmerksamkeit bekommen.

Ich stimme Stefan zu, dass es wichtig ist, die Kinder möglichst früh und umfassend einzubinden. Verpflichtender Ganztagskindergarten und später Ganztagsschule sind hierzu der richtige Schritt. Gleichzeitig ermöglichen sie es auch, die Eltern - so vorhanden - ihrerseits in Fördermaßnahmen einzubinden, ohne gleich die Betreuung der Kinder zu gefährden.

Davon ausgehend möchte ich Stefans Punkt der Weiterbildungsmaßnahmen betonen. Die Forderung nach mehr Deutschlehrern ist ja inzwischen ein Dauerbrenner in der Debatte, aber da können wir nicht stehen bleiben. Es braucht umfassende Maßnahmen, sowohl in der Grundbildung (etwa die VAB-O Klassen) als auch darauf aufbauend. Das hat mehrere positive Effekte. Zum einen gibt es den Menschen etwas zu tun. Das kann in seiner Wichtigkeit gar nicht unterschätzt werden, denn das Schlimmste wäre, wenn die Leute zuhause herumsitzen und depressiv versauern; das gleiche Problem haben wir für unsere Langzeitlosen ja auch bis zum Erbrechen diskutiert. Weiterhin zwingt es die Leute, mit der deutschen Sprache in Kontakt zu bleiben, auch wenn sie keinen dezidierten Deutschunterricht haben, und zuletzt können wir dabei gleichzeitig Werte vermitteln, wie es die Schule für unsere eigenen Schüler ja auch tut.

Die Integrationsdebatte wird im Übrigen im Gegensatz zu Pietschs Aussage auch in den USA geführt, nur hat sie dort nicht den gleichen Stellenwert wie hier, weil bestimmte Faktoren bereits einem Konsens unterliegen. So ist das Land klar Einwanderungsland und bietet einen Patriotismus, der nicht der Zugehörigkeit zur Ethnie unterliegt. Amerikaner kann jeder sein, egal ob er Vietnamese, Syrer, Mexikaner oder Ire ist. In Deutschland ist das nicht der Fall, was sich in unserer sprachlichen Verwirrung um "Ausländer" immer wieder ausdrückt und zu merkwürdigen Konstellationen wie "Hast du einen deutschen Pass?" führt. Wir unterscheiden immer noch nicht wirklich zwischen "Ausländer" und "Ausländer mit deutschem Pass", zwischen zugewandertem Experten mit Greencard und Einwanderer in der zweiten Generation mit türkischer Staatsbürgerschaft.

Dies bleibt ein Problem, das wir dringend lösen müssen. Letztlich brauchen wir eine neue Definition dessen, was es heißt, "Deutsch" zu sein - und zwar eine, die auch explizit Einwanderern die Zugehörigkeit ermöglicht. Denn so ehrlich müssen auch die Kritiker der Willkommenspolitik und der bisherigen Integrationsbemühungen sein, die deutsche Identität definiert sich immer noch eher darüber, wer nicht dazugehört, und diese Zugehörigkeit wird effektiv über die Hautfarbe geregelt. Hier sind uns die USA voraus: dort ist es nicht von der Hautfarbe abhängig, ob man die Stars-and-Stripes auf die Veranda hängt.

Davon ausgehend müssen wir auch dafür sorgen, die Opposition im eigenen Land zu befrieden. Aktuell läuft das hauptsächlich über einen Rechtsruck, besonders bei der CSU, in der aktionistische Gesetzesverschärfungen gefordert und weiter auf das tote Pferd der "ganzen Härte des Rechtsstaats" eingeprügelt wird. Tatsächlich ist zu erwarten, dass die Flüchtlinge wenigstens kurzfristig Kosten verursachen werden. Sie beziehen Sozialleistungen und sind zumindest aktuell noch nicht einem solch harten Prüfungsregime unterworfen wie das Hartz-IV-Empfänger sind. Und wenn es etwas gibt, was wirklich jeder hasst, dann das Gefühl, dass jemand umsonst bekommt, wofür man sicht selbst anstrengen muss. Man erinnere sich an die Hartz-IV-Debatten von vor zehn Jahren - Stichwort Florida-Rolf. Ich denke daher, dass es notwendig ist, eine Möglichkeit für die Migranten zu konstruieren, sich Leistungen und Aufenthalt tatsächlich zu verdienen.

Mir ist klar, dass diese Vorstellung gerade unter Linken ungeheuer unpopulär ist. Ich weiß auch, dass man sich das Asylrecht nicht verdienen muss, sondern dass es ein Menschenrecht ist, man muss mich nicht extra darauf hinweisen. Darauf will ich auch gar nicht hinaus. Pietsch und viele andere haben schließlich zweifellos Recht damit, dass die Bleibeperspektiven vieler Asylbewerber und Flüchtlinge hier nach den Buchstaben des Gesetzes dürftig sind, auch wenn dies in der Praxis wegen juristischer und diplomatischer Hürden häufig auf eine Duldung hinausläuft. Wir sollten daher einen direkten "Pfad zur Staatsbürgerschaft" konstruieren. Dies erfordert den bereits oben angesprochenen, kosmopolitischen deutschen Patriotismus, der sich von alten Blut-und-Boden-Vorstellungen löst. Es beinhaltet aber auch eine Leistung seitens der Migranten, denn würde man hier schlichtweg massenhaft Einbürgerungen zulassen, würde es die Gesellschaft tatsächlich zerreißen. Es muss etwas getan sein, der Status muss verdient werden. Und das kann nicht ein Sponsoring wie bei der amerikanischen Green Card sein, die sich eh keiner leisten könnte.

Stattdessen macht es vielleicht Sinn, sich ökonomisch zu fragen, was wir von den Migranten wollen. Die größte Befürchtung ist und bleibt eine "Einwanderung in die Sozialsysteme". Letztlich also wollen wir, dass sie einen Job finden und arbeiten. Über die Integration des Dönerbudenbesitzers hat sich schließlich noch keiner beklagt, egal wie schlecht sein Deutsch war, hauptsache, Döner und Pide schmecken. Gleichzeitig haben wir keine halbe Million Jobs für Geringqualifizierte mit nur rudimentären Deutschkenntnissen herumliegen.

Hier kommen wir entgültig in das von Stefan angesprochene Problem: ich bin wahrlich kein Experte für solche Sachen. Man möge die folgenden Gedanken daher bitte ausschließlich als Denkanstöße verstehen und nicht als belastbaren, ausgearbeiteten Plan.

Es sollten zwei Möglichkeiten angeboten werden, zusätzlich zu den bisher bestehenden Regeln die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Das eine wäre der Abschluss einer Ausbildung, die als entsprechend wertvoll angesehen wird. Niedrigschwellig könnte dies das Abitur, höherschwellig ein Studium sein. Damit löste man auch gleich das Problem, das die erste Green-Card-Initiative plagte: dass Leute ein Studium in Deutschland abschließen und dann nicht im Land bleiben können. Das ist schlicht unsinnig. Gleichzeitig bietet es einen Weg für entsprechend talentierte Einwanderer.

Die zweite Möglichkeit könnte in einer Art Zivildienst bestehen, praktisch einer Art zivilen Version der französischen Fremdenlegion. Jeder, der sich für das (freiwillige) Programm entscheidet, müsste entweder eine bestimmte Stundenzahl arbeiten (etwa vier am Tag) oder eine Vollzeitstelle nachweisen. Nach einer bestimmten Zeitspanne - etwa 20 Jahre - erhielte man automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft. Dies ist etwa gut mit Pietschs Vorschlag zu kombinieren, der den deutschen Sozialstaat nur anerkannten Einwanderern öffnet. Das Problem ist offenkundig dasselbe wie bei Ein-Euro-Jobs, nämlich vernünftige Beschäftigung zu finden, die im Idealfall keine reguläre Beschäftigung verdrängt, aber das sollte machbar sein.

Der Vorteil bei dieser Vorgehensweise wäre, dass die Menschen einen erkennbaren Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Damit ließe sich zumindest ein Teil der toxischen Pegida-Gefühlslage entschärfen, da sowohl Staat als auch Einwanderer darauf hinweisen könnten, dass sie eben nicht einfach nur etwas geschenkt bekommen, sondern im Gegenzug dazu eben auch etwas zurückgeben. Durch dieses System ließen sich auch die Verlierer unseres Systems einbinden. Wer keinen Job findet und nicht in der Lage ist, eine höhere Schulbildung (Sekundarstufe II oder mehr) zu erreichen, der kann immer noch seinen Beitrag über diesen "Zivildienst" erbringen. Gezwungen würde niemand - das alte System, mit all seinen Vor- und Nachteilen, bliebe parallel bestehen. Es würde aber eine verbindliche Perspektive eröffnen, die dem Bedarf von Einheimischen und Einwanderern gleichermaßen Rechnung trägt - ohne dass man sich gleich wieder in Lebenslügen über Gastarbeiter, Gastrecht und wolkige Integrationsforderungen verliert.

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