Mittwoch, 13. Juli 2016

Eine Verteidigung der political correctness, Teil 2: consent

Die Diskussion über das political-correctness-Thema hat sich hier im Blog vor allem um die Frage der Strafbarkeit und Beweisbarkeit von Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch entwickelt. Ein großer Fokus liegt dabei auf der Frage, wie um Gottes Willen man aus dem Graubereich herauskommen soll. Bekanntlich ist der Moment erotischer Verführung und sexueller Spannung nicht gerade dafür bekannt, dass beide Parteien mit der Rationalität eines homo oeconomicus handeln. Es handelt sich hier mit Sicherheit auch nicht um ein kleines Problem, denn allein die Anschuldigung einer sexuellen Straftat zerstört bereits komplette Existenzen. Wir haben das öffentlichkeitswirksam in den Fällen Türck und Kachelmann präsentiert bekommen. Diese Diskussion wird aber in den Beiträgen von Stefan Pietsch und Ariane bereits geführt. Ich möchte daher auf einen anderen Aspekt stärker eingehen, der meiner Meinung nach bei den beiden zu kurz kommt.

Da wäre, erstens, die unterliegende gesellschaftliche Dynamik. Wie so oft im Problemfeld "political correctness" entstammen sowohl die Problembeschreibung hier als auch die Lösungsansätze später den USA, wo die Diskussion sich gerade um das Vorhandensein einer rape culture dreht. Gemeint ist hiermit nicht eine Gesellschaft, die Vergewaltigungen zum Standard erhebt, sondern eine, die sie ermöglicht und es den Tätern sowohl erleichtert die Tat selbst durchzuführen als auch danach ungestraft davonzukommen. Leider werden Vergewaltigungen immer noch als etwas betrachtet, das selten vorkommt und nur von richtig bösen Männern gewalttätig verübt wird. Das ist sozusagen die Hollywood-Version, mit klarem Täter und Opfer. In der Realität ist die Lage aber häufig nicht ganz so einfach, und viele Menschen sprechen gerne dem Opfer eine Teilschuld zu - das hat man auch bei Lohfink gesehen, und zwar bevor die Vorwürfe der Falschbeschuldigung aufkamen. Der Tenor: "Ja, die Lohfink, die treibt's doch eh mit jedem." Mag schon sein, aber Promiskuität ist keine Einladung zur Vergewaltigung. Schließlich darf man auch Einkäufer auf dem Kudamm nicht bestehlen, nur weil sie mit Geld geradezu um sich schmeißen. Die YouTuberin Laci Green hat das Problem schön zusammengefasst:



Das ist, was wir unter rape culture verstehen. Die toxischen Auswüchse dieser Kultur konnte man in den USA am Fall Brock Turner beobachten. Turner war ein Erstsemesterstudent und Starathlet an der Eliteuniversität Stanford. Auf einer Party schleppte er eine volltrunkene Frau hinter einige Mülltonnen und vergewaltigte die Bewusstlose. Als er von Passanten erwischt wurde, versuchte er zu fliehen, wurde aber von diesen aufgehalten und der Polizei übergeben. Der Fall ist hier ziemlich klar: hier Täter, dort Opfer. Was danach kam, war allerdings weniger eindeutig. Turners Vater versuchte mit aller Macht, eine Gefängnisstrafe zu verhindern. Zu diesem Zweck setzte er einen Privatdetektiv und hochbezahlte Anwälte ein, die die Glaubwürdigkeit des Opfers mit erniedrigen Nachforschungen über ihr Sexual- und Trinkverhalten zerstören und so quasi eine Teilschuld nachweisen sollten. Gleichzeitig schrieb Turner einen mittlerweile berüchtigten Brief an den Richter, der pikanterweise ein Stanford-Alumni ist, in dem er lang und breit die psychischen Folgen für seinen Sohn beschrieb und die Vergewaltigung als "20 minutes of action" herunterspielte. Wohl nur der großen Willensstärke des Opfers ist es zu verdanken, dass sie all diese Angriffe überstand - die Dunkelziffer für Vergewaltigungen ist ungeheuer hoch, der Widerwille zur Anzeige ebenso, und Turners Geschichte zeigt, weshalb. Dank ihrer Wortgewandtheit, die sich in einem ebenso berühmten offenen Brief an Turner eindrucksvoll zeigt, beschrieb das Opfer sowohl ihre Vergewaltigung als auch die Strapazen des Prozesses. Die Beschreibungen sind ernüchternd.

Für unseren Fall besonders interessant ist dabei die Tatsache, dass Turner versuchte, den Übergriff damit zu begründen, dass er davon ausging dass das Opfer einverstanden war. Seine Begründung: sie hatte ihm über den Rücken gestrichen. In diesem Statement zeigt sich die andere Seite der rape-culture-Medaille: es gibt nicht nur eine Tendenz, dem Täter mehr Glauben zu schenken als dem Opfer und dem Opfer eine Teilschuld zuzuweisen. Es gibt auch eine klare Unsicherheit, wo die Grenzen verlaufen. Stefan Pietsch hat in seinem Beitrag deutlich darauf verwiesen, dass ein großer Anteil Frauen will, dass der Mann den ersten Schritt macht und dass sich zieren zum Flirtspiel gehört. Das ist unzweifelhaft richtig. Und natürlich lässt sich an dieser Stelle leicht das Horrorszenario ausmalen, dass Männer künftig immer mit einem Bein im Gefängnis stehen, weil Frauen sich urplötzlich umentscheiden können. Nur: natürlich können sie das. Es soll vorkommen, dass jemand während dem Vorspiel die Lust verliert. Gerade deswegen ist es ja so wichtig, dass beide Partner darauf achten, ob der jeweils andere seine Einwilligung immer noch erteilt. Laci Green hat auch hierfür ein ordentliches Erklärvideo, das die Praxis beleuchtet und den Wert der Einwilligung deutlich macht:



Das ist eine ungewohnte Vorstellung, sicherlich, und es wirft einige traditionellen Romantikvorstellungen über den Haufen. Der Stil eines Sean Connery in den alten James-Bond-Filmen, die überraschte Frau in der Sicherheit der eigenen Attraktivität und ihrer vorausgesetzten Einwilligung gegen die Wand zu drücken und zu küssen ist damit passé. Ich fürchte es gibt keine empirischen Untersuchungen, aber diese Romantikvorstellung - vor allem der direkt folgende Beischlaf einer devoten Geliebten - war vermutlich schon immer mehr ein Hollywood-Klischee als Realität.

Man kann auch diejenigen beruhigen die eine Welle von Falschbeschuldigungen versuchter Vergewaltigungen befürchten. Andere europäische Länder wie Schweden oder Großbritannien haben bereits seit Jahren "Nein heißt Nein"-Gesetze, ohne dass man dort von einer neuartigen Welle an Falschvorwürfen gehört hätte. Besonders Großbritannien ist da instruktiv, weil die Regel erst 2010 eingeführt wurde und daher noch "frisch" ist. Die Umstände sind durchaus vergleichbar, auch gesellschaftlich und kulturell. Auch hier muss es ein Umdenken geben, auf beiden Seiten. Weder darf man wie im Fall von Lohfink von Anfang an davon ausgehen, dass eine Frau es doch wollte, nur weil sie als Partyluder bekannt ist, noch darf man dann wenn neue Fakten bekannt werden das Ganze zu einer Wasserscheide der Menschenrechte hochstilisieren. Es wäre schon viel geholfen, würde man Vergewaltigungsfälle etwas neutraler betrachten. Angesichts ihres Sensationsgrads ist das aber wohl Wunschdenken.

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