Donnerstag, 6. April 2017

Wenn du vergisst dass du eigentlich konservativ sein wolltest

Es gibt Momente im Leben einer Partei, die sind erhellend, weil sie sowohl sich selbst als auch der Außenwelt zeigen, wer man wirklich ist. Die Verabschiedung von Obamacare war so ein Moment, weil die Democrats in sicherer Erwartung von großen Sitzverlusten bei den Midterms für eine Reform stimmten, die sie für richtig hielten. Die Eliminierung des Filibuster im US-Senat von heute ist ein anderer solcher Moment. Er zeigt uns, dass die Republicans (wieder einmal) einen großen Teil ihrer Überzeugungen und angeblicher Ideale und Prinzipien über Bord warfen. Denn konservativ ist an dieser Partei schon lange nichts mehr.

Zur Erinnerung: der Filibuster ist effektiv unbeschränkte Redezeit im Senat, die nur mit einer 60-Stimmen-Mehrheit unterbrochen werden darf. Damit kann eine wichtige Abstimmung verzögert oder sogar völlig torpediert werden. Der Filibuster ist Teil einer langen Liste arkaner Regeln im US-Senat, die aus dem 19. Jahrhundert übrig geblieben sind. Ursprünglich war er ein Verteidigungsmittel der Sklavenhalter gegen die Abolitionisten, wie die Existenz des gesamten US-Senats. Aber ich schweife ab. Der Filibuster wurde von den Republicans unter Obama exzessiv genutzt, so dass die Democrats ihn 2013 für eine Reihe von präsidentiellen Ernennungen (Chefs von Behörden und Bundesrichter etwa) abschafften. Für Supreme-Court-Nominierungen blieb er, hauptsächlich aus Furcht vor dem Odium ein so alt-ehrwürdiges Instrument abzuschaffen, in Kraft.

Als 2016 der Supreme-Court-Richter Antonin Scalia überraschend verstarb, erkannte der moralisch äußerst flexible Vorsitzende des Senats, Mitch McConnel, die Chance für seine Partei und blockierte jegliche Anhörung von Obamas Nominierten, Merrick Garland. Obama hatte, als der Zentrist der er nun einmal ist, einen älteren Moderaten nominiert, der für Republicans auch akzeptabel war (der Vorsitzende des Justizausschuss' des Senats, Chuck Grassley, hatte sogar peinlicherweise Tage vor Obamas Nominierung noch verkündet, wie gerne er "für einen Kandidaten wie Garland" stimmen würde, aber den würde Obama ja nie nominieren - seine 180-Grad-Wende, Garland danach nicht einmal eine Anhörung zu geben, wurde von den Wählern leider nicht bestraft). Dadurch konnte Trump einen extremen Rechten, Neil Gorsuch, nominieren.

Effektiv hatten die Republicans den Sitz gestohlen. Das Manöver ist natürlich legal, brach aber sämtliche bis dahin existierenden Normen. Konservativen ist so etwas eigentlich ein Graus, aber alle 52 GOP-Senatoren haben sich nun für die komplette Abschaffung des Filibuster für Supreme-Court-Nominierungen ausgesprochen (wofür eine einfache Mehrheit ausreicht), so dass sie morgen ihren Kandidaten planmäßig durchwinken können, dessen Anhörungen sie auch auf das absolute Minimum verkürzt haben, damit auch ja nichts dazwischenkommt, etwa die Vorwürfe an Gorsuch, bei einigen Arbeiten plagiiert zu haben.

Dieser Diebstahl eines Sitzes ist nichts, was man von einer völlig amoralischen GOP nicht erwarten würde. Wer sich wertekonservativ nennt und einen Serien-Sextäter zum Präsidenten nennt, überrascht diesbezüglich keinen Beobachter mehr, der halbwegs bei klarem Verstand ist. Es zeigt aber abgesehen von diesem Aspekt auch eine kuriose Amnesie über das, was eigentlich "konservativ" ist.

Die Grundidee des Konservatismus ist das Bewahren des Bestehenden. Ordnung und Tradition sind Luft und Wasser für Konservative. Sie wollen die überkommene Gesellschaftsordnung erhalten, den Gesetzeskatalog, die Rollenverteilung, kurz: sie wollen Stabilität. Das heißt nicht dass Konservative jeglichen Fortschritt verhindern oder gar zurückrollen wollen; das wollen Reaktionäre. Entlang dieser Linie verläuft der Unterschied zwischen CDU und AfD. Aber die Republicans im Kongress sind nicht konservativ. Sie akzeptieren keine Veränderung, egal wie lange sie schon etabliert ist. Der CDU würde nicht in den Sinn kommen, soziale Fortschritte der 1970er Jahre zurückzurollen. Die GOP und die AfD haben genau das explizit in ihren Wahlprogrammen.

Man erkennt das Ablegen der konservativen Elemente bei den Republicans an eben solchen legislativen Manövern. Die Abschaffung des Filibuster ist eigentlich eine Idee, die Progressiven gefällt (und die auch seit Jahren dafür argumentieren, wie etwa Matt Yglesias), weil er es ermöglicht, leichter Änderungen durch das Parlament zu bringen - entweder komplett neue Strukturen oder die Überholung von alten. Der Filibuster ist ein Veto-Punkt innerhalb des an Veto-Punkten nicht gerade armen amerikanischen Systems, genauso wie die Bundesrichter, wie das präsidentielle Veto oder der Vermittlungsausschuss im Kongress.

Ein Konservativer aber will Veränderungen im Allgemeinen aufhalten, nicht befördern. Den Filibuster abzuschaffen hilft den Reaktionären der GOP daher, den Supreme Court illegitim an sich zu reißen, so wie sie illegitim eine Mehrheit im Kongress besitzen (die sich nur wegen massiver Wahlbehinderungen und kreativer Wahlkreiszuschnitte überhaupt halten lässt). Aber sie vergessen dabei eine elementare Grundregel jeder Demokratie: niemand ist für immer an der Macht. Und man kann nur hoffen, dass mit einem solchen Pfeifenkopf wie Trump im Weißen Haus bereits 2018 Ende der Fahnenstange des unified government ist. Das nächste Mal wenn die Democrats an die Macht kommen, gibt es für sie keinerlei Gründe mehr, moderate Positionen zu beziehen.

Die Übernahme republikanischer Ideen für die Gesundheitsreform? Fuck it, Singleplayer. Ein moderater Zentrist im Supreme Court? Fuck it, ein progressiver Held. Die Nominierung von Republicans in Kabinettsposten? Fuck it, never again. Wenn 2021 wieder ein Democrat ins Weiße Haus einziehen sollte, werden die Republicans sehr, sehr schnell ihre Liebe für den moderaten, zentristischen Präsidenten entdecken, der 2008 bis 2016 so vernünftig und emotionslos regiert hat. Aber bis dahin haben sie auf dem Boden der politischen Normen viel verbrannte Erde hinterlassen. Und die ist ja bekanntlich einige Zeit später besonders fruchtbar, wenn man Neues schaffen will.

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