Montag, 29. Oktober 2018

Männliche Smartphones haben im Süden mehr Nuklearwaffen als weibliche - Vermischtes 29.10.2018

Die Serie "Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Das Smartphone ist an allem Schuld, Ausrufezeichen!
Wenn überhaupt eine Personengruppe die vielfältigen Komplexitäten und Zumutungen der heutigen Welt bewältigen können wird - dann doch diejenigen, die mit dem ständigen Rückkanal aufgewachsen sind. Die in ihrem netzgestählten Handeln zu jedem Zeitpunkt ein Publikum und dessen Reaktionen mitdenken. Die genau aus diesem Grund intellektuell für die kommenden Schwierigkeiten besser gewappnet sein werden als die Älteren. Wir überlassen den jüngeren Generationen eine Welt, randvoll mit Nationalisten und Nazis, Populisten und islamistischen Terroristen, vom Klimawandel und Umweltschäden nicht zu reden - aber das Smartphone ist schuld an den zunehmenden Depressionen der Jugend. Die heute Älteren haben in den 1980ern ein komplettes Jahrzehnt dem Tanz ums Goldene Ich gewidmet, aber die jungen Leute sind Narzissten, weil sie mit dem Teufelsgerät Selfies verschicken. Rechtschreibung beherrschen sie nicht mehr, weil ihnen WhatsApp wichtiger ist als der Duden. [...] Ich möchte eine Perspektive vorschlagen, die mir viel näher am tatsächlichen Geschehen erscheint: Das Smartphone ist der Kristallisationspunkt des heutigen Kapitalismus und damit der heutigen Gesellschaft. In den meisten Fällen ist das Verhalten jüngerer Generationen schlicht eine Reaktion auf die Welt, die wir ihnen vorgesetzt haben. Und meistens sogar eine clevere. Alles, was wir im Smartphone zu sehen glauben, ist in Wahrheit das Produkt unseres eigenen jahrzehntelangen Schaffens. Im Guten wie im Schlechten. Was das Smartphone wirklich zum vielkritisierten Objekt macht, kann man natürlich im Smartphone selbst erkennen. Man muss es bloß ausschalten und ganz genau in die schwarze spiegelnde Fläche hineinschauen. (Sascha Lobo, SpOn)
Sascha Lobo, brillant wie immer. Das Reflexhafte an der Smartphone-Kritik ist glaube ich das, was mich am meisten stört. Mit fast nichts kriegst du von deinen Gesprächspartnern so schnell ein Kopfnicken wie mit unreflektierter Smartphonekritik. Die darf heute einfach in keinem Zusammenhang mehr fehlen, egal worüber man sich beklagt. Hauptsächlich trifft es natürlich "die Jugend", die angeblich alle total süchtig nach den Dingern sind. Das ist ganz und gar nicht meine Erfahrung, aber diese dämlichen Vorurteile, die ständig befeuert und verstärkt werden, soind einfach nicht totzukriegen. Ich möchte auch Lobos Argument unterstützen, dass gerade die Leute, die sich permanent über das angeblich so miese Sozialverhalten der Jugendlichen beklagen, selbst gerade die sind, die das Land zunehmend herunterwirtschaften. Diese Generationenlücke wird immer noch viel zu wenig thematisiert.

2) Trump's party is the petri dish for diseased minds that grew Cesar Sayoc
It is of course true that the overwhelming majority of Republicans are not violent. It is likewise true that nothing about conservative ideology or its program requires violent action. Nonetheless, the relationship between the two parties and violence is not symmetrical, and the fact that alleged bomber Cesar Sayoc had a strong identification with Trump and his partisan message is not a coincidence. The Republican Party encompasses an extremist fringe that nurtures violence in a way the Democratic Party does not. [...] The left certainly has illiberal, paranoid modes of thought. The difference is that the left-wing version resides outside the boundaries of two-party politics, because the Democratic Party is fundamentally liberal not radical. Coulter’s examples of “liberal” violence inadvertently bear this out: the Haymarket Square bombers were anarchists, and the Unabomber developed an idiosyncratic hatred of technology that did not connect to other nodes of left-wing politics. The street-fighting cult antifa lies outside of, and is primarily hostile to, Democratic politics. Left-wing violence from the 1960s likewise came out of radical groups who viewed the Democratic Party with contempt. The Republican Party, on the other hand, has followed a course that has made its rhetoric amenable to extremism. Republican radicalism enabled the rise of a conspiratorial authoritarian president, and that president has expanded the bounds of the party’s following farther out to the fringe. It is getting harder and harder to distinguish the “normal” elements of conservatism from the “kook” parts. That some of those kooks would resort to violence is not an accident but a statistical likelihood. Trump’s party is a petri dish for diseased minds. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Der obige Argumentationsstrang ist genau der Grund, warum ich dem Bothsiderism, der hier in den Kommentaren von manchen gerne gepflegt wird, so ablehne. Es besteht schlichtweg keine Symmetrie in der Polarisierung und Gewaltspirale, die die USA im Griff hat. Mit wenigen Ausnahmen ist die Lage auch in Europa ähnlich, wo die Radikalisierung von rechts kein Gegenstück auf der Linken hat (eine Ausnahme wäre etwa Großbritannien). Aber nur in den USA gibt es ein Staatsoberhaupt, das Ziellisten von politischen Gegnern öffentlich verliest und danach, wenn rechte Terroristen sich diesen Zielen annehmen, alle Seiten zu "mehr Anstand" aufruft. Oder nach jahrelanger antisemitischer Rhetorik und dem Anschlag auf eine jüdische Gemeinde lakonisch feststellt, dass Juden zur Taufe ihres Kindes eben besser ein Sturmgewehr zur Verteidigung mitbringen sollten. Das ist dermaßen kaputt.

The uncertainty isn’t just about hedging. It’s a reflection of the sheer number of highly competitive districts, and the limited data available about each one. There are typically only one or two polls of the most competitive races. It is a very different information environment from a presidential election, when there are dozens of polls of a handful of highly competitive states. [...] All the conditions for a wave election remain in place. It’s a midterm year, when the president’s party typically struggles; the president’s approval rating is beneath 50 percent; and the Democrats hold a high-single-digit lead on the generic congressional ballot, which asks voters whether they’ll vote for Democrats or Republicans for the House. But this year, such an election doesn’t guarantee anything like the 63 seats a previous wave election brought to the Republicans in 2010. The Democrats don’t have nearly as many good opportunities to pick up seats, because of partisan gerrymandering and the tendency for Democrats to win by lopsided margins in urban areas. Alone, it’s enough to give the Republicans a chance to survive a wave that would otherwise give the Democrats a huge majority. [...] It would be a wave, on paper, given the limited opportunities that Democrats have on favorable terrain. But it wouldn’t necessarily feel like a wave. [...] It’s not a comfortable margin for Democrats, given how close these races appear. Republicans wouldn’t need much good fortune in races that were quite close. [...] But there’s still one big force on the G.O.P. side: the Republican-lean of the battleground. If Republicans can polarize the electorate along the lines of recent presidential elections, they will lock the Democrats into that disadvantageous map. (Nate Cohn, New York Times)
Was Nate Cohn hier so neutral als eine "disadvantegeous map" beschreibt ist das Resultat einer der vielen Merkwürdigkeiten im amerikanischen politischen System. Die Einteilung der Wahlkreise wird hier bekanntlich von den Gewinnern der Wahlen in runden Jahrzehnten vorgenommen (zuletzt also 2010, als die Republicans eine wave election gewannen). Dazu kommen weitere Traditionen der US-Verfassungshierarchie, die - noch aus der Gründungsphase, als die reichen Plantagenbesitzer den Ton angaben - dem flachen Land vor den Städten deutlich mehr Gewicht einräumen. Das ist also alles kein gottgegebenes Phänomen, sondern eines, das durch politische Entscheidungen entstanden ist. Warum die Progressiven in den USA immer noch ihre liebe Not damit haben, anzuerkennen dass ein Status, in dem der Gewinn von sechs bis sieben Prozent des popular vote gerade so zu einem Gleichstand reicht die oberste Priorität haben sollte, ist mir völlig schleierhaft. Die Republicans sind ein Haufen extremistischer Arschlöcher, aber sie verstehen sich auf Politik. Die Democrats sind zwar die Guten, aber es ist absolut an der Zeit, dass sie auf diesem Feld endlich aufrüsten und Waffengleichheit mit der GOP herstellen.

4) Brazilian media reports police entering classrooms to interrogate professors
In advance of this Sunday’s second-round presidential election between far-right politician Jair Bolsonaro and center-left candidate Fernando Haddad, Brazilian media are reporting that Brazilian police have been staging raids, at times without warrants, in universities across the country this week. In these raids, police have been questioning professors and confiscating materials belonging to students and professors. The raids are part a supposed attempt to stop illegal electoral advertising. Brazilian election law prohibits electoral publicity in public spaces. However, many of the confiscated materials do not mention candidates. Among such confiscated materials are a flag for the Universidade Federal Fluminense reading “UFF School of Law - Anti-Fascist” and flyers titled “Manifest in Defense of Democracy and Public Universities.” For those worrying about Brazilian democracy, these raids are some of the most troubling signs yet of the problems the country faces. They indicate the extremes of Brazilian political polarization: Anti-fascist and pro-democracy speech is now interpreted as illegal advertising in favor of one candidate (Fernando Haddad) and against another (Jair Bolsonaro). In the long run, the politicization of these two terms will hurt support for the idea of democracy, and bolster support for the idea of fascism. (Amy Smith, Vox.com)
Brasilien ist eine weitere der vielen Horrorgeschichten unserer Tage, in denen eine Demokratie von Rechtsautoritären zerschlagen wird. Als ob Argentinien nicht gereicht hätte. Südamerika kann einem Leid tun; es scheint wirklich, als ob die Wahl letztlich nur zwischen linken oder rechten Diktatoren bestünde. Und wenn man sich die Katastrophe von Venezuela anschaut, erwischt es Brasilien, wenn nur diese beiden Pole zur Wahl stehen, vielleicht sogar noch besser. Ein anderer wichtiger Faktor betrifft die Feinheiten der Strategie Bolsonaros. Das ist genau das was die AfD erreichen will. Zum Einen wird Psychoterror auf Lehrer und Professoren ausgeübt, sich ja nicht politisch für die Demokratie festzulegen - ein Muster, das die AfD mit ihren Meldeportalen in Deutschland ebenfalls verfolgt und das in Polen oder Ungarn bereits gut dokumentiert ist - und andererseits werden Begriffe wie "pro-demokratisch" plötzlich zu parteiischen Kampfbegriffen. Das ist genau das, warum die AfD keinesfalls Erfolg mit ihrer Strategie haben darf, ständig alles in den diskutablen Raum zu ziehen. Es dauert nicht lange, bis wir bei Anne Will dann einer offenen Diskussion darüber zuschauen dürfen, ob Demokratie wirklich gut ist und irgendwelche konservativen Kommentatoren davor warnen, es mit den identity politics zu übertreiben und stattdessen das hohe Gut der Meinungsfreiheit betonen, das es notwendig mache, diese Diskussionen zu führen. Das Resultat kann man sich auch in Ungarn anschauen, wo Orban keine Scham mehr kennt, von einer "illiberalen Demokratie" zu schwärmen, oder nun eben Brasilien. Eine wehrhafte Demokratie muss intolerante Meinungen ausgrenzen, sonst schafft sie sich selbst ab.

5) Under the missile's shadow: What does the passing of the INF treaty mean?
One by one we are losing the treaties that helped bound competition between peer nuclear powers, maintain strategic stability in the military balance, and manage security dilemmas inherited from the Cold War. For years, the INF Treaty has been a terminal patient, with Moscow in overt violation of the agreement, leaving the United States as the only country genuinely abiding by it. [...] However, Russia’s gains are not without long-term costs. First and foremost, Russia will further lose status and recognition as a great power that once signed treaties as a peer of the United States. Moscow views itself as holding a special position, responsible for international security alongside Washington, in large part thanks to arms control agreements. The United States and the Soviet Union were never really peers outside of the military balance (and even then the matter was debatable), but arms control treaties served to confer on Moscow the status of Washington’s equal in international politics. As those agreements fray, so too do Russian hopes for regaining the respect and status once held by the Soviet Union. The New START Treaty remains, but it’s unclear if it will be extended and whether another agreement will ever follow it once the deal expires. Given the asymmetry in economic resources, the United States is much better positioned to eventually deploy a substantially larger arsenal of intermediate-range missiles than Russia. Rather than basing them in Western Germany, short- and intermediate-range missiles could eventually find their way to NATO’s eastern member states, where they would pose an existential threat to Russia. (Michael Kofman, War on the rocks)
Ich habe in den deutschen Medien vor allem kritische Stellungsnahmen zu Trumps Entscheidung gelesen, den INF-Vertrag einseitig aufzukündigen. Da ist diese Einschätzung vielleicht als Gegenpunkt ganz interessant. Ich habe selbst keine eigene Meinung zu dem Thema, weil mir zur aktuellen nuklearstrategischen Lage schlichtweg die Informationen fehlen. Ein interessanter Aspekt, dem ich gerade wesentlich mehr Aufmerksamkeit und Lektüre widme, ist auf jeden Fall die Abrüstung der Mittelstreckenraketen in Europa (die in den 1980er Jahren für so viel Konflikt sorgten), wo die Aussichten, neue Waffen zu stationieren, eher schlecht aussehen - was unter Umständen schwerwiegende Konsequenzen haben könnte, nun da Russland hier deutlich freier agiert. Aber wie gesagt, das muss ich weiter studieren.

6) "Die FDP wird keine Koalition mit Frau Merkel beschließen"
Die Freien Demokraten wollen dem Land eine andere Richtung geben. Deshalb wären wir gesprächsbereit für eine Jamaika-Koalition, wenn das Vorbild Schleswig-Holstein wäre und nicht die Methode Merkel. Einen Linksruck mit Grün-Rot-Rot wollen wir verhindern. [...] Es darf keinen Linksruck in Hessen geben. Meine hessischen Freunde haben gesagt, dass sie den Grünen Tarek Al-Wazir nicht zum Ministerpräsidenten wählen. [...] In Hessen wird auch über die Migrationspolitik abgestimmt, weil eine Landesregierung im Bundesrat mitentscheidet. Die Grünen blockieren, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Das würde Abschiebungen erleichtern, in individuellen Ausnahmefällen wäre Schutz bei uns dennoch möglich. Die CDU nimmt da Rücksicht auf die Grünen. Das wollen wir neu verhandeln. [...] In einer roten Ampel wäre das aussichtslos. Wir müssen zum Beispiel verhindern, dass der nach Tunesien abgeschobene Bin-Laden-Leibwächter Sami A. auf Staatskosten im Privatflieger zurückgeholt wird, um dann von der Polizei wieder Tag und Nacht überwacht zu werden. Die Grünen betreiben so indirekt Wahlkampfhilfe für die AfD. [...] Die Methode Merkel bedeutet Stillstand. [...] Die FDP wird keine Koalition mehr mit Frau Merkel schließen. Das ist klar und beruht sicher auf Gegenseitigkeit. Unser Land darf keine Zeit mehr verlieren. (Christian Lindner, SpiegelOnline)
Die obigen Zitate aus dem Lindner-Interview sind aussagekräftig, weil sie zeigen, dass Lindner den Kurs von 2017 unverändert weiterfährt: die FDP versucht, eine Art AfD-light zu sein und die gleichen Instinkte zu bedienen wie die Rechtspopulisten, nur gemäßigt und in klassich bürgerlicher Politik gezähmt. Auffällig ist etwa die Fixierung auf die Person Angela Merkels, die ja auch die AfD auszeichnet, wobei Lindner statt deren ungezügelten Hasses rein polittaktische Gründe vorbringt. Ebenso parallel läuft die Hauptgegnerschaft zu den Grünen, auf die alles Schlechte projiziert wird und die zu Hauptgegnern hochgejazzt werden, während man für die SPD nur noch Mitleid übrig hat, was auch ein vernichtender Schlag für sich ist. Wenn sich der FDP-Chef Sorgen um den Zustand der SPD macht... Und dann ist da noch das mit den Flüchtlingen, und hier fährt Lindner den AfD-Kurs so hart er kann. Das ist einerseits sicherlich sinnvoll; neben der Merkelkritik kann er so gemäßigte AfD-Sympathisanten im demokratischen Spektrum halten. Auf der anderen Seite zündelt er aber gehörig, wenn er die Grünen dafür verantwortlich macht, dass Sami A. zurück nach Deutschland musste und in den widerwärtigsten BILD-Bildern arbeitet. Das war ein rechtsstaatliches Gerichtsurteil, das auch ein Bundeskanzler Lindner hätte so umsetzen müssen. Für solche Art von widerwärtigem Populismus kann man nur Verachtung übrig haben.

7) Angriff von rechts
Europa wird von rechts bedroht In Österreich ist dieser Zusammenschluss bereits gelungen, dort verbindet die Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ ein bürgerliches Milieu mit rechtsextremen Gruppen. Vieles hängt nun von der politischen Entwicklung in Deutschland ab. Die AfD legt zwar deutlich zu, verfügt aber noch nicht über die Machtoptionen wie ihre Freunde in Italien oder Ungarn. Allerdings zeichnet sich ab, dass in Bundesländern wie Sachsen eine Koalition zwischen CDU und AfD im kommenden Jahr zumindest denkbar erscheint. Sollten sich auch die Machtverhältnisse auf Bundesebene zugunsten des nationalistischen Flügels der Union verschieben, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Veränderungen auch auf europäischer Ebene bemerkbar machen würden. Der Angriff von rechtsaußen kommt dabei für die EU in einer äußerst schwierigen Zeit. In Migrationsfragen ist sie tief gespalten, eine Einigung ist nicht in Sicht. Bei einem ungeordneten Austritt Großbritanniens drohen der Union schwere wirtschaftliche und politische Turbulenzen. Hinzu kommt, dass die Euro- und Schuldenkrise noch längst nicht ausgestanden ist. Und die nächste große Rezession ist schon in Sicht. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Mai steht daher für die EU alles auf dem Spiel. Salvini und seine Verbündeten müssten nicht die absolute Mehrheit erringen, um die angestrebte Neuordnung der EU voranzubringen. Sollten ihre Parteien die stärkste Fraktion im künftigen EUParlament bilden, könnten sie die EU-Gesetzgebung entscheidend beeinflussen. Ihr Ziel ist es nicht mehr, die europäischen Institutionen zu zerschlagen, sondern sie zu transformieren. Wären sie damit erfolgreich, bliebe die EU vielleicht formal erhalten. Es wäre aber ein Europa der illiberalen Demokraten. (Anton Landgraf, Jungle World)
Ich zitiere diesen Artikel hauptsächlich deshalb, weil die europäische Dimension des Rechtspopulismus immer noch generell unterschätzt wird. Diese Bewegungen beziehen sich aufeinander und füttern sich gegenseitig, schaukeln sich hoch und zehren vom Erfolg ihrer jeweiligen Partner. Es ist ein gewisses Paradoxon, dass nationalistische, rechtsgerichtete Bewegungen global organisiert und vernetzt sind, während die internationalistischen linksgerichteten Bewegungen zahnlos und zersplittert sind. Aber solange die Rechtsextremen in der Rolle des Underdog sind, fällt ihnen das Bündnis leicht. Ihre Zusammenarbeit wird sich schnell auflösen, wenn sie erst einmal alle an der Macht sind, und ihre luftigen Reden vom "Europa der Vaterländer" und gegenseitigen Respekt werden sich dann in zahllosen Konflikten und Krisen entladen. Das wird für uns, die wir dann in ihren unterdrückerischen Systemen leben, aber allenfalls ein kleiner Trost sein. Ebenfalls spannend ist der Aspekt des Strategiewandels gegenüber der EU. Wenn die sich wirklich daran machen, die EU quasi zu kapern, sind sie - passend zu Fundstück 3 - tatsächlich einmal mehr wesentlich cleverer als ihre traumtänzerischen linksradikalen Gegenparts. Die Dauerkritik der Rechten, sowohl der demokratischen als auch der radikalen, an der EU ist ja deren ungeheure Machtfülle. Man muss erschaudern wenn man sich vorstellt, was geschieht, wenn diese Machtfülle in die Hände der Rechten gerät. Ein Europäischer Menschengerichtshof, der von Rechsextremisten dominiert ist? Eine Kommission, in der Nazis das Sagen haben? Dagegen ist die Troika ein Witz auf Rädern.

8) White men stockpile guns because they're scared of black people and feel inadequate, science says
“We found that white men who have experienced economic setbacks or worry about their economic futures are the group of owners most attached to their guns,” one of the Baylor sociologists said. “Those with high attachment felt that having a gun made them a better and more respected member of their communities.” And it’s not just white men who are poor and angry at the economy. It’s also those who harbor racial resentments. A British study looked at gun owners using a test to determine racism and found that just a one-point jump in the scale collated to a 50 percent increase in the likelihood of owning a gun. A study by the University of Illinois at Chicago also found that racial resentment among whites fueled opposition to gun control also found that racial resentment drove white people’s opposition to gun control. These men also tend to not be right with Jesus. The sociologists found that religious faith tended to stop the attachment to guns. “The gun is a ubiquitous symbol of power and independence,” the sociologist said. “Guns, therefore, provide a way to regain their masculinity, which they perceive has been eroded by increasing economic impotency.” These guns are a public health hazard . A woman is five times more likely to be killed by her husband when there’s a gun in the home, Scientific American points out, and owning a gun is dangerous for a bitter and insecure man who is at risk of an “economic setback.” “White men aren’t just the Americans most likely to own guns,” it says, “they’re also the people most likely to put them in their own mouths and pull the trigger, especially when they’re in some kind of economic distress.” (Martin Cizmar, Raw Story)
Einmal mehr haben die Phänomen der toxischen Maskulinität und des Rassismus deutlich mehr Erklärungsgehalt, als seine Kritiker immer zuzugestehen bereit sind. Waffen sind eben auch nur identity politics, nur eben für die Rechten (wie so vieles andere auch). Umso schlimmer ist es, dass die Medien - allen voran FOX News - permanent die Furcht vor schwarzen Gewalttätern schüren. Dass in vielen US-Bundesstaaten noch dazu eine völlig perverse Gesetzeslage herrscht, in der "stand your ground laws" es Menschen ermöglichen, straffrei andere zu erschießen, wenn sie sich bedroht FÜHLEN, ist da nur noch der Zuckerüberzug auf dem Kuchen. Gerade diese Verbindung von Waffen mit performter Männlichkeit ist aber ein Grund, warum es so schwer ist, da irgendetwas dagegen zu unternehmen. Siehe dazu auch das folgende Fundstück.

9) Hase, du bleibst hier
Aggressive Männlichkeit im Zaum zu halten: das ist in der patriarchal organisierten Gesellschaft eine klassische Aufgabe von Frauen. Viele solcher Stimmen gibt es unter Neonazis und in der AfD nicht. Nur 16 Prozent ihrer Mitglieder sind weiblich. Doch nicht nur in der Rechten sind Frauen stark unterrepräsentiert – sie sind auch im gesamten Osten in der Minderheit. Von Mecklenburg-Vorpommern bis in den Süden Sachsens herrscht ein eklatanter Männerüberschuss, und das seit fast 30 Jahren. Europaweit ist keine Region so männlich dominiert wie die ländlichen Gebiete im Osten der Republik. Das Phänomen ist nicht neu – und doch erstaunlich unterrepräsentiert in der Debatte über die Gründe für das Erstarken der Rechten. [...] Der Osten ist also männlich – und nicht nur der. Auch die ländlicheren Regionen in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern weisen einem Männerüberschuss auf. In Niederbayern spricht man bereits von „chinesischen Verhältnissen“. Wo sind all die Frauen hin? Die Deutschlandkarte der Geschlechterverteilung zeigt: in die großen Städte. In Hamburg, München, Köln oder Berlin kommen auf 100 Frauen 93 bis 96 Männer. [...] Die Autorin einer Studie der Hochschule Zittau / Görlitz zur Abwanderung von Frauen aus dem Jahr 2016, Julia Gabler, weist zudem auf die Folgen des Frauenmangels für die Zivilgesellschaft hin: In Gegenden mit eklatantem Frauenmangel breche bürgerschaftliches Engagement teils gänzlich zusammen, so Gabler: „In Regionen mit Männerüberschuss hält die soziale Kälte Einzug.“ Die Studien weisen zudem auf einen indirekten Zusammenhang zwischen Männerüberschuss und Kriminalität hin: Sie steigt dort, wo die Erwerbslosenquote der Männer unter 30 Jahren hoch ist – und wo es viele Singlehaushalte gibt. Die Entwicklungen in der Arbeitswelt spielen für weibliche Abwanderung und männliche Krise ebenfalls eine Rolle: Während Berufe, in denen der kräftige männliche Körper eine wichtige Rolle spielt, durch die radikale Deindustrialisierung ganzer Regionen und Digitalisierung wegfallen oder „verweichlichen“, wurden im Dienstleistungsbereich Jobs geschaffen, in denen vor allem Frauen arbeiten – sie finden sich aber vor allem in den Städten. Die Frauen ziehen ab in die Fremde, die Männer bleiben abgewertet in der Provinz sitzen. (Elsa Koester, Freitag)
Der obige Artikel zeigt einmal mehr, warum die beharrliche Weigerung vieler Leute, Gender als Analyse-Kategorie zu verwenden, ein echtes Problem darstellt. Nicht nur ist toxische Maskulinität ein entscheidender Faktor, der das Fundament vieler heutiger Probleme darstellt. Die Verweigerung darüber, überhaupt die Möglichkeit geschlechterbasierter Analysen anzunehmen, schafft blinde Flecken, die dann irgendwelche haarsträubenden anderen Ansätze erfordern - oder aber ein Problem einfach als gottgegeben, natürlich hinnehmen und nicht ändern.

Das brachte selbst Volker Perthes, den altgedienten Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, zu der Feststellung: "Es ist eigentlich erstaunlich, dass Saudi-Arabien plötzlich wegen eines Mordes, egal wer letztendlich dafür verantwortlich war, am Pranger steht und nicht wegen des seit Jahren anhaltenden Jemenkrieges, der mindestens so viel Kritik notwendig hat." Recht hat er. Das ist erstaunlich. Ein harmloseres Beispiel für denselben Mechanismus: Europäische Journalistinnen und Journalisten, darunter auch von ZEIT ONLINE, haben aufgedeckt, wie Superreiche mehrere Staaten Europas um 55,2 Milliarden Euro betrogen haben. 33,8 Milliarden Euro Schaden sind es in Deutschland. Rechnerisch wurden jedem Deutschen damit mehr als 400 Euro geklaut. Tatsächlich schwappt eine Welle der Empörung durch die digitale Öffentlichkeit, wird über asoziale Reiche gestritten – aber nur zum Teil wegen des Cum-Ex-Skandals. Für mehr Erregung sorgt eine Rolex, die die Politikerin Sawsan Chebli am Handgelenk trägt, was aus Sicht einiger für eine Sozialdemokratin obszön und deshalb empörenswert zu sein scheint. Auch das ist erstaunlich, oder? Öffentliche Empörung scheint sich nicht an den größten Anlässen zu entzünden. Sie erscheint oft unverhältnismäßig. Woran liegt das? Es hilft zu verstehen, dass die Empörung der wütende Zwilling des Mitgefühls ist. Das eine ist negative Anteilnahme, das andere positive. Das Mitgefühl für Opfer eines Terroranschlags in Paris ist in Deutschland viel höher als das für Terroropfer in Beirut oder Ankara, ja, oft ist gar das Mitgefühl für die Schicksalsschläge im Leben eines Promis höher als das für Kriegsopfer. Mitgefühl und Empörung sind beides Gefühle, die sich nicht an die Kriterien der Rationalität zu halten scheinen. Aber es gibt doch Kriterien, die darüber entscheiden, wann diese Gefühle wie stark werden, wann die Empörung klein bleibt und wann sie hochkocht. [...] Früher gab es ein wirkmächtiges Raster, das heute wunderbar zum Fall Cum-Ex passen würde. Es heißt: Klassenkampf. Es war unter sozialistisch bis sozialdemokratisch Gesinnten selbstverständlich, Bereicherungen von Reichen auf Kosten der Mehrheit als direkten Angriff zu verstehen, auf die Gerechtigkeit und auf einen selbst. Diese Menschen hätten Cum-Ex sehr persönlich genommen. Aber Klassenkampf ist abgesagt. Klare Fronten sind heute verpönt, weil ja angeblich Komplexität die Ideologie abgelöst hat. Die Fronten wären herstellbar, denn die Regeln der Empörung lassen sich verändern. Ein Beispiel: Früher gab es kaum öffentliche Empörung über sexualisierte Gewalt, heute schon. Wenn genug einflussreiche Akteurinnen und Akteure sich darum bemühen, die Empörung auf ein Ziel zu lenken, das ihrer wert ist, kann das einen Unterschied machen. (Lenz Jacobsen, ZEIT)
Dieser Artikel zeigt in meinen Augen zwei Phänomene. Das eine ist die Notwendigkeit von Empörung. Egal wie sehr sich Konservative auch darüber ärgern mögen (empören gar), sozialer Wandel ist ohne vorhergehende Empörung nicht vorstellbar. Deswegen ist beim Thema Frauenemanzipation, Gleichberechtigung von Transsexuellen und was sonst noch alles verächtlich "identity politics" gescholten wird Empörung notwendig. Andernfalls entsteht kein Veränderungsdruck. Das ist umso ärgerlicher, weil die Konservativen das selbst sehr gut wissen: Sie haben kein Problem damit, sich für ihre eigenen Themen zu empören und Empörung anzufeuern, vom Flüchtlingsthema über Jugendstraftäter bis Hilfen zu Griechenland. Warum also sollten Progressive das nicht auch dürfen? Das ist ein heuchlerischer Doppelstandard. Der andere Aspekt ist der im Artikel angesprochene Mangel an Klassenkampf. Obwohl die Ungleichheit immer wieder zunimmt und in der bundesrepublikanischen Geschichte auf einem Rekordhoch ist, empört sich darüber so gut wie niemand. Die rituelle Beschwörung dieser Fakten durch die SPD oder LINKE jedenfalls lockt keinen Hund hinter dem Ofen hervor, und "Ungleichheit" taugt auch nicht als Feindbild. Wo niemand Schuld ist (anders als Merkel, die das Grundgesetz brechend Horden von Flüchtlingen...ihr wisst schon), kann aber auch keine Empörung stattfinden. Das ist natürlich Demagogie und Populismus, aber anders funktioniert Politik offensichtlich nicht. Die Wahlerfolge von Trump, AfD und Konsorten zeigen das ja allzu deutlich.

11) College sports are affirmative action for rich white students
Put another way, college sports at elite schools are a quiet sort of affirmative action for affluent white kids, and play a big role in keeping these institutions so stubbornly white and affluent. What makes this all the more perplexing, says John Thelin, a historian of higher education at the University of Kentucky, is that “no other nation has the equivalent of American college sports.” It’s a particular quirk of the American higher-education system that ultimately has major ramifications for who gets in—and who doesn’t—to selective colleges. When it comes to college athletics, football and basketball command the most public attention, but in the background is a phalanx of lower-profile sports favored by white kids, which often cost a small fortune for a student participating at a top level. Ivy League sports like sailing, golf, water polo, fencing, and lacrosse aren’t typically staples of urban high schools with big nonwhite populations; they have entrenched reputations as suburban, country-club sports. According to the NCAA, of the 232 Division I sailors last year, none were black. Eighty-five percent of college lacrosse players were white, as well as 90 percent of ice-hockey players. And the cost of playing these sports can be sky high. “There are high economic barriers to entering in this highly specialized sports system,” Hextrum says. “White people are concentrated in areas that are resource rich and have greater access to those economic resources.” Getting good enough at a sport to have a shot at playing collegiately often necessitates coaching, summer camps, traveling for tournaments, and a mountain of equipment. One in five families of an elite high-school athlete spend $1,000 a month on sports—the average family of a lacrosse player spends nearly $8,000 a year. Kids from low-income families participate in youth sports at almost half the rate of affluent families, according to a report from the Aspen Institute. It’s no surprise, then, that per The Harvard Crimson’s annual freshman survey, 46.3 percent of recruited athletes in the class of 2022 hail from families with household incomes of $250,000 or higher, compared with one-third of the class as a whole. (Saahil Desai, The Atlantic)
Es ist ziemlich nachvollziehbar, dass bei college admissions auf Basis der eigenen Segel-Fähigkeiten nicht unbedingt sozial benachteiligte Schichten zum Zuge kommen. Die Überschrift sagt es bereits alles: es ist affirmative action for rich whites. Aber, und das ist für deren Selbstverständnis immer entscheidend, sie können sich einreden dass es in Wahrheit ihre eigenen Fähigkeiten waren, ihre harte Arbeit, die ihnen den Platz gebracht hat - statt die Connections der Familie und das viele Geld, das ihnen die Möglichkeit überhaupt erst gegeben hat. Natürlich stimmt es auch, dass diese Leute sich durchaus durchsetzen - gegen andere reiche Weiße eben, die noch schlechtere Noten bei ebenso gutem Leumund haben. Aber Fakt ist halt auch, dass der Wettbewerb, in dem diese Leute stehen, keiner ist, in dem die besten miteinander konkurrieren würden. Es ist das Paradoxon der Meritokratie: Sobald eine Generation den Aufstieg durch echte Leistung geschafft hat, tritt sie die Leiter weg und sichert dem eigenen Nachwuchs die Stellung ab. Chris Hayes hat das Phänomen in seinem Buch "Twilight of the Elites" von 2012 ausführlich beschrieben, das an dieser Stelle einmal mehr empfohlen werden soll.

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