Mittwoch, 16. Oktober 2019

Ökonomen entwerfen die Vermögenssteuer auf Containerschiffen und schauen Kabarett - Vermischtes 16.10.2019

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) The Tyranny of Economists
Appelbaum shows the strangely high degree of consensus in the field of economics, including a 1979 survey of economists that “found 98 percent opposed rent controls, 97 percent opposed tariffs, 95 percent favored floating exchange rates, and 90 percent opposed minimum wage laws.” And in a moment of impish humor he notes that “Although nature tends toward entropy, they shared a confidence that economies tend toward equilibrium.” Economists shared a creepy lack of doubt about how the world worked. But worse, they were wrong. If you look at the economic theories put forth during the economists’ hour—from Friedman’s monetarism to Arthur Laffer’s supply-side economics—Appelbaum, like many others, finds the theories often demonstrably did not do what they were supposed to do. Monetarism didn’t curb inflation, lax antitrust and low regulation didn’t spur innovation, and low taxes didn’t increase corporate investment. Big economic shocks of the 1970s, like the befuddling “stagflation,” provided reasons to abandon previous, more redistributive economic regimes, but a reader still burns to know: How could economists be so wrong, so often, and so clearly at the expense of the working people in the United States, yet still ultimately triumph so totally? It’s likely because what economists’ ideas did do, quite effectively, was divert wealth from the bottom to the top. This entrenched their power among the winners they helped create. (Robin Kaiser-Schatzlein, The New Republic)
Was ich spannend finde ist, dass viele Leute, die den Konsens der 97% Klimawissenschaftler nicht zu akzeptieren bereit sind, überhaupt kein Problem damit haben, diesen Konsens zu akzeptieren - und umgekehrt. Die zitierte Umfrage ist von 1979; inzwischen ist das Bild bei den Ökonomen deutlich differenzierter, weswegen ein Abweichen von der Orthodoxie nicht so absurd ist wie Klimarelativismus. Aber mir geht es ja durchaus ähnlich, und ich kenne es noch von früher, dass der eine oder andere Ausnahme-Ökonom, der sich gegen den Mainstream stellte, höheres Gewicht bekam als die Masse selbigen Mainstreams - weil er halt meine Meinung bestätigte. Aber das nur als psychologische Randnotiz. Applebaums eigentlicher Punkt ist, dass dieser Ökonomenkonsens in den 1970er- bis 2000er-Jahren ungeheur einflussreich und eine treibende Kraft hinter dem massiven Wandel der Weltwirtschaft dieser Epoche war. Ein ähnlicher Einfluss existiert etwa für die Klimawissenschaftler überhaupt nicht. Ich halte Applebaums Erklärung, warum das so ist, für treffsicher. Der Konsens der Ökonomen gab alle Vorteile an diejenigen, die ohnehin Gewinner waren. Er verschärfte die Ungleichheit massiv und verlagerte die Gewinne aus der Wirtschaft hin zu denen, die den Konsens umsetzten. Der Konsens der Klimawissenschaftler dagegen würde diese Gewinne schmälern, weswegen die Euphorie, ihn umzusetzen, deutlich gedämpft ist.

2) No Trust In Self, No Money For Defense
The source of this distrust in one’s self is the historic experience of a people that once fed all its idealism, ingenuity, grit, and aspiration into what turned out to be history’s most monstrous crime. This collective experience of unparalleled moral failure, undiminished by the passing of time, destroyed the nation’s faith in the very possibility of its own good intentions. No German feels sure that such failure cannot happen again, even when checks are in place and motivations are in fact sound. No one can be certain that Germany will not come out on the wrong side of history again. This ever-present, subconscious fear of failure has created a fundamental difference in mentality between Germans and the citizens of almost all other Western societies. Most Americans, French, Dutch, and British—to name a few—believe by and large that, with all failures accounted for, they are fundamentally on the right side of history. A kind of circular logic underpinned by confidence is at work: Yes we can fail, these countries tell themselves, and we are working very hard to make up for our mistakes; but ultimately we are the good guys. Such confidence is entirely absent from the German collective mindset. Germany’s Western partners, who have observed Germany’s impressive recovery after 1945 and who have learned to appreciate stable German politics and reliable German politicians, often fail to understand this psychological affliction and its ever-present impact on German politics. They can’t believe that a country that has done so well is still carrying on its shoulders such heavy self-doubt. (Jan Techau, The American Interest)
Ich weiß nicht, inwieweit ich Techaus Sicht hier mitgehen möchte. Ja, diese Zuversicht, die er anspricht, ist in der Sicherheitspolitik Deutschlands tatsächlich völlig abwesend. Aber: Sie ist auf allen Ebenen in der Außenpolitik vorhanden. Die Hypermoralisierung der Griechenlandkrise etwa mit dem permanent erhobenen Zeigefinger und der Schuldenhysterie zeigt ziemlich deutlich die Idee, dass man sich selbst als die Guten sieht und glaubt, dass am deutschen Wesen die Welt genesen müsse. Selbstverständlich weist man diesen Vorwurf weit von sich und projiziert ihn stattdessen auf die Progressiven; Moralisieren tun immer die anderen, man selbst ist ja total pragmatisch, rational und vernünftig. Womit Techau allerdings sicher Recht hat ist, dass die Deutschen keine Tradition darin haben, die Bundeswehr als die guten Jungs zu sehen, deren Einsätze positive Effekte haben. Interventionen werden üblicherweise als Pflicht definiert, entweder gegenüber den Bündnispartnern der NATO (wie in Afghanistan) oder anderen EU-Staaten (wie in Mali). Dass "Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt wird" hat sich hierzulande nie durchgesetzt. Und ohne ein positives Narrativ gibt es wenig Gründe, solche Operationen zu unterstützen.

3) Von der ARD zur AfD: Journalisten, die den rechten Rand bevölkern
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es eine Partei, in der Journalisten derart wirkmächtig sind wie derzeit in der AfD. Bereits 2016 stellte „Spiegel Online“ fest: „Kaum eine andere Partei versammelt so viele Ex-Journalisten und frühere Publizisten, oft in führender Position.“ Dazu zählen Nicolaus Fest, der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der „Bild am Sonntag“, der kurz nach seinem Parteieintritt gleich forderte, in Deutschland „alle Moscheen zu schließen“, Günther Lachmann, einst AfD-Experte „>bei der Tageszeitung „Die Welt“, und Michael Klonovsky, der fast ein Vierteljahrhundert lang Redakteur beim Magazin „Focus“ war. Lachmann ist seit 2016 für die „strategische Kommunikation“ der AfD-Fraktion Thüringen zuständig, Klonovsky arbeitet als persönlicher Referent von Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland. Die AfD war gewissermaßen von Anfang an journalistisch geprägt: Das Gründungsteam der „Wahlalternative 2013“, aus der die Partei hervorging, bestand zur Hälfte aus Personen aus dem journalistischen Milieu: Alexander Gauland, der 14 Jahre lang Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ war und von 2005 bis 2012 regelmäßig für den „Tagesspiegel“ schrieb (unter anderem für die Kolumne „Mein Blick“), und Konrad Adam, der unter anderem von 1979 bis 2000 Feuilletonredakteur der FAZ gewesen war. Weder die klassischen Medien noch die AfD selbst heben diesen Einfluss hervor. Erstere tun es nicht, weil sie sich im Zuge einer Selbstreflexion damit beschäftigen müssten, warum die einst lieben Kollegen nun mit dem Teufel paktieren – und Selbstreflexion, historische zumal, zählt nicht zu den Stärken des Journalismus, der ja vielmehr eher zur Selbstvergessenheit neigt. Die AfD wiederum thematisiert ihre Rolle als Journalisten-Partei nicht, weil sie damit ihre Anti-Medien-Rhetorik beschädigen würde – und damit ihr bewusstseinsindustrielles Kerngeschäft. (René Martens, Übermedien)
Wenn man sich bei Rechten auf eins verlassen kann, dann darauf, dass ihre Vorwürfe eigentlich immer Projektion sind. Man denke nur an den ständig referierten (und auch hier im Vermischten, Punkt 9, jüngst angesprochenen) Mythos von den "grünen Medien". Genauso ist es auch hier. Die Partei, die sich beständig darüber beklagt, dass die Journalisten sie nicht beachten und dass sie im Journalismus nicht repräsentiert ist, hat den größten Anteil von Journalisten in ihren Reihen und ist am wirkmächtigsten darin, ihre Agenda in die Schlagzeilen zu bekommen. Und die Medien, die von ihnen permanent verteufelt werden, springen auch noch über jedes Stöckchen. Es ist zum Haare raufen. Noch dazu kommt, dass die AfD durch ihre Wahlerfolge ja bereits jetzt überall die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen mit linientreuen Agitatoren besetzt. Der MDR war schon vor dem Aufstieg der Braunen in Blau eine Bastion rechten Gedankenguts in den Öffentlich-Rechtlichen; der entsprechende geballte Sachverstand in der AfD wird innerhalb kürzester Zeit dafür sorgen, dass die Öffentlich-Rechtlichen nur so in Bothsiderism, Whataboutism und Ähnlichem ersaufen - während die Partei selbst weiterhin behauptet, ignoriert, ausgegrenzt und isoliert zu werden, und ihre eigenen Leute anhält, genau diese Botschaft in den Medien zu verbreiten. Holzauge, sei wachsam.

4) The Rich Really Do Pay Lower Taxes Than You
Almost a decade ago, Warren Buffett made a claim that would become famous. He said that he paid a lower tax rate than his secretary, thanks to the many loopholes and deductions that benefit the wealthy. His claim sparked a debate about the fairness of the tax system. In the end, the expert consensus was that, whatever Buffett’s specific situation, most wealthy Americans did not actually pay a lower tax rate than the middle class. “Is it the norm?” the fact-checking outfit Politifact asked. “No.” Time for an update: It’s the norm now. For the first time on record, the 400 wealthiest Americans last year paid a lower total tax rate — spanning federal, state and local taxes — than any other income group, according to newly released data. [...] “Many people have the view that nothing can be done,” Zucman told me. “Our case is, ‘No, that’s wrong. Look at history.’” As they write in the book: “Societies can choose whatever level of tax progressivity they want.” When the United States has raised tax rates on the wealthy and made rigorous efforts to collect those taxes, it has succeeded in doing so. And it can succeed again. [...] Saez and Zucman portray the history of American taxes as a struggle between people who want to tax the rich and those who want to protect the fortunes of the rich. The story starts in the 17th century, when Northern colonies created more progressive tax systems than Europe had. Massachusetts even enacted a wealth tax, which covered financial holdings, land, ships, jewelry, livestock and more. The Southern colonies, by contrast, were hostile to taxation. Plantation owners worried that taxes could undermine slavery by eroding the wealth of shareholders, as the historian Robin Einhorn has explained, and made sure to keep tax rates low and tax collection ineffective. (The Confederacy’s hostility to taxes ultimately hampered its ability to raise money and fight the Civil War.) (David Leonhardt, New York Times)
Eine Bemerkung gleich voran: Die Verhältnisse in Deutschland sind bei weitem nicht so krass wie in den USA. Aber die Spitze, auf die die GOP die Steuerverhältnisse im Land treibt, ist absurd. Es ist schädlich für die Volkswirtschaft, es ist schädlich für die überwältigende Menge der Einwohner und es hilft nur einer schmalen Minderheit, die auf Kosten der Allgemeinheit immer größere Geldbeträge einsteckt und das ganze System ins Wanken bringt. Der Hoffnungsschimmer ist, dass sich das umdrehen lässt. Bei den Democrats sind zwei von drei führenden Kandidaten für eine deutliche Verschiebung in der Steuerpolitik. Auch in Deutschland gewinnt die Debatte für Vermögenssteuer und Ähnliches langsam an Boden. Es wird noch eine Weile dauern, aber das Pendel schwingt gerade zurück, nachdem über vierzig Jahre lang das Beschenken der Reichsten soweit getrieben wurde, dass man in den USA mittlerweile die völlig verschobenen Maßstäbe der Gilded Age geknackt hat.
Die Älteren waren kaum auf Facebook, da wurde im Jahr 2010 der Begriff „Wutbürger“ zum „Wort des Jahres“ gewählt. 2011 folgte „Shitstorm“ als „Anglizismus des Jahres“. 2013 wurde die AfD gegründet. Man könnte diese Koinzidenz anders als durch das Internet erklären. Dann aber blieben zwei Fragen. Erstens: Wer will bestreiten, dass sich in den zehner Jahren ein großer Teil der politischen Willensbildung in soziale Netzwerke verlagert hat? Zweitens: Wer will leugnen, dass soziale Netzwerke die bedächtige und sachkundige Debatte benachteiligen und den schnellen und schrillen Streit fördern? [...] Soziale Netzwerke werden ihr Angebot so gestalten, dass weder der Algorithmus noch die anderen Nutzer Trolle belohnen. Mit Nacktfotos funktioniert das schon, sie werden auf Facebook mit großem Aufwand blockiert. Die Trolle wiederum, die Provokateure des Internets, werden ihre Wirkung verlieren. Man wird sich an sie gewöhnen, wie an den Verrückten in der Fußgängerzone, der ein Schild mit der Ankündigung des Weltuntergangs hochhält. Auf der Straße beachtet ihn niemand. Im Internet hingegen bilden sich Trauben um solche Leute: Die Verrückten sind dort die Debattenführer, weil ihre Inhalte spektakulär sind. So wie der Irre sich im Gemeindesaal blamiert, wenn er Irres von sich gibt, so wird sich in einer unbestimmbaren Zukunft auch der Troll blamiert sehen, wenn er das im Internet tut. Die Sonderstellung des Netzes wird sich nicht halten. Es wird eine Gewöhnung geben. Gefährlich sind immer nur die Umbruchzeiten wie die zehner Jahre – auch die zwanziger Jahre werden es vorerst bleiben. (Justus Bender, FAZ)
Ich will nicht leugnen, dass soziale Netzwerke nicht förderlich für eine sachkundige und bedächtige Debatte sind, aber fast nichts ist förderlich für eine sachkundige und bedächtige Debatte, schlichtweg weil die meisten Leute keine bedächtige und sachkundige Debatte führen wollen. Hinter dieser Kritik steht die kulturpessimistische Idee, dass vor der Einführung der sozialen Netzwerke mehr sachkundige und bedächtige Debatten geführt wurden, und das ist halt ein Wunschglaube. Das heißt nicht, dass die angesprochenen Kritikpunkte an den Sozialen Medien falsch wären, weit gefehlt. Ich warne nur vor einer Verklärung der Vergangenheit. Ich will aber auch noch auf den zweiten Punkt Benders hinweisen: die Wirkung der Blockade. Ich gehe ebenfalls davon aus, dass wir mit technischen Mitteln in der Lage - und willens! - sein werden, den Schmutz wieder aus der öffentlichen Debatte hinauszudrängen. Das ist grundsätzlich bereits jetzt möglich. Ich hatte erst kürzlich auf das Phänomen Milo hingewiesen (siehe Fundstück 11 hier); hier war De-Plattforming mehr als effizient darin, diesen Dreck loszuwerden. Davon muss es viel mehr geben.

6) Republican Trump defenders beware: Democrats paid long-term price for sticking with Bill Clinton
Democrats lost the presidential election in 2000, in part because George W. Bush was able to run on restoring dignity to the White House. But there was also the broader impact on the culture that came from Clinton's debasing of the office of the presidency and pretending that what he did was no big deal. With their defenses, Democrats for decades undermined efforts to take seriously predatory behavior by men. Clinton, as the sitting president, exploited a power imbalance to obtain sexual favors from a 22-year-old White House intern. When the story emerged, his political henchmen ran a campaign to shame Lewinsky as a stalker and a slut, subjecting a young woman to nationwide mockery. This doesn’t even take into account the multiple other accusers of rape and sexual assault who were humiliated for coming forward and dismissed as trailer trash. If the most powerful man in the world, and the party that prides itself on being defenders of women, embraces such tactics, it’s no surprise that we didn’t see anything like the #MeToo movement emerge until 2017. Liberal Matt Yglesias, for this reason, acknowledged that in hindsight, Clinton should have resigned over the Lewinsky scandal. As he notes, Al Gore would have become president, so there would have been no changes in policy. But another factor to consider is how big a role Clinton’s lack of accountability played in paving the way for Trump, in both the primary and general election. During the primaries, many journalists tried to point out the contradiction of Republican voters who once talked about the importance of character and family values suddenly rallying around a thrice-married serial adulterer with a history of crude remarks. Whenever I spoke to Republican primary voters on this, the answer inevitably came back to Clinton. Essentially, the view was the horse went out of the barn during the Clinton era and was never coming back. Clinton degraded the White House and took advantage of women, and liberals rallied around him. So, why should rules of decency only be enforced for Republicans? If you don’t typically hang around a lot of Republican voters, I cannot emphasize strongly enough how much the Clinton experience fundamentally changed their approach to politics, particularly when it comes to character issues. (Philip Klein, Washington Examiner)
  Ich gehe problemlos mit der Aussage mit, dass rückblickend ein Clinton-Rücktritt die bessere Alternative gewesen wäre. Die geschlossene Front der Democrats gegen Monica Lewinsky sieht im Zeichen von #MetToo deutlich schlechter aus als damals. Zwar mag es politisch damals eine tief hängende Frucht gewesen zu sein, gegen den dreifach geschiedenen Serienfremdgeher und professionellen Unsympathen Newt Gingrich diese Front zu wahren; aber Klein hat sicherlich Recht damit, dass die Sache(tm) damit um 20 Jahre zurückgeworfen wurde. Diese Einsicht ist übrigens nicht neu; diverse progressivere Kreise im Sympathisantenumfeld der Partei waren schon damals mehr als irritiert über Hillary Clintons Entscheidung, ihrem Mann die Treue zu halten (nicht, dass die Partei der christlichen Werte, von Ehe und Familie das je gouttiert hätte). Als Kuriosium möchte ich auf die Serie "Political Animals" aufmerksam machen, die 2012 kurz lief und in der Sigourney Weaver die Außenministerin und geschiedene Frau eines fremdgehenden Ex-Präsidenten, der die Partei die Nominierung für die Präsidentschaft versagt und die es dann allen zeigt. Die Macher meinten etwas verschämt, es gebe "einige Parallelen" zu Hillary Clinton. :D :D :D

7) Von der Angst diktiert
Im Grunde ein ungeheuerlicher Vorgang: Diese müde, ausgepowerte, ängstliche Regierung erklärt sich klimapolitisch zum Maß des Möglichen. Um die ganze Anmaßung, die darin steckt, zu ermessen, muss man sich die Vorgeschichte des Klimapakets noch einmal vor Augen führen: Die Groko unterschreibt in Paris ein Klimaabkommen, das hierzulande tiefgreifende Veränderungen nach sich ziehen müsste. Und schweigt dann dazu, macht es auch nicht zum Thema des Wahlkampfs von 2017. Im Gegenteil: Es war die Union, die noch im vergangenen Winter gegen alle ihr unterkommenden ökologischen Vorschläge anschrie. Und es war die SPD, die noch bis in den Frühsommer hinein glaubte, den Kontakt zum Arbeiter durch möglichst drastische verbale Ausfälle gegen grüne Forderungen wiederherstellen zu können, Andrea Nahles tat das auf der Vorderbühne, Sigmar Gabriel auf vielen Hinterbühnen. [...] Ebenfalls prägend für das Selbstverständnis der Bundesrepublik ist, dass Veränderungen eben nur Schritt für Schritt, also graduell möglich sind. Dies setzt allerdings voraus, dass graduelle Politik keine nicht graduellen Konsequenzen haben kann. Das ist beim Klima eben gerade nicht der Fall. Was heute nicht an Kohlendioxid reduziert wird, muss morgen doppelt eingespart werden. Die Konsequenzen von zu kleinen Schritten sind kumulativer, wenn es schlecht kommt sogar exponentieller Natur. Das gilt erst recht, wenn die Klimakrise eskaliert, denn dann verengt sich der Horizont der Handlungsoptionen drastisch. (Bernd Ulrich, ZEIT)
Der Rückgriff auf 2016 und das Pariser Klimaabkommen ist ein wichtiger Baustein der Debatte, der in den letzten ein oder zwei Wochen vermehrt in Leitartikeln zu lesen war, vor allem wenn es um die Kritik am "Klimapaket" der Großen Koalition ging. Tatsächlich ist es beachtlich, wie es die hauptberuflichen Bedenkenträger vom FAZ Feuilleton zu Christian Lindner zum bescheidenen (Achtung, Ironie) Blogkollegen hier geschafft haben, den Versuch der Erfüllung eines völkerrechtlichen Vertrags, den wir vor drei Jahren unterschrieben haben und der damals schon als unzureichend galt, als umweltpolitischen Extremismus darzustellen. Gerade die angesprochene strategische Fehlleistung, sich auf die Grünen einschießen zu wollen (als ob die SPD da der relevante Botschafter wäre, wer das will schaut auf FDP oder AfD), ist absurd. Die Forderungen der Grünen sind lächerlich unzureichend. Die Grünen forderten etwa eine CO2-Steuer mit einem Preis von gerade einmal 40 Euro pro Tonne. Das ist ein Scherz. Die Grünen sind, was ihre umweltpolitischen Forderungen angeht, völlig handzahm. Sie als radikal wahrzunehmen sagt mehr über die Wahrnehmenden aus als über die Partei.

8) Deutschland 2025
Es ist eine unserer größten Schwächen zu glauben, dass eine totalitäre Partei 100 Prozent aller Stimmen bräuchte. Es genügen 33,1 Prozent (so viele waren es für die NSDAP im November 1932, bei den letzten Reichstagswahlen, bevor Hitler Kanzler wurde). Deshalb ist es heute auch schon sehr spät. Und 2025? Nach zähen Regierungsverhandlungen zwischen CDU, Linken und SPD reißt der Geduldsfaden derer, die sich für klüger halten, also von Jens Spahn, Paul Ziemiak und Carsten Linnemann. Die Anführer des adretten Sneaker-Konservatismus sehen sich und ihre Stunde gekommen. Die vielen Heldenporträts von Stefan Aust gingen nicht spurlos an ihnen vorüber. Spahn und Ziemiak treffen sich im Geheimen mit Andreas Kalbitz, dem frischgebackenen Gauland-Nachfolger. Sie wollen verhandeln. Sie wollen der Geschichte ein Schnippchen schlagen. Sie wollen die AfD von innen spalten. Deshalb verhandeln sie nicht mit dem Anführer der Herzen, Björn Höcke, sondern mit ihrem formalen Vorsitzenden, Kalbitz. Aber sind sie wirklich so bescheuert, Kalbitz zu fragen, ob er als Bundeskanzler von ihnen – den politisch Ungeduldigen, denen die konservativen Kommentatoren jahrelang eingebläut haben, sie besäßen „Charisma“ – gehörig gegen die Wand gedrückt werden möchte, bis er quietscht? Vielleicht ist die neue CDU-Führung mit weniger Dünnhäutigen gesegnet. (Philipp Ruch, taz)
Es ist zigfach durch die Geschichte bestätigt: Wo in einem Land Rechtsradikale an die Macht kommen, tun sie das immer mit konservativen Steigbügelhaltern. Die Rechtsextremen sind solange keine Gefahr, solange sie keine Verbündeten bei den Konservativen finden. Dieser Damm hält in Deutschland derzeit, wie auch in Frankreich, noch verlässlich. Anders sieht das in den USA und zunehmend Großbritannien aus; entsprechend sind die Ergebnisse. Die absolute Höhe der AfD-Wahlergebnisse spielt deswegen eine untergeordnete Rolle. Solange sie nicht 51% der Stimmen auf sich vereinen - und das ist mehr als unwahrscheinlich - bleiben sie von der Macht ausgeschlossen, solange die CDU firm bleibt. Dieses Tabu darf keinesfalls gebrochen werden, weder in Ländern noch Bund, zumindest nicht, solange wir es nicht mit Landesverbänden zu tun haben, die eindeutig verträglich sind (quasi die AfD-Variante der Thüringer LINKEn).

9) Will a wealth tax be crippled by avoidance schemes?
The underlying challenge is that dealing with tax evasion boils down to political will, influence, and discipline. Over time, either your lawmakers allow lobbyists to blow loopholes in the tax code, or they don't; either they continue giving tax authorities the resources and funding they need to crack down on avoidance, or they don't; and so on. Critics of wealth taxes such as Summers are essentially invoking a skepticism that the necessary political will can ever be mustered, while champions of wealth taxes like Warren and Sanders think these proposals can be used to muster the political will where it once was lacking. Finally, to go one more layer down, mustering the political will to impose a wealth tax inherently involves combating the political leverage and influence that mass concentrations of wealth represent. The more a wealth tax is successful, presumably, the more political force can be mustered to preserve and protect it. This gets to one other complication: Is revenue really the best measure of whether a wealth tax is working? [..] Essentially, a wealth tax wouldn't really be about financing government spending or holding down inflation. It'd be about changing the structure of the economy, and ownership in particular: Are companies owned by a small number of rich shareholders, or a bigger number of rich shareholders? Do politicians need to get donations from a small number of rich people, or a larger number of less rich people? Who gets to control decision-making in the economy, and how much power do they wield? (Jeff Spross, The Week)
Der Gedanke Spross', dass die Wirksamkeit einer Vermögenssteuer vor allem von dem politischen Willen abhängt, sie ständig neu anzupassen und für ihre Wirksamkeit politisches Kapital in die Waagschale zu werfen, ist relevant. Es ist auch nichts, das grundsätzlich einzigartig für eine Vermögenssteuer wäre. Vielmehr gilt es für jedes politische Regulierungswerk: Erlahmt der politische Wille, es funktionsfähig zu erhalten, wird es disfunktional und schließlich effektiv toter Paragraphenabraum. Einzigartig für die Vermögenssteuer ist der gewaltige Widerstand, den die Betroffenen aufzubringen bereit sind. Glühbirnen zu verbieten und durch auch noch objektiv bessere LEDs zu ersetzen ist eine Sache; niemand engagiert eine Rotte Anwälte, um sein Recht auf ein ineffizientes Leuchtmittel durchzusetzen. Doch eine Vermögenssteuer betrifft ausschließlich diejenigen, die traditionell über die Mittel verfügen, ihnen nicht genehme Maßnahmen zu blockieren. Darin ist sie wenn nicht einzigartig, so doch zumindest in erlauchter Gesellschaft. Und gibt gleichzeitig einen zentralen Grund dafür, dass wir sie brauchen.

10) Warum Dieter Nuhr manchmal witzig, aber nie komisch ist
Einer der Gründe dafür ist die historische Rolle dieser Genres. Kabarett im speziellen ist eigentlich gerne eine Anklage gesellschaftlicher Missstände, ein manchmal mehr, manchmal weniger subtiler Hieb auf die „Mächtigen“ eben dieser Gesellschaft. (Gutes) Kabarett gibt die Mächtigen gezielt der Lächerlichkeit Preis, ist nicht einfach nur Pointe, sondern effektiv eine kurze Umkehrung der Verhältnisse. Eine Atempause, bevor es wieder in die kalte Realität zurückgeht. Wenn der Mächtige schon das letzte Wort hat, so hat das Publikum wenigstens den letzten Lacher. Bürgerliches Kabarett ist vor diesem Hintergrund ein Kuriosum: Hier gibt der Mächtige den Unterlegen der Lächerlichkeit Preis. So wie der „Pleite-Grieche“ sich Dieter Nuhrs Hohn anhören durfte (Na Freunde, wer lacht denn nicht gerne über steigende Selbstmordraten und Jugendarbeitslosigkeit?), muss jetzt Greta Thunberg für ihre finsteren Absichten vor dem Gericht der Bürgerlichkeit bezahlen: Du willst das Klima retten, kleine Göre? Dann frier‘ dir erstmal im Winter einen ab. Haha! [...] Das moderne Martyrium des Wutbürgers ist geboren, eine immer noch dominierende Gesellschaftsschicht hat es sich schmollend in der Opferrolle bequem gemacht. Nicht mehr König sein macht keinen Spaß, und bestimmt musste noch niemand in der Geschichte Deutschlands eine so bittere Ungerechtigkeit ertragen, wie die Streichung des „Zigeunerschnitzels“ von der Speisekarte. [...] Sein Erfolg ist die Rache des alten Deutschlands. Rote Köpfe klopfen sich auf die Schenkel – „So isses! Endlich sagt’s mal einer!“. Die Früchte hängen niedrig: Ein nicht bestehendes Tabu erst zu inszenieren, um es dann zu brechen: Das ist kein Widerstand gegen den „Gutmenschen-Gesinnungsterror“. Das ist einfach nur um eine bequeme, gefahrlose Fortsetzung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Daran ist nichts mutig, daran ist nichts originell, daran ist eigentlich auch nichts Kabarett. (Volksverpetzer)
Ich habe mich immer wieder gefragt, warum die überwältigende Mehrheit von Comedians, vor allem aber Kabarettisten, in irgendeiner Art und Weise links oder progressiv ist. Die Erklärung oben macht eine Menge Sinn. Zur Bürgerlichkeit gehört die privilegierte Position innerhalb der Gesellschaft und gerade die Akzeptanz des Status Quo. Ziel des Spotts kann daher immer nur dasjenige sein, was den Status Quo gefährdet. Diese Art des nach-unten-tretens aber ist tatsächlich zwar gelegentlich witzig, aber nie komisch (was übrigens nicht heißt, dass das linke Kabarett ständig witzig oder komisch wäre, ich habe etwa "Neues aus der Anstalt" schon vor Ewigkeiten zu schauen aufgehört). Ein gutes Beispiel dafür ist Donald Trump. Ob man ihm abnimmt, dass er "nur einen Witz macht", wenn er wieder einmal androht, Journalisten umzubringen, ist erst einmal zweitrangig (ich glaube es ihm nicht). Der Punkt ist, dass der Präsident der Vereinigten Staaten, die mächtigste Einzelperson dieser Erde, keinen Witz darüber machen kann und darf, jene zu ermorden, die ihn kritisieren. Selbst wenn Trump der größte Entertainer aller Zeiten wäre (was er nicht ist), könnte das nicht funktionieren. Er ist auch selbst zu sehr Teil seiner Klasse, um diese vom Präsidentenamt her zu kritisieren, wie es Obama möglich war, und natürlich ist er viel zu egozentrisch und charakterschwach, um Witze über sich selbst zu machen (wie es alle Präsidenten vor ihm, gleich welcher Partei, konnten).

11) Thousands of ships fitted with ‘cheat devices’ to divert poisonous pollution into sea
Global shipping companies have spent billions rigging vessels with “cheat devices” that circumvent new environmental legislation by dumping pollution into the sea instead of the air, The Independent can reveal. More than $12bn (£9.7bn) has been spent on the devices, known as open-loop scrubbers, which extract sulphur from the exhaust fumes of ships that run on heavy fuel oil. This means the vessels meet standards demanded by the International Maritime Organisation (IMO) that kick in on 1 January. However, the sulphur emitted by the ships is simply re-routed from the exhaust and expelled into the water around the ships, which not only greatly increases the volume of pollutants being pumped into the sea, but also increases carbon dioxide emissions. [...] A total of 3,756 ships, both in operation and under order, have already had scrubbers installed according to DNV GL, the world’s largest ship classification company. Only 23 of these vessels have had closed-loop scrubbers installed, a version of the device that does not discharge into the sea and stores the extracted sulphur in tanks before discharging it at a safe disposal facility in a port. [...] For every ton of fuel burned, ships using open-loop scrubbers emit approximately 45 tons of warm, acidic, contaminated washwater containing carcinogens including polycyclic aromatic hydrocarbons (PAHs) and heavy metals, according to the International Council on Clean Transportation (ICCT), a non-profit organisation that provides scientific analysis to environmental regulators. (Wil Crisp, The Independent)
Falls noch jemand ein Argument dafür gebraucht hat, dass es strenge und mit rigorosen Strafen durchgesetzte Regulierung gegen Umweltverschmutzung braucht, kriegt hier eines. Wie in Fundstück 9 auch angesprochen ist das Vorhandensein von Regulierung per se erst einmal wertlos. Die Frage ist, ob der politische Wille besteht, sie durchzusetzen. Wenn bei so wenig Schiffen die richtigen Systeme vorhanden sind und so offen für den Profit die Umwelt zerstört wird, verlangt das nach einer entschlossenen Antwort. Dass diese nicht kommt spricht stark gegen die Regierungen.

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