Mittwoch, 23. September 2020

Die FDP führt zusammen mit der chinesischen Polizei Krieg gegen Putins Forschungshaushalt - Vermischtes 23.09.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) China must be militarily and morally ready for a potential war
Of course, after all, wars cannot be fought casually, and we must win if we are to fight. Such winning has two meanings: First, it means defeating the opponent on the battlefield; second, it must be morally justified. This is particularly true for China, because China is not the strongest power in the world. The US is suppressing China. If we win on the battlefield at the expense of our international morality, we might mistakenly help the US build an anti-China alliance that challenges our strategic position even more. We are confident to win on the battlefield if conflicts are fought with neighboring forces that have territorial disputes with China. Similarly, if there is a war with the US near China's coastal waters, we also have a good chance of victory. The key is really morality. China is a rising power that has been ideologically rejected by the US and the West. The countries that have territorial disputes with China also sympathize with each other. If China does decide to go to war with a neighboring force, the international community will tend to favor the weaker side. Whether or not our moves are justified, the moral risks are high.  Besides, the US will fully turn its public opinion machine against China. Therefore, we should not underestimate the complexity of a war. Before engaging in war with a neighboring force, China needs to do the following: First, we must make it clear that the other side, not China, is the one that breaks the status quo. Second, we need to make it clear that the other side is the provocateur in a complex situation. Third, we must make the international community see that China has worked hard via diplomatic or political means to resolve tensions before the war. Fourth, the first shot is fired by the other side, not China. The international community should be fully aware of this. Fifth, only in extreme situations, if we need to fire the first shot, we must deliver an ultimatum in advance so that a just war can be started in an upright manner. If we can satisfy these conditions, I believe China can be free to engage in a war if it has to. This means that even if the US then tries to smear China, the international community will understand: China is not a country that bullies the small, but instead it has no option but to go to war. (Hu Xijin, Global Times)
Die krasse Offenheit dieses Artikels ist erstaunlich. Natürlich ist nichts, was darin steht, sonderlich überraschend - China ist militärisch schwächer als die USA, China sieht das Militär als Mittel der Außenpolitik, China ist grundsätzlich expansionistisch in Südostasien unterwegs - aber die Strategie dahinter ist es sehr wohl. Die chinesische Führung ist sich sehr wohl bewusst, dass sie in einem Konflikt die Weltmeinung auf ihrer Seite brauchen, um nicht isoliert zu werden, denn ein militärischer Konflikt mit den USA endet sehr wahrscheinlich in einem faktischen Unentschieden. Der massive Ausbau der Propaganda, das Pflegen von Beziehungen überall in der Welt - es ist leicht vorstellbar, dass die Generalversammlung der UNO in einem solchen Konflikt überwältigend für China Partei bezieht. Auffällig ist auch der Unterschied zu der Art, wie Russland seine Außenpolitik betreibt. Wo China klar darauf bedacht ist, nicht wie der Aggressor auszusehen und die Weltmeinung auf seiner Seite zu haben - quasi speak softly but carry a big stick - ist Russland ungeheuer aggressiv, zelebriert seine Brüche von Normen, Völker- und Menschenrecht geradezu und flirtet mit seinem Image als Bad Boy. Das liegt neben der Mentalität Putins auch daran, dass Russland wesentlich schwächer ist als China; die vorgetäuschte Stärke, das martialische Auftreten, hat das Land noch aus Sowjetzeiten verinnerlicht. Obervolta mit Atomraketen, das wusste schon Adenauer. Ungefährlicher macht es das Land trotzdem nicht.
  

Die AfD jedenfalls unterstütze den Antrag der Liberalen zur Privatisierungsbeschleunigung. Der AfD-Abgeordnete Enrico Komning sagte am Rednerpult: "Auch wenn es nicht oft vorkommt, ich will heute mal der FDP-Fraktion beispringen." Korte wiederum hat schon seit geraumer Zeit das Gefühl: Das kommt häufiger vor, als vermutlich viele AfD-Wähler ahnen. Es war dann natürlich schon sehr praktisch, dass Jan Korte gerade eine druckfrische Studie hereinbekommen hat, die genau diesen Eindruck bestätigt: Das Abstimmungsverhalten der "Alternative für Deutschland" im Bundestag ist gar nicht so alternativ wie der Name verspricht. Sie inszeniert sich dort zwar als das einzige verfügbare Gegenmodell zu einem angeblichen "Altparteienkartell", aber das hält die AfD-Fraktion nicht davon ab, den Initiativen dieser sogenannten Altparteien erstaunlich häufig zuzustimmen. Die Studie wurde im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellt, die der Linken nahesteht. Die Autoren sind also sicherlich nicht ganz unparteiisch. Ihre Methode ist aber unbestechlich. Sie haben schlichtweg ausgezählt, wie die AfD im Untersuchungszeitraum von Mai 2018 bis Juni 2019 im Parlament votierte. Untersucht wurden 160 Abstimmungen aus den Politikfeldern Arbeit und Soziales, Wirtschaft und Energie, Inneres und Heimat sowie Familie. Die Bundesregierung brachte aus diesen Bereichen im genannten Zeitraum 43 Drucksachen ein - 16 Mal davon sagte die AfD: Ja. Weitere sechs Mal enthielt sie sich. Von 23 Initiativen der FDP lehnten die Rechtspopulisten lediglich zwölf ab. Bei Anträgen der beiden anderen Oppositionsparteien, Grüne und Linke, waren die Zustimmungsraten der AfD deutlich niedriger. (Boris Herrmann, SZ)

Ich will das FDP-nahe Abstimmungsverhalten der AfD hier nicht zum Anlass für eine billige Gleichsetzung der beiden Parteien nehmen; die AfD ist offensichtlich eine rechtsextremistische, verfassungsfeindliche Partei und die FDP sehr entschieden nicht. Ich denke, die Überlappungen im Abstimmungsverhalten kommen viel mehr von einer ähnlichen Strategie und politischen Grundhaltung: Beide Parteien versuchen, als einzige im Bundestag vertretene Parteien, die durch die Volksparteien (zu denen ich die Grünen jetzt einfach mal dazuzähle) nicht mehr zu bindenden Unzufriedenen zu gewinnen. Es ist der Versuch, sich selbst als Vertreterin der Unvertretenen hinzustellen. Die FDP fährt diese Strategie mindestens seit der Bundestagswahl 2017, und es ist ein schwieriger Balanceakt, der mal mehr, mal weniger gut gelingen will. Aber: Während Abstimmungen für die Umverteilung von Steuergeldern von unten nach oben quasi der Markenkern der FDP sind, sind sie für die AfD tatsächlich auf den ersten Blick ungewöhnlich. Natürlich nur auf den ersten; sämtliche rechtspopulistischen Bewegungen sind bis ins Mark korrupt, von den Republicans zu Fidesz zu Tories zu Likud. Eine Politik für die 1% und das Säen von Hass gehen für diese Parteien immer Hand in Hand. Es wäre aber vielleicht tatsächlich eine ordentliche Angriffsfläche, wenngleich es dann schwierig sein wird, zur FDP zu differenzieren. Ein ziemlich vertracktes Problem der Politikkommunikation, so viel ist sicher.

3) Honoring The Dishonorable, Part 2: The Dishonorable Living
The House vote to impeach Trump wasn’t followed by conviction and removal; the House has shown little appetite to impeach Barr. Even formal consequences for ignoring Congressional subpoenas or for illegally withholding Trump’s tax returns from the House Ways and Means committee seem unlikely; so does an official accounting for human rights abuses at the southern border, or against protestors. The careers of inspectors general, and other career public servants who sought to expose wrongdoing, have been ended; the wrongdoing itself persists with impunity.  Once Trump is freed, one way or another, from caring about reelection in November, he’ll likely pardon his friends, allies, and family members. Jeff Sessions has seen his public career ruined, and Michael Cohen will carry his criminal record, but these are consequences of their having once displeased Trump, not of their having done his bidding in so many other cases. If convicted, Steve Bannon may find himself in the same position: facing consequences not for what he did in service to the Trump administration but for having left it on bad terms. Social sanctions are an important fallback when official impunity has been granted. Those who abuse their power over others, and those who help them do so, ought to face some consequences—if only to give pause to those tempted to do likewise. Unfortunately, lasting and significant disrepute seems improbable for Trump administration officials. This is mostly for the Smithian reasons that drive us to burnish the reputations of the famous and powerful—the same reasons that make it hard to really remember Lord Acton’s lesson that great men are almost always bad men. (Jacob Levy, Niskanen Center)
Ich halte die Grundthese für absolut korrekt. Nicht nur ist es unmöglich, die Täter politisch oder juristisch an die Kandare zu nehmen; es ist auch gar nicht wünschenswert. Die Idee, politische Akteure nach ihrer Amtszeit oder sogar währenddessen für ihre politischen Entscheidungen rechtlich zu belangen ist zwar reizvoll - und wäre, etwa im Fall der Bush-Administration, sogar nicht eben ohne sachliche Grundlage - ist aber für das Fortbestehen der Demokratie toxisch. Nichts destabilisiert ein politisches System so wie die Verlagerung des politischen Kampfes auf die Vernichtung von Personen im Gerichtssaal. Deswegen bleibt als einzige Ausnahme die gesellschaftliche Ächtung, wie sie hier im Artikel ja auch ausführlich besprochen wird. Es gibt keinen Grund, Sean Spicer, Kellyanne Conway und wie sie alle heißen Gelegenheit zu geben, Bestseller zu schreiben, gut bezahlte Kommentatorenposten einzunehmen oder Ähnliches. Auch die Rehabilitierung der Täter aus der Bush-Ära, die sich im Windschatten der Trump-Monstrositäten vollzieht, ist daher ein Fehler. Es müssen gesellschaftliche Hürden zur Kollaboration mit diesen Elementen bestehen, ansonsten kann die Demokratie auf Dauer nicht überleben. 

4) The Electoral College Is Also a Climate Problem
But the Electoral College also undermines the fight against climate change. If every additional vote in California, Oregon, and Washington—which between them boast roughly 50 million people—mattered as much as every additional vote in a swing state, Biden might have spent the past few weeks touring the West Coast and explaining how his plans can save its residents from a climate apocalypse that threatens to make their home unlivable. But the Electoral College rules that out. Biden has no incentive to run up his margin in three reliably blue states. Instead, he’s singularly focused on purple ones in the Midwest. So far this month, he’s visited MichiganWisconsin, and Pennsylvania, and he’s headed to Minnesota next week. Conventional wisdom holds that in a Midwest built on fossil fuels and heavy industry, focusing on climate change is politically risky. In January, The New York Times described“fracking”—an environmentally damaging process that extracts natural gas from shale—as the swing issue that could win Pennsylvania. And since clinching the Democratic nomination, Biden has been furiously refuting Republican claimsthat he wants to ban fracking. [...] Biden’s caution might or might not help him get elected. But it will make it harder for him to take dramatic action on climate if he does, because he won’t be able to credibly claim a popular mandate. Republicans will insist that Biden’s victory reflects not an embrace of progressive policies by the electorate but merely a sourness over the bad economy, the pandemic, and Trump’s divisive brand of politics. And, on climate, Biden won’t have a strong retort, because he hasn’t emphasized the issue on the stump. Because Barack Obama campaigned relentlessly on health care in 2008, he found it easier to persevere when the Affordable Care Act met congressional opposition in 2009. Biden is not laying the groundwork for the same kind of fortitude on climate change. (Peter Beinart, The Atlantic)
Ich habe bereits in meinem Artikel zum Tode Ruth Bader Ginsburgs anklingen lassen, dass das Electoral College absurde Verzerrungen der eigentlichen Gewichtung des amerikanischen Volkes mit sich bringt. Das oben aufgestellte Narrativ Beinarts ist ein in meinen Augen effektives politisches Mittel, um die Abschaffung oder Reform des Electoral Colleges zu begründen. Es kann einfach nicht sein, dass der Großteil des Landes - in beide Richtungen! - für die Politik völlig irrelevant ist. Die Democrats können machen was sie wollen und werden Kalifornien gewinnen, und die Republicans werden keine Wahl in Tennessee verlieren. Das ist auf Dauer nicht gesund für die Nation als Ganzes. Ein Wechsel zum popular vote würde wesentlich mehr Regionen wahlkampfrelevant machen, als dies im heutigen System der Battleground States der Fall ist.

5) Please, Democrats: Kill the Filibuster
The persistence of the filibuster is one of the deeper political mysteries of the age. As a legislative tool, it has a profoundly dishonorable history. [...] The filibuster’s true pedigree is as an instrument of white supremacy. It was used throughout the first half of the 20th century by Southern senators to block federal anti-lynching legislation, and, later, to delay passage of the 1957 and 1964 Civil Rights Acts. [...] The theory of the filibuster is that it comes in very handy when your party is in the minority. But Senate Democrats have used it remarkably little while they’ve been in the minority during the Trump administration. [...] McConnell can’t get any bill passed that might be filibustered, but you don’t hear him complain much about that because he doesn’t especially want to pass any legislation at all. The stuff McConnell absolutely needs to get through the Senate typically can’t be filibustered anyway. Very possibly he’s glad that some of the crazier stuff Trump might want to legislate is rendered impossible by the filibuster. But mostly he’s an anti-government Republican who wants to cut taxes and bollix regulation. And you don’t need a 60-vote supermajority to do that. (Timothy Noah, Washington Monthly)
Das Problem ist, dass für die demokratischen (großes D) Senatoren die Priorität auf der Wahrung des Senats als Institution liegt. Dies ist besonders bei Joe Biden und Chuck Schumer auffällig, die im Gegensatz zu Mitch McConnell, dem solche Anwandlungen von Traditionsliebe völlig fremd sind, den Senat als deliberative, gesetzte zweite Kammer wahren wollen. Nur, dieser Senat hat so einerseits nie existiert - der mythische Zustand, den Biden und Schumer so lieben, fußte auf einem segregationistischen Grundkonsens - und wäre andererseits in der heutigen polarisierten Parteienlandschaft ohnehin nicht mehr gangbar. Es ist eine der vielen Asymmetrien, in denen die Republicans die Vorteile der Normenbrüche haben während die Democrats alte Normen aufrecht erhalten, die ihnen nur noch schaden. Der zweite Aspekt, der hier im Artikel auch genannt wird, betrifft den Filibuster - eine jener erfundenen Traditionen des Senats, die eine wesentlich dunklere Ursprungsgeschichte hatten und die nur den Rechtsextremisten halfen, die Segregation aufrecht zu erhalten. Es ist tatsächlich Zeit, das Ding endlich abzuschaffen. Die Idee, dass man für jedes Gesetzesvorhaben eine Super-Mehrheit benötigen sollte, ist absurd. Regieren ist ohnehin nur mit der trifecta möglich, die kaum zu erringen ist; dazu kommt die starke Stellung des Supreme Courts. Weg mit dem Ding. 

6) Wo kommen eigentlich die ganzen Putin-Fans her?
Putin ist in den Köpfen dieses Fantypus ein Antidot gegen die "Verweichlichung des Westens". Darunter verstehen sie Feminismus, die Rechte von Minderheiten sowie die umfassende Liberalisierung der Gesellschaft inklusive der größeren Durchmischung unterschiedlicher Kulturen und des Kampfes für Grundrechte für alle. [...] Antiamerikanismus ist in Deutschland außerordentlich anknüpfungsfähig in eine Vielzahl verschiedener Milieus und Gruppierungen hinein, von hart links bis rechtsextrem, in den Geschmacksrichtungen antikapitalistisch bis antifreiheitlich. Manche Menschen, die mit der Komplexität der Welt Probleme haben, sehen dann in Putin einen Gegenpol zu den USA, und wenn man das eine hasst, muss man das andere lieben. Dieses Schwarz-Weiß-Denkmuster wird von russischer Propaganda angereichert mit jeder Menge Nato-Feindschaft, ohne Rücksicht auf Geschichte, Gegenwart und Grauwerte. Als Gemeinsamkeit taugt eine tiefe Ablehnung gegen "die da oben". [...] Bei diesem Typus wird am deutlichsten, dass Putin oft nur als Chiffre für die Ablehnung der liberalen Demokratie westlicher Bauart verwendet wird. Auf den verschiedenen Corona-Demos der letzten Monate waren oft Putin-Sprechchöre zu hören, hier dient Putin als Pate des Haderns mit der Gegenwart insgesamt. Alles, was schlecht läuft, ist Merkel und EU, alle Hoffnungen hingegen ruhen auf Putin oder Trump. Oder beiden. [...] Die linken Fans dagegen blenden die neurechten und rassismusgefärbten Putin-Positionen aus und klammern sich an Putin als Nachfahren der uralten Linksverbündeten aus Sowjetzeiten. Das geht überhaupt nur in linksnationalistischer Geschmacksrichtung und auch nur, wenn man "links" immer noch so definiert wie 1959. Also nicht prinzipiell progressiv, sondern weitestgehend auf die Frage sozialer Gerechtigkeit für weiße Männer bezogen. Diesen Fans dient Putin als Versprechen, dass eine andere, nämlich starre, gestrige Welt mit gesellschaftlicher Homogenität möglich ist. Aber halt mit Mindestlohn. (Sascha Lobo, SpiegelOnline)
Es ist wertvoll ,wie Lobo die Argumentationsmuster hinter der Putin-Liebhaberei analysiert. Tatsächlich geht es nicht um Putin selbst; weder dürften die meisten seiner Fans sonderlich tiefe Kenntnisse über Russland haben, noch dürfte sie die russische Innenpolitik sonderlich interessieren. Putin ist aus dem gleichen Grund attraktiv wie Linke sich heute noch reflexhaft für Venezuela, die PLO oder Kuba in die Bresche werfen: sie stehen in Opposition zu den USA, und die USA stehen für Liberalismus, Marktwirtschaft und westliche Demokratie. Teile dieser Konzepte werden von den unterschiedlichsten Gruppen abgelehnt. Während Linke sich traditionell am Turbokapitalismus der USA reiben, haben Rechte eher ein Problem mit der Liberalität. So kann man dann immer die jeweiligen Bestandteile für sich heraussuchen und hat einen Avatar für die eigene Position. Ist das erst einmal klar, ist es auch kein Logikbruch mehr, die USA doof, aber Trump toll zu finden; für Meinungsfreiheit zu demonstrieren und dabei Putin hochleben zu lassen. Putin ist gegen Merkel, ich bin gegen Merkel, also rufe ich hoch auf Putin. Das hat schon für die Ho-Ho-Ho-Chi-Minh brüllenden 68er funktioniert, und heute funktioniert es eben für den rechten Mob mit Pu-Pu-Putin. 

7) Die EU spart ihre Zukunft kaputt
In (West-)Deutschland wurden Zahlen des Forschungsministeriums zufolge zum Beispiel im Jahr 1981 umgerechnet 16 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben, etwas mehr als die Hälfte davon gaben private Unternehmen aus. Im Jahr 2018 waren es insgesamt gesamtdeutsch über 119 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung. Nun aber kamen zwei Drittel davon von der Industrie. Der öffentliche Anteil war geschrumpft. Unglücklicherweise entfällt zudem ein gewaltiger Teil - 2017 waren es über 25 Milliarden Euro - der gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland (PDF-Dokument) auf die Automobilindustrie – die mit all dem Geld bekanntlich seit vielen Jahren vor allem sehr bald obsolete Verbrennungsmotoren und zuletzt auch noch Betrugssysteme verfeinert hat. Die Gesamtsumme der Forschungs- und Entwicklungsaufgaben ist also als Richtgröße erst einmal wenig wert – es kommt sehr darauf an, wer da Geld in was investiert. [...] Die Europäische Kommission hatte die Forschungsausgaben auf europäischer Ebene in den vergangenen Haushaltszyklen sinnvollerweise zunächst immer wieder erhöht. Noch 2018 schlug die Kommission ein Gesamtbudget von 94,1 Milliarden Euro für das Horizon genannte europäische Forschungs- und Entwicklungsprogramm vor. Bei dem als historisch gefeierten EU-Deal im Juli kürzten die Staats- und Regierungsschefs diesen Vorschlag dann mal eben auf 81 Milliarden für die Phase von 2021 bis 2027 herunter - inklusive der Gelder, die zur wissenschaftlichen Bekämpfung der Pandemie aufgewendet werden sollen. Das ist eine Kürzung um 14 Prozent. [...] Zum Vergleich: Für Agrarsubventionen gibt die EU etwa 60 Milliarden Euro aus – pro Jahr. Noch ein Vergleich: Laut dem internationalen Währungsfonds investierten die Nationen Europas 2017 zusammengenommen 244 Milliarden Euro in Subventionen für fossile Brennstoffe. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)
Ich habe darauf in vergangenen Vermischten bereits hingewiesen. Es braucht eine Zusammenarbeit ovn öffentlichem und privatem Sektor. Gerade im Forschungsbereich kann der Staat hervorragende Anreize setzen, wo Ergebnisse oder Teilergebnisse dann von privaten Unternehmen aufgegriffen werden können. Es ist absolute ideologische Verbohrtheit zu glauben, dass nur der private Sektor das reißen könne. Das wissen auch die "genialen Ingenieure". Denn wie Stöcker korrekt herausarbeitet, gibt es eine ungeheure Verschwendung im privaten Sektor, Investitionen in Vergangenes, die nicht den Weg nach vorne weisen können. Das ist möglicherweise aus betriebswirtschaftlicher Sicht noch halbwegs nachvollziehbar, wobei ich selbst das stellenweise bezweifle. Dafür sind die Anreize der Führungsstruktur zu sehr auf Quartalsergebnisse und die Bewahrung ihrer Machtstrukturen ausgelegt und produzieren dann eher Milliardeninvestitionen in Betrugssysteme. Volkswirtschaftlich aber ist es in jedem Falle nutzlos bis schädlich. 

8) Es reicht!

Es reicht! Es reicht jetzt wirklich! Polizeibeamte, die mit Reichsbürgern sympathisieren. Die – wie in Hessen – Daten aus Polizeicomputern ziehen, die dann bei Drohbriefschreibern der NSU 2.0 landen. Verwaltungsmitarbeiter der Polizei, die – wie in Hamm – Mitglied einer rechten Terrorzelle sein sollen. Jetzt also auch noch rechtsextremistische Chat-Gruppen bei der Polizei in Mülheim. [...] Was da heute bekannt geworden ist, macht einen tatsächlich fassungslos, wütend, zornig. Polizeibeamte, die ihren Eid auf die Verfassung abgelegt haben, schicken sich Hitler-Bilder, Bilder der Reichsflagge, haben offenbar ihren Spaß an fiktiven Erschießungen Dunkelhäutiger und Flüchtlingen in der Gaskammer. [...] Und jetzt? Aufklären! Bitte. Alles, zu 100 Prozent. Und dann auch hart durchgreifen! Schluss mit der Selbst-Beschwichtigung, das seien doch alles nur Einzelfälle. Es sind keine Einzelfälle. Reul hat heute eine Sonder-Untersuchung und einen Sonder-Beauftragten zur Aufdeckung von Rechtsextremismus bei der Polizei versprochen. Das ist gut. Auch wenn es reichlich spät kommt. Es steht viel auf dem Spiel. Vor allem die Frage, ob die Menschen in Deutschland ihrer Polizei noch vertrauen können. Vergeigt es nicht! (Stefan Lauscher, WDR) 


9) Tweet Ich weise hier auch immer wieder darauf hin - und auf Twitter - dass das oft kolportierte Bild der Stimmung in Deutschland als zunehmend maßnahmenkritisch schlicht nicht zutrifft. Eine überwältigende Mehrheit unterstützt die Maßnahmen, und egal, wie viele Demonstrationen auf die Beine gestellt werden, bleibt es eine winzige Minderheit. Man sollte sich da nicht wuschig machen lassen. Die Mehrheit ist wesentlich vernünftiger, als viele Beobachtende behaupten und einige esoterische Spinner und Trittbrettfahrer am rechten Rand hoffen. Dazu kommt noch das Phänomen, die Pandemiemaßnahmen deswegen zu kritisieren, weil man sich quasi über Bande gegen Merkel und die regierende Koalition aussprechen will, was ja (hoffentlich) auch keine echte Ablehnung absolut notwendiger und sinnvoller Maßnahmen darstellt. 

10) Disney's Mulan misadventure
Disney's summer blockbuster is becoming a horror show, said Christopher Palmeri at Bloomberg. What was "supposed to be another $1 billion" megahit, the live-action remake of 1998's hugely popular animated film Mulan, is "proving to be a political hot potato." The controversy began more than a year ago, when the movie's leading actress, Liu Yifei, "voiced her support for the mainland Chinese government during Hong Kong pro-democracy protests." Complaints that Disney was catering to China's Communist Party gained steam when viewers who paid $30 to stream the film noticed "special thanks" in the closing credits to Chinese government entities in Xinjiang. That's the region where China has set up concentration camps for as many as a million Uighurs, a Muslim minority. [...] Disney deserves a boycott, said Jeff Jacoby at Jewish World Review. It has cozied up to Beijing, "subtly and not-so-subtly," for years. Back in 1998, Disney even apologized to China for making a movie about the life of the Dalai Lama. The company has since expressed "no qualms about its open and shameless collaboration with the brutes of Beijing." Seeing Disney go "out of its way to thank Chinese government propaganda agencies" in Xinjiang should offend "anyone with a functioning conscience." Indeed, Disney should have seen this coming, said Mark Magnier at the South China Morning Post. Disney arrogantly thought it could go ahead and make a film that would appeal equally to Chinese and U.S. audiences. But threading that needle has become almost impossible, given anti-­China sentiment in the U.S. and growing nationalism in China. [...] Disney is another victim of the "sheer speed with which the relationships between China and the rest of the world are snapping," said James Palmer at Foreign Policy.  (The Week Staff, The Week)
Ich will mich dem Artikel nur anschließen, Disney hat sich diese Klatsche mehr als verdient. Das Andienen an eine brutale, repressive Diktatur seitens viel zu vieler wirtschaftlicher Akteure geht schon viel zu lange ohne jede öffentliche Kritik vor sich. Hollywoods Beziehung zu China ist seit mehreren Jahren ohnehin ein viel zu unterbeleuchtetes Thema; die zunehmende Einbeziehung chinesischer Schauplätze und Charaktere unter einem harschen Zensurregime - die KPCH macht klare Vorgaben für Plot und Charaktere, die China gut aussehen lassen sollen - ist letztlich nur Propaganda und wurde von den großen Filmstudios ohne Protest inkorporiert, in etwa wie Google sich die Suche zensieren lässt. Klar, der chinesische Markt ist riesig. Aber wer Geschäfte mit üblen Diktaturen macht, verrät seinen Wesenskern. Das wird immer deutlicher. 

11) Zoom ist keine Lösung
Es ist nicht so lange her, da ließen sich die Unternehmen das berufliche Reisen rund 1,5 Billionen Dollar jährlich kosten, gemessen an der globalen Wirtschaftsleistung entsprach das einem Anteil von 1,7 Prozent. Jahrelang wuchsen die Ausgaben deutlich schneller als die Weltwirtschaft insgesamt, obwohl es all die technologischen Hilfsmittel, die das Kommunizieren und Konferieren aus der Distanz möglich machen, nicht erst seit Corona gibt. Trotzdem haben Unternehmen ihre Mitarbeiter persönlich rund um den Globus geschickt. Schaffen Dienstreisen also vielleicht doch einen Mehrwert, den es nach der Pandemie zu bewahren gilt? Ein Forscherteam um den Harvard-Ökonomen Ricardo Hausmann hat zu dieser Frage gerade eine bemerkenswerte Arbeit veröffentlicht. Ihr Fazit könnte kaum deutlicher sein: Dauerhaft auf Dienstreisen zu verzichten wäre, rein wirtschaftlich gesehen, fatal. Der Grund: Wenn Mitarbeiter geschäftlich verreisen, bringen sie ihr Knowhow mit – und geben es an andere weiter. Das steigert erst die Produktivität der Wirtschaft und schafft dann neue Arbeitsplätze und zusätzlichen Output. Fielen Dienstreisen nun dauerhaft weg, würde bis zu 17 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung verlorengehen. (Maja Brankovic, FAZ)
Eine interessante Perspektive. Ich wäre instinktiv auch im Team "Geschäftsreisen abschaffen" gewesen, aber Brankovics Argumentation und natürlich die unterliegenden Studien haben durchaus Hand und Fuß. Mein Grundproblem damit bleiben weniger die gigantischen Kosten dieser Reisen, sondern der CO2-Fußabdruck. Ich habe aber nicht die geringste Ahnung, wie man das unter einen Hut bekommen soll. Wenn die Zahl von 17% tatsächlich belastbar sein sollte - das kann ich nicht beurteilen - dann haben wir bei der Erreichung der CO2-Ziele eine weitere Herausforderung auf dem Weg, die kaum zu meistern ist.

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