Dienstag, 12. Januar 2021

Barcelona prüft im Präsenzunterricht Altmaiers Kenntnisse in der US-Frühgeschichte - Vermischtes 12.01.2020

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Trump fails to redraw politics' battle lines

Ever since Trump defied expectations in 2016 by winning his party's nomination with a highly unorthodox message, a wide range of prognosticators, along with some of the party's elected officials, have suggested that the Republican future involves transforming the GOP into a "workers party." Such a party would mix standard Republican positions on taxes, judges, and abortion with defenses of key aspects of the welfare state that benefit the working class, including increased access to affordable medical care. [...] Trump's instincts do seem to point in precisely this direction. But he has proven to be such an atrocious negotiator, so incurious about the details of public policy, and so incapable of learning how to use the levers of power in Washington (beyond tweet-based rabblerousing) that he's accomplished less than nothing during the four years of his presidency. Instead of dragging his party to embrace an agenda less skewed toward the rich, he has ended up revealing that those who favor a more worker-friendly approach are vastly outnumbered and incredibly weak in the GOP. [...] Which means, once again, that Washington's battle lines have moved very little over the past four years. From here on out, the most sensible path forward for both parties is clear. Democrats will continue to portray themselves as a party of working people on economic issues — and keep trying to placate the cultural left while also working to steer clear of its most extreme excesses. Republicans, meanwhile, will keep attacking the cultural left and using that red meat to portray themselves as aligned with ordinary Americans — while also favoring economic policies that primarily benefit the wealthy and often leave working-class communities in ruins. (Damon Linker, The Week)

Das Phänomen der Koalitionen in den USA ist das, was ich im letzten Vermischten als "unnatürlich" beschrieben habe. Beide Parteien haben zentrale Elemente in ihren Wahlprogrammen und ihrer ganzen politischen Identität, die insgesamt reichlich unpopulär sind. Sie halten aber ihre jeweilige WählerInnenschaft trotzdem, weil die Aufteilungen erstaunlich stabil sind. Weder Trump noch Bernie Sanders haben in ihren jeweiligen Parteien bisher massive programmatische Änderungen hinterlassen. Es ist wirklich erstaunlich, wie resilient das alles ist. Ich frage mich, ob das bei uns anders ist. Sind deutsche Parteien eher bereit, sich und ihre Programmatik zu ändern? Mein Bauchgefühl wäre "ja", aber ich bin gespannt was ihr sagt und mit welcher Begründung.

2) Two-way street: how Barcelona is democratising public space

“Empty space here has always been seen as building land and something you can profit from,” Janet Sanz, the deputy mayor, told the Guardian. “Cerdà’s idea was to open the city, to make it more habitable. As a city government, we need to change the mentality that sees the city only in financial terms. What we have in common is public space that belongs to everyone. Up to now its use has been determined by the automobile lobby.” [...] The superblock scheme groups together nine city blocks and closes them to through traffic with plant pots and benches, introduces cycle lanes, play areas and green spaces, and eliminates most parking spaces. While cars aren’t banned, the superblocks are car-unfriendly. [...] “Before we shopped and socialised in other parts of the barrio,” she said. “There was no life here. But now it’s hard to even get out of the super block because there are so many people who stop and talk. That’s the big change – the way we use the space and getting to know our neighbours. We’ve got three playgrounds and picnic areas where everyone congregates. You get kids doing their homework, elderly people playing Parcheesi, a democratisation of space just through putting in four picnic tables. There’s a real sense of identity with the place.” (Stephen Burgen, The Guardian)

Vor einigen Jahren habe ich in einem Artikel die Voraussage gewagt, dass künftige Generationen sich fragen würden, wie wir so leben konnten. Ich habe dabei etwa solche Dinge im Blick. Großstädte für den Autoverkehr auszulegen ist völliger Irrsinn. Ich sehe ja das Argument, dass man dank jahrzehntelang vernachlässigter ÖPVN-Struktur auf dem Land ohne Auto nicht auskommt. Aber in der Stadt? Die Ansätze sind absolut vernünftig. Es ist ja nicht nur Barcelona, sondern auch auch Paris, andere Städte wie Amsterdam oder Stockholm machen es auch schon länger. Nur Deutschland hinkt wegen seiner völlig hirnverbrannten Vergötterung des Autos weit hintendran und hat lieber ungesunde und hässliche Innenstädte.

3) «Covid-19 ist erst der Anfang» (Interview mit Mike Davis)

Die Vogelgrippe­viren vor fünfzehn Jahren entstanden in Südost­asien. Sars tauchte erstmals in China auf. Das aktuelle Corona­virus auch. Warum eigentlich immer Asien?
Eine Vogelgrippe kann überall entstehen, sogar in subarktischen Regionen. Aber der Grund, weshalb Influenza-Ausbrüche in China gross werden, ist dieses hochproduktive landwirtschaftliche System, das domestizierte Vögel, Schweine sowie zwei Reis­ernten pro Jahr kombiniert und von dem Wildvögel ein natürlicher Teil geworden sind. Und die Massen­zucht von Geflügel erhöht diese Gefahr – egal wo auf der Welt. Auch die Zerstörung von Regenwald im Amazonas, mehrheitlich, um Rindfleisch für amerikanische Hamburger zu produzieren, birgt ähnliche virale Bedrohungen. [...] 

Heisst das, wenn wir aufhören, Fleisch und Fisch zu essen, oder wenn wir zumindest anfangen, viel bewusster oder lokaler zu konsumieren, dass dann das Pandemie­problem verschwindet?
Nein. Fast jede Epidemiologin würde wohl dem folgenden Satz zustimmen: Covid-19 ist nur der Anfang und das erste Kapitel einer neuen Ära von Pandemien. Es sei denn, wir können die Grenzen zwischen solchen natürlichen Viren­reservoiren und Menschen kontrollieren und beibehalten. [...]

Wenn Nahrungsmittel­produktion und Boden durch Reformen zurück in die Hände von kleinen Produzenten gelangen – stoppen wir so das anbrechende Zeitalter der Pandemien?
Die Macht dieser Konzerne müsste in der Tat zwingend reduziert werden. Und die industrielle Fleisch­produktion ist, wie ich bereits sagte, die Teilchen­beschleunigerin. Sie verstärkt die Möglichkeiten für genetische Veränderungen in Viren. Aber es gibt verschiedenste Schmelz­tiegel, in denen neue Viren­varianten auftauchen und auf den Menschen übertragen werden können.

Zum Beispiel?
Sars-CoV-2 hat man unter Fleder­mäusen gefunden. Es wurde vermutlich über einen Intermediär auf den Menschen übertragen. In der traditionellen chinesischen Medizin beispiels­weise ist der Verzehr verschiedener Arten von Tieren ein integraler Bestandteil der Behandlung – für Potenz­steigerung oder die Heilung von Krankheiten. In China wurde der Konsum von Wildtieren jetzt verboten und damit stark reduziert. Auch das ist ein wichtiger Schritt, um Krankheiten kontrollieren zu können. Wenn das Virus aber mal im Umlauf ist, kommt der Tourismus ins Spiel. Als Sars 2003 ausbrach, verbreitete es sich innerhalb von wenigen Stunden in sieben Ländern. Es trat in einem Hotel in Hongkong auf, voll mit Flug­passagieren. Sie haben die Infektion umgehend weiter­verbreitet. Und so etwas geschieht vor dem Hinter­grund einer steigenden Anfälligkeit für tödliche Krankheiten. (Marie-José Kolly/Daniel Ryser, Republic.ch)

Das ist ein langes und überaus lesenswertes Interview, ich empfehle es in seiner Gänze. Was Davis hier schreibt ist mehr als besorgniserregend. Was ich mich frage ist aber: Was ist die Konsequenz? Weniger Verflechtung? Zurückdrehen der Globalisierung? Klingt alles nicht sonderlich machbar. Davis selbst scheint da ja auch sehr pessimistisch. Aber regelmäßig weltweite Pandemie ist jetzt auch nichts, was eine tragbare Option ist. Das Thema dürfte auf jeden Fall in der künftigen Handelspolitik durchaus eine Rolle spielen....

4) Lernen, nicht vergleichen

Es muss immer noch viel auswendig gelernt, ohne Hilfsmittel und allein gearbeitet werden. Weshalb? Taschenrechner, Übersetzungssoftware oder Informationen stehen mit Smartphones fast allen Schüler:innen, wie auch dem Rest der Welt, ständig zur Verfügung. Austausch und Zusammenarbeit bilden das Fundament für Lösungen in einer immer komplexeren Welt, wie aktuell bei der Pandemie. Das ist kein Plädoyer für eine Abkehr von Grundwissen und -kompetenzen – im Gegenteil. Es gilt jedoch zu prüfen, was davon noch zeitgemäß ist und wie das gelingen kann. Den Zugang zu Informationen, Hilfsmitteln und die Möglichkeit der Zusammenarbeit zu verhindern, funktioniert am besten durch die Kontrolle in Präsenz. Als im März 2020 die Schulen aufgrund von Covid-19 geschlossen wurden, Fernunterricht stattfinden musste und irgendwann auch die Frage nach Leistungserfassungen im Raum stand, wurde deutlich, sehr Prüfungen von präsentischer Kontrolle abhängig sind. Genau hier besteht die Chance, drängende Fragen, die sich in Distanz stellten, auf die Präsenz zu übertragen. Was wäre, wenn bei jedem Test, jeder Arbeit oder Prüfung, Bücher und das Netz genutzt werden könnten, alle Hilfsmittel erlaubt und der Austausch mit anderen gewünscht wäre? Wie müssten solche Leistungserfassungen konzipiert sein? Tatsächlich muss hier auch immer eine zweite Frage zuerst neu gedacht werden: Wofür sollen Leistungen erfasst werden? Bezieht man diese Frage auf den gesellschaftlichen Wandel und die aktuellen und zukünftigen globalen Herausforderungen, muss hier die bisherige Vergleichbarkeit der Befähigung weichen. (Dejan Mihajlovic)

Ich kann mich dieser Kritik nur anschließen. Was mich so wahnsinnig macht ist, dass mir Experimente und Alternativen bewusst verbaut werden, auch jetzt in der Pandemie. Ich MUSS klassische schriftliche Klausuren schreiben; die vielen alternativen Formen der Leistungsmessung, die gerade die pädagogische Forschung in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt hat, kann ich nur ergänzend, nicht aber ersetzend nutzen. Von den Aspekten, die Mihaljovic hier anspricht - Kollaboration, Recherche - ganz zu schweigen. Eine nennenswerte Ausnahme ist hier in BaWü der Seminarkurs, der wie eine Art Vorstudium funktioniert und wissenschaftliche Methode zum Inhalt hat. Es ist echt frustrierend.

5) I've been unfairly targeted, says academic at heart of National Trust 'woke' row

The academic at the centre of an escalating row over the National Trust’s efforts to explore links between its properties and colonialism has warned of a “political agenda” to “misrepresent, mischaracterise, malign and intimidate” those involved in the project. Professor Corinne Fowler has drawn comparisons between the vilification of academics, including herself, and attacks by climate-crisis deniers on scientists warning about global heating. She suggested they were a product of social tension. [...] The Common Sense Group of more than 50 Tory MPs was angered by a 115-page interim report entitled Connections between Colonialism and Properties now in the Care of the National Trust, Including Links With Historic Slavery, commissioned by the trust and published in September. Co-edited by Fowler, it highlighted that 93 trust properties, including Clandon Park in Surrey and Hare Hill in Cheshire, were linked to wealth from plantations and the slave trade, while others, such as Bateman’s, Rudyard Kipling’s home in Sussex, were important to understanding Britain’s colonial history. Many of the MPs and several rightwing historians and newspaper columnists took exception to the report’s references to Winston Churchill’s role in colonial administration and his opposition to Indian independence. The historian Andrew Roberts accused the trust of “wokery” and of “trying to imply a moral equivalence between colonialism and slavery”. [...] But some Tory MPs are uncomfortable with the focus on Britain’s colonial past. Andrew Bridgen told the Times last week that the trust had been “overtaken by divisive Black Lives Matter supporters”. (Jamie Doward, The Guardian)

Einmal mehr ein Beispiel für "Cancel Culture" aus dem rechten Raum. Die Vorstellung, es handle sich um ein linkes Phänomen, war schon immer albern; ich habe darüber geschrieben. Der Begriff wird gerade im rechten Spektrum mittlerweile so inflationär gebraucht, dass er ähnlich sinnentleert ist wie "neoliberal". Es gibt da eine gute Aufstellung in Übermedien. Alle darin genannten Opfer publizieren immer noch, einige von ihnen sogar erfolgreicher als zuvor, dem künstlichen Aufruhr sei Dank.

Aber zum Thema des obigen Artikels: Wir haben die gleiche Diskussion derzeit ja auch in Deutschland. Wie umgehen mit dem kolonialen Erbe? Auch hierzulande gibt es eine Reihe von eher links geprägten Debattenteilnehmern, die ein Bekenntnis zur kolonialen Vergangenheit fordern, und eine Reihe eher von rechts, die das als Beschmutzen der Geschichte ansehen (siehe die Debatte um Bismarck-Denkmäler). Die meisten Menschen kriegen davon zumindest bisher zugegebenermaßen nichts mit. Aber unzweifelhaft spielt die koloniale Vergangenheit Deutschlands praktisch keine Rolle; in den aktuellen Bildungsplänen kommt sie praktisch nicht vor.

6) Die Arbeitsverweigerung der Kultusminister

Wie man Vertrauen verspielt, führen die Kultusministerinnen und Kultusminister seit Wochen vor. Da ist der Hamburger Schulsenator, der über eine Forschungsanalyse zu einem Massenausbruch an einer Schule der Hansestadt nicht richtig informierte – offenbar weil das Ergebnis nicht zu der von den Ministern immer wieder ventilierten These passte, Schulen seien keine Pandemietreiber. Aus demselben Grund beschimpften seine Kolleginnen aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina. Bildungsministerinnen und Bildungsminister, die Wissenschaft ignorieren – eine bittere Erfahrung. Zugegebenermaßen ist die Aufgabe nicht einfach. Alle Schwächen des deutschen Schulsystems werden in der Pandemie verstärkt. Die Digitalisierung wurde jahrzehntelang verschlafen, das ist in zehn Monaten nicht aufzuholen. Oder hat jemand ernsthaft geglaubt, in einem Land, in dem auch Privathaushalte wochenlang auf neue Internetanschlüsse warten, würden binnen kurzer Zeit ganze Schulen mit dem Glasfasernetz verbunden? [...] Das Versagen der Schulpolitik liegt darin, pragmatische Lösungen zu finden, die den Schulen einen Weg durch die Krise bahnen. Gibt es Lernstoff, auf den verzichtet werden kann, um zusätzliche Kapazitäten für die Kernfächer zu schaffen? Wie fördert man gezielt Schüler, die im ersten Lockdown nicht erreicht wurden? Wie können Eltern entlastet werden, die zu Hause beim Distanzlernen helfen müssen? Wo bleiben FFP2-Masken, Luftfiltergeräte und Schnelltests? Wie werden die Lernplattformen gestärkt, eventuell die Dienste kommerzieller Anbieter genutzt, ohne dass der Datenschutz außen vor bleibt? Die Liste der von der Politik immer noch unbeantworteten Fragen ließe sich lange fortsetzen. (Tillman Warnecke, Tagesspiegel)

Ich frage einfach mal etwas provokant: Welches Vertrauen? Es ist nicht so, als hätten die Kultusministerien einen großen Vorrat davon. Abgesehen vom Verteidigungsministerium gibt es glaube ich wenige Ministerien, die so verlässlich unbeliebte AmtsträgerInnen hervorbringen. Und um fair zu bleiben, in dem Amt kann man es auch praktisch keinem Recht machen. Es ist kein beneidenswerter Job. Aber damit ist das eklatante Versagen der Kultusministerien ebenso wenig zu erklären wie damit ihre Lügen zu entschuldigen wären. Das ganze Bildungssystem leidet unter krasser Unterfinanzierung, seit Jahrzehnten. Solche Versäumnisse können natürlich nicht in acht Monaten aufgeholt werden. Ich meine, wir führen die exakt gleiche Diskussion seit 20 Jahren. Die Schulgebäude sind in einem abartigen Zustand, die technische Ausstattung ist ein Witz, und Funktion folgt Form: die ungenügende Infrastruktur bedingt eine fast unmögliche Reform auf pädagogisch-didaktischem Feld.

Dazu kommen die Lügen und politischen Manöver. So hat das Hamburger Kultusministerium Zitate frei erfunden, eine Studie explizit beauftragt um seine eigene Politik zu bestätigen und vieles mehr an solchem Blödsinn. Welches Vertrauen sollte da also noch verspielt werden? Monatelang haben die Ministerien entgegen jeder Studien behauptet, Schulen seien für das Infektionsgeschehen irrelevant, was hinreichend widerlegt wurde. Wenig überraschen nahm die Infektionsrate von Teenagern genau 14 Tage nach Schulschließungen ab. Und noch immer verschließen die Verantwortlichen die Augen, stecken sich die Finger in die Ohren und rufen laut "lalalalalalala".

Die aktuelle Spitze ist hier in Baden-Württemberg, um nur ein weiteres willkürliches Beispiel herauszugreifen, ist der Zusammenbruch der Infrastruktur zum Schulbeginn am 11. Januar. Sämtliche Lernplattformen und viele Clouds brachen zusammen, nachdem das Ministerium entgegen des dringenden Rats der Leute, die etwas davon verstehen, auf der Einhaltung der Stundenplan-Taktung bestand. Überraschenderweise brachen Plattformen, die unter besten Umständen eine Klasse pro Schule im Computerraum aushalten, zusammen. Das Kultusministerium behauptete erst, das System funktioniere einwandfrei; inzwischen hat man sich auf die Linie zurückgezogen, alles sei in Butter, weil 80% der Systeme nicht zusammengebrochen sein sollten. Glauben wir Frau Eisenmann das mal für einen Moment, so kann ich mir trotzdem den wütenden Aufschrei kaum verkneifen. Ein FÜNFTEL der Infrastruktur bricht zusammen, und beim Kultusministerium klopft man sich auf die Schulter und gibt das als Erfolg aus? Es ist schon absehbar, wie die Argumentationslinie weitergehen wird. Das Desaster wird dann als Beweis dafür genommen, dass "digital halt nicht funktioniert" und man zwingt die SchülerInnen schnellstmöglich wieder in den Präsenzunterricht. Die Vorhersagbarkeit dieses Irrsinns ist zum Kotzen.

7) The radical moral implications of luck in human life

How you answer these questions reveals a great deal about your moral worldview. To a first approximation, the more credit/responsibility you believe we are due, the more you will be inclined to accept default (often cruel and inequitable) social and economic outcomes. People basically get what they deserve. The less credit/responsibility you believe we are due, the more you believe our trajectories are shaped by forces outside our control (and sheer chance), the more compassionate you will be toward failure and the more you will expect back from the fortunate. When luck is recognized, softening its harsh effects becomes the basic moral project. [...] Child development psychologists tell us that deep and lasting shaping of neural pathways happens in the first hours, days, months, and years of life. Basic dispositions are formed that can last a lifetime. Whether you are held, spoken to, fed, made to feel safe and cared for — you have no choice in any of it, but it more or less forms your emotional skeleton. It determines how sensitive you are to threat, how open you are to new experience, your capacity to exercise empathy. Children aren’t responsible for how they spend their formative years and the permanent imprint it makes upon them. But they’re stuck with it. [...] So, then, here you are. You turn 18. You are no longer a child; you are an adult, a moral agent, responsible for who you are and what you do. By that time, your inheritance is enormous. You’ve not only been granted a genetic makeup, an ethnicity and appearance, by accidents of nature and parentage. You’ve also had your latent genetic traits “activated” in a very specific way through a specific upbringing, in a specific environment, with a specific set of experiences. (David Roberts, vox.com)

Die Überlegungen, die Roberts in diesem (langen und lesenswerten) Artikel anstellt, sind fundamental. Denn tatsächlich spielt Glück ja eine unglaublich große Rolle darüber, was im Leben aus uns wird. Die genetische Lotterie auf der einen Seite (körperliche Werte, Intelligenz etc.) und die soziale Lotterie (in was für eine Familie werde ich geboren) sind die mit Abstand größten Faktoren für späteren Erfolg. Wer einmal Spitzenmanager eines Unternehmens wird lässt sich zu guten Teilen bereits bei der Geburt bestimmen - vor allem jedenfalls, wer es nicht wird. Persönliche Leistung spielt da keine sonderlich große Rolle; bekanntlich ist die Elite unglaublich selektiv und abgeschottet und rekrutiert sich beinahe ausschließlich aus sich selbst.

Doch damit nicht genug. Auch viele weitere Einbrüche im Leben sind eine Frage von Glück. Eine Scheidung der Eltern beispielsweise ist in den allermeisten Fällen eine gewaltige Belastung. Unfälle können eine komplette Lebensplanung aus dem Gleichgewicht werfen. Schließt man Studium oder Ausbildung in einer Rezession ab, wird man sein Leben lang Einkommensnachteile haben und Chancen verlieren, die sich nie wieder aufholen lassen. All das hat man nicht in der Hand.

Das hat aber Konsequenzen, weil unsere Gesellschaft immer noch die Illusion aufrecht erhält, dass der Erfolg einer Person irgendwie deren alleiniger oder doch wenigstens hauptsächlicher Verdienst sei, was aber schlicht nicht der Fall ist. Und da sind wir nicht einmal bei bewusst geschaffenen Strukturen, die bestimmte Karrierepfade oder soziale Gruppen aktiv bevorzugen und die Ergebnisse weiter verzerren. Zwar reden sich erfolgreiche Menschen stets ein, ihren Erfolg vor allem ihrer harten Arbeit zu verdanken - und die existiert in den meisten Fällen ja auch zweifelsohne! - aber hart gearbeitet wird in vielen anderen Bereichen auch, ohne dass vergleichbare Belohnungen fließen. Das anzuerkennen wäre ein Beitrag, ohne ideologische Scheuklappen Diskussionen zu führen.

8) What Bernie Sanders Can Teach Alexandria Ocasio-Cortez

Last week, Rep. Alexandria Ocasio-Cortez, champion of the Green New Deal, suffered the humiliation of an overwhelming defeat dealt by her fellow House Democrats for a spot on the House Energy and Commerce Committee. Also last week, Sen. Bernie Sanders led a successful battle to include direct payments for millions of Americans in the pandemic relief. [...] Sanders is proving more influential than AOC because he grabbed on to a fresh issue with great political potential, while Ocasio-Cortez has spent the post-election period defending her signature positions even though they proved to be political liabilities. [...] So, Sanders wasn’t rigid about the particulars. He identified a popular issue. He leveraged his bully pulpit and power given to individual Senators under the chamber’s rules. He worked with members of the other party who agreed with him and members of both parties who didn’t, to reach a compromise. After nearly 30 years in Congress, Sanders is well practiced at this sort of legislating. He and his supporters have long bragged about being dubbed the “Amendment King” by Rolling Stone, proof that the socialist was also a pragmatist. Ocasio-Cortez has only two years in Congress but hasn’t yet shown an interest in being the Amendment Queen. Her reaction to the final relief bill, which was part of a heavily loaded omnibus bill, was outrage that such a package was being rushed to vote with only hours to review the details. She voted for it, but not before trashing the process on Twitter: “This isn’t governance. It’s hostage-taking.” (Bill Sher, Washington Monthly)

Sicher, AOC hat bisher sehr wenig Einfluss. Ihr Misserfolg darin, einen Ausschussplatz zu bekommen, zeigt deutlich, welchen begrenzten Wirkungsrahmen sie in ihrer Partei hat. Sie ist zwar gut darin, in den Medien vorzukommen, aber ihre politischen Erfolge sind eher überschaubar, weil es dazu eine institutionelle Verflechtung und eine Arbeit mit der Partei braucht. Diese Partei aber kann AOC ziemlich offensichtlich nicht leiden, ein Gefühl, das auf Gegenseitigkeit beruht. Sie ist einmal mehr der Beweis dafür, dass der Wandel nicht von oben kann. Das war schon immer der Fehler hinter der Annahme von Bernie Sanders Präsidentschaftskandidatur. Die Partei muss sich ändern, und dazu braucht es Leute wie AOC, die bereit sind, die entsprechende politische Kärnerarbeit zu machen. Auf der anderen Seite sollte man Sanders' Erfolge nicht überbewerten; der Mann hat in den Jahrzehnten im Kongress jetzt nicht eben umwerfende Erfolge erzielt, und eine Linksverschiebung ist erst seit der Kandidatur 2015/16 mit ihm verknüpft. Ich glaube, da gibt es eher einen gesellschaftlichen Wandel in diese Richtung, als dessen Avatar er auftreten konnte, als dass er das initiiert hat.

9) Lies, Damned Lies, and Insane Statistics

The presidential election is all but over now—“all but” because it was so obviously stolen that there is still a chance truth and justice will prevail, with Sen. Josh Hawley (R-MO) yesterday becoming the first senator to announce plans to object to congressional certification, which will force the House and Senate to vote on whether to uphold Biden’s contested victory in the Electoral College. The wokies are beyond ecstatic, humming “Hail to the Chief” whenever they think of Joe Biden—or even Hunter Biden, China Joe’s son, under investigation by the Justice Department since late 2018. The woke media—a media too corrupt to print, during the presidential campaign, stories of the Biden family’s years of corruption—was oh, so uninterested in the statistical disparities in voting that clearly indicated election fraud. They were willing to bear any burden, pay any price, including the traducing of democracy, to get rid of Donald Trump. Let’s face it: everyone who pays attention to politics knows the election was stolen. Here’s how you can tell. (Daniel Oliver, The American Conservative)

Der American Conservative war vor Kurzem noch ein halbwegs rationales Magazin. Jetzt veröffentlichen sie so was. Am gleichen Tag lief eine Riesenstory über Hunter Bidens Laptop. Über die Versuche Trumps und anderer GOP-Abgeordneten, die Wahl zu stehlen, las man im American Conservative dagegen an dem Tag nichts, erst am Folgetag kamen erste Geschichten. Diese Abkopplung von der Realität der gesamten rechten Nachrichtenblase ist der Hauptgrund für die Radikalisierung dieser Gruppierung. Die Tatsache, dass wir in Deutschland (noch) keine solche abgekapselte Nachrichtenblase haben, ist meines Erachtens nach auch der Hauptgrund, warum die AfD nicht durchdringen kann. Die haben das ja auch erkannt und traten 2017 mit dem Ziel der Etablierung eines eigenen Nachrichtenkanals an. Aber anders als in den USA fehlt den Rechtsextremisten in Deutschland ein Milliardär, der ein deutsches FOX News finanziert. Und das ist auch gut so. Man sollte dafür sorgen, dass diese Möglichkeit auch in Zukunft nicht besteht.

10) Nihilism Is Destroying Our Democracy

In Cruz’s telling, he is behaving reasonably, and Democrats are responding with unmerited hysteria. This framing is a political calculation, of course, but it’s also revealing. For Trump’s Republican enablers, cynically contesting the electoral vote is now a normal part of the push-and-pull of politics—so the uproar from Democrats and others concerned about the integrity of the election is out of proportion. Democracy, in this view, is a bargaining chip like any other. Enthusiastic enablers of Trump such as Cruz and Hawley have unmoored themselves from the values that make possible a government by and for the people—what might be called civic virtue. [...] There is an obvious irony in someone like Hawley, who has built his career on decrying the cultural corruption and moral emptiness of his Democratic opponents, embracing this sort of nihilism. Hawley has previously argued that the country needs to return to the virtuous roots of the early republic. His evident disdain for the basic principles of democracy means that nobody should have to take his arguments on that score seriously. But his hypocrisy is useful, because it’s a reminder that paeans to the wisdom of the American founding tend to leave a lot out. The civic virtue of the Framers was, after all, the virtue of white men. The United States has existed as a multiracial democracy for only slightly more than 50 years, and the commitment of some Americans to maintaining that new democracy turns out to have been very shallow indeed. (Quinta Jureric, The Atlantic)

Ich betrachte den Nihilismus generell als ein Problem unserer Zeit. Deswegen mag ich auch Sendungen wie die Heute Show oder Serien wie House of Cards nicht. Die Argumentation, dass South Park einer der entscheidenden Wegbereiter für Trump war, ist nicht so abwegig, wie sie sich auf den ersten Blick anhört. Nihilismus ist verbreitet, ein generelles Schimpfen auf "die Politik", der Gedanke, dass es letztlich egal sei, wer regiere; all das führt zu einer zunehmenden Demokratieskepsis und zu Protestwahlen. Trump konnte damit Werbung machen offen zu sagen, dass er lüge, und Millionen von WählerInnen und tausende von JournalistInnen waren sich nicht zu blöde das als "erfrischend" wahrzunehmen und zu erklären, dass das wenigstens ehrlich sei. Ob ihr den Schuss nicht gehört habt, frag ich!

Als Nebenbemerkung zu dem Aspekt der "Werte der Gründerväter": Verweise auf die US-Frühgeschichte werden in den USA mit zunehmender Geschwindigkeit zu nicht mehr als einer dog whistle. Es wird nicht mehr lange dauern, bis Progressive überhaupt nicht mehr auf sie Bezug nehmen und sie nur noch von Rechten benutzt werden, um rassistischen Blödsinn rauszuhauen. Das kriegt man, wenn man Geschichte dermaßen instrumentalisiert und so ahistorischen Blödsinn erzählt.

11) Die Regierung will einfach nicht

Allein die Tatsache, dass in Deutschland weiterhin auf Jahre hinaus ganze Landstriche zerstört werden, um den dreckigsten aller Energieträger aus dem Boden zu graben, ist ein Skandal. Und dann hält das Wirtschaftsministerium mit Steuergeldern finanzierte Erkenntnisse versteckt, die dieses Vorgehen in noch schlechterem Licht erscheinen lassen. Es gibt da eine Parallele zur deutschen Autobranche. Die Tatsache, dass deutsche Konzerne über Jahre technische Betrugssysteme in Millionen Autos eingebaut haben, brachte ihnen aus Berlin nicht viel mehr als ein Stirnrunzeln ein. Die Kungelei mit der Kohlebranche, mit energieintensiven Branchen und mit der Autoindustrie ergeben ein fatales Muster: Anders als immer wieder wortreich behauptet, hat die gegenwärtige Bundesregierung augenscheinlich kein echtes Interesse daran, die absolut fundamentale Umstrukturierung, die Deutschland zwangsläufig und sehr schnell wird durchlaufen müssen, ernsthaft anzugehen. Stattdessen verhätschelt sie mit Hinterzimmerdeals und Gefälligkeiten sterbende Branchen und sterbende Geschäftsmodelle. [...] Gut möglich, dass es letztlich darum geht, der Union genügend Verfügungsmasse für Koalitionsverhandlungen mit den Grünen im kommenden Herbst zu verschaffen. Für solche taktischen Spielchen ist aber einfach keine Zeit mehr. Das CO2-Budget, das die Menschheit noch in die Atmosphäre blasen kann, bis das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu halten ist, reicht noch sieben Jahre. Sieben Jahre. Das sind nicht einmal zwei Legislaturperioden. In Berlin scheint man das immer noch nicht begreifen zu wollen. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)

Wie lange Merkels lächerliche Inszenierung als "Klimakanzlerin" getragen hat ist der blanke Irrsinn. Wir leben seit 20 Jahren von den Früchten von Rot-Grün, und das waren schon keine besonders großen Früchte. Seit spätestens 1990 ist bekannt, wie ernst die Lage ist und wie groß die Herausforderung. Es ist so gut wie nichts passiert. Wir haben solche Knallpfeifen im Kabinett wie Peter Altmaier. Glaubt noch irgendjemand, dass in den nächsten Jahren groß etwas passiert? Ich glaube mehr und mehr, wir müssen die Horrorszenarien der Erderwärmung um 2 Grad nicht länger als dystopische Zukunft betrachten, die kommt wenn wir nicht handeln, sondern als etwas, das bereits passiert ist. Wir haben in den letzten 30 Jahren nicht gehandelt. Wir werden auch in den nächsten zehn Jahren nicht handeln. Die Erwärmung wird kommen, und mit ihr all die Katastrophen. Es ist ein trübes Bild.

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