Mittwoch, 24. November 2021

Der ängstliche Heiko Maas ist auf dem überfluteten Dach des taiwanesischen Gerichtsgebäudes zu brav - Vermischtes 24.11.2021

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) In der Bravheitsfalle

Auch habituell verwandelten sich die Grünen. Habeck verordnete seiner Partei eine neue Sprache. Das Wort der "schmutzigen Jobs" etwa strichen die Grünen aus ihrem Vokabular und betonten stattdessen ihren Respekt für Kohlearbeiter. Statt auf Rechthaben und Rechtbehalten setzen die Grünen nun auf "Freundlichkeit, Argumente, eine einladende Sprache, Zuversicht", wie es Habeck einmal zusammenfasste. Sie verabschiedeten sich vom ritualisierten Dagegensein, betonten stattdessen ihre "Verantwortung für das Ganze" und präsentierten sich in der Opposition so staatstragend, als würden sie längst mitregieren. Die Entbürgerlichung der Union (in öffentlichen Konflikten, Gremiensitzungen, Geschäftemachereien) bildete dabei die Folie, auf der die Verbürgerlicherung der Grünen besonders deutlich in Erscheinung trat. Der Anstand wurde zum Markenkern: Konsens statt Konflikt, Demut statt Demütigung, die Mäßigung als strategisches Mittel. [...] Intellektuell brachten die Grünen, drittens, ihr neues Selbstverständnis vor allem auf einen Begriff: Bündnispartei. Die Formel war eine Absage, an Kategorien wie links und rechts (die die Grünen nunmehr für überholt erklärten), an Lagerdenken und altmodisches Zeug wie Interessengegensätze. [...] Man konnte den Grünen förmlich dabei zusehen, wie sie sich in den Kulissen ihrer eigenen Erzählung verirrten. Die Harmonie, die die Grünen verströmten, wurde im Wahlkampf auf brutale Weise konterkariert. Der postideologische Zauber der neuen Grünen verflog. Die Wir-gegen-die-Logik, der sich die Grünen bislang so kunstvoll entzogen, holte sie im Wahlkampf ein, verdattert stellten sie fest: die-gegen-uns. (Robert Pausch, ZEIT)

Ich glaube nicht, dass die Strategie per se falsch war. Gerade die Bewegung zur Mitte, die Abkehr von alten ideologischen Abwehrkämpfen und die Distanzierung zu den eher aktivistischen Elementen und der entsprechenden Vergangenheit, das geradezu offensive Bekunden des eigenen Regierungswillens, waren letztlich Vorbedingungen des Umfrageerfolgs, auf dem die Partei im Frühjahr 2021 schwamm. Das Problem war das völlige unvorbereitet Sein gegenüber der vorhersehbaren Tatsache, dass ihre ideologischen Gegner nicht einfach den Bauch nach oben drehen und das akzeptieren, sondern die Partei aggressiv als radikal brandmarken würden. Das nennt sich Wahlkampf, wovon die Grünen-Spitze nie gehört zu haben scheint. Die Konsequenz war dann der Absturz, das "in der eigenen Erzählung verirren", wie das Pausch so schön formuliert. Es war diese Leere, die Baerbocks Fehler in Desaster auswachsen ließ.

2) Der DACH-Schaden

Das ist nur eine Auswahl der Faktoren, die die Impfquote auch beeinflussen. Was sie alle gemein haben: Sie ergeben sich nicht aus den Untiefen der völkerpsychologischen Vergangenheit, sondern aus konkretem politischen Handeln. Es gibt also Verantwortliche. Es gibt falsche und richtige Entscheidungen, es gibt Interessen, die sich durchsetzen, und solche, die unterliegen. Dass in Deutschland 3G am Arbeitsplatz noch immer nicht Pflicht ist, zeigt, dass Eingriffe in die Arbeitswelt hier offenbar schwerer umzusetzen sind als Eingriffe ins Bildungssystem. Ausgerechnet in der wirtschaftsfreundlichen Schweiz war das Anfang 2021 übrigens anders: Die Schulen blieben offen, die Arbeitnehmer mussten ins Homeoffice. [...] All das lässt sich zwischen den Balken der Impfquoten-Grafiken erkennen. Wie genau die verschiedenen Faktoren das Impfverhalten beeinflussen, wie sie zusammenwirken und zu gewichten sind, ist momentan unmöglich festzustellen. Der Soziologe Oliver Nachtwey, der zu Querdenkern und Impfverweigerern forscht, weist zu Recht darauf hin, dass man "erst nach längerem Forschungsprozess wirklich beantworten" könne, was hinter den niedrigen Quoten steckt. So lange wartet die Öffentlichkeit nicht. Sie zieht jetzt schon ihre Schlüsse. Was wollen wir in der Impfquoten-Grafik vor allem sehen? Die Spätfolgen deutschsprachiger Romantik? Die Widerständigkeit der Alpenbewohner? Den Föderalismus? Die Folgen administrativer Versäumnisse? Den Einfluss rechter Parteien? Die falsche Feigheit vor lauten Minderheiten? Das Bild, das wir uns von der Pandemie machen, wird darüber bestimmen, mit welchen Lehren wir aus ihr herausgehen. (Lenz Jacobsen, ZEIT)

Ich habe diese beiden Abschnitte aus dem Artikel zitiert, weil sie mir wichtige Punkte berühren. Das erste ist die ungleiche Lastenverteilung während der Pandemie. Dass es immer noch keine Testpflicht am Arbeitsplatz gibt ist etwa ein absoluter Skandal. An den Schulen testen wir alle Schüler*innen dreimal die Woche durch. In den Betrieben wird immer noch weitgehend so getan, als sei die Pandemie das Problem von anderen Leuten. Es wird gerade wieder diskutiert, die Schulen früher zu schließen. Niemand debattiert irgendetwas, das die Wirtschaft betreffen würde. Diese Feigheit zieht sich wie ein roter Faden durch die Pandemie.

Der andere Punkt ist im letzten Satz des Zitats oben deutlich kristalliert. Wir werden noch lange nicht genau wissen, was eigentlich abgelaufen ist (was im Übrigen vorhersehbar war, ich darf an meinen entsprechenden Artikel vom April 2020 erinnern). Nur müssen im Hier und Jetzt trotzdem Entscheidungen getroffen und Urteile gefällt werden, ob von der Politik oder allen Bürger*innen, täglich aufs Neue. Das ist ein praktisch nicht auszulösender Widerspruch.

3) "Die Klimakrise lässt sich nicht bestechen" (Interview mit Viola Wohlgemuth)

ZEIT ONLINE: Wie funktioniert dieses Greenwashing konkret?

Wohlgemuth: Nestlé und andere große Firmen haben ein gut funktionierendes System entwickelt: Sie gründen NGOs, die sich angeblich der Nachhaltigkeit verschrieben haben – aber in Wahrheit PR für Nestlé machen. Zwei Strategien gehen dabei Hand in Hand: verzögern und ablenken. [...]

ZEIT ONLINE: Was wollen die Firmen damit erreichen?

Wohlgemuth: Die Kampagnen sollen verschleiern, wer die Schuld an den Problemen trägt. Und sie sollen der Öffentlichkeit weismachen, dass diese Probleme gar nicht so groß seien – dass etwa Recycling viel besser funktioniere als angenommen. Und dass man ruhig die nächsten zehn, zwanzig Jahre weitermachen könne wie gehabt. Die Fälle sind gut dokumentiert. Gerade Nestlé nimmt viel Geld in die Hand, um die Öffentlichkeit auf falsche Fährten zu lenken. Aber sie sind nicht die einzigen. [...]

ZEIT ONLINE: Für Firmen wie den Hafermilchhersteller Oatly, den Fleischersatz-Produzenten Beyond Meat oder in Deutschland Rügenwalder Mühle gehört Nachhaltigkeit zum Markenkern. Nehmen Sie den Unternehmen ihre idealistischen Motive ab?

Wohlgemuth: Diese Firmen haben erkannt, dass sich Produkte über das Thema Nachhaltigkeit gut vermarkten lassen. Ich will das gar nicht schlechtreden. Die Impulse dieser Unternehmen sind wertvoll. Etwa beim Fleischersatz: Wenn ich mir für die nächste Grillparty im Supermarkt eine vegane Bratwurst kaufen kann statt eine aus Fleisch, dann ist das einfacher, als wenn ich mich mit komplett selbst gemachten veganen Produkten auseinandersetzen muss. Das bringt uns der notwendigen gesellschaftlichen Transformation ein ganzes Stück näher. (Ferdinand Dyck, ZEIT)

Natürlich nutzen Firmen Greenwashing für ihre PR. Insgesamt ist das aber ein gutes Signal: dass Firmen es mittlerweile für nötig erachten, lang und breit zu erklären, warum sie (angeblich) klimafreundlich agieren, zeigt die Bedeutung, die das Thema mittlerweile hat. Dasselbe gilt ja für die obligatorischen Diversity-Pledges, die mittlerweile in praktisch jedem größeren Unternehmen Standard sind. Allzu häufig verbirgt sich nur wenig dahinter, aber jedes Bisschen hilft und das offene Propagieren dieser Ideale sorgt für entsprechenden Veränderungs- und Akzeptanzdruck in der Gesellschaft.

Und natürlich gibt es solche und solche Unternehmen. Gerade die im Text genannten Oatly, Beyond Meat oder Rügenwalder Mühle sind zwar vielleicht nicht gerade Helden der Klimaneutralität, aber sie sind deutlich besser als Nestlé. Man muss da aufpassen, bei aller berechtigten Kritik nicht einem Zynismus Vorschub zu leisten, der auf dem Eindruck beruht, dass nichts je ausreichend ist und dass es eh egal sei, was man macht.

4) What Rhymes With Breyer?

Which brings us to Justice Stephen Breyer. At 83, he has not announced his retirement. Even though he finds himself in the functional equivalent of that Obama-Ginsburg moment in 2013, with a Democrat in the White House and Democrats in control of the Senate. Even though Joe Biden’s approval rating is at 41 percent. Even though Democrats just lost the governor’s mansion in one blue state (Virginia) and barely held on to it in another (New Jersey). Even though congressional Democrats are currently careening toward a 2022 midterm wipeout, with Republicans testing better on generic ballots than they have in 40 years. [...] When we repeatedly admonish older public officials to retire, we’re erasing their individuality and turning them into actuarial statistics, which no matter how you look at it is rather ugly—no one likes to be told that their mortality is becoming a problem. In the most practical sense, we’re asking them to void their calendar, to replace something with nothing at all. [...] Walking away is especially challenging for those whose identity is entirely reliant on the institution they serve. Vermont’s Patrick Leahy, 81, may have just announced his plans to retire from the Senate, but Iowa’s Chuck Grassley, 88, is planning on running for his eighth term in 2022, and California’s Dianne Feinstein has filed paperwork to run again in 2024, when she’ll be 91. (Our Senate is now the oldest it’s been in our history. Twenty-three members are in their 70s.) “If you’re a violinist, you can play in retirement,” Sonnenfeld told me in that same conversation. “But if you’re a conductor, where your identity depends on the group, you can’t really replicate that in retirement.” (Jennifer Senior, The Atlantic)

Es ist selbstevident, dass Breyer zurücktreten muss, wenn die Democrats die Verwandlung eines völligen judikativen Desasters in eine Jahrhundertkatastrophe verhindern wollen. Der empathische Zugang Seniors zeigt aber auch deutlich, dass das Grundproblem systemischer Natur ist. Die lebenslangen Amtszeiten der Supreme-Court-Justices sind ein absurdes Relikt einer Ära, in der man es mit Demokratie noch nicht so hatte. Und sie führen zu zahlreichen Verzerrungen und Problemen. Gleichzeitig ist es absolut verständlich, dass Menschen mit solchen Berufen auch über das Rentenalter weiterarbeiten wollen. In Deutschland wäre Wolfgang Schäuble ein hervorragendes Beispiel dafür. Aber dieser durchaus nachvollziehbare Wunsch kann nicht vorrangig vor den Interessen des Gemeinwesens behandelt werden. Die Einführung von Amtszeiten für den SCOTUS ist längst überfällig.

5) Ampelparteien einigen sich auf Legalisierung von Cannabis

Nach vier Jahren soll das entsprechende Gesetz dem Bericht zufolge mit Blick auf gesellschaftliche Auswirkungen evaluiert werden. Bislang ist der Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken in Deutschland verboten. Grüne und FDP sprechen sich aber seit Längerem für einen legalen, regulierten Handel mit Cannabis aus. [...] Gleichzeitig wollen die Parteien die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis verschärfen. »Wir messen Regelungen immer wieder an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und richten daran Maßnahmen zum Gesundheitsschutz aus«, heißt es dem Bericht zufolge in dem Papier der Ampel-Arbeitsgruppe. [...] Die drei möglichen Partner einer Ampelkoalition hatten sich in ihren Wahlprogrammen allesamt in der einen oder anderen Form für einen regulierten legalen Verkauf von Cannabis für den Freizeitgebrauch an Erwachsene ausgesprochen. Bislang darf Cannabis in Deutschland nur zu medizinischen Zwecken gehandelt und verkauft werden. Die Argumente für eine Legalisierung sind bei SPD, Grünen und FDP weitgehend die gleichen [...] (muk/AFP, SpiegelOnline)

Gleich vorweg: Mir ist das Cannabis-Thema reichlich egal. Ich habe keine ernsthafte Meinung zur Legalisierung, aber ich bin aus einem (zugegeben albernen) beruflichen Grund froh, dass das Zeug ab jetzt legal ist: ich muss keine Erörterungen und Debatten in der Schule mehr zu dem Thema machen. Denn aus mir nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen bewegt das Thema die Schüler*innen wie kein zweites. Wann immer ich frage, was erörtert oder debattiert werden soll (ich stelle das für gewöhnlich frei), Cannabis-Legalisierung war todsicher dabei. Und ich kann es nicht mehr hören. Daher: Hurra, das Thema ist weg.

Jetzt aber etwas ernsthafter. Die Legalisierung ist genau ein Beispiel für das, warum ich eine Ampel befürwortet habe. Längst gibt es in Deutschland eine breite Mehrheit für die Legalisierung; nur die anhaltende Regierungsbeteiligung der CDU, die sie aus ideologischen Gründen ablehnte, verhinderte sie bislang. Das Thema war aber nie wichtig genug, als dass die Koalitionspartner der CDU ihr politisches Kapital investieren wollten, um den Widerstand zu überwinden. Ähnliche Reformen, die lange aufgestaut wurden und wo zwischen den Ampelparteien Einigkeit besteht, gibt es in vielen gesellschaftlichen Bereichen.

6) Welcome to the Age of Lawless Masculinity

Authoritarianism has evolved over the past century, and old-school dictatorships are now joined by electoral autocracies. Yet at least one constant remains: Illiberal political solutions tend to take hold when increased gender equity and emancipation spark anxieties about male authority and status. A conquest-without-consequences masculinity, posing as a “return to traditional values,” tracks with authoritarianism’s rise and parallels the discarding of the rule of law and accountability in politics. We commonly associate autocracy with state restrictions on behavior, but the removal of checks on actions deemed unethical in democratic contexts (lying, thievery, even rape and murder) is equally important to its operation and appeal. [...] Flamboyant virility has always tended to go hand in hand with authoritarian politics, which is driven by the need to possess and exploit bodies, minds, national resources, and more. It’s easy to laugh at the pectoral-baring performances of Mussolini and Vladimir Putin, and dismiss the rape jokes made by Jair Bolsonaro and Rodrigo Duterte of the Philippines, but the strongman style of leadership responds to perceived threats to male authority by upholding patriarchal privilege and the rights of men to satisfy their “natural” male desires. [...] The ethos of lawless masculinity is a lubricant of corruption, normalizing behaviors and redefining illegal or immoral acts as acceptable, from election fraud to sexual assault. These new norms attract collaborators who find it thrilling to be able to commit criminal acts with impunity. (Gosar used promises of blanket pardons to recruit participants for the January 6 coup attempt.) Charismatic authoritarians diffuse models of power based on brute force, and soon the political system spawns individuals who earn status by imitating them. [...] Whether or not Trump returns to office, the GOP has made his brand of outlaw glamour its own. A real man takes what he wants, when he wants it, whether in the bedroom, the workplace, or politics, and pays no penalty. As the Republican quest to destroy democracy intensifies, so will abusive, predatory, and criminal behavior be further enabled and justified. For a century, “getting away with it” has been central to authoritarianism’s allure, and it will be no different as the American version of illiberal rule unfolds. (Ruth Ben-Giat, The Atlantic)

Die von Ben-Giat untersuchte Verbindung toxischer Maskulinität und autokratischer Regierungsformen ist der Elefant im Raum, dessen Existenz konsistent wie bewusst ignoriert wird. Dieses Phänomen ist übrigens keinesfalls auf das rechte Spektrum beschränkt. Auch unter Linksautokraten findet sich diese Betonung von Machismo, ob bei Chavez, Maduro oder Morales, nur um einige zeitgenössische Beispiele zu nennen. An dieser Stelle sei auf die bahnbrechende, wenngleich nicht unbedingt leicht lesbare Grundlagenforschung von Theweleit ("Männerphantasien") verwiesen.

7) No, Neocons, China Is Not About to Invade Taiwan

That the Chinese military enjoys vast military superiority vis-a-vis Taiwan is not in doubt. But that such resources can be used to mount an amphibious assault is something else altogether. The Chinese military last fought a war in 1979 against Vietnam, and the PLA was badly bloodied. That means that the soldiers and officers who make up China’s military today have virtually no direct combat experience. [...] A Chinese invasion of Taiwan would look more like the WWII Marine assaults on the rough and unforgiving terrain of Pacific islands than it would D-Day (which was no walk in the park either), but against an exponentially more competent and technologically advanced military. Even if somehow China were successful in invading Taiwan and occupying the island, it would then find itself in the position of having to pacify and potentially rebuild an advanced nation of 23 million people (two million of whom are members of the nation’s military reserves). Putting aside the virtually insurmountable military obstacles, there’s the larger issue of how the United States and other nations in the region would respond (in recent weeks, Japanese leaders have made clear their determination to help Taiwan in the wake of Chinese invasion)? The U.S. could play a decisive role, even without boots on the ground in Taiwan. For example, American naval and air forces could wreak havoc on Chinese supply lines. [...] The U.S. can play a useful role in maintaining the ambiguous status quo. Since 1979, the U.S. has adhered to a “one China” policy, which views Beijing as the sole legitimate government of China. The U.S. would do well to make clear that this policy remains in place, while at the same maintaining its position of “strategic ambiguity” and discouraging any provocative moves by Taiwan toward independence. But above all, the Biden administration needs to ignore the alarmist rhetoric of those warning that a Chinese invasion is imminent or even read too much into China’s provocations. Even if it wanted to, China is not about to invade Taiwan. (Michael Cohen, The Soapbox)

Taiwan ist einer jener Punkte auf der Welt, die für den Ausbruch eines Krieges am wahrscheinlichsten sind. Ich teile allerdings die These Cohens, dass die chinesische Armee (noch) nicht in der Lage ist, dort ernsthaft zu landen. Allerdings gibt es auch auf dem Meer oder in anderen Bereichen eine ganze Reihe von Potenzialen für eine Eskalation, und ich bin immer wieder aufs Neue unsicher, ob die unklare Haltung der USA - würden sie gegebenenfalls militärisch zum Schutz der taiwanesischen Souveränität bereitstehen? - die Sicherheit erhöht oder verringert. Man sollte in jedem Falle nie vergessen, wie unklar die Potenziale der beteiligten Staaten alle sind. Seit Jahrzehnten gab es keinen Krieg zwischen entwickelten Staaten mehr. Das ist eigentlich durchaus Anlass zum Feiern, kann aber möglicherweise dafür sorgen, dass ein Militär mit wesentlich zu großem Selbstbewusstsein der Überzeugung ist, das eigene Land sei überlegen und auf dieser Basis eskaliert. Es wäre nicht das erste Mal.

8) Oh, diese jämmerliche Angst

Wären die organisierten und radikalen Corona-Leugner keine wahlberechtigten Deutschen, sondern in Deutschland lebende Türken, würde der Innenminister wahrscheinlich auf der Stelle die rechtliche Grundlage für Abschiebungen prüfen. Der mediale Erregungspegel läge irgendwo oben im Himmel, "konservative" Kommentatoren würden Rechtsstaatrechtsstaat schreien und Polizeigewerkschaftsvorsitzende würden Tag und Nacht zusammen mit Wolfgang Bosbach im TV-Newsroom irgendeiner Zeitung fordern, die Integrationsverweigerer (so würde man sie nämlich nennen) ohne Gerichtsverfahren sofort in den Abschiebeknast zu schicken. [...] Seit Pegida gibt es im politischen Raum eine groteske Aufwertung von Dummheit. Die berühmten Sorgen der echten Deutschen, die mal im Gewand von Ausländerekel oder Impfhass daherkommen, werden seitdem unentwegt höher bewertet als Forschung und Wissenschaft. Und wieder einmal erstarrt dieses Land seit fast zwei Jahren vor einer extremen Minderheit. Und immer findet sich wenigstens ein Ministerpräsident, der nicht nur halbherzig, sondern gleich nullherzig nicht das tut, wofür sie oder er gewählt wurde. Nämlich Entscheidungen zum Wohle und zur Sicherheit der Bevölkerung zu treffen und diese gegenüber einer rotzfrechen und mittlerweile komplett angstfreien radikalen Bewegung durchzusetzen. [...] Man sollte auch endlich aufhören, die Selbstbezeichnung dieser demokratieaushöhlenden Bewegung zu übernehmen und sie keinesfalls mehr "Querdenker" nennen. Es sind Extremisten und sie werden sich nicht auf die Ablehnung von Masketragen und Impfen beschränken. Sie werden sich neue Widerstandsgesten einfallen lassen, um das über Jahrzehnte gewachsene Gefühl von einer fürsorglichen Gesellschaft nachhaltig zu zerstören. [...] Wenn man das alles einmal, vor allem in den Medien, verstanden hat, wird es sicher auf der Stelle aufhören, dass Mediziner in den Talksendungen sitzen, und statt ihrer Extremismusforscher und Experten, die sich mit präfaschistischen Strömungen auskennen. Schlagartig würde man bereuen, wie viel Zeit man damit verplemperte, wissenschaftliche Erkenntnisse wieder und wieder vorzutragen und sie Abend für Abend, Jahr um Jahr stoisch und fern jedem Erkenntnisgewinn durchzunudeln, während unter uns längst schon wieder erkrankt, gelitten und gestorben wird. (Mely Kiyak, ZEIT)

Die Feststellung, dass mit den Schwurblern sehr, sehr anders umgegangen wäre, wenn es irgendwelche Linksradikalen oder Migrant*innen wären, dürfte ziemlich unkontrovers sein. Problematisch ist ja vielmehr der diffuse Überlapp zwischen den radikalen Coronaleugnenden einerseits, die gnädigerweise immer noch eine sehr geringe Minderheit sind, und andererseits dem leider rund 20% umfassenden Segment, das eine Impfung aus anderen Gründen ablehnt. Um bei der oben gewählten Terror-Analogie zu bleiben: die meisten von ihnen, und nicht mal alle, sind bestenfalls Sympathisanten. Und man will sie nicht zu den willigen Rekrut*innen der Radikalen machen.

Gleichzeitig gilt aber auch, dass das Ausmaß der Akkomodierung dieser Minderheit ins Lächerliche abgerutscht ist. Sie nehmen mittlerweile die Gesellschaft in Geiselhaft. Die Politik setzt einen klaren Anreiz, mit maximal schrillen Forderungen aufzutreten. Die Ministerien sagen das ja sogar offen: die Schwurbler überfluten sie mit Mails, während von der vernünftigten, schweigenden Mehrheit praktisch nichts kommt. Man muss daher zeigen, dass auch auf der anderen Seite Menschen mit berechtigten Anliegen stehen. Ins gleiche Horn stößt Christian Stöcker mit seiner Kolumne "Vergesst den Zusammenhalt", die zur Lektüre empfohlen sei.

9) Der lukrative Kampf gegen den Mehrwertsteuerbetrug

Karl Heinz Krug von der Beratungsgesellschaft Capgemini Deutschland sieht Italien als Vorbild – ausgerechnet das Land, das in dem Ruf steht, eine gewisse mediterrane Lässigkeit in Steuerfragen an den Tag zu legen. Touristen, die dort unterwegs sind, wissen es besser: Für jeden Espresso, für jedes Eis gibt es einen Kassenzettel. Wer keinen Ärger mit der Finanzpolizei riskieren will, sollte ihn aufbewahren, bis das potentielle Corpus Delicti ausgetrunken oder verspeist ist. Seit dem Jahr 2019 werden nicht nur die Endverbraucher scharf kontrolliert. „Italien ist eines der europäischen Länder, das beim Umsatzsteuerbetrug beziehungsweise der Umsatzsteuerhinterziehung erfolgreich eingegriffen hat“, berichtet Krug. Es gebe nun die Pflicht, Rechnungen elektronisch zu erstellen. Diese würden in einem vorgegebenen Datenformat über ein zentrales Register an den Rechnungsempfänger übermittelt. Für den früheren Bürgermeister von Bad Homburg liegt der Vorteil auf der Hand: Dieses Vorgehen ermögliche der Finanzverwaltung sofort eine elektronische Kontrolle der Zahlungen. In Deutschland hat der Föderalismus im Zusammenspiel mit den üblichen Beharrungskräften ein solches System verhindert. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages gehen davon aus, dass das italienische System grundsätzlich hierzulande eingeführt werden kann. (Manfred Schäfers, FAZ)

Dieser Artikelhinweis kam in den Kommentaren von CitizenK, und ich will ihn an der Stelle noch einmal aufgreifen. Wie in so vielen Fällen ist der Kampf gegen Steuerhinterziehung einer, der selektiv nicht geführt wird, weil die Politik ihn nicht führen will. Die Möglichkeiten dafür bestehen. Man sieht das auf zahlreichen anderen Feldern auch, wo die geltenden Gesetze nur unzureichend durchgesetzt werden, vom Falschparken bis zum Tempolimit. Bestimmte Dinge, vor allem wenn sie von bestimmten Gruppen verübt werden, gelten nur als Kavaliersdelikte.

Ebenfalls interessant ist einmal mehr die Korrektur des völlig verzerrten Italien-Bilds, das viele Deutsche haben (was auch andere Länder betrifft, aber hier ist es eben Italien). Der Überlegenheitsdünkel der Deutschen ist gerade angesichts des multiplen Staatsversagens nicht nur in der Corona-Krise, sondern gerade auch bei Digitalisierung, Öffentlichem Nahverkehr und vielen anderen Bereichen immer wieder gerechtfertigt; es ist die mangelnde Selbstreflexion angesichts der eigenen Mittelmäßigkeit, die ich auch jüngst im Podcast angesprochen habe, die hier ausschlaggebend ist.

10) Der CDU-Mann von gestern

Solche und ähnliche Argumente sind landauf, landab in den Debatten zu hören, geht es um die Zukunft der Christdemokraten. Sie kommen aber nicht aus der CDU, sondern vom linken bis linksliberalen Publikum, dem es bei der Vorstellung graust, Merz könnte zum Widerpart der kommenden Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP werden. Offenbar liegt diesen Stimmen nichts näher, als sich um die Zukunft einer Partei zu sorgen, die sie selbst niemals wählen würden. [...] Und deshalb ist die weitverbreitete Furcht von einem Gottseibeiuns-Friedrich-Merz falsch. Als Vorsitzender einer CDU in der Opposition ist der Mann ideal dazu geeignet, um ein Anwachsen der christdemokratischen Stammklientel in die Mitte zu verhindern. Seine gesellschaftlichen Vorstellungen würden vielmehr den Abstand zu SPD et al. vergrößern und damit dafür sorgen, dass die CDU als konservative Partei wieder kenntlicher und wählbarer wird. [...] Wenn die Ampelkoalition hält, und dafür spricht momentan ja so einiges, wird Friedrich Merz bei der nächsten Bundestagswahl kurz vor seinem 70. Geburtstag stehen. Zwar erlangte Konrad Adenauer auch erst im 74. Lebensjahr die Kanzlerschaft für die CDU, doch solche Karrieren älterer Herrschaften – von Frauen ganz abgesehen – sind in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland doch höchst seltene Ausnahmen geblieben. Und so bliebe Friedrich Merz für einige Jahre ein auch für die Anhänger der Regierungsparteien höchst nützlicher CDU-Chef, der, wenn es wieder ans Wählen geht, sein Haltbarkeitsdatum überschritten hat (wobei wir ihm stets beste Gesundheit wünschen). (Klaus Hillenbrand, taz)

Hillenbrand hat natürlich einerseits völlig Recht: meine Präferenz für den CDU-Vorsitz kann der CDU grundsätzlich egal sein, weil diese Partei meine Stimme nicht bekommen wird. Aber ich denke, er sitzt einem Denkfehler auf. Denn irrelevant ist die Ansicht breiter Bevölkerungsgruppen, die die CDU nicht wählen würden, bezüglich der CDU-Spitze trotzdem nicht. Man muss nicht weiter schauen als Angela Merkel um zu sehen warum. Ihre Kritiker verweisen gerne darauf, dass ihre hohen Beliebtheitswerte von der Partei entkoppelt sind; dass ihr Kurs mehr Anhänger außer- als innerhalb der CDU habe.

Während diese Behauptung immer eine absurde Übertreibung war, ist eines definitiv wahr: Angela Merkel war eine Kanzlerin, mit der eine riesige Mehrheit der Deutschen grundsätzlich leben konnte. Für die Wahlchancen der CDU war das nicht deswegen wichtig, weil viele Leute die Partei wegen Merkels wählten, sondern weil viele wegen dieser Grundzufriedenheit ihre Konkurrenz NICHT wählten. Jemand wie Merz mag zwar das eigene Lager konsolidieren. Er konsolidiert aber auch die Gegner. Ob das am Ende ein Netto-Plus wird, ist schlicht unklar. Ein Automatismus aber ist es keinesfalls.

Auch das Argument mit dem Alter würde ich mit Vorsicht genießen. Wenn wir die Gerontokratie in den USA ansehen, vom Supreme Court (siehe Fundstück 4) über Biden, Warren und Trump - es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Altersmarke von 70 irgendwie zu einer Verlangsamung der politischen Aspirationen führen würde...

11) Eröffnungsrede von Außenminister Heiko Maas anlässlich des Berliner Forum Außenpolitik der Körber Stiftung

Und deshalb bedeutet Afghanistan einen Einschnitt. Wir dürfen aus diesem Einsatz nun nicht ableiten, dass Deutschland zukünftig international keine Verantwortung mehr übernehmen sollte. Etwa die Abwehr terroristischer Gefahr, die sehr schnell auch in Europa ankommen kann, wird auch in Zukunft weiterhin Bundeswehr-Auslandseinsätze rechtfertigen. Aber dennoch ist klar: Unsere Hebel, um andere Länder zu beeinflussen, haben Grenzen. Mehr Mitteleinsatz bringt nicht zwangsläufig bessere Ergebnisse. Der Export uns genehmer Staatsformen kann nicht allein der Anspruch deutscher Außenpolitik sein. Stattdessen muss sich diese deutsche Außenpolitik zukünftig realistische Ziele setzen, die klar definierten deutschen Interessen entsprechen. Oder zugespitzt gesagt: Es ist Zeit für ein Ende der Illusionen. Meine Damen und Herren, das klingt erst einmal hart – nach Zynismus, Resignation oder Rückzug. Ich plädiere allerdings dafür – und so tut dies auch Reckwitz in dem von mir erwähnten Buch – Desillusionierung als Chance zu begreifen: für eine neue politische Nüchternheit, für undogmatische Zuversicht und für einen pragmatischen Realismus. Genau ein solcher Realismus eröffnet auch der deutschen außenpolitischen Debatte neue Perspektiven: Er lässt überzogene Hoffnungen auf ein „Ende der Geschichte“ hinter sich. Aber er vermeidet auch einen ebenso übertriebenen Pessimismus und Alarmismus, der sich zuletzt in vielen außenpolitischen Wortmeldungen in Deutschland breitgemacht hat. Denn Sachlichkeit – nicht Übermut oder Angst – sind die richtige Grundlage für eine Analyse der Lage Deutschlands in der Welt. (Heiko Maas, Auswärtiges Amt)

Heiko Maas ist echt ein Außenminister, den ich absolut nicht ernstnehmen kann. Nachdem er vier Jahre lang im Endeffekt nur irrelevanten Quatsch geredet (Stichwort Zauberstab der Verhandlungen) hat, fällt ihm jetzt, wo er sein Amt wird abgeben müssen, quasi eine Minute vor zwölf auf, dass eine Definition strategischer Ziele für Deutschland schon ganz praktisch wäre. Das ist auf einem Level mit Jens Spahn, der gerade erkennt, dass weitsichtige Corona-Politik doch gar nicht so verkehrt wäre.

Mangelnde strategische Weitsicht ist ein Dauerproblem in Deutschland. Es ist ja nicht so, dass Deutschland keine strategische Außenpolitik machen KÖNNTE, es ist vielmehr, dass es keine machen WILL. Da brauch ich dann auch nicht von "strategischen Interessen" zu reden, denn die zu definieren, erfordert ja erstmal die Einsicht, dass man welche hat.

Nachdem diese Erkenntnis bei Maas jetzt verspätet doch noch auftragt, überkompensiert er gleich und verfällt in den alten Denkfehler, dass Werte/Moral und Pragmatismus/Realismus sich ausschließen würden. Das schließt sich aber eben nicht aus, wie Ulrich Speck schön darstellt. Wie wir gerade in Belarus sehen, kann man sich mit der Idee ebenfalls schön in die Sackgasse manövriern. Nein, nur mit ein paar markigen One-Linern von wegen "Realismus" und "pragmatisch" und einer entschlossenen Visage kommt man da nicht raus.

Also, Heiko Maas schon. Gott sei Dank. Hoffen wir, dass die Grünen das besser machen werden. Die Latte hängt ja tief genug.

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