Dienstag, 28. November 2023

Putins Bürokratie pusht mit Hilfe von Milliardär*innen Osama bin Laden zur Wahl der AfD - Vermischtes 28.11.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Dreiste Umkehr von Gut und Böse

Die Autorin beschreibt Russlands aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklung als einen Rückschritt in die Zeiten von Stalin und seinen repressiven Praktiken. Putin, inspiriert von seinem persönlichen Helden Andropow, führt disziplinarische Kontrollen und Repressionen gegen Kultureinrichtungen und Menschenrechtsorganisationen durch. Memorial, eine mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Menschenrechtsorganisation, wurde aufgelöst, und die Führungsperson Oleg Orlow wird wegen "Diskreditierung der russischen Streitkräfte" angeklagt. Die Autorin vergleicht die aktuelle Situation mit der bolschewistischen Revolution, da viele gut ausgebildete Menschen Russland verlassen, um der zunehmenden Repression zu entkommen. Die politische Entwicklung wird als eine Abkehr von rationalen, logischen und humanitären Werten hin zu einer Ära von Absolutismus und staatlicher Gewalt beschrieben. Die Autorin warnt vor den dunklen Kräften, die eine umfassende Rache für den Zusammenbruch der Sowjetunion anstreben und Russland unter vollständige Kontrolle bringen wollen. (Nina L. Khrushchevac, IPG)

Die Zahlen des Brain Drain aus Russland sind echt krass. Hunderttausende von Menschen haben das Land verlassen. Natürlich muss man das gegen eine dreistellige Millionenbevölkerung stellen, aber wir reden hier ja von einer Subauswahl von Leuten, die ähnlich wie im Kalten Krieg eher systemrelevant sind. Wie stark sich Russland zudem wieder den dunkelsten bolschewistischen Zeiten annähert ist ebenfalls mehr als beängstigend, aber angesichts des KGB-Fanboys im Kreml nur konsequent. Mir war bisher nicht bekannt, dass Putin Andropow als sein großes Vorbild sieht, aber es macht Sinn - vor allem vor dem Hintergrund seiner Ablehnung Gorbatschows und seiner eigenen Biografie. Andropow war der erste Vorsitzende, den er politisch bewusst erlebt haben dürfte, die große Vaterfigur aus dem geliebten KGB, die es bis an die Spitze brachte und dann ihr Werk von einem Emporkömmling zerstört sah. Passt alles.

2) A Bureaucrat by Any Other Name

Der Autor diskutiert die Herausforderungen, die durch den administrativen Staat entstehen, und verwendet das Beispiel der Familie von Malcolm X, den Littles, die es mit aufdringlichen und bevormundenden Sozialarbeitern zu tun hatten. Der administrative Staat, oft als "Machinerie der Regierung" betrachtet, kann scharfe Kanten haben, die vulnerable Personen beeinträchtigen. Die Notwendigkeit eines Sicherheitsnetzes und staatlicher Unterstützung wird anerkannt, jedoch werden Bedenken hinsichtlich Missbrauch und mangelnder Rechenschaftspflicht aufgeworfen. Das Argument gegen die Abhängigkeit von demokratischer Rechenschaftspflicht für den gesamten administrativen Staat aufgrund seiner enormen Größe wird präsentiert. Stattdessen liegt der Fokus auf Rechenschaftspflicht an der Spitze öffentlicher Organisationen, entweder durch direkte Wahlen oder Ernennungen durch gewählte Amtsträger. Die potenziellen Risiken von diktatorischen Regimen und deren Tendenz, die Kompetenz für den Selbsterhalt zu untergraben, werden hervorgehoben. Der Autor behauptet, dass eine demokratische Umgebung die höchsten Chancen bietet, einen unabhängigen, kompetenten und liberalen öffentlichen Dienst zu schaffen. Die Fähigkeit der politischen Macht, friedlich den Besitzer zu wechseln, zusammen mit freien und fairen Wahlen, trägt zu einem administrativen Staat bei, der wahrscheinlicher rechenschaftspflichtig ist und mit der Bevölkerung integriert ist. Die Bedeutung liberaler Rechte wie Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit wird betont, um den administrativen Staat zur Rechenschaft zu ziehen. Der Autor diskutiert die Rolle des Gerichtssystems bei der Bewältigung von Missbräuchen durch Sozialarbeiter in den 1960er Jahren und betont die Notwendigkeit eines Gleichgewichts zwischen juristischen Ansätzen und der Förderung liberaler Normen durch Schulungen und Managementinitiativen. Abschließend argumentiert der Autor, dass zwar der administrative Staat anfällig für Fehler und Missbrauch ist, die liberale Demokratie mit ihrer responsiven politischen Führung und der Einhaltung liberaler Werte am effektivsten ist, um solche Risiken zu minimieren. (Adam Gurri, American Purpose)

Ich finde diesen Artikel super spannend und unbedingt in seiner Gänze lesenswert. Das Ausgeliefert-sein gegenüber Behörden seitens vulnerabler Gruppen ist ein Problem, das viel zu wenig thematisiert wird, auch, weil da die Kompetenzen im Umgang mit Behörden generell fehlen. Das führt an der Stelle etwas vom Thema des Artikels weg, aber ich kann mich ständig darüber aufregen, wie unverständlich Behörden kommunizieren. Ich verstehe häufig nicht, was in Behördenbriefen steht, und ich bin ein einschlägig studierter Mensch! Wenig überraschend, dass da besonders Leute Opfer der Verwaltung werden, die eh keinen Zugang zu solcher Sprache und Abläufen haben.

Auf der anderen Seite möchte ich emphatisch den Punkt Gurris unterstützen, dass liberale Demokratien am ehesten einen liberalen und demokratischen öffentlichen Dienst hervorbringen, und auch einen effizienten. Kontrolle des öffentlichen Dienstes erfordert eine liberale Gesellschaft, und ohne Kontrolle des öffentlichen Dienstes schwenkt der schnell in eine abgekapselte, selbstreferenzielle Welt ab, die ihre eigenen Regeln macht und sie nach außen durchsetzt. Das kann man gar nicht hoch genug einschätzen.

3) No, Defenses of Osama bin Laden Didn’t “Go Viral” on TikTok

Die US-Medien reagierten mit kollektivem Zorn auf Berichte über TikTok-Nutzer, die Sympathien für Osama bin Laden äußerten. Einige Nutzer fanden einen Brief von bin Laden, der 2002 von der Guardian veröffentlicht wurde, und drückten trotz antisemitischer und islamistischer Ansichten Zustimmung zu seiner Kritik an der US-Außenpolitik aus. Die Berichterstattung wurde als übertriebene Reaktion auf eine kleine Anzahl von TikTok-Videos kritisiert, von denen es insgesamt weniger als 300 gab. Die TikTok-Plattform entfernte die Videos, und die Guardian löschte den Originalbrief aus dem Archiv, was zu einer Debatte über Meinungsfreiheit und Verhältnismäßigkeit führte. Der Artikel argumentiert dafür, dass solche Vorfälle nicht überdramatisiert werden sollten. (Scott Nover, Slate)

Genauso wie die letzte Woche besprochene Geschichte um die Umbenennung der Anne-Frank-Kita handelt es sich hier um einen völlig künstlichen Shitstorm, der exemplarisch für zahlreiche solche Shitstorms steht. Eine Handvoll Idiot*innen postet Blödsinn in den Sozialen Netzwerken? What else is new? Ich will gar nicht wissen, was an Stammtischen alles für Blödsinn besprochen wird, wo es nicht ein paar hunderttausend Views sammeln kann. Das ist keine Nachricht; angesichts der Masse an Menschen in den Sozialen Netzwerken ist das völlig klar. So was sollte man ignorieren und dem nicht Reichweite geben.

Völlig absurd ist aus meinen Augen aber neben dem von Nover kritisierten künstlichen backlash, dass massenhaft Leute aus dem linken Spektrum in Reaktion darauf begannen, zustimmend in die Debatte zu springen. Die Vorstellung, dass Osama bin Laden eine relevante Stimme für Kapitalismuskritik sein könnte, ist völlig absurd, aber offensichtlich springen da Reflexe eines "der Feind meines Feindes ist mein Freund"-Denkens an, die immer, immer, immer in dunkle Ecken führen. Da kann man echt darüber verzweifeln.

4) Mikropolitik des Rechtsrucks

Es wird argumentiert, dass die Anti-Migrationspolitik, einschließlich der Forderung nach vermehrten Abschiebungen, darauf abzielt, verloren gegangene Wähler*innenstimmen zurückzugewinnen, insbesondere vor dem Hintergrund des zunehmenden Erfolgs der AfD. Die Studien zeigen, dass der sogenannte "Rechtsruck" keine plötzliche Erscheinung ist, sondern das Ergebnis kontinuierlicher Anstrengungen bestimmter politischer Akteure. Der Artikel betont die Bedeutung von ethnografischen Forschungen, um die Mikrodynamiken des Rechtsrucks zu verstehen, und hebt die Normalisierung rechter und rassistischer Politik in Deutschland hervor. Es wird darauf hingewiesen, dass rechtspopulistische Parteien nicht trotz ihrer rassistischen Inhalte gewählt werden, sondern gerade wegen dieser Inhalte. Besonders interessant ist die Beschreibung der "rechten Komfortzonen", die die AfD aktiv schafft, um rassistische Äußerungen zu normalisieren. Durch Veranstaltungen und Diskussionsräume wird ein Raum geschaffen, in dem rassistische Meinungen akzeptiert und destigmatisiert werden. Die AfD arbeitet daran, rassistische Einstellungen gesellschaftlich akzeptabler zu machen und Räume für rassistische Diskurse zu erweitern. Der Artikel plädiert für eine aktive Gegenarbeit, um den Rechtsruck zu bekämpfen. Er betont die Notwendigkeit von öffentlichen Diskussionen über Rassismus, politischer Bildung und starken Gegenstimmen gegen antimigrantische Diskurse. Der Abschluss des Artikels kritisiert jedoch die politische Strategie von Scholz und der Ampel-Parteien, rechte Themen zu übernehmen, und argumentiert, dass dies die AfD stärkt, anstatt sie zu schwächen. Es wird darauf hingewiesen, dass dies nicht nur ein politisches, sondern auch ein sozialwissenschaftliches Problem ist. (Julia Leser, Verfassungsblog)

Ich habe darüber ja auch hier im Blog ausführlich geschrieben, aber dieser Aspekt verdient noch einmal ein Hervorheben: ich kann diese infantilisierende Idee nicht mehr hören, dass die Leute nicht wüssten, was sie tun, und gewissermaßen wie rohe Eier behandelt werden müssten, die wegen jedem möglichen Unsinn AfD wählen könnten (grundsätzlich immer kongruent mit den politischen Überzeugungen desjenigen, der/die die jeweilige Theorie äußert). Auch Kai Arzheimer betont immer wieder das "wegen", nicht "trotz": die Leute haben diese Überzeugungen und wählen deswegen die AfD. Ihnen gefällt das Programm, oder zumindest doch groß genuge Anteile davon. Wir hatten in Deutschland nur lange das Glück, dass die Rechtsradikalen so unattraktiv waren, dass sie nicht gewählt wurden. Mittlerweile haben wir es geschafft, die AfD zu normalisieren. Die sind gekommen, um zu bleiben.

Siehe zum Thema auch die Verfassungsprobleme in Thüringen.

5) Billionaires are out of touch and much too powerful. The planet is in trouble

In dem Text geht es darum, dass die Bevölkerungszahl an sich nicht das Hauptproblem in Bezug auf die Klimakrise ist. Vielmehr wird argumentiert, dass der Einfluss auf das Klima vor allem von den reichsten 1% der Menschheit ausgeht, die mehr Treibhausgasemissionen verursachen als die ärmsten 66%. Der Fokus liegt darauf, dass Milliardäre, insbesondere diejenigen in den Bereichen Technologie und Erdöl, eine enorme politische und Umweltauswirkung haben. Die Autoren betonen, dass Milliardäre nicht gleich sind und dass ihre immense Macht unsere öffentliche Lebensweise verzerrt. Es wird auch auf die enormen Unterschiede in der finanziellen Größe hingewiesen, wobei 81 Milliardäre mehr Reichtum haben als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Kritik wird an der Art und Weise geübt, wie bestimmte Milliardäre, wie Elon Musk und Bill Gates, ihre Macht nutzen, sei es durch den Kauf von Medien oder durch Einflussnahme auf die Klimapolitik. Der Text schließt mit der Überlegung, dass der Reichtum und Einfluss der Superreichen, verglichen mit dem Rest der Bevölkerung, eine Bedrohung für die Demokratie und die Bemühungen zum Umweltschutz darstellen. (Rebecca Solnit, The Guardian)

Ich sag es immer wieder: Milliardäre und Demokratie sind grundsätzlich nicht vereinbar. Die Verzerrung durch die reine Wirtschaftsmacht dieser Leute kann schlicht nicht ignoriert werden. Das wäre schon ein Problem, wenn die nur Konsumausgaben in absurden Ausmaßen tätigen würden, aber die Hybris und Megalomanie, die viele dieser Leute auszeichnet, gepaart mit einem bestenfalls halbgaren Verständnis der Themen, ist für mich das eigentliche Kernproblem. Jede*r von diesen Leuten ist offensichtlich ziemlich gut in einem Bereich, der es ihnen ermöglicht hat, diese Vermögen überhaupt anzuhäufen. Die Vorstellung, dass sie deswegen auch andere Probleme lösen könnten oder den besten Weg kennen würden, ist allerdings völlig irrig.

Resterampe

a) Das hier zur Berichterstattung über Campus-Antisemitismus ist leider Gottes sehr wahr. Siehe auch hier. (Bluesky Post) Vergleiche auch Resterampe h).

b) Kritik am Zusammenhaltsbericht. (Bluesky Thread)

c) Wunderbarer Artikel über die Bedeutung guter Städteplanung in Japan.

d) Argentina elects its own Donald Trump.

e) Magical Thinking and Obsessive Desires. Siehe auch: Suella außer Rand und Band.

f) Gen Z is fine and productive and happy.

g) Das Ende der gedruckten Schulbücher? Bildungsministerin stellt „digitales Bücherregal“ vor – bestückt vom Land. Wird auch mehr als Zeit. Ob die Lösung vom Land so gut ist sei mal dahingestellt, aber diese dämlichen gedruckten Bücher endlich loszuwerden - das wird mehr als Zeit.

h) Antisemitism is going mainstream on the right. Aber klar, der Harvard-Campus ist die größere Bedrohung.

i) Geschafft. Wenn sich wer für Spanien interessiert.

j) No, paychecks are not falling ever shorter these days. Diese Dynamik in den USA ist echt krass. Ist das in Deutschland auch so? Meines Wissens nach nicht, aber hat wer Zahlen?

k) Why the Most Hated Man in Israel Might Stay in Power.

l) Paving the Way to Autocracy? Als Nachtrag zum Meloni-Kommentar letzte Woche.

m) Nicht nur Öl und Sicherheit.

n) Noch was zur Wahl in Argentinien.

o) Nils Minkmar hat was zur Kanzlerfrage.

p) China leitet einen massiven Richtungswechel in der Wohnpolitik ein.

q) Wie viel Geld braucht man, um glücklich zu sein?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.