Cixin Liu - Death's End (Hörbuch) - Cixin Liu - Jenseits der Zeit (Hörbuch)
Die "Three-Body Problem"-Trilogie hat durch die Netflix-Verfilmung einen ziemlichen Boost bekommen. Ich war tatsächlich durch Empfehlung eines Freundes auf die Romane aufmerksam geworden; vor allem der dritte, so der Freund, sei so genial, dass man die ganze Trilogie lesen müsse. Meine Besprechung der ersten beiden Bücher waren eher lauwarm (obgleich ich die Netflix-Verfilmung, jedenfalls die erste und zum Zeitpunkt der Rezension (2024) einzige Staffel, sehr mochte). Umso interessierter ging ich in die Lektüre von "Death's End", den längsten und, wie sich schnell zeigte, ambitioniertesten von Lius drei Romanen. Ich würde fast Geld darauf verwetten, dass Benioff und Weiss die Verfilmungsrechte vor allem für diesen Roman haben wollten, um die Twists und Bilder dieses Werks visualisieren zu können, ähnlich wie das Red Wedding ihr Heiliger Gral für "Game of Thrones" war. Aber der Reihe nach.
Erster Teil: Krise und Hoffnung
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Wie bereits eingangs beschrieben ist der dritte und letzte Teil der Trisolaris-Trilogie (was für ein Wort) der ambitionierteste. Dies führt etwa dazu, dass einige meiner größten Kritikpunkte an der Struktur der ersten beiden Romane hier nicht mehr so stark zubuche schlagen. Denn die Struktur, die Liu wählt, ist im Grundsatz wesentlich sinnvoller als in den beiden Vorgängerromanen. Anstatt sämtliche Exposition durch direkte Erklärungen des auktorialen Erzählers oder, noch schlimmer, furchtbare Dialoge zwischen den Protagonisten abzuhandeln, schiebt er immer wieder Auszüge aus einem Geschichtsbuch ein, das "jenseits der Zeit" geschrieben wurde. Der Ansatz, den Roman deutlicher als Auszüge aus Quellen zu konstruieren, wäre von Anfang der Sinnvollere gewesen und behält Dialoge nur für jene Elemente übrig, die zwischenmenschliche Beziehungen oder Gefühle betreffen.
Beides bleibt die größte Schwäche von Lius Schreibkunst. Die Charaktere sind immer noch hölzern, und die massiven Zeitsprünge machen die Lage nicht viel besser. Es ist frappant, wie wenig Charakterisierung Liu auf so vielen Seiten mit so wenig Charakteren unterbringt. Gleichzeitig entsteht aber auch nie ein Gefühl für die großen Menschenmengen, die die eigentlichen Protagonisten sein sollten; dazu aber gleich mehr. Zwar ist der Anteil der Dialoge, die mit einem "Suppose..." oder "Imagine..." beginnen immer noch wesentlich zu hoch, und die Charaktere verbringen die Hälfte ihrer Zeit damit, sich gegenseitig physikalische Konzepte zu erklären (und sich für ihre gelungenen Analogien zu loben), damit die Lesenden diese auch verstehen. Aber immerhin traut sich Liu mehr, aus seiner ohnehin vorhandenen Tendenz für auktoriale Einsprengsel eine Tugend zu machen und dieses Element offensiver zu nutzen.
Insgesamt aber bleibt das Grundproblem bestehen: Liu hat zwar eine beeindruckende Vorstellungskraft für physikalische und technologische Konzepte, aber kaum eine für Menschen. Die Charaktere existieren kaum als Personen, sie sind praktisch nur Gefäße für Rollen oder Konzepte, schaffen es aber dafür nicht einmal, repräsentativ zu sein. Schlimmer noch aber ist, dass gleichzeitig das institutionelle und gesellschaftlich-politische Erzählen ebenfalls nicht wirklich funktioniert. Die schlimmsten Dialogschnippsel gehören nicht den Charakteren, sondern Lius Versuchen, der Masse ein Gesicht zu geben. Was die namenlose Menge von sich gibt, spottet jeder Beschreibung und hat mit dem, wie reale Menschen sich ausdrücken - noch dazu in Katastrophensituationen - wenig zu tun.
Überhaupt tritt die Menschheit ständig als monolitscher Block oder bestenfalls als monolithische Blöcke auf, was durch Lius Tendenz, ihnen generelle Entscheidungen zuzuschreiben ("die Menschheit entschied sich für Politik X") nicht besser wird. Dem steht eine geradezu absurde Überhöhung der Rolle einzelner Individuen wie Luo Ji, Thomas Wade oder Cheng Xin gegenüber, die universumsumspannende Entscheidungen treffen können. Dass diese Individuen fast durch die Bank Chines*innen sind, ist angsichts der Herkunft Lius verständlich und spiegelt letztlich auch nur den Trend westlicher Unterhaltungsliteratur; all das macht das Problem aber nicht besser.
Der Roman brilliert allerdings in den großen Linien technologischer Entwicklung und den absolut faszinierenden Dynamiken interstellarer Beziehungen (oder ihrem Fehlen). Liu hat einen erfrischenden Mangel an Respekt vor den von ihm geschaffenen Systemen; das Ende der Bedrohung durch Trisolaris ist geradezu antiklamatisch, und der Untergang des Sonnensystems ist zwar dramatisch, hat aber seine eigene Poesie. Überhaupt gerät die zweite Hälfte des Romans geradezu in einen traumartigen, hypnotisch-reflexiven Zustand.
Wie viel man aus diesem zieht hängt von der eigenen Toleranz gegenüber der Prämisse ab, dass physikalische Grundkonstanten permanent geändert werden. Die inhärente Spannung kommt aus der Konsequenz, mit der Liu dies tut. Zwar erreicht das technologische Level das Äquivalent von Magie, aber die Auswirkungen sind so gewaltig und werden von Liu dennoch auf einem nachvollziehbaren Niveau gehalten, dass man vor dieser Fähigkeit den Hut ziehen muss. Die Mehrdimensionalität des Universums und das ständige Verändern derselben haben Konsequenzen, die zur Zerstörung des gesamten Universums führen. Wer möchte, kann da sicher Analogien zur Klimakrise ziehen, wie man auch aus der gegenseitigen Abschreckung irgendwelche Analogien zum Kalten Krieg finden könnte; wie zielführend das für Literatur ist, sei einmal dahingestellt.
Mich überzeugt die Idee vom "Dark Forest", in dem alle Zivilisationen sich in einer endlosen Spirale gegenseitig aus reiner Furcht vernichten, weiterhin nicht wirklich. Die Entscheidung der Menschheit, Liebe über das eigenen Überleben zu stellen - egal wie unterbewusst - scheint mir eine, die wesentlich sinnvoller ist als die Idee, dass das Weltall innerhalb von fünf Minuten alle in eine totalitäre Gesellschaft verwandelt (eine Prämisse, die explizit als Regel formuliert wird). Wie auch das eher negative Menschenbild, bei dem bis auf einige (teilweise rein aus Zufall) hervorgehobene Individuen eigentlich alle eher dumme Schafe sind, stößt mir immer wieder auf.
Zuletzt lugt die Prägung des Autors auch aus den Charakteren und Geschlechterbildern deutlich hervor. Lius Sonnensystem ist ein männliches Sonnensystem (einige Forscher sind angesichts eines technologischen Durchbruchs "so glücklich, als hätten sie Nachricht von der Geburt eines Sohnes erhalten", nur um ein Beispiel zu nennen), mit klar definierten Rollen. Männer sind hart, rational und martialisch, Frauen sind emotional, behütend, dem Wachstum verpflichtet. Auch das macht Liu, nicht eben ein Meister der Subtilität, in seinen auktorialen Wertungen explizit deutlich, wie auch seine merkwürdige Vorliebe für totalitäre Entscheidungen (ungeachtet dessen, dass die Menschheit ihre größte Stärke gerade nicht im Totalitarismus findet, den er ablehnt).
Diese Muster werden auch in den Beschreibungen zukünftiger Gesellschaften deutlich, in denen er deutlich der Fremen-Mirage verfällt: der Luxus durch technologischen Fortschritt und die Beseitigung materieller Not machen die Menschen weich, weswegen sie auf die Führung der hibernierten Menschen unserer Gegenwart angewiesen sind, die quasi die Spitze menschlicher Entwicklung darstellen und als einzige die Härte aufbringen können, zu tun, was getan werden muss. Die Menschen der Zukunft sind weiche Kinder, die die Führung der Menschen (fast nur Männer) unserer Gegenwart brauchen, was auch explizit gegendert wird: in dieser Zukunft sehen die Männer aus wie Frauen, ist traditionelle Männlichkeit ausgerottet (und erlebt bezeichnenderweise in der Bunker-Ära ihre Renaissance). Tacitus würde sich sofort wie zuhause fühlen.
Ich bin gespannt, wie Benioff und Weiss diesen Stoff adaptieren werden. Ich hoffe sehr, dass sie die Irrungen Lius vermeiden und den faszinierenden Stoff auf die narrative Ebene hieven, die ihm gebührt.
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