Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
Im Artikel wird dargelegt, dass die neue Sicherheitsstrategie der US-Regierung eine qualitative Zäsur im Verhältnis zu Europa markiere: Die USA sprächen von „zivilisatorischer Auslöschung“ und kündigten an, oppositionelle Kräfte innerhalb Europas aktiv zu fördern. Im Text wird betont, dass dies weniger einer Abwendung als einer politisch motivierten Umgestaltung gleichkomme. Historisch sei die amerikanische Einflusszone für Europa vorteilhaft gewesen – von Sicherheit bis zu kultureller und digitaler Prägung –, doch der Fall des ICC-Richters Nicolas Guillou zeige exemplarisch, wie sich diese Abhängigkeit ins Bedrohliche verkehre: Nach US-Sanktionen sei Guillou durch die Dominanz amerikanischer Digitalkonzerne faktisch aus modernen Wirtschaftskreisläufen ausgeschlossen worden. Weiter wird ausgeführt, dass Unternehmen wie X, Palantir, Anduril oder Starlink zunehmend politisiert agierten und als machtvolle Hebel einer „dark Reeducation“ Europas fungierten. Die Studie The Authoritarian Stack verweise darauf, dass das Silicon Valley inzwischen Imperien statt Apps baue und Europa vor einer existenziellen Entscheidung stehe: technologische Souveränität oder schleichende Unterwerfung. Die Eskalation zwischen Elon Musk und der EU-Kommission illustriere laut Artikel, dass ökonomische Konflikte in politischen Umsturzfantasien enden können. Abschließend wird gefordert, Europa müsse aus einer „doppelten Unmündigkeit“ herausfinden, seine Eigenständigkeit behaupten und zumindest Bürger wie Guillou effektiv schützen. (Lenz Jacobsen, Die Zeit)
Jacobsen hat in der Analyse durchaus Recht: wir sind technologisch de facto abhängig von den USA und ihren Konzernen, weil in Europa keine Konkurrenzunternehmen existieren. Ich glaube auch nicht, dass die drölfzigste EU-Initiative daran etwas ändern wird. Deswegen ist natürlich der Ausgang aus der "doppelten Mündigkeit" technisch gesehen der richtige Ansatz, aber wie soll das gehen? Vielleicht kann die EU besser darin sein als Deutschland, eigene Alternativen aufzustellen. Aber der dysfunktionale Mist, den deutsche Behörden vorschreiben, um Datenschutzverordnungen zu genügen und nicht US-Produkte zu benutzen (ich sag nur Moodle) bereitet einem Krätze. Am ehesten sehe ich das noch bei so etwas wie dem Bankensystem, wo es glaube ich leichter möglich sein sollte, aus dem Unmündigkeitsstatus rauszukommen, aber vielleicht täuscht mich mein Unwissen hier auch.
2) Bahn kauft Elektrobusse in China – Gewerkschafter sind empört
Im Artikel wird beschrieben, dass der geplante Kauf chinesischer Elektrobusse durch die Deutsche Bahn erhebliche Kritik auslöse. Die EVG werte den Schritt als widersprüchlich, weil die Bundesregierung erst jüngst „Standortpatriotismus“ eingefordert habe, nun aber ihr eigenes Staatsunternehmen angeblich billig in China einkaufe. Im Text wird ausgeführt, dass BYD laut Informationen des SPIEGEL als Hauptlieferant für einen Teilauftrag ausgewählt worden sei, der mehrere Hundert Busse umfassen solle; die Bahn dementiere diese Zahlen jedoch ohne nähere Angaben. Weitere Lose gingen demnach an Zhongtong Bus und MAN. Die SPD habe die Forderung nach Standorttreue zuvor selbst bekräftigt, weshalb die Gewerkschaft nun Druck auf die Regierung erwarte. Im Artikel wird argumentiert, China dränge mit „Kampfpreisen“ auf den Markt, während Deutschland Gefahr laufe, darauf hereinzufallen. Zugleich werde daran erinnert, dass DB Regio bereits 2021 Busse von BYD bestellt habe und BYD in Europa Produktionskapazitäten ausbaue. Die Frage, ob der Einkauf betriebswirtschaftlich sinnvoll oder industriepolitisch problematisch sei, bleibe vorerst offen, da die Ausschreibung noch laufe und die Bahn sich nicht äußern wolle. (David Böcking, Der Spiegel)
Wenn ich immer wieder sage, dass Deutschland einfach nicht zu Wirtschaftspolitik in der Lage ist, dann denke ich an solche Dinge. Wie kann man auf die Art willentlich den größten Gegner stärken, den man auf dem Feld hat? Wollen wir jetzt eine wettbewerbsfähige Industrie auf diesem für die deutsche Produktion wichtigsten Feld, oder wollen wir das nicht? Mag ja sein, dass die chinesischen Busse ein bisschen billiger sind, aber das kommt uns sicherlich recht schnell wesentlich teurer, wenn die Arbeitsplätze hier wegbrechen. Und ich verstehe das ja bei Privatunternehmen, die rein auf Profit ausgerichtet agieren, aber bei einem Staatskonzern? Diese Regeln stammen alle noch aus einer Welt des Freihandels, die nicht mehr existiert.
3) RIP American Tech Dominance
Im Artikel wird erläutert, dass Trumps Entscheidung, Exportbeschränkungen für Hochleistungschips nach China aufzuheben, aus Sicht zahlreicher Fachleute einen strategischen Fehler darstelle. Beschrieben wird, dass die USA ihren Vorsprung im Bereich künstlicher Intelligenz bislang vor allem Nvidia verdankten, dessen Spezialchips unverzichtbar für das Training modernster Modelle seien. Die bisherige Politik habe China gezielt von diesen Komponenten ferngehalten, wodurch chinesische Anbieter massiv ausgebremst worden seien. Nun werde berichtet, Trump habe nach Gesprächen mit Nvidia-Chef Jensen Huang und unter Einfluss exportkontrollkritischer Berater eine Kehrtwende vollzogen: Erst sei der Verkauf eines speziell für China entwickelten Chips erlaubt worden, nun sogar der Zugang zum deutlich leistungsfähigeren H200. Fachleute würden einwenden, China könne diese Technologien selbst absehbar nicht produzieren und profitiere somit enorm vom US-Zugang. Zugleich werde hervorgehoben, dass die Regierung für diese Lockerung keine spürbaren Gegenleistungen Pekings erhalten habe. Kritiker warnten, die USA gäben damit den entscheidenden Vorteil im globalen KI-Wettbewerb aus der Hand und gefährdeten zugleich ihre militärische Überlegenheit. (Rogé Karma, The Atlantic)
Alexander Clarkson betont in letzter Zeit ja immer wieder (siehe auch unser Podcast dazu), dass die USA ihre eigene Handlungsfähigkeit unter Trump zerstören und dass die größte Gefahr für uns im Westen möglicherweise gar nicht ein feindliches US-Regime ist, sondern eines, das uns nicht einmal mehr gegen Russland unterstützen könnte, selbst wenn es das wöllte, weil es sich die Grundlagen dafür zerstört hat. Mir scheint der Aspekt mit den Chips und der KI ein weiteres Element in dieser Reihe zu sein. Wir in der EU haben uns, siehe Fundstück 1, ja daran gewöhnt, nicht handlungsfähig zu sein, aber wir haben das immer mit dem "Sicherheitsnetz" USA getan. Wenn das wegfällt, wie es beim Militär ja bereits faktisch passiert ist, stehen uns auch auf anderen Feldern noch rüde Erwachen bevor.
4) Die Kurzsichtigkeit militanter Islamgegner
Im Meinungsbeitrag wird argumentiert, dass die Empörung über halal angebotene Speisen auf Weihnachtsmärkten Ausdruck eines kurzsichtigen Kulturkampfs sei. Der Autor beschreibt, wie sich viele Muslime bewusst an christlich geprägte Bräuche annähern, etwa durch Weihnachtsmarktbesuche oder die Beschäftigung mit der koranischen Jesusgeschichte, ohne ihre religiöse Identität aufzugeben. Dies stelle keine „Islamisierung“, sondern eine Form von Verwurzelung dar. Militante Islamgegner reagierten darauf jedoch mit Abwehr, was Integration eher behindere als fördere. An Beispielen wie dem „Tag der offenen Moschee“ am 3. Oktober oder Deutschlandfahnen mit islamischem Halbmond werde gezeigt, dass selbst Bekenntnisse zu Deutschland oft als Bedrohung gedeutet würden. Der Text betont, dass kulturelle Zugehörigkeit nicht durch Abschottung entstehe, sondern durch Aneignung und Mischung. Ärger über sichtbare muslimische Selbstverortung in Deutschland schade letztlich dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. (Till-Reimer Stoldt, WELT)
Es ist gut, dass auch dieser Aspekt in der Welt besprochen wird, wenngleich diese Kritik natürlich die entsprechende Schlagseite hat, die man erwarten kann. Integration bedeutet natürlich nicht eine unveränderte Übernahme von Bräuchen, sondern ein Integrieren in den eigenen Kulturschatz. Und das ist ja auch etwas Bereicherndes. Auch wenn Stoldt das nicht erwähnt, so ist die Ablehnung etwa von Ramadan-Schokokalendern in Anlehnung an Adventskalender (pars pro toto) ein ähnliches Element. Was will man schließlich mehr an Integrationsleistung verlangen, als die eigene Kultur in denselben ikonographischen und gesellschaftlichen Rahmen zu bringen? Das gilt auch für den halal-Stand auf dem Weihnachtsmarkt. Integration ist keine Einbahnstraße, und der Furor der Rechtsextremen bei solchen Fragen zeigt schön, dass diese schlicht außerhalb der liberalen Ordnung stehen. Deswegen sind Zwischenrufe wie der Stoldts auch so wertvoll.
5) Wie gut, dass wir die EU haben!
Im Artikel wird beschrieben, die neue EU-Richtlinie zum Verbot hormonaktiver und allergener Chemikalien in Spielzeug mache deutlich, dass trotz verbreitetem Krisenpessimismus konkreter Fortschritt stattfinde. Ullrich Fichtner führt aus, die Vielzahl früher selbstverständlicher Belastungen – „Blei im Benzin, Gift im Schnuller“ – zeige, wie rasant sich Gesundheits- und Umweltschutz seit den Nachkriegsjahrzehnten entwickelt hätten. Die EU-Verbote ab 2030 gälten als weiterer Beleg dafür, dass Regulierung funktioniere, auch wenn sie langsam und unvollkommen verlaufe. Gleichzeitig werde betont, demokratische Politik könne nie endgültige Lösungen liefern, sondern sei notwendigerweise ein Prozess aus „Durchwursteln“, Abwägen und stetiger Anpassung. Kritisiert wird, viele Menschen hielten diese Unordnung inzwischen für unzumutbar und sehnten sich nach idealisierten, unerreichbaren Zuständen. Fichtner hebt hervor, dass dennoch weltweit umfangreiche Umwelt- und Schutzabkommen beschlossen würden und es – auch durch Irrwege – Schritt für Schritt vorangehe. (Ullrich Fichtner, Der SPIEGEL)
Was Fichtner hier völlig zurecht beschreibt, gilt für eine ganze Latte Stoffe. Von FCKW zu verbleitem Benzin, von Asbest zu Weichmachern, ohne staatliche Regulierung wären zahlreiche Produkte wesentlich ungesünder, als sie es heute sind. Die Qualität unserer Waren und der Produkte, mit denen wir uns täglich umgehen, ist die positive andere Seite der Medaille. Klar, viele Vorschriften machen etwa das Bauen teurer und zu einem bürokratischen Albtraum, aber gleichzeitig bekommen wir halt auch Wohnungen mit wesentlich größerer Qualität als noch vor 20 oder gar 40 Jahren. Ob es das im Einzelfall immer wert ist, darf gerne diskutiert werden, aber der Trend insgesamt ist einer, den man nicht missen will. Das gehört zum Gesamtbild auch dazu.
Resterampe
a) Dieses Interview mit Thorsten Alsleben zeigt erst Recht, dass der Mann keine Ahnung hat, wovon er spricht. (ZEIT) "Politik aus einem Guss", was für ein Phantast.
b) Weihnachtliche Hetze (taz). Nur Kulturkampf, den lieben langen Tag.
c) Nein, Europa liegt nicht im Sterben (Welt). Immerhin machen nicht alle das Apokalypse-Gerede mit.
d) Die „Brandmauer“ ist Brandstiftung (Welt). Sahra Wagenknecht und die Welt, a match made in heaven. Pure Ragebait.
e) Politik auf Social Media: Mit Weltretter-Posts stärkt man keine Demokratie (Spiegel). Ach was. Und wer behauptet das?
f) Politik für Autokonzerne – aber gegen Autofahrer (Spiegel). Nur noch lächerlich.
g) So was kommt von so was. (Twitter)
h) Trump’s Sickening Sociopathic Shots at Rob Reiner (The Atlantic). Es dauert nicht mehr lange, dann fallen in den USA auch Regimekritiker*innen aus dem Fenster des 8. Stocks.
i) Health: Will Kennedy dismantle U.S. immunization policy? (The Atlantic) Ich glaube, die Benennung Robert Kennedys ist die tödlichste Politikentscheidung von Trump soweit.
j) Lesenswerter Artikel zu den dänischen Sozialdemokraten; mit Dank an den PDF-Bereitsteller. (NYT)
Fertiggestellt am 17.12.2025
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