Stefan Sasse: Ich denke, die konkreteste
Frage sollten wir gleich zu Beginn klären, denn davon hängt alles
weitere ab: Soll, darf, kann, muss Deutschland einen Geheimdienst haben?
Wenn nicht erübrigen sich alle anderen Fragen. Dann wird nicht
spioniert (und im Umkehrschluss wollen wir nicht ausspioniert werden)
und Schluss. Ich denke aber, mit dieser kategorischen Verneinung kommen
wir nicht weiter. So schön es wäre, auf Geheimdienste verzichten zu
können, es ist nicht realistisch. Es wäre auch schön, wenn wir niemals
Militär bräuchten, aber ohne kommt man eben nicht aus. Es wäre schön,
wenn wir nie Polizei und Feuerwehr bräuchten, oder Ärzte. Da wir sie
aber gelegentlich brauchen, ist es gut, dass sie da sind. Für mich ist
die relevante Frage daher, was die Geheimdienste können sollen dürfen
und wie wir die Einhaltung dieses Kompetenzrahmens überprüfen wollen.
Jan Falk: Ob wir einen Geheimdienst brauchen, ist eine nette Frage für ein spontanes Piratenforum,
wie neulich zu beobachten war, aber sie dürfte uns ernsthaft nirgends
hinführen. Ich erinnere mich noch daran, wie nach den Anschlägen des 11.
September die Gegner eines Afghanistan-Krieges folgendermaßen
argumentiert haben: Terrorismus bekämpft man nicht mit großen Kriegen
alter Schule, sondern mit smarter Geheimdienstarbeit und mit
polizeilichen Methoden. Das soll jetzt nicht mehr stimmen? Im Übrigen
bringt eine unilaterale Abrüstung in diesem Bereich auch niemanden
wirklich weiter. Worum es gehen muss ist demokratische Kontrolle. Aber
kann die funktionieren, wenn sie im nationalen Rahmen bleibt?
Spannend ist in diesem Zusammenhang die bisher nur geäußerte Vermutung (etwa von Konstantin von Notz in der Ausschusssitzung Prism und Netzneutralität im
Bundestag vom 24.6.2013) , dass sich die westlichen Geheimdienste eines
kleinen (großen) Tricks bemühen, um ihre jeweiligen rechtlichen
Beschränkungen umgehen. Das Ausland auszuspähen war schon immer der Lauf
der Dinge in der Geheimdienstarbeit, nur das eigene Land war tabu.
Selbst die NSA hat relativ strike “Minimalization-Procedures”, um nicht
innerhalb der USA zu spähen. Nun sieht es aber so aus, als ob sich die
Dienste zwar an diese Regeln einigermaßen halten, dann aber hinterher
einfach gegenseitig das jeweils - unter Zurückhaltung der Quellen usw -
im anderen Land Erspähte austauschen und die Konvention damit geschickt
umgehen.
Siehe dazu auch Wayne Madsens Behauptung,
die Deutschen teilten seit Jahren Informationen mit den Amerikanern. "I
can't understand how Angela Merkel can keep a straight face, demanding
assurances from [Barack] Obama and the UK while Germany has entered into
those exact relationships," so Madsen. Diese Äußerungen sind übrigens
schonmal ein Vorgeschmack darauf, wie sich die USA im kommenden Konflikt
zu wehren wissen werden.
Stefan Sasse:
Die Theorie, dass das im Endeffekt “friendly spying” ist habe ich noch
nie zuvor gehört, aber auf eine perverse Art würde es Sinn machen. Es
fragt sich, ob die Geheimdienste wirklich so gut koordiniert sind,
erklärte aber zumindest die selbst für Merkel-Verhältnisse extrem starke
Zurückhaltung. Wenn das stimmt stellt sich allerdings die Frage, warum
Snowden gerade diese Bombe nicht hat platzen lassen. Dass er das nicht
wüsste, kann ich mir nur schwer vorstellen. So oder so aber ist das
gezielte Ausspionieren des Auslands ein klarer Prärogativ des
Geheimdiensts, während das Ausspionieren der eigenen Bevölkerung ein
absolutes Tabu sein muss - dafür gibt es die Polizei.
Damit
aber stellt sich die Frage, wie die Kontrolle in diesem Bereich
gewährleistet sein soll. Geheimdienstarbeit ist per definitionem geheim,
was Einsichten der Presse praktisch ausschließt und die Kontrolle durch
das Parlament auf Ausschüsse reduziert, die darüber nicht wirklich
reden können und deren Informationen zudem vom Geheimdienst selbst
gefiltert werden.
Jan Falk: Das hat Ezra Klein neulich so formuliert: Geheimdienstarbeit
und Demokratie schließen sich weitgehend aus, denn Demokratie brauche
öffentliche Kontrolle, Geheimdienste aber könnten nur im Verborgenen
arbeiten. Man müsse den Diensten als Bürger daher vertrauen. Aber das
überzeugt mich nicht so richtig. Wie Snowdens Veröffentlichungen bislang
zeigen, lässt sich sehr wohl öffentlich über die Mechanismen,
Möglichkeiten und Reichweiten der Dienste abstrakt debattieren,
inklusive ihrer Effektivität und rechtlicher Probleme, ohne dass man die
konkrete Arbeit (etwa der Anti-Terror-Untersuchungen) aufdeckt.
Sicher,
nun weiß auch der Letzte, dass Skype überwacht wird. Islamistische
Terroristen aber, wenn sie einigermaßen klug waren, haben sie auch zuvor
schon, wie Bin Laden, mit kleinen Zettelchen gearbeitet. Wir brauchen
eine möglichst größere Offenheit über die Dienste, eben so groß, dass
ihre Kern-Aufgabenfelder nicht gefährdet werden. Erst wenn die
Informationen auf dem Tisch liegen, kann man überhaupt anfangen, über
den tatsächlichen Umfang der Überwachung zu debattieren. Deshalb waren
die Snowden-Leaks so wichtig: Die Geheimhaltung der Programme ist
erstmal der eigentliche Skandal.
Stefan Sasse:
Ein gigantisches Problem in Sachen Kontrolle sind in jedem Falle
irgendwelche “Schwarzen Listen”, auf die man durch völlig intransparente
Prozesse kommen kann, von denen man nicht erfährt und gegen die man
keine Berufung hat. Dass diese Listen überhaupt irgendeine Verwendung
haben dürfen (etwa bei der Einreise in die USA oder der Einstellung in
den deutschen Staatsdienst) ist ein riesiges Problem.
Das
Grundvertrauen, das die staatlichen Institutionen ihren Geheimdiensten
gegenüber erbringen, ist ein Skandal und sollte dringend beendet werden.
Wenn solche Listen Verwendung finden - was ich wegen des meiner
Präferenz für ein Inlandsspionageverbot ohnehin fragwürdig finde - dann
müssen sie eingesehen werden können, müssen die Begründungen eingesehen
werden können und muss es ein transparentes Berufungssystem geben.
Gleiches gilt analog für die gesamte Verwendung von
Geheimdienstmaterial. Letztlich dürfte es schon helfen, die Befugnisse
der Geheimdienste im Inland auf “darf ohne parlamentarische Kontrolle
aufs Klo gehen” zu beschränken.
Jan Falk:
Für die größere Empörung sorgen derzeit noch - wer weiß wann
entsprechende Infos über den BND rauskommen - PRISM und TEMPORA. Jürgen
Trittin hat nun vorgeschlagen, Snowden Asyl zu gewähren. Auch andere
Stimmen aus Brüssel und der deutschen Opposition fordern nun einen
diplomatischen Konfrontationskurs zu den USA und GB. Ich befürchte nur
folgendes: Die Beziehungen werden darunter erheblich leiden, ohne dass
sich etwas an der Spionage ändert. Führt eine diplomatische
Konfrontation zu dem Ziel, die Spionage seitens der NSA zu stoppen?
Stefan Sasse:
Die Asylforderungen für Snowden sind politisches Schauspiel - Trittin
würde das nicht fordern, wenn er an der Regierung wäre, weiß, dass es eh
nicht passiert und stellt Merkel “on the wrong side of the issue”. Das
ist diesbezüglich alles. Die Konfrontation mit den USA (und GB) wäre
enorm, wenn Snowden hier Asyl erhalten würde. Es würde die Verhandlungen
um die Freihandelszone vermutlich effektiv beenden, würde
Vergeltungsmaßnahmen der USA gegen Deutschland nach sich ziehen
(vermutlich wirtschaftlicher und sicherheitsstrategischer Natur, etwa
einen de-facto-Ausschluss aus den NATO-Informationsnetzwerken) und
innerhalb der EU für Verstimmungen mit GB sorgen, dessen Veto-Macht sich
in der Euro-Krise gerade wieder gezeigt hat. Nein, so schön es
menschlich für Snowden auch wäre, das Asyl ist keine ernsthafte Option
und würde die NSA auch nicht abschrecken. So schön ist Deutschland auch
wieder nicht, dass plötzlich die Whistleblower wie Pilze aus dem Boden
schießen nur weil Snowden Asyl bekommt. Das gäbe Rache, und dann
business as usual.
Jan Falk:
Über die Auswirkungen der Leaks auf den deutschen Wahlkampf sollten wir
gleich noch sprechen. Aber zuerst möchte ich kurz dabei bleiben, wie
man aus Europa auf die amerikanische und britische Geheimdienstarbeit
Einfluss nehmen könnte. Ich glaube: Was die NSA macht, was die Kollegen
in London machen, das entscheiden einzig die amerikanischen und
britischen Wähler und ihre Legislativen (und vielleicht Judikativen),
aber sicher nicht die deutsche Regierung und ihre diplomatischen
Bemühungen. Oder siehst Du da Wege? Was ist mit
wirtschaftlichem/regulatorischem Druck auf die US-Internetgiganten?
Dieser Weg bringt uns allerdings bei TEMPORA auch wieder nicht weiter.
Wer hat hier welche Handlungsmöglichkeiten?
Stefan Sasse:
Handlungsmöglichkeiten hat wenn überhaupt die Regierung über
Verhandlungen, und auch der ist extrem beschränkt, weil die
Geheimdienstarbeit in allen Staaten eben so geheim und “close to the
chest” gespielt wird. Das einzige, was die Leute davon abbringen würde,
wären massive Sanktionen - kein gangbarer Weg - oder effektive
Gegenspionage, was gegen die NSA ebenfalls praktisch aussichtslos und
höchstens für Russland und China halbwegs annehmbare Optionen sind.
Bei
den Internetprovidern selbst wären die Aussichten besser, denn wenn die
per Gesetz die Daten nicht rausrücken dürften, dann müssten die
Geheimdienste sie sich illegal in der in meinem Szenario ohnehin
verbotenen Heimatspionage besorgen, was sie vor massive Probleme stellen
dürfte, weil da im Zweifel hohe Gefängnisstrafen warten. Generell
scheint mir der beste Weg zu sein, den Geheimdiensten regulatorisch die
Ressourcen zu entziehen und die Handlungsspielräume einzuschränken und
eben diese Beschränkungen dann auch zu überwachen.
Jan Falk:
Wird das der amerikanische Wähler denn wollen? In Internet-Foren wie
etwa Reddit ist die Empörung über die NSA zwar riesig, aber sobald es
darum geht, dass auch die Europäer ausspioniert werden, heißt es oft:
“Das ist halt der Job der Geheimdienste - who cares?”. Insofern kann ich
es mir zwar gut vorstellen, dass die Kritik vom linken und
rechtslibertären politischen Rändern in den USA so groß wird, dass etwa
im im nächsten Präsidentschaftswahlkampf oder auch schon in den Midterms
der Sicherheitsdiskurs eine etwas andere Richtung nehmen könnte. Aber
ich glaube nicht, dass die Amerikaner ernsthaft in Erwägung ziehen
werden, ihre Auslandsspionage einzuschränken.
Eine
größere Auswirkung könnten die Snowden-Enthüllungen aber
überraschenderweise erstmal auf den bundesdeutschen Wahlkampf haben:
Merkel und ihre Regierung sehen ja gerade ziemlich alt aus. Die
Kanzlerin sagte erst nichts, nun
lässt sie über ihren Pressesprecher in typisch populistischer
Merkel-Art ziemlich unglaubwürdig Empörung ausrichten. Nicht über die
Überwachung der Bevölkerung (die war wahrscheinlich bekannt),
sondern über die Spionage von EU-Einrichtungen und damit Politikern.
Ein schöner Anlass, vor der Wahl vom Feeling her das richtige Gefühl zu
zeigen.
Auch Trittins Vorstoß heute mag reiner Wahlkampf sein. Aber ist es guter Wahlkampf? Ist die Spionage die Juli/August-Surprise
im deutschen Rennen um die Kanzlerschaft? Zumindest Linke, Grüne und
Piraten können das Thema relativ leicht nutzen, die SPD dürfte sich
aufgrund ihrer CDU-ähnlichen Innenpolitik ein bisschen schwerer tun.
Gute Neuigkeiten für Merkel drei Monate vor der Wahl sehen jedenfalls
anders aus.
Stefan Sasse:
Auslandsspionage ist schlicht das Aufgabengebiet der Geheimdienste; ich
denke nicht, dass die deutschen Wähler verlangen würden, dass der BND
seine einstellt. Von daher ist aus dieser Richtung nichts zu erwarten.
Ist
es guter Wahlkampf? Es dient zumindest der Schärfung des Profils, so
viel ist sicher. Die entsprechenden Wahlplakate kann ich mir schon
vorstellen. Vermutlich werden SPD und Grüne die Kritik eher im
Ungefähren und Differenzierten halten, um im Fall einer
Regierungsbeteiligung nicht auf unhaltbaren Positionen festgenagelt zu
sein, während LINKE und Piraten die Plakatwände mit absoluten
Forderungen bekleistern werden.
Jan Falk:
Das Thema dürfte noch bis zur Wahl ziemlich groß bleiben, wenn
Greenwald die NSA-Powerpoint-Folien weiter in kleinen Häppchen
veröffentlicht. Stürzt Snowden Merkel? Oder schafft es Merkel, wie
eigentlich fast immer, gefühlt die Sorgen der Bürger zu repräsentieren,
ohne wirklich zu handeln? So oder so, es lässt sich vermuten, dass die
politischen Konsequenzen der Leaks mindestens ebenso groß sind wie die
Auswirkungen auf die Geheimdienstarbeit.
Alle Bilder: Wikimedia Commons
„Ein Deliberation Daily Gespräch von Jan Falk und Stefan Sasse.“
AntwortenLöschenUnd warum steht unter dem Teaser nicht „Weiter geht's auf Deliberation Daily“?
Es war ja schon einmal anders. ;-)
Sollte eigentlich immer dastehen. Sobald ein neuer Beitrag kommt, geht der alte in Volltext hier auf den OeF.
LöschenSollte eigentlich immer ..."
Löschen"Klappt ja wohl nicht immer und ist für die Kommentierung ja äußerst unpraktikabel.
Ja, aber der Gedanke ist auch die Debatten auf DD zu bündeln.
Löschen"... der Gedanke ist auch die Debatten auf DD zu bündeln."
LöschenUnd wie soll das gefördert werden, wenn ich nur über Umwege
( "geht der alte in Volltext hier auf den OeF.") dahin komme?
Oder reden wir wieder einmal aneinander vorbei?
Ich fürchte. Wenn ein Artikel von mir auf DD erscheint, veröffentliche ich hier den Anreißer mit "Weiter gehts aus DD". Wenn ich den nächsten Artikel auf DD stelle, kommt vom alten der Volltext hierher. Aber der aktuellste Artikel ist immer nur als Anreißer hier.
LöschenPrism und Tempora – was kommt nach der Empörung?
AntwortenLöschenN-I-X ..... ! Schließlich lauschen und speichern hier 'die Guten®' ..wo kom'mer denn da hin ..
Interessantes Interview, welches für mich aber Fragen aufwirft:
AntwortenLöschenHerr Sasse schreibt (sinngemäss), dass wir de fakto gegen die USA( vertreten hier durch NSA) oder England gar nichts unternehmen sollten bzw. könnten, weil dies "Folgen" (negativer Art) für uns hätte oder haben könnte. Bedeutet dies konkret, wir müssten alles einfach hinnehmen und die andere Wange hinhalten? Bin ich völlig daneben, wenn ich von der deutschen Regierung erwarte, die "deutschen" Interessen zu vertreten, mithin auch die der Bürger? Lautet nicht der Amtseid so? Welchen wirklichen Nachteil hat denn für uns das Scheitern der Verhandlungen zur "Freihandelszone"? Werden wir dann (wie der Iran) plötzlich zum "failed state" oder zur Inkarnation des Bösen für die Amerikaner? Ist es nicht vollkommen blauäugig, dem amerikanischen Bürger zu vertrauen? Wäre es nicht geboten für unsere Regierung, entsprechende Massnahmen zu ergreifen? Zum Beispiel Entwicklung eigener Betriebssysteme, Provider, Netze oder ähnliches? Wobei vermutlich schon die Ankündigung selbigen Tuns etwas bewirken würde?
Das Beispeil mit der "blacklist" triffts ganz genau - darum gehts nämlich: Ein Bürger hat gar keine Möglichkeit, sich gegen (bewusst oder unbewusst) falsche Informationen mit teilweise unangenehmen Folgen zu wehren. Dabei macht doch genau der Punkt den Unterschied aus zwischen einer Demokratie und einem diktatorischen Regime. Derzeit kann doch jeder "Insider" das System mit allen möglichen nachteiligen Informationen über ihm missliebige Personen füttern.............und die können gar nichts dagegen tun! Dies Beispiel ist auch nicht absurd, sondern menschlich. Es ist möglich, also wirds auch gemacht werden...........
Es geht nicht um Vertrauen oder die andere Wange hinhalten. Das Argument war nur, dass blinder Aktionismus mit Sicherheit nichts nützt.
LöschenGut, dann meine Frage:
LöschenWas nützt was?