Sonntag, 22. September 2013

Gefangen im eigenen Erfolg: die Umfrageinstitute

Forsa, die Forschungsgruppe Wahlen und wie sie alle heißen: kaum waren sie jemals so sehr in der Kritik wie in diesem Bundestagswahlkampf. Tendenziös seien sie, parteiisch oder einfach falsch. So lauten die häufigsten Vorwürfe. Da helfen auch Verweise darauf, dass man eine Fehlertoleranz von meist +/- 3% angibt, recht wenig. Der 24/7-Nachrichtenzyklus erfordert neue Nachrichten, und nichts eignet sich so gut für eine Seite Nichts wie die Abweichung einer Partei um 0,3% in der letzten Umfrage.

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Eine Festzeit für die Herren der Glaskugel ist das dann, und die Abweichung - die angesichts der Fehlertoleranz völlig bedeutungslos ist - wird mit allen möglichen tagesaktuellen Ereignissen bedacht, die ohnehin nur Politikwonks irgendwie bekannt oder wichtig sind. Volker Beck hat die taz belogen? Das könnte die Grünen-Bewegung erklären. Die CDU stellt ein Riesenplakat am Berliner Bahnhof auf? Daher also die 0,1% für die CDU seit der letzten Umfrage. Die Demoskopie gibt eine wirksame Ausrede für das Präsentieren solcher Geschichten und gleichzeitig ein lenkendes Narrativ. Zur Perfektion gebracht hat das Nate Silver, der Zahlengott der amerikanischen Prognosezunft, der mit seinem Blog Five-Thirty-Eight bereits die ersten Primary-Demoskopien begleitete und in der Lage war, eine gute Geschichte für jede noch so unwichtige Zahlenbewegung zu finden. Ezra Klein beschreibt diesen Vorgang in seinem Wonkblog sehr gut. Auch in Deutschland ist die Magie der scheinbaren Unbestechlichkeit von Zahlen angekommen und hat zu einem Aufschwung der Meinungsinstitute geführt - die jetzt die Geister nicht mehr loswerden, die sie riefen. Es geht ihnen so wie dem Journalismus selbst in der vergangenen Dekade: anstatt einfach nur die Geschichten zu liefern, wurden sie selbst zur Geschichte. Von Noelle-Neumanns Schweigespirale bis zu Manfred Güllners Streit mit Bernd Lucke um möglicherweise gefälsche AfD-Umfrageergebnisse stehen die Demoskopen selbst, und nicht mehr nur ihre Ergebnisse, im Licht der Berichterstattung. Das ist kein sonderlich bequemer Platz, und er trifft die Umfrageinstitute auch reichlich unvorbereitet. Verdient haben sie die Hähme, die aktuell wegen von Umfragen abweichender Ergebnisse über sie hereinbricht, von ihren Methoden her nicht. Umfragen sind Umfragen, Prognosen Prognosen. Wenn die Institute exakt wären, bräuchten wir überhaupt nicht mehr zu wählen. Sie können nur abbilden, was Menschen ihnen sagen. Echte methodische Vorwürfe müssen sie sich nur in Ausnahmefällen gefallen lassen, und wenn man die Fehlertoleranz im Blick behält, so sind ihre Ergebnisse auch deutlich genauer als ihr Ruf (mit der erwähnenswerten Ausnahme von SPD und CDU im Jahr 2005). Selbst Schuld sind sie allerdings an ihrer aktuellen Situation auch. Schließlich waren sie es selbst, die sich so ins Bild gerückt haben, die unbedingt Geschichten erzählen und auch selbst ein bisschen Politik machen wollten. Manfred Güllner von forsa ist dafür ein Paradebeispiel. Wöchentlich wurde er im Café Einstein von Stern-Redakteuren befragt und durfte erklären, warum die Werte so sind, wie sie sind. Hergegeben haben das die Umfragedaten nie; es war der Privatmensch Güllner, der da auf einem Pro-Agenda-Kreuzzug für die Schröder-SPD war, die seiner Meinung nach gefährdet war, und der die Ergebnisse seiner eigenen Meinung anpasste. Für dieses Verhalten verdienen die Demoskopen all die kritische Aufmerksamkeit, all das Nachprüfen, all die Abwendung, die sie gerade erfahren. Sie ist eine typische Erscheinung des Politikbetriebs. It comes with the territory.

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