Donnerstag, 10. Juli 2014

Werdet erwachsen! - Die Dimensionen der Spionageaffäre

In der Spionageaffäre, die mit den Snowden-Leaks begann, gibt es einen eindeutigen Gegner und ein eindeutiges Opfer. Der Gegner, das sind die USA. Darin sind sich alle einig. Das Opfer, das ist in jedem Fall das deutsche Volk. Die Regierung würde sich gerne auch als Opfer sehen, aber das nimmt ihr nicht jeder ab. In jedem Falle sind alle mächtig eingeschnappt: Merkel rief bei Obama an, um ihr Diensthandy doch bitte von der Überwachung auszunehmen, Schäuble fragte sich öffentlich, warum "die Amerikaner so dumm" seien, die Deutschen auszuspionieren, und ein hochrangiger CIA-Mitarbeiter wurde als persona non grata erklärt und des Landes verwiesen. Gleichzeitig setzte man einen Untersuchungsausschuss im Bundestag ein. Währenddessen rauscht der Blätterwald und knistern die sozialen Netzwerke.

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Das Gefühl, so fasst es Jan Fleischhauer gewohnt provokant zusammen, sei das der Kränkung. Damit scheint er einen Nerv getroffen zu haben. In der SZ etwa regiert dasselbe Gefühl: "Deutschland, der duldsame Verbündete, ist erneut brüskiert." Und Fleischhauers Kollege, Jakob Augstein, sieht auf SpiegelOnline den "deutschen Dackel" nach einem tiefen Griff in die Metaphernkiste vom "Herrchen" USA ungeliebt: "Die bittere Wahrheit ist: Zwischen den Amerikanern und uns besteht ein Herr-Hund-Verhältnis. Und leider liebt Herrchen aus Amerika den deutschen Dackel nicht. Herrchen braucht ihn nur hin und wieder zum Apportieren." Und die Zeit fordert, nicht nur einen Diplomaten auszuweisen, sondern gleich "hunderte" NSA-Agenten. Der Anti-Amerikanismus, er ist im Wachsen begriffen wie selten zuvor seit dem Irakkrieg. Das muss einen nicht wunders nehmen. Die NSA-Affäre ist mit Sicherheit eines der großen Themen und beschäftigt uns völlig zu Recht. Einer jeder effektiven Kontrolle entzogenen Monster-Bürokratie einen Blankoscheck zur Überwachung des Privatlebens von Milliarden Menschen zu geben gehört kaum zu den Grundthemen von "Good Governance", und die jüngsten Enthüllungen des von Glenn Greenwald meisterhaft in Sachen PR beratenen Edward Snowden zeigen, dass diese Daten offensichtlich abgespeichert werden - bar jedes Verdachts, bar jeden Nutzens liegen sie für jeden Missbrauch bereit auf den NSA-Servern, wo selbst kleine Lichter im Contract-Bereich Zugriff haben. Auch der Ärger über die Reaktionen der deutschen Regierung ist berechtigt, denn sie gibt nicht gerade ein Glanzbild in diesen Zeiten ab. Viele kluge Beobachter haben darauf verwiesen, dass praktisch ausschließlich Symbolpolitik betrieben wird - eine kleine Ausweisung hier, eine offizielle Anfrage dort, die Absage einer US-Reise, der offizielle Auftrag an den BND, künftig zurückzuspionieren. All das wird im besten Falle Schulterzucken, wahrscheinlich aber Heiterkeit in den US-Zentralen auslösen. Gleichzeitig aber ist die deutsche Reaktion auf diese Enthüllungen auch ungeheuer infantil. Es wird so getan, als ob die USA der neue Weltbösewicht wären, der mit dem NSA-Schlägel den nichtsahnenden deutschen Michel verprügelt. Der "duldsame Verbündete", der naiv vertrauend von den kalt lächelnden Schlapphüten ausgenutzt wird - das ist ein Selbstbild, mit dem man sich schön in eine moralisch einwandfreie Opferrolle bugsieren kann (weswegen es die Regierung auch so weidlich ausnutzt), aber es ist von der Wahrheit weit entfernt. Wir Deutschen sehen uns stets gerne als treuer Verbündeter der USA, die von diesen wieder und wieder enttäuscht werden und doch aus scheinbar unnachvollziehbaren Gründen zurückgewiesen werden. Augstein bringt diese Sicht mit seiner Dackel-Metaphorik auf den Punkt. Der Haken ist nur dass der Punkt keinen Sinn macht. Die USA haben, worauf James Kirchik im Daily Beast prägnant aufmerksam macht, jeden Grund, Deutschland auszuspionieren. Denn unser Selbstbild vom treuen Verbündeten wird in Washington nicht geteilt. Die Bundesrepublik war stattdessen stets ein aufmüpfiger Bündnispartner, der es den Amerikanern nicht leicht machte. Adenauer etwa verfolgte unbeirrt gegen amerikanische Widerstände das Ziel, Atomwaffen zu erlangen, und schloss enge Verbindungen mit dem französischen Premier Charles de Gaulle, dem man sicher keine übertriebene Amerika-Freundschaft nachsagen kann. Immerhin machte Adenauer seinem Kollegen westlich des Rheins nicht den Rückzug der Armee aus den Verteidigungsstrukturen der NATO nach, aber der Elysee-Vertrag war eine klare Herausforderung an die USA. Auch Willy Brandt hat sich mit seiner Annäherungspolitik an den Ostblock nicht nur Freunde in den USA gemacht. Helmut Kohl instrumentalisierte George H. W. Bush und schleifte ihn über den Soldatenfriedhof in Bitburg, ehe er die NATO in den Jugoslawienkonflikt drängte, eine Politik, die Gerhard Schröder nahtlos fortsetzte - nur um 2003 im bisher deutlichsten Akt deutschen Widerstands gegen die US-Politik den Irakkrieg nicht mitzumachen. Und seit 2001 hat Deutschland sämtliche Aufforderungen und Bitten der USA abgelehnt, doch in Afghanistan auch im Süden aktiv zu werden und sich nicht auf den verhältnismäßig ruhigen Norden zu beschränken. Die Deutschen mögen das vergessen haben. Die Amerikaner nicht. Sie sehen Deutschland nicht als einen botmäßigen Verbündeten, der hündisch jeden Zug der US-Außenpolitik nachvollzieht. Denn das ist Deutschland schlicht nicht. Dazu kommt, dass Deutschland sehr enge Geschäftsverbindungen mit Schlüsselrivalen der USA unterhält. In der aktuellen Ukrainekrise konnte man deutlich erkennen, wie sehr Deutschland den von den USA betriebenen herausfordernden Stand gegen Russland hintertrieb (erneut: nicht unbedingt zum Schaden aller Beteiligten). Deutschland unterhält nach wie vor deutlich engere Beziehungen zu Putin als die USA, und jede Meinungsumfrage zeigt deutlich, dass die deutsche Bevölkerung pro-russischer eingestellt ist denn je. Auch den Iran und Irak belieferte Deutschland gerne, und mit Peking ging die Bundesregierung unlängst eine fast schon formale "spezielle Partnerschaft" ein. Wäre ich US-Außenpolitiker, wäre ich auch misstrauisch. Und die Gurkentruppe aus Pullach vertraut ja nicht einmal unsere eigene Regierung; dass die CIA auf dessen Amtshilfe wenig gibt, kann ich nachvollziehen. Wir tun in Deutschland gerne so, als ob wir überhaupt keine eigene Außenpolitik betreiben würden und als ob Deutschland keine Interessen hätte, die es vertritt. Das mag als Nebelkerze gegenüber unseren eigenen Medien und unserer eigenen Bevölkerung funktionieren, aber im Ausland nimmt man uns die Pose als moralisch überlegenen, bescheidenen Kleinstaat nicht ab - um das zu sehen, muss man nur in andere EU-Länder schauen. Ich möchte nicht, dass das mit einem Plädoyer für eine stärkere Unterwerfung unter die Interessen der USA verstanden wird. Das ist es nicht. Ich möchte aufzeigen, dass unsere eigene Sicht der Dinge von der der USA stark abweicht. All dies rechtfertigt für die USA, Deutschland auszuspionieren. Es macht aus US-Perspektive absolut Sinn, Doppelagenten im BND und in den Ministerien zu kaufen. Was keinen Sinn macht ist das großflächige Ausspionieren der Bevölkerung, aber das ist eine völlig andere Dimension des Skandals. Es ist die Dimension, die eigentlich thematisiert werden müsste, aber genau die, die nicht thematisiert wird - weil die andere wesentlich besser zur Dramatisierung taugt und als Nebelkerze verwendet werden kann. Der Schritt der deutschen Regierung, ihren Geheimdiensten das Mandat zum Zurückspähen zu geben, ist daher sogar folgerichtig. Aber es unterschlägt völlig einen Aspekt, der bereits einmal im Rahmen der NSU-Affäre unter den Tisch gekehrt wurde: das völlige Versagen der deutschen Geheimdienste. Die USA haben jede Berechtigung zu versuchen, uns auszuspionieren. Aber warum um Gottes Willen beschäftigen wir einen kompletten Inlandsgeheimdienst und seine 16 Länder-Dependancen damit, das Parteiprogramm der LINKEn zu lesen, anstatt Spionageabwehr zu betreiben und das deutsche Volk vor Schaden zu bewahren? Wenn die Amerikaner meinen, dass sie deutsche Ministerien ausspähen müssen, dann findet die Spione und verhaftet sie oder schmeißt sie raus. Oder glaubt jemand, die Amerikaner würden anders reagieren, wenn sie einen BND-Spion im Defense Department finden würden? Die merkwürdige Gedämpftheit der deutschen Regierung ist vor diesem Hintergrund leicht zu verstehen. Auf den BND oder den Verfassungsschutz zu vertrauen hieße, völlige Naivität zur Regierungspolitik zu machen. Im Gegensatz zu den Amerikanern sind die deutschen Geheimdienste auf ihre großen Brüder in den USA - Augsteins "Herrchen" - schlicht angewiesen. Die deutsche Sicherheitsarchitektur baut vollständig auf der Prämisse auf, dass die USA einen guten Teil unserer Verteidigung übernehmen, sowohl militärisch als geheimdienstlich. Sie befindet sich mit Langley und Fort Meade in einer Symbiose. Natürlich könnte Deutschland sich von dieser Umklammerung lösen und anfangen, wieder eigene "Weltpolitik" zu betreiben. Davon nimmt es aus guten Gründen Abstand. Aber dass die Amerikaner die deutsche Rosinenpickerei nicht zulassen wollen, nur die Früchte der Umklammerung zu genießen und keine Gegenleistungen zu erbringen, ist klar. Und da die Informationen aus deutschen Quellen nicht zu erwarten sind, holen sie sie sich eben selbst. Also, bitte, werdet endlich erwachsen. Es gibt keine Unschuldigen in diesem Spiel, das so alt ist wie die Menschheit. Wenn wir ernsthaft verhindern wollen, dass wir ausgespäht werden, müssen wir etwas dagegen tun. Nur ist dieser Will gerade absolut nicht zu erkennen.

2 Kommentare:

  1. Schreibst Du inzwischen unter dem Pseudonym Reinhard Müller in der FAZ?
    Es hilft nicht die Argumente, ob nun Deine, des NSA-Mietschreibers Kirchick* oder Sasse/Müllers sind so peinlich schwach, wenn nicht schwachsinnig, dass sich eine weitere Auseinandersetzung erübrigt.

    * Kirchicks Elaborat ist natürlich auch von der FAZ kolportiert worden.

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  2. Vielem kann ich ja zustimmen. Allerdings fällt mir auf, dass Du den "Dackelvergleich" zwar für infantil hältst, diesen aber exakt bestätigst.

    Die USA sehen die Deutschen eben nicht als "Bündnispartner". In einer Partnerschaft ist es üblich und geradezu wichtig das die Parteien auch einmal anderer Meinung sind. Genau die US-Argumentation der "Unzuverlässigkeit" zeigt doch das die USA von den Deutschen erwarten über jedes hingehaltenes Stöckchen zu springen. Und gerade der Umgang mit den aktuellen Spionage-Affären zeigt, dass die USA uns nicht als Partner sehen. "Ihr erwartet etwas von uns? Pfui! Sitz und Platz!". Hast Du die Pressekonferenz von Obama und Merkel in Washington gesehen? Obama redete davon, die Deutschen müssten sich keine Sorgen machen, denn die USA würden nur Terrorverdächtige abhören. Der abgehörten Angela ist sichtlich die Kinnlade runtergekippt. Ich habe selten gesehen das ein Politiker bei einem gemeinsamen Presstermin derart offensichtlich gedemütigt wurde. Und das auch noch bei einer deutschen Politikerin die Jahrzehnte ihres Lebens in einem System lebte das auf abhören und spionieren aufbaute. Nein! Schon die Reaktion der USA zeigt, was sie von Deutschland erwarten. Das Verhältnis USA - BRD entspricht im Wesentlichem dem Verhältnis UdSSR - DDR. Plakativ Brüder und Freunde; realpolitisch jedoch Herr und Hund. Und damit sitz und platz.

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