Donnerstag, 4. Mai 2017

Die Nutzlosigkeit von "rechts" und "links" als Definition

In den letzten zehn, fünfzehn Jahren haben die mittlerweile über 200 Jahre alten ideologischen Sortierungsbegriffe von "rechts" und "links" mehr und mehr an Bedeutung verloren. Seit der Ausrichtung von SPD und Grünen auf die Agenda2010 im Jahr 2003 und der stillen Beerdigung des Leipziger Programms durch die CDU nach 2005 ist es zunehmend schwieriger geworden, die Parteienlandschaft in Deutschland in den altgedienten Kategorien zu fassen - was zu viel Konfusion und Frustration führt. Sind sie nicht irgendwie eh alle gleich? Die Probleme sind real. Wenn die CDU eine Million Flüchtlinge ins Land lässt, ist das links? Wenn die SPD vor ausgereizten Aufnahmekapazitäten warnt, ist sie dann rechts? Wenn die AfD Kritik an TTIP übt, ist das links? Wenn die LINKE für den Erhalt des Euro in Griechenland eintritt, ist das rechts? In Frankreich ist der Verteidiger des Internationalismus ein Neoliberaler, während die Linke mit einem hart nationalistischen Programm arbeitet. In den USA ist es der "rechte" Flügel der Democrats, der sich massiv um Minderheitenrechte bemüht, während der "linke" Flügel diese für irrelevant erklärt und dem internationalen Finanzkapitalismus den Kampf ansagt. Man kann nur noch hilflos die Arme in die Luft werfen.

Früher(tm), in der guten alten Zeit(tm), waren die Grenzen noch recht klar verteilt. "Links" war gegen die Blockstruktur des Kalten Krieges und für ein Rapprochment mit den kommunistischen Staaten, rechts war dagegen. Links war für mehr Demokratie und mehr Bürgerrechte, rechts war dagegen. Links war gegen Militärinventionen in der Dritten Welt, rechts war dafür. Und so weiter. Die Blöcke des Kalten Krieges garantierten ein stets passendes Narrativ, waren stabil und berechenbar, und beide Seiten ignorierten die jeweiligen Heucheleien ihres Teams (die Rechten, die unter dem Freiheitsbanner Diktaturen in der Dritten Welt stützten, die Linken, die unter dem Friedensbanner die Unterdrückung der Bevölkerung in den kommunistischen Staaten schönredeten).

Viele Komplexitäten wurden seinerzeit durch die starke Identifizierung in diese Lager weggewischt. Die Anti-Babypille ist weder sonderlich links noch rechts, aber sie wurde - genauso wie Abtreibung - schon allein dadurch ein SPD-Thema, dass die CDU sie vehement ablehnte. Seit den 1990er Jahren nimmt diese Polarisierung massiv ab (während sie gleichzeitig in den USA zunimmt, in einer merkwürdigen transatlantischen Asymmetrie). Dadurch verwischen Grenzen, während anderswo Spannungslinien, die durch die Zugehörigkeit zum politischen tribe lange verdeckt wurden, immer mehr an die Oberfläche blubbern. Der Niedergang der Gewerkschaften etwa ist sicherlich ein Produkt der Liberalisierung des Arbeitsmarkts, aber es kann auch kaum verneint werden, dass "links" und "DGB" sich einfach nicht mehr überall decken. Die häufig immer noch sehr traditionell macho-haft und weiß geprägte Kultur der Gewerkschaften verliert etwa in einer Arbeitswelt, in der zunehmend Frauen und Minderheiten eine größere Rolle spielen, ihre Anziehungskraft. Die Milieus von IG Metall und dem grünen Ortsverein Berlin etwa haben praktisch keine Berührungspunkte, und doch werden beide unter "links" subsumiert.

Mir scheint es daher sinnvoll, eine andere Klassifizierung zu untersuchen als die traditionelle "rechts vs. links"-Dynamik. Die in diesen Zeiten angebrachteste Unterscheidung scheint mir dabei "offen vs. geschlossen" zu sein. Was meine ich damit?

Die LINKE beispielsweise ist gesellschaftlich relativ offen (Unterstützung der Homo-Ehe, Eintreten für Bürgerrechte, etc), aber wirtschaftlich eher geschlossen (Ablehnung des Freihandels, Bevorzugung staatlicher Eingriffe, etc.).

Die CDU ist gesellschaftlich relativ geschlossen (Ablehnung der Homo-Ehe, Bewahrung traditioneller Werte, etc.), aber wirtschaftlich offen (Bevorzugung marktwirtschaftlicher Strukturen, Nachtwächterstaat, etc.).

Das ermöglicht es auch wesentlich besser, die verwirrenden Parallelen zwischen AfD und LINKE in den Blick zu bekommen, die gerade in den Leitmedien zu einer Dauer-Konfusion führen. Beide sind was den Außenhandel und die Außenpolitik angeht eher geschlossen, was zu einer Vermischung der beiden einlädt (besonders beim Label EU-Gegner). Sie unterscheiden sich aber sehr stark bei diversen anderen Themen, vor allem was die Rolle des Staates in der Wirtschaft angeht, was die Rolle des Militärs angeht, und so weiter.

Natürlich lässt sich auch das mit "offen vs. geschlossen" nicht voll abbilden. Ohne mindestens vier parallel angeordnete Parallelen ist eine halbwegs realistische Standortbestimmung kaum möglich, aber die sind immer so furchtbar schlecht geeignet, um in einer normalen Konversation oder einem Nachrichtensegment eine Einschätzung abzugeben. Ich denke daher, "offen vs. geschlossen" ist eine bessere Näherungshilfe als "rechts vs. links".

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.