Montag, 1. Mai 2017

Le Pen, Trump und das moralische Versagen der Linken

Sowohl bei der Wahl in den USA als auch nun in Frankreich befindet sich die Linke in derselben Position. Ihr Kandidat - hier Sanders, dort Mélenchon - hat eine überraschende Stärke beweisen, die aber nicht ausreichend war, um im eigentlichen Präsidentschaftszweikampf antreten zu können. In beiden Fällen siegte auf der Rechten ein Kandidat der Ethnonationalisten, mit Worten des Hasses und reaktionärem Gestus, sowohl gegen Ausländer als auch, irgendwie, Kapitalisten. Auf der anderen Seite stand in beiden Fällen ein Zentrist, Darling der Finanzindustrie, kosmopolitisch, mit sozial progressiven Werten. Und in beiden Fällen weiß die Linke nicht, wie sie darauf reagieren soll - und tut es auf dieselbe Weise.

Wenn man die Linke mit der Wahl zwischen autoritären, rassistischen Demagogen und progressiven, elitären Zentristen stellt, vermag sie keinen Unterschied zu erkennen. Macron sei schlimmer als Le Pen, hallt es aus dem linken Lager, weil er irgendwie neoliberal und mit dem Bankensektor verknüpft ist. Dagegen macht Le Pen Geräusche in Richtung einer Kritik von Freihandel und Finanzkapitalismus, und das gilt sofort als Beweis für Geistesverwandtschaft. Das ist einerseits blind und andererseits ekelhaft.

Blind ist es, weil die Rechtsextremen von Le Pen bis Trump keine Spur von Interesse an einem klassisch linken Wirtschaftsprogramm haben. Ihre Kritik am Freihandel ist ein Feigenblatt um den Gestank ihres Rassismus' zu verdecken, ihre Verdammung der Finanzindustrie häufig kaum mehr als Einladung zu antisemitischen Ressentiments. Keiner der selbsternannten Volkstribunen von rechts hatte je ein Problem mit großer Nähe zur Hochfinanz und zu Big Business, sobald sie im Amt sind. Die Leute, die ihnen hier auch nur die geringste Glaubwürdigkeit zusprechen, sind mehr als nur naiv.

Ekelhaft ist es, weil die Linke sich damit ebenfalls bereitwillig in die ethnonationale Ecke drängen lässt und ihren angeblichen Internationalismus, ihr Bestreben nach Gleichheit, als hohle Phrase entlarvt. Ob in den USA oder nun in Frankreich, für eine halbseidene Kritik am Freihandel sind die Linken bereit, sämtliche marginalisierten Gruppen von Frauen über Schwarze zu Muslimen und der LGBT-Gemeinde zu opfern. Denn nur dadurch, dass man deren Lebensrealität für völlig irrelevant erklärt, kann man ernsthaft die Behauptung wagen, Trump sei weniger schlimm oder doch zumindest äquivalent zu Clinton, dass Le Pen eventuell doch Macron vorzuziehen sei.

Und da kann man auch nicht gelten lassen, dass Sanders schließlich halbherzig zur Wahl Clintons aufrief oder Mélenchon seine Anhänger nun nach über einer Woche (!) dazu anhält, "nicht für Le Pen" zu stimmen. Wenn die Wahl ein Zentrist war, dessen Politik man nicht sonderlich mag, und auf der anderen Seite die Wegbereiter einer White-Supremacy-Kleptokratie, dann kann für einen anständigen Menschen überhaupt keine Frage bestehen. Mélenchons Geste ist angesichts der Wahldynamik das absolute Minimum. Sie ist eine verklausulierte Aufforderung zur Wahlenthaltung - und hilft damit nur Le Pen, genauso wie die Bernie-Fans, die von seiner Niederlage enttäuscht den Wahlurnen fernblieben, Trumps Sieg erst ermöglichten, anstatt das kleinere Übel zu wählen.

Aber das erfordert eine demokratische Reife, die auf der Linken offensichtlich nicht vorhanden ist. Gottseidank stellt sich hierzulande noch nicht die Entscheidung zwischen Ursula von der Leyen und Frauke Petry. Man kann sich schon vorstellen, wie die Reaktionen da aussehen würden.

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PS: Ich möchte übrigens verdeutlichen, dass ich weder Clinton noch Macron für perfekte Kandidaten halte oder, im Falle Macrons, übermäßig begeistert vom innenpolitischen Programm wäre. Ja, die EU sollte reformiert werden. Ja, Kritik an Freihandelsabkommen im bisherigen Stil ist absolut nötig. Alles richtige Punkte. Zu glauben, die Wahl von Trump und Le Pen wäre der beste Weg, diese Ziele zu erreichen oder auch nur die Debatten anzustoßen, ist aber pure Verblendung.

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