Mittwoch, 13. Dezember 2017

Sweet Home Alabama

Gestern ging in Alabama der viel beachtete Sonder-Wahlkampf um den ehemaligen Senatssitz von Bundesstaatsanwalt Jefferson Beauregard III. Sessions zu Ende. Alabama wurde 2016 von Trump 62% zu 34% gewonnen. Seit 2000 hat kein Democrat in diesem Bundesstaat irgendetwas gewonnen. Es galt daher als sicher, dass die republikanische Strategie, Kabinettsposten mit Personen aus sicheren Wahlkreisen zu besetzen und die Sonderwahlen zu gewinnen. Das ist völlig normales (und sinnvolles) Vorgehen auf beiden Seiten, denn im US-System dürfen Abgeordnete nicht Kabinettsposten innehaben und müssen ihren Sitz bei einem Wechsel in die Regierung aufgeben, woraufhin es zur Wahl kommt. In der Zwischenzeit ernennt der Gouverneur des Staates einen Abgeordneten, der den Sitz in der Sonderwahl dann als Amtsinhaber verteidigen kann - ein großer Vorteil. Doch für die Republicans verlief es überhaupt nicht nach Plan.

Der vom republikanischen Gouverneur bestimmte Zwischen-Senator, Luther Strange, war eine normale Lösung: ein radikaler Republican, linientreu in allen Positionen. Er bekam endorsements von allen wichtigen Parteigrößen. Aber recht schnell wurde klar, dass Probleme begannen. Wie in Virginia, wo sich ein ähnlicher Kandidat - Gillespie - knapp gegen einen Rechtsextremisten durchsetzte, stellte der Extremistenflügel der Bewegung einen eigenen Kandidaten auf: Roy Moore.

Moore ist ein völliger Fanatiker. Er wurde zweimal (!) aus gewählten Positionen verstoßen, weil der Verfassungsrecht brach und sich auch mit gerichtlicher Anweisung weigerte, seine Verstöße aufzuheben. So platzierte er als Vorsitzender des Supreme Court of Alabama ein Denkmal für die Zehn Gebote in die Eingangshalle des Gerichts, was klar gegen die Verfassung verstößt, wurde verurteilt und weigerte sich, es zu entfernen. Er verteidigte die Sklaverei, befand dass Frauenrechte und Frauenwahlrecht abgeschafft werden sollten, schwenkte eine Waffe auf Wahlveranstaltungen (was nach alabamaischem Recht auch illegal ist) und ritt mit Cowboyhut auf einem Pferd zum Podium, kurz: wenn man ein Abziehbild aller bösartigen Klischees unter Progressiven, was ein Republican ist, erstellen würde, es sähe aus wie Roy Moore.

Trump, natürlich, liebte den Mann. Alle Kräfte in der Partei zogen in die andere Richtung: keinesfalls dürfe Moore die Vorwahlen gewinnen. Der Mann wäre eine absolute Schande für die Partei, und er schaffte es, dass Jefferson Beauregard III. Sessions plötzlich wie ein Moderator aussah, derselbe Sessions, der das Wahlrecht für Schwarze begrenzen und ihre Bürgerrechte beschneiden will. Moore und seinesgleichen waren selbst für den wohlhabendsten Beobachter kaum mehr als demokratische Politiker zu betrachten. Sie kriechen unter den rechtsextremistischen Steinen hervor, die die Republicans in ihrem Teufelspakt stets ignoriert und gepflegt haben, um sich der Stimmen der Irren zu versichern. Jetzt schmeißen die Irren den Laden, wie der konservative Ideologe Bill Kristol, der noch vor zwei Jahren selbst den rechten Rand der Partei konstitutierte und nun als liberaler Verräter gilt, bereits im August prophetisch feststellte:
Er sollte Recht behalten. Trump, gezwungen von praktisch allen Beratern und Verbündeten, gab ein halbherziges endorsement an Strange, das er zurückzog kaum dass Moore trotzdem zu gewinnen schien. Moore gewann dann die Vorwahl deutlich. Es schien, als ob eine weitere Peinlichkeit auf der republikanischen Wahlliste in den Senat einziehen würde. Schließlich hatte noch nie jemand von seinem demokratischen Gegenpart, Doug Jones, gehört. Jones war ein recht farbloser Staatsanwalt, dessen zugegeben perfekt in die Zeit passende größte Errungenschaft es ist, Ku-Klux-Klan-Mitglieder hinter Gitter gebracht zu haben. In Alabama hat das zugebenermaßen Nachrichtenwert. Aber angesichts der üblichen Abstimmungswerte Alabamas und der immer weiter zunehmenden Polarisierung konnte wenig Zweifel am Ausgang dieses Wahlkampfs bestehen.

Es kam anders. Im Verlauf des Herbsts kam ans Licht, dass Moore in früheren Jahren, als er noch selbst Staatsanwalt war, die Eigenschaft hatte, Teenager zu daten - als er selbst schon jenseits der 30 war. Das ist natürlich illegal, aber die Straftaten sind mittlerweile verjährt. Moore und sein Team aus Spinnern entschlossen sich, Trumps Verteidigungsstrategie von 2016 anzuwenden. Sie leugneten die Vorgänge, bezweifelten die Glaubwürdigkeit der Frauen, erklärten, dass Joseph in der Bibel ja auch eine jugendliche Maria geheiratet habe, fanden weitere Begründungen warum Pädophilie für einen Senator eigentlich, wirklich, ehrlich gar kein Problem ist und benahmen sich auch sonst wie der hinterletzte menschliche Abschaum.

Plötzlich führte Doug Jones in den Umfragen. Der DNC finanzierte ihn massiv, er holte Rekordspenden ein und investierte das Geld neben einer 7:1-Flutwelle von Werbespots in eine gigantische, in Alabama nie dagewesene "Get Out The Vote"-Organisation (GOTV) zur Mobilisierung der schwarzen Wähler, die in Jahrzehnten rassistischer Politik in Alabama häufig nicht registriert sind. Widerwillig entzogen die Republicans Moore ihre Unterstützung. Selbst Trump schien in seiner Begeisterung etwas zu schwanken, aber Moore war ihm viel zu ähnlich um ihn nicht zu mögen.

Und dann geschah, was in diesen Zeiten immer geschieht: der parteiische Instinkt wurde angeschalten, und die Umfragen liefen aufeinander zu. Eine Woche vor der Wahl war der Ausgang Fifty-Fifty, und besonders die Evangelikalen warfen sich für Moore in die Bresche, beteten für ihn und erfanden zahlreiche gewichtige Gründe, warum Pädophilie eine christliche Sache sei. Der RNC finanzierte Moore erneut, nachdem er nur zwei Wochen zuvor alle Verbindungen gekappt hatte. GOP-Senatoren gaben ihr endorsement ab, und Trump tweetete für Moore, als gäbe es kein Morgen. Die meisten Republicans rechtfertigten ihre Unterstützung Moores, den selbst sie als Abschaum betrachteten damit, dass es unmöglich wäre, einen Democrat gewinnen zu lassen. Es war ein beschämendes, ekelerregendes Spektakel, das die wenigen verbliebenen Konservativen in der Partei zu angewiderten Distanzierungen von ihrer Partei trieb (etwa der oben erwähnte Bill Kristol, Tom Nicholls oder Mitt Romney).

Und dann gewann Doug Jones die Wahl.

Das zynische Kalkül der Republicans war nicht aufgegangen. Sie hatten sich in die tiefsten Tiefen begeben, in den größten Dreck gewälzt, sich besudelt, und sie verloren doch. Woran lag es?

Der erste und wichtigste Grund ist der Erfolg von Jones' GOTV-Strategie. Die Schwarzen wählten in Rekordzahlen, und in Rekordraten. 97% alles schwarzen Frauen wählten Jones, immerhin 92% aller schwarzen Männer. Die Zahlen für die Weißen dagegen sind beschämend. 32% der weißen Frauen wählten ihn; 65% hatten kein Problem damit, einem Pädophilen ihre Stimme zu geben. Bei weißen Männern zeigt sich das traurige Gemisch aus Rassismus und toxischer Maskulinität, das bereits Trump zum Sieg verhalf, erneut: 74% gaben Moore ihre Stimme.

Der zweite wichtige Grund war, dass die Gesetze der politischen Gravitation eben doch nicht außer Kraft sind. Trump ist ein unbeliebter Präsident. Die Republicans sind eine unbeliebte Partei. Moore war ein unbeliebter Kandidat. Selbst in Alabama kann eine solche Kombination von Faktoren ausreichen, um zur Niederlage eines Republican zu führen.

Was sagt uns das für 2018?

Wenn ein Staat wie Alabama einen Democrat wählt, weil die GOP toxisch geworden ist, dann steht den Republicans eine harte Abwehrschlacht bevor. Die Mehrheit im Repräsentantenhaus steht für sie auf dem Spiel, und damit jede Hoffnung, den Staat weiter auszuplündern. Der Senat, in dem die Democrats eine historisch schlechte Position haben (25 von 33 Sitzen werden von dieser Partei gehalten), könnte, statt den Republicans die nötigen 60 Stimmen zur Überwindung jeder demokratischen Opposition zu geben, im aktuellen Status Quo verbleiben (eine Übernahme durch die Democrats wäre ein wahres Wunder). Und das alles, ohne dass die Democrats jene Probleme, die ihren Wahlkampf 2016 plagten, auch nur vernünftig angegangen, geschweige denn gelöst hätten.

Für Progressive sind das alles blendende Neuigkeiten. Sweet Home Alabama, indeed.

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