Samstag, 2. Dezember 2017

2017 war ein schwarzer Schwan

Die Reaktionen auf meinen Artikel von der Alternativlosigkeit von Merkels Linksbewegung seit 2005 ließen mir keine Ruhe. Die Kritik, Merkel habe besonders schlechte Wahlergebnisse eingefahren und durch diese Politik den rechten Rand stark gmeacht schien mir nicht zu passen. Ich entschloss mich daraufhin, die Zahlen etwas genauer anzuschauen. Dabei kamen einige überraschende Erkenntnisse heraus, die ich euch nicht vorenthalten will. Meine Schlussfolgerung ist, dass die Wahl 2017 letztlich ein Schwarzer Schwan war - ein Ereignis mit verhältnismäßig geringer Aussagekraft über das konkrete Datum hinaus. Inwieweit das zutrifft werden wir in den nächsten Monaten und Jahren sehen. Ich will im Folgenden aufzeigen, wie ich zu dieser Einschätzung komme.

Der erste Faktor sind die Umfrageergebnisse der CDU. Ich habe beispielhaft Infratest verwendet; die Ergebnisse selbst unterscheiden sich zwar je nach Umfrageinstitut, in der generellen Trendlinie waren sie aber immer ziemlich eindeutig.Seit dem Jahr 2000 ist Angela Merkel Vorsitzende der CDU. Für die Wahl 2002 wurde sie von der Altherrenriege, die sie in den folgenden Jahren mit großer Effizienz zerlegen würde, in die zweite Reihe geschoben, damit Edmund Stoiber Kanzler werden konnte. Das gelang bekanntlich wegen des Unvermögen des gelernten Bayern¹ und Merkels ungeschickter Positionierung in der Frage des Irakkriegs nicht. In der zweiten Schröder-Legislaturperiode lagen die Umfragewerte dann stabil jenseits der 40%, um im Wahlkampf gegen Gerhard Schröder dramatisch abzurutschen, in dem Merkel sich das Wahlprogramm von solch profilierten Wahlkämpfern wie Friedrich Merz und Paul Kirchhoff bestimmen ließ., während die SPD eine gewaltige Aufholjagd unter dem Banner des Friedens und der Sozialen Gerechtigkeit startete. Das würde Merkel nicht noch einmal passieren.

Stattdessen lief 2006 im Rahmen der WM in Deutschland ein Sommer der harmlosen guten Gefühle. Die Umfragewerte der CDU kletterten wieder auf 40%+. Im Herbst 2006 stürzten sie wieder ab, als Innenminister Schäuble und das glücklose CSU-Führungsduo Beckstein und Huber mit der Antiterrordatei Negativschlagzeilen produzierten und die CDU gegen den Widerstand der SPD eine Senkung der Arbeitslosenversicherung durchzuboxen versuchte. Bis zur Wahl 2009 tat Merkel dann das, für das sie seither berühmt geworden ist, und demobilisierte die SPD asymmetrisch. Deren Umfragewerte erholten sich erst, als die CDU eine Koalition mit der FDP einging und Merkel die rechteste Politik ihrer Regierungszeit machen konnte - eine Phase, in der die CDU konstant unter 40% liegt, ohne dass dies darauf zurückgeführt worden wäre, dass sie FDP-Positionen übernommen hätte. Erst als sie in einer neuen Großen Koalition ihre bisher sozialdemokratischste Politik macht, erreicht die CDU für fast drei Jahre regelmäßig Werte über 40%.

Die Idee, dass es gerade die Linksbewegung Merkels sei, die für schlechte Ergebnisse sorgte, ist deswegen hanebüchen. Wann immer Merkel sich gegen die nach links rutschende Mitte stellte, ging sie baden - ob Irakkriegs-Ja, Kirchoff-Steuerkonzept, "Anti-Terror"-Politik oder FDP-Steuersenkungen. Nur lag das nicht daran, dass ein Grundgesetz von "links=gut, rechts=schlecht" gelten würde. Es lag schlicht daran, dass Merkels Sozialdemokratisierung das überfällige Nachvollziehen eines gesamtgesellschaftlichen Trends war, ohne den die CDU schon seit 2005 von den 40% nur hätte träumen können. Die Umfragewerte sprechen eine ziemlich deutliche Sprache.

Fragt sich also, warum der Absturz 2017? Weil Merkel, entgegen ihren neuen Instinkten, gegen die Mitte der Gesellschaft ging. Dass der "Refugees-Welcome"-Boom von 2015 nur eine kurze Erscheinung war, dem schnell der Kölner-Hauptbahnhof-Kater folgte, dürfte mittlerweile Allgemeingut sein. Und wie man sehen konnte, gingen die Werte der CDU nach 2015 auch steilst nach unten, für CDU-Verhältnisse zumindest. Die Partei lag immer noch stabil irgendwo zwischen 35% und 38%, ein Wert, den sie auch in der Bundestagswahl zu halten schien, besonders nach dem Geistersommer, in dem sie noch einmal kurz die 40% knackte, als die Diskussion der Republik sich auf ein Duell Schulz gegen Merkel konzentrierte, von dem Schulz selbst im Frühjahr kurz profitiert hatte. Ironischerweise schadete Merkel wenig so sehr wie Schulz' Schwäche, denn die Idee, dass er eine ernste Gefahr darstellen könnte, war im Sommer 2017 bereits lächerlich geworden.

Stattdessen schwang die gesellschaftliche Debatte komplett auf das Flüchtlingsthema um, das bereits für den Absturz der Partei seit 2016 verantwortlich gewesen war. Das Ausmaß, in dem das Thema die Schlagzeilen dominierte, war völlig albern und fand seinen Höhepunkt in dem immer noch nicht aufgearbeiteten Debakel des TV-Duells, in dem die vier Moderatoren sich gerierten, als wären sie Abgesandte der AfD. Sieht man sich die Googletrends der sieben Tage vor der Bundestagswahl an, bestätigt sich diese Lesart: von allen politisch motivierten Suchbegriffen, die sich klar auf eine Partei begrenzen lassen (die meisten versammelten allgemeine Fragen wie der Ablauf der Briefwahl oder die Suche nach Umfragen), so findet die stärkste Zunahme die Suche nach "Pegida", gefolgt von "Groko" und "AfD Bundestagswahl". Direkt danach folgen "CDU", "AfD Bundestagswahl 2017", "AfD", "Parteien" und erst dann, zum ersten Mal, "SPD Bundestagswahl". Nichts anderes schafft es in die Top 25, alles andere kommt dann weit abgeschlagen. Anstatt das vorteilhafte Duell gegen Schulz ausfechten zu können, geriet Merkel auf der Zielgeraden in das unvorteilhafte Duell gegen die AfD um die Meinungshoheit um die Flüchtlingskrise, wo ihre Konsenssoße wenig Chancen hatte und alle wahlkämpferischen Schwächen aufbrachen. Aber: seit der Bundestagswahl ticken die Umfragewerte der CDU bereits wieder in die Höhe. Das ist aber letztlich Pech und sagt uns wenig über die längerfristige Strategie der CDU. Wenn meine Theorie sich bewahrheitet, dürfte mit dem Verschwinden der AfD aus den Schlagzeilen die CDU wieder in ihre angestammten Regionen zwischen 35% und 40% in den Umfragen zurücklaufen.

Ich möchte daher noch einmal betonen: Meine These ist, dass Merkels Strategie des Ausgreifens dorthin, wo sich gerade die Mitte befindet, der CDU erst die Umfrage- und Wahlergebnisse ermöglicht hat, die sie hatte. Da die Gesellschaft insgesamt (aber bei weitem nicht bei allen Themen) nach links gerutscht ist, bedeutete dies für die CDU ebenso einen Linksrutsch. Das ist übrigens auch nicht das erste Mal in der deutschen Geschichte der Fall; die konstante Stärke der CDU war schon immer, solche Rutsche geschmeidig nachvollziehen zu können. Die Akzeptanz von Mitbestimmungsrecht und Ostpolitik etwa war ja ein wesentlicher Faktor des Erfolgs der Partei in den späten 1970er und dann in den 1980er Jahren, und ihr Aufnehmen des Umwelt- und Abrüstungsthemas einer in den 1990er Jahren. So zu tun als hätte Merkel dieses Drehbuch erfunden zeugt von reichlich ahistorischem Denken. Politisch verzockt (oder, je nach Lesart, großmütig Verluste für das Richtige in Kauf genommen) hat sie 2015, als sie auf einen Linksrutsch und die AfD auf einen Rechtsrutsch in der Flüchtlingsfrage setzte. Aber, und das ist entscheidend, der Verlust kommt vom Gegen-den-Strom-schwimmen - und da verlor noch jeder Politiker.

Wir sehen das Kontrafaktum dafür in den Momenten, wo Merkel gegen die Bevölkerungsmehrheit nach rechts rutschte: von der Rente mit 67 (die der SPD wesentlich mehr schadete) zum Irakkrieg, von der "Reform"-Politik des Leipziger Programms zu der scharf rechten Innenpolitik der ersten Großen Koalition - Umfragewerte auf dem Niveau des Wahlergebnisses 2017, mit deutlich Luft nach unten. Wie man auf die Idee kommen kann, dass ausgerechnet das konsequente Verfolgen dieser Umfragedesaster die richtige Strategie sein könnte, ist nur mit ideologischen Scheuklappen zu erklären, die die bevorzugte eigene Politik als einzig richtiges Lösungsmittel propagieren wollen und die demoskopischen Fakten ignorieren. Das erinnert ironischerweise an die unverbesserlichen Agenda2010-Fans innerhalb der SPD, die immer noch glauben, dass wenn man Hartz-IV nur richtig erkläre die Arbeiter die Partei wieder lieben würden. Aber so sind die Ewiggestrigen wenigstens alle beieinander. Vielleicht wollen sie ja sogar eine neue Partei gründen; man hört, das sei gerade en vogue.

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¹ Mit besten Grüßen an Stefan Pietsch. :)

Bildnachweise:

Wahlumfrage: Infratest (https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/sonntagsfrage/)

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